Das Dilemma der deutschen Linken
Klammheimlich applaudiert das bürgerliche Lager in der Euro-Politik Gysi und Wagenknecht zu – und wählt schließlich AfD. Linke Hoffnungen ruhen allenfalls auf Syriza und Podemos.
Einerseits hat die Partei Die Linke einiges zu bieten. Ihr Repertoire reicht von den Oppositions-Hardlinern der Kommunistischen Plattform über das Marxistische Forum oder das Trotzkisten-Netzwerk „Marx 21“ bis hin zu den zumeist verbürgerlichten SED-Traditionalisten aus dem Osten, die als Realpolitiker an der Seite der Sozialdemokraten den Anschluss an die Macht suchen.
Andererseits haben sich die Gruppierungen untereinander nur wenig zu sagen. Zuweilen sind sie gar spinnefeind. Aber das ist nicht weiter dramatisch, denn das waren die Linken schon immer. Wirklich tragisch aber ist für die deutschen Sozialisten etwas anderes, etwas, dass sie in ähnlicher Form 1990 schon einmal empfanden: Sie scheinen aus der Zeit gefallen zu sein.
Konfrontation zwischen „Eliten und Mehrheit“
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Denn derzeit bespielen andere die große revolutionäre Bühne. Das sind die neuen linken Bewegungen in Griechenland und Spanien, Syriza und Podemos. „Linke Hoffnung für Europa?“, titelt die aktuelle Ausgabe des „Marx21-Magazins“ und zeigt nicht etwa Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht oder Katja Kipping, sondern Podemos-Chef Pablo Iglesias an der Seite des griechischen Ministerpräsidenten und Syriza-Vorsitzenden Alexis Tsipras.
Podomos („Wir können“) und Syriza ist es „gelungen, die Herzen auf den Plätzen anzusprechen und zugleich die jungen Köpfe an den Hochschulen“, gestand Kipping im „GEOLITICO“-Interview ein. Mehr noch als Syriza versteht sich Podemos als ein Bündnis gegen das bestehende System und damit auch gegen die Altparteien, zu der es auch die Kommunistische Partei Spaniens zählt.
Hervorgegangen aus der Demonstrations-Bewegung 15. Mai und den „Empörten“ hat Podemos auch die Sprache der Linken verändert. Statt gegen den Kapitalismus zu wettern, spricht sie von der „Idee einer ökonomischen Demokratie“. Iglesias sagt: „Die Bruchlinie verläuft nun zwischen denen, die wie wir die Demokratie verteidigen und denen, die auf der Seite der Eliten, Banken, des Markts stehen.“ Somit verlaufe die Konfrontation zwischen „Eliten und Mehrheit“.
Das bürgerliche Gewissen zuckt
Für die deutsche Linke verläuft sie immer noch zwischen Regierung und Opposition. Sie ist als Partei Teil des politischen Establishments und damit bestenfalls ein Anhängsel der gefeierten außerparlamentarischen Empörten-Avantgarde. Wo sie gemeinsam auftreten, seht Gregor Gysi in Tsipras’ Schatten. Zwar sind Gysis Reden gegen die Euro-Rettungspolitik ebenso wie die von Sahra Wagenknecht YouTube-Hits, aber wer diese Politik ernsthaft ändern will, wählt AfD, sprich die einzige politische Kraft in Deutschland, die wie Syriza und Podemos aus dem Aufbegehren gegen den Euro entstanden ist.
Zweifellos ist Wagenknecht der Applaus der Zuschauer in den Talkshows sicher, sie ist auch gern gesehener Gast auf Wirtschaftstagungen, aber an der Wahlurne zuckt das bürgerliche Gewissen nach all den Erfahrungen der Vergangenheit vor dem Kreuzchen bei der Linkspartei zurück – Wagenknecht hin oder her.
Linken-Vorsitzende Kipping sähe in ihren Reihen gerne ein bisschen mehr Syriza oder Podemos, weniger Dogmatik, weniger Konvention, dafür mehr Aufbruchstimmung. Doch vor allem die ostdeutschen Realos um Gysi und Dietmar Bartsch kuscheln lieber mit einer siechen Sozialdemokratie statt mit dem radikalen Veränderungswillen linker Protestbewegungen. Auch darum wanderten gerade in Ostdeutschland überproportional viele Linke-Wähler zur AfD ab.
Bleierne ideologische Last
Ganz offensichtlich stellt sich heute die Frage, wie linke Politik akzeptiert wird ebenso neu wie die Frage, wem potenziell linke Wähler folgen. Waren die gewalttätigen Blockupy-Proteste (siehe GEOLITICO: „Unser Umgang mit linker Gewalt„) gegen die Eröffnung der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank in Frankfurt links, nur weil linke Gruppen dazu aufgerufen hatten? In ihrer Kritik an der EZB-Politik sind AfD und Front National zuweilen noch schärfer. Das Unbehagen über die steigenden Flüchtlingszahlen in Europa ist ebenso wenig ein rein rechtes Phänomen wie der sich immer offener artikulierende Antiamerikanismus.
Kein Wunder also, dass Podemos und Syriza weg wollten vom Rechts-Links-Schema und damit weg von jener politischen Klassifizierung, die die deutsche Linke sogar im Namen trägt. Bestärkt wurde ihr Bestreben durch ihre ersten Wahlkampf-Erfahrungen. Als die Podemos-Ideologen mit ihrem marxistischen Rüstzeug auf die Straße gingen, um die spanische Bevölkerung für sich zu gewinnen, stellten sie fest, dass ihnen keiner zuhörte.
Schnell wurde ihnen klar, dass seit dem Scheitern des Sozialismus im Jahr 1990 „Links“ das Synonym für eine bleierne ideologische Last mit Begriffen wie dem historischen Materialismus ist, mit denen kaum noch jemand etwas anfangen kann.
Weil aber Podemos auch jene Wähler erreichen wollte, die sonst vielleicht bei den Rechtspopulisten landen würden, gab Pablo Iglesias die Parole aus: Einfache Botschaften für einfache Leute. Nicht anders macht des der Front National von Marine Le Pen in Frankreich. Und auch die AfD führt auf diese Weise ihren Wahlkampf.
Wo sind die neuen Milieus?
Bei den Europawahlen gewann Podemos so zehn Prozent der Wähler aus dem konservativen Lager. Zu den urbanen Anhängern der ersten Stunde kamen die Arbeiter und Angestellten hinzu. Ob die Mehrheit von ihnen über die tatsächlichen Podemos- Ziele für einen Umsturz der politischen, ökonomischen und sozialen Strukturen Bescheid weiß, darf bezweifelt werden. Das gleiche gilt für Syriza, die es mit diesen Mitteln gar bis zum Sieg bei den griechischen Parlamentswahlen brachte.
Mit bundesweit neun Prozent steht die deutsche Linke in der Sonntagsfrage heute sicher nicht schlecht da. Und doch muss sie sich Sorgen machen. Denn ohne die langsam wegsterbenden alten SED-Wähler im Osten läge die Partei am Boden. Das heißt, sie braucht dringend neue Lebenskraft, muss in neuen Milieus Wurzeln schlagen.
Es ist nicht zu erkennen, ob sie weiß, wie ihr das gelingen könnte. Als Anhängsel von Syriza und Podemos wird sie wohl kaum überleben. Und diejenigen, die glauben, sie für eine rot-rot-grüne Zukunft umgestalten zu müssen, werden bald erkennen, dass sie damit das Geschäft der SPD betreiben, deren einziges Ziel es ist und sein muss, die Linke zu marginalisieren. Wer weiß, vielleicht ist die Zeit bereits dabei, über die Linke als sozialistische Partei alten Schlages hinwegzugehen.