Ein Theologe zwischen AfD-Proleten
Der Theologe Sebastian Moll erhebt schwere Vorwürfe gegen die AfD. Er stellt sie in die Tradition der deutschnationalen Bewegung und zieht eine Linie zur NSDAP.
Wenn es im Neuen Testament ein Gleichnis gibt, das auf Sebastian Molls Geschichte passt, dann ist es vielleicht die Lukas-Erzählung vom verlorenen Sohn. Der Mainzer Theologe verließ nämlich die FDP, weil er glaubte, in der AfD all das zu finden, was er bei den Liberalen zu vermissen schien. Doch das war ein Irrtum. Nicht einmal drei Monate später zieht es ihn nun klagend und reumütig in den Schoß seiner alten politischen Heimat zurück.
Freilich sei er vor der AfD gewarnt worden, räumt er ein. Doch er habe sich einfach nicht vorstellen können, wie es ihm in der AfD ergehen werde. Und all seine Erfahrungen gipfeln nun in der Erkenntnis: „Die Alternative für Deutschland besteht im Grunde aus zwei Parteien. Oben gibt es die Partei der Professoren, unten die der Proleten“, sagt er. „Und die Professoren beginnen die Kontrolle über die Proleten zu verlieren.“
„Methodisch radikal“
Während „oben“ ein akademischer Diskurs über die Euro-Politik oder die Haltung zu Russland debattiert werde, herrsche im Kreisverband „ein aggressiver Verbalradikalismus“. „Inhaltlich ist die Partei nicht radikal“, sagt Moll, der sich immer noch mit AfD-Wirtschaftspolitik, ihrer Steuer- und Finanzpolitik identifiziert, sich aber zu der von ihm empfundenen Distinktion der Liberalen zurücksehnt. „Die AfD ist methodisch radikal, sprich im Umgang der Mitglieder untereinander und in ihrer Art Politik zu machen“, sagt er.
Sebastian Moll ist einer von denen, die AfD-Vize Hans-Olaf Henkel am liebsten in der Partei sieht. Keine andere politische Organisation, versichert Henkel gern – und oft auch ungefragt –, habe so viele Akademiker in ihren Reihen wie die AfD. Statistiken darüber gibt es nicht. Wer immer das behauptet, schließt ganz einfach von der Führung auf die Basis.
Nun schickt sich Moll an, diesen Eindruck nachhaltig zu widerlegen. Er ist 34 Jahre alt, Autor von Büchern wie „Jesus war kein Vegetarier“ oder „Du sollst nicht atmen“ und hat gerade seine Habilitation über Albert Schweizer abgeschlossen. Da er sich zum Glauben berufen fühlte, wollte er Theologie-Professor den religiösen Diskurs in der AfD bereichern. Also strebte er die Gründung eines christlichen Arbeitskreises im rheinland-pfälzischen Landesverband an. Und dabei wähnte den Landesvorstand hinter sich.
AfD im „Heiligen Krieg“
Andere jedoch wollten das verhindern und gingen offen gegen ihn vor. Er berichtet, wie er während einer Versammlung von einem Mitglied auf Furcht erregende Weise angegangen worden sei. „Der eigentliche Skandal war, dass die Versammlungsleitung sich nicht etwa schützend vor mich stellte, sondern den senilen Choleriker, der mich allem Anschein nach am liebsten zusammengeschlagen hätte, auch noch dafür lobte, dass hier mal jemand ‚klare Kante‘ zeige“, sagt Moll.
Weil Argumente fehlten, werde gebrüllt und beleidigt. Einschüchterung gelte als adäquates Mittel der innerparteilichen Disziplinierung. In den einschlägigen Online-Foren sei er als christlicher Taliban verschrien worden, der die AfD in den Heiligen Krieg führen wolle. „Sie schrieben in Anspielung auf den Islamischen Staat: ,Wir wollen keine syrischen Zustände’.“ Unter dem Eindruck dieses Shitstorms habe der Landesvorstand ihm die Unterstützung entzogen.
Für Moll war das Maß nun voll. Im Online-Magazin „European“ schrieb er sich seinen Frust von der Seele und zeichnete im ZDF das Bild einer populistischen Partei mit rechtem Auftreten und rechten Parolen, die dem Bundesvorstand langsam aber sicher entgleite.
„Bizarrer Auftritt“
Nun sah sich auch der rheinland-pfälzische Landesverband zu einer Reaktion gezwungen, brachte es allerdings nur zur einer verblüffend inhaltsleeren Erklärung. Mit keinem Wort ging der Vorstand auf Molls Kritik ein:
„12 Wochen Parteimitgliedschaft, ein bizarrer Auftritt in einem rheinland-pfälzischen Kreisverband, einen behaupteten – angeblich vom Landesvorstand rückhaltlos unterstützten – Sprecher-Auftrag für die ,Christen in der AfD’ und schließlich ein Auftritt als Interviewpartner des ZDF, und zwar in herausgehobener Position (gleichauf mit Thomas Oppermann, Fraktionschef der SPD im Bundestag): Die erstaunliche Medienkarriere des Dr. Sebastian Moll wirft Fragen auf“, schrieb Landesschriftführer Joachim Paul.
Moll habe all jene, die ihn nicht als Sprecher der Christen in der AfD wollten, in die Nähe von Nazis gerückt, stellte er fest, ohne sich jedoch dagegen zu verwahren oder das Gegenteil zu belegen. Dafür kritisierte er mit deutlichen Worten das ZDF, das keine Stellungnahme beim Landesvorstand eingeholt habe. „Erbärmlich, aber doch bezeichnend“ sei das, so Paul.
„Wir haben den Vorgang abgeschlossen“
Als wir nun bei Zimmermann um eine Erklärung für die Vorgänge baten, mochte der sich auch nur schriftlich äußern:
„Herr Dr. Moll hat nach einer sehr kurzen Zeit der Zugehörigkeit zum Landesverband Rheinland-Pfalz öffentliche Äußerungen von sich gegeben, die keinesfalls den Zustand der Partei und insbesondere der Partei in Rheinland-Pfalz, ja sogar nur einen einzelnen Kreisverband den Herr Dr. Moll ja in seiner kurzen Mitgliedschaft kennen kann, widerspiegeln“, schreibt er. „Es stellt sich schon die Frage, wie fundiert eine derartige Meinung schon sein kann.“
Auf die Frage, ob er persönlich mit Herrn Moll über die Vorfälle besprochen habe, gab Zimmermann keine Antwort. Auch die Frage, wie der Landesvorstand insgesamt reagiert habe, ließ er unbeantwortet.
Stattdessen schreibt Zimmermann:
„Wir haben den Vorgang intern abgeschlossen und konzentrieren uns auf den weiteren Aufbau der Partei. So haben wir am vorletzten Wochenende den Startschuss zur Entwicklung des Wahlprogramms für die Landtagswahl 2016 gegeben. Darüber hinaus erfordert die Arbeit in den Landesfachausschüssen unsere Konzentration.“
„Verfälschung der germanischen Rasse“
Dazu, die Ursachen des Konflikts mit Moll genauer zu untersuchen, drängt es in der AfD offenbar keinen. Diese Arbeit betreibt Moll dafür umso intensiver. Und er findet die Motive für die Ablehnung, die er erfuhr, weniger in seiner Person oder seinen Argumenten begründet, sondern, wie er meint, in einem zutiefst kirchenfeindlichen völkischen Nationalismus. Er stellt die AfD in die Tradition der deutschnationalen Bewegung. Die Partei sei keine Alternative, sondern eine chauvinistische Gefahr für Deutschland.
Er erklärt das so: Für Konservative sei das Christentum kulturell wertvoll, darum wollten sie es bewahren. „Der Nationalist völkischer Prägung hingegen betrachtet das Christentum als eine Verfälschung der germanischen Rasse, von der sie sich um ihres Fortbestands willen befreien muss“, sucht er die deutschnationale Haltung der AfD zu begründen und zitiert zu diesem Zweck gar NS-Reichsleiter Martin Bormann: „Unser nationalsozialistisches Weltbild aber steht weit höher als die Auffassungen des Christentums, die in ihren wesentlichen Punkten vom Judentum übernommen worden sind. Auch aus diesem Grunde bedürfen wir des Christentums nicht.“
Von Bormann zieht Moll dann eine direkte Linie zur AfD. „Was Bormann hier beschreibt, ist in vielerlei Hinsicht leider genau das, was viele heutige AfDler meinen, wenn sie von einer ‚ideologiefreien‘ Politik sprechen“, sagt er.
„Das Original, die AfD!“
So weit ist bisher noch keiner in seiner Kritik an der AfD gegangen. In der Vergangenheit musste sich der Parteivorstand wiederholt Stimmenfang am rechten Rand vorhalten lassen. Anlass waren Wahlparolen wie: „Es kann nicht sein, dass man pauschal arbeitslose Ausländer wie arbeitslose Deutsche behandelt.“ Oder: „Wer will, dass die Zuwanderung in unsere Sozialsysteme aufhört, hat nur eine Wahl: Das Original, die AfD!“ Aber mit den Nationalsozialisten hatte die AfD noch keiner verglichen.
Ist es also vielleicht nur die Enttäuschung über das eigene Scheitern, die Moll zu solchen Vergleichen greifen lässt? Denn als er der FDP den Rücken kehrte, hatte er die AfD gegen den von den Liberalen erhobenen Vorwurf des Rechtspopulismus noch ausdrücklich in Schutz genommen. In einem Beitrag in der „Wirtschaftswoche“ schrieb er damals, er sei für ihn „unerträglich“, dass die FPD „eigenes Versagen“ dadurch zu vertuschen suche, indem sie die AfD „mit dem plumpen Vorwurf des Rechtspopulismus attackiert“. Moll damals wörtlich: „Diesen Verlust von Anstand und Wahrhaftigkeit konnte ich nicht länger hinnehmen und habe meine langjährige Mitgliedschaft bei den Freidemokraten beendet.“
Jetzt ist sein Austrittsschreiben an die AfD auf den Weg, und er selbst hat bei den Freidemokraten bereits wieder angeklopft. Ob sie den verlorenen Sohn reinlassen?