Paralleljustiz verdrängt das Recht

Es geht nicht nur um TTIP.  Wir haben Scharia-Gerichte. Roma und Sinti haben ihr Rechtssystem, Antifa und Motorradclubs sowieso. So wird der Rechtsbruch zur Regel.

In der Schlacht um das TTIP-Abkommen werden von Befürwortern und Gegnern des Freihandelabkommens alle Register gezogen, um im öffentlichen Diskurs die Lufthoheit über der Fernsehcouch zu erlangen, denn Stammtische gibt es ja nicht mehr. Ein Schwerpunkt der Berichterstattung über das Abkommen ist die Kritik an internationalen Schiedsgerichten. Selbst der erklärte TTIP-Fan Hans-Olaf Henkel von der AfD ist in diesem Punkt auf der Seite der Kritiker: „Was sollen Schiedsgerichte, wenn wir in Deutschland funktionierende Gerichte haben?“ So seine Einlassung auf einer Wahlkampfveranstaltung in Erfurt.

Sinti- und Scharia-Gerichte

Diese Schiedsgerichte für Investitionsobjekte sind ein deutsches Patent. Deutschland schloss 1959 mit Pakistan als erster Staat ein auf privater Schiedsgerichtsbarkeit fußendes  Investitionsschutzabkommen. Der Grund lag auf der Hand: Bonn mißtraute der Unparteilichkeit der pakistanischen Justiz. Seither sind solche Abkommen mit Entwicklungsländern der Regelfall.

Diese Paralleljustiz ist weltweit auf dem Vormarsch. 2011 waren weltweit etwa 3.000 Investitionsschutzabkommen mit Schiedsgerichtsregelungen in Kraft, davon 130 mit Deutschland. Inzwischen sind Scharia-Gerichte bis nach Europa vorgedrungen, um interne islamische Rechtssachen zu regeln. Auch Roma und Sinti haben ihr eigenes System mit teilweise drakonischen Strafen. Und die Antifa mit ihrer Roten Hilfe und die Motorradclubs sowieso. Die Europäische Zentralbank scheint auch nicht mehr einem beschlossenen und niedergeschriebenen Rechtssystem zu gehorchen.

Fragwürdige Rechtssysteme

Hochentwickelte Rechtsstaaten hätten diese Paralleljustiz nicht nötig – glaubte man bis vor kurzem. Auch in gefestigten Demokratien schwindet jedoch die Verlässlichkeit der Politik. Nur einige Beispiele: Spanien hat rückwirkend die Vergütung für die Energieerzeugung mit Photovoltaikteppichen und Windmühlen reduziert. In Italien wurde die Einspeisevergütung von Photovoltaikanlagen nachträglich gekürzt, dasselbe passierte in Griechenland und Tschechien.

Auch wenn man das sozial- und energiepolitisch  richtig findet – für die Investoren sind solche Änderungen unkalkulierbare Risiken. Ein anderes Beispiel ist die Zwangsabschaltung von schwedischen Kraftwerken in Deutschland. Auch hier wurden Verträge durch die Regierung gebrochen. Die Retourkutsche ist die krude Einmischung Schwedens in die deutsche Energiepolitik, welche man – Stichwort Braunkohle – derzeit beobachten kann.

Die Justiz als solche ist nicht überall in der EU in einer guten Verfassung. Es gibt bestimmt allerlei Anlass,  an der  Unbestechlichkeit und Unabhängigkeit der rumänischen und bulgarischen Justiz zu zweifeln. Dennoch gehört auch der Balkan zur Hälfte bereits zur EU und damit zum Geltungsbereich von TTIP. Das italienische Rechtssystem verursacht in Mitteleuropa zuweilen Kopfschütteln. Nach dem Erdbeben vom Oktober 2012 in L’Aquila beispielsweise wurden sechs Erdbebenforscher in erster Instanz zu je sechs Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

Reichlich Schmerzensgeld

Fremd erscheint uns zuweilen auch das amerikanische System. Dabei kann es nicht ganz schlecht sein, denn die Vereinigten Staaten leben damit ja schon seit  200 Jahren. Aber es ist schon etwas anders. Besonders die Höhe von Entschädigungen ist für den europäischen Geschmack skurril. Vor 20 Jahren wurde der Kaffeetrinkerin Stella Liebeck in erster Instanz ein Schmerzensgeld  von 3 Mio. $ zugesprochen, weil sie den heißen Kaffeebecher von Mc Donalds zwischen ihre nackten Schenkel geklemmt hatte, um Milch und Zucker reinzuschütten. Dabei verbrühte sie sich. Es fehlte der Warnhinweis auf der Verpackung, dass Kaffee heiß ist…

Jetzt hat Paulette Car aus Los Angeles gegen dieselbe Firma geklagt, weil der Deckel auf dem Kaffeebecher nicht richtig gesessen habe. Wieder Verbrühung und Ausgang offen. Gut, das fällt nicht unter Investitionsschutz und kann leider nicht vor einem privaten Schiedsgericht verhandelt werden. Aber es zeigt, dass man sich auf ein fremdes Rechtssystem einläßt, wenn man im Ausland verkaufen will. Das gilt natürlich in beide Richtungen.

Die Amerikaner werden beispielsweise nie verstehen, wie gering die Hygienestandards in Europa sind und wie wenig sich die Verbraucher dagegen wehren können und wollen. Die Europäer verstehen wiederum nicht, dass die Deutsche Bank und andere europäische Banken vor amerikanischen Gerichten ständig wegen Beihilfe zu Steuerhinterziehung verklagt werden, während in einigen US-Staaten straffreie Steuerparadiese entstanden sind.

„Haben Sie einen Hang zur Lüge?“

Zurück zu Vertragsbrüchen von Regierungen. Derzeit ist wieder einmal der ehemalige Chef eines Kleinstaats hinter unserer Westgrenze im Visier: Jean Claude Juncker. Von ihm sind folgende Sätze bekannt:

„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter.“

Und:

„Wenn es ernst wird, muß man lügen.“

Das ist die politische Altersweisheit des EU-Chefs Juncker, einem der obersten Wächter über die EU-Verträge. Und die werden bekanntlich notorisch und laufend gebrochen.  Vom Maastricht-Vertrag ist nichts mehr übrig. Mit dem EU-Vertrag verfährt man auch, wie es gerade in den Kram passt. Die Griechenland-Hilfen waren und sind komplett illegal. Von einer Verlässlichkeit des Rechts in Europa kann so nicht mehr die Rede sein.

Der Regelfall ist der Rechtsbruch, wie folgende Anekdote bestätigt: Ein EU-Abteilungsleiter fragt  einen Bewerber: „Haben Sie einen Hang zur Lüge, zum Diebstahl und zur Unterschlagung?“  Der Bewerber: „Wenn es hilft, kann ich mir das aneignen.

Es wäre schön, wenn man den Befürwortern der Anwendung nationalen Rechts bei Handelsstreitigkeiten einfach Recht geben könnte – die Verantwortlichen in Brüssel, in Washington, in Berlin und in anderen Hauptstädten machen einem das sehr schwer…

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Über Wolfgang Prabel

Wolfgang Prabel über sich: "Ich sehe die Welt der Nachrichten aus dem Blickwinkel des Ingenieurs und rechne gerne nach, was uns die Medien auftischen. Manchmal mit seltsamen Methoden, sind halt Überschläge... Bin Kommunalpolitiker, Ingenieur, Blogger. Ich bin weder schön noch eitel. Darum gibt es kein Bild." Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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