Der vom Westen finanzierte Krieg

Die Ukraine ist finanziell am Ende. Sie kann ihren „Anti-Terror-Einsatz“ nur mit westlicher Hilfe weiterführen – und so zu wesentlichen Fragen des Konflikts schweigen.

Lassen Sie uns ehrlich sein: Die ehemalige Opposition und jetzige Regierung in Kiew sowie ihre politische Bilanz sind bedeutend schwächer als sie in den westlichen Medien erscheinen. Wie so oft trägt dazu vor allem auch all das bei, was in den Medien gar nicht berichtet wird.

Der Grund dafür ist aber vor allem Folgender: Sie wird seit dem politischen Umsturz durch die rückhaltlose und nachdrückliche Unterstützung der USA, der Europäischen Union und der westlichen Medien bis an die Grenzen des Machbaren „gedopt“. Kiew gibt sich politisch sehr viel stärker, als es wirklich ist. Die politische, finanzielle, wirtschaftliche, soziale und militärische Verfassung der Ukraine ist ein einziges Trauerspiel. Sie hat sich seit dem politischen Wechsel nicht verbessert, sondern bedingt durch den eingeschlagenen politischen Kurs weiter verschlechtert – und zwar dramatisch.

Ukrainische Kraftmeierei

Die oft ausgesprochen aggressiv formulierten offiziellen Verlautbarungen aus Kiew in Richtung Moskau wecken deswegen bisweilen die Assoziation von einem kleinen Hund, der, im sichern Schutz seines Herrchens stehend, einen verdutzt dreinschauenden großen, an der Leine geführten Hund wild ankläfft.

Das ist vielleicht eine unbarmherzige Metapher. Aber sie trifft den Punkt sehr genau. Nur spricht das bisher noch niemand so offen aus. Das ist alles.

Abgesehen von der desolaten finanziellen und wirtschaftlichen Verfassung des Landes hat die Politik Kiews auch ihr offensichtlich wichtigstes Ziel, dem alles andere untergeordnet zu werden scheint, nicht erreicht. Von einer kurzen Unterbrechung abgesehen, befinden sich die ukrainischen Kräfte Seit Mitte April im sogenannten Anti- Terroreinsatz. Die Kontrolle über die Ostukraine hat Kiew nicht zurückgewinnen können, obwohl es seine Armee, die aus Rechtsradikalen gebildeten Kampfeinheiten, seinen Geheimdienst und seine Luftwaffe mobilisierte. Weil das alles offensichtlich immer noch nicht ausreicht, hat sie jetzt auch noch militärische Unterstützung von Europa und der Nato gefordert. Mit militärischer Stärke hat das nichts zu tun.

Der Einsatz kostet die Ukraine nach offiziellen Angaben aus Kiew 128 Millionen Dollar im Monat.[1] Das Geld dafür hat Kiew eigentlich nicht. Bereits Ende März, also noch vor der Eskalation in der Ostukraine, erklärte Kiew, dass im diesjährigen Staatshaushalt ein Loch von 289 Milliarden Hrywnia, also etwa 26 Milliarden Dollar, klafft.[2] Das ist, wie Ministerpräsident Jazenjuk Ende März selbst sagte, fast so viel wie der gesamte Haushalt der Ukraine für das Jahr 2014.

Wirtschaftliche Kriegsfolgen

Die Kriegskosten erhöhen ohne Frage die Finanzierungsschwierigkeiten des ohnehin völlig überstrapazierten Haushalts weiter. Ein erfolgreicher Abschluss des „Anti-Terror“-Einsatzes ist aber nicht in Sicht. Ein diplomatischer Erfolg ebenso wenig. Hinzu kommen die wegbrechenden Einnahmen infolge des Einbruchs der ukrainischen Wirtschaft und die Kosten infolge der durch die Kriegshandlungen angerichteten wirtschaftlichen und vor allem auch materiellen Schäden, selbst wenn die zum Teil noch nicht sofort anfallen.

Das Jahr 2013 schloss die Ukraine nach eigenen Angaben mit einer Staatsverschuldung (inkl. staatlich garantierter Kredite) von 73,1 Milliarden Dollar ab, das waren umgerechnet 55,9 Mrd. Euro. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung (BIP) ergibt sich daraus eine Staatsschuldenquote von relativ geringen 41 Prozent. Ohne die Staatsgarantien lag der Schuldenstand bei rund 60,1 Milliarden Dollar bzw. knapp 46 Milliarden Euro.[3]

Die ukrainische Währung Hrywnia ist jedoch trotz massiven Gegensteuerns der Notenbank abgestürzt – seit Ende Januar gegenüber dem Dollar um 40 Prozent auf zuletzt 12,96 Hrywnia (d.h. 1 Hrywnia ist jetzt noch 0,08 Dollar wert; Stand 20.08.). Laut vorläufigen Berechnungen der ukrainischen Notenbank ist der reale effektive Wechselkurs (also bezogen auf einen Korb von wichtigen Währungen) seit Beginn des Jahres bis Ende Juni um 23,3 Prozent gefallen.[4]

Angewiesen auf IWF- und EU-Finanzhilfen

Zum 1. Juli verfügte die Ukraine über Reserven in Höhe von insgesamt 17,1 Milliarden Dollar, was laut Mitteilung der ukrainischen Notenbank ausreicht, um die Importe für die nächsten zweieinhalb Monate zu bezahlen.[5] Im Juli sind die Währungs- und Goldreserven um 5,9 Prozent bzw. 1 Milliarde Dollar auf 16,069 Milliarden geschrumpft.[6]

Das Problem ist also bis jetzt weniger die absolute Höhe der Staatsverschuldung, sondern den Haushalt zu finanzieren und die Importe bzw. Rechnungen aus dem Ausland zu bezahlen. Ohne IWF- und EU-Finanzhilfen wäre das nicht mehr möglich.

Zugleich verschlechtert sich aber die wirtschaftliche Lage drastisch – wozu abgesehen vom militärischen Konflikt in der Ostukraine auch das an die Finanzhilfen gekoppelte austeritätspolitische Sanierungsprogramm beiträgt.

Nach vorläufigen Schätzungen der Notenbank brachen die Warenexporte der Ukraine im Juni im Jahresvergleich um 7,8%, die Warenimporte um 17,5 Prozent ein. Verantwortlich für die schwachen Importe, so heißt es in der entsprechenden Mitteilung, sei die Abwertung der Landeswährung in Verbindung mit der Depression der wirtschaftlichen Aktivität, dem Kaufkraftverlust der Haushalte, der schwächeren finanziellen Lage der Firmen und der schwachen Kreditvergabe.[7] Besonders schlägt dabei laut Notenbank zu Buche, dass sich der Handel mit Russland negativ entwickelt. Zur Einordnung: Im Jahr 2012 stand Russland für fast ein Drittel der Importe und für ein Viertel der Exporte der Ukraine.[8]

Milliarden-Abflüsse ins Ausland

Von April auf Mai stieg die Inflationsrate auf 3,8 Prozent. Gegenüber dem Vorjahresmonat erhöhten sich die Verbraucherpreise um 10,9 Prozent. Grund dafür sind vor allem die – von der Regierung im April und von Russland – erhöhten Gaspreise (+62,8%). Dagegen sanken die Löhne im Vergleich zum Mai 2013 um 5,4 Prozent.[9]

Die Ukraine selbst geht davon aus, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 3 Prozent schrumpft.[10] Das erscheint sehr optimistisch. Der Internationale Währungsfonds (IWF), der im Mai bereits eine erste Milliardentranche aus dem Hilfspaket an die Ukraine überwiesen hatte, geht indes in seiner Prognose von Juli davon aus, dass die Wirtschaft 2014 um 6,5 Prozent einbrechen wird.[11]

Für die ausländischen Direktinvestitionen ergab sich im Juni unter dem Strich ein Zufluss von 214 Millionen Dollar. Viel ist das nicht. Erst im Mai war erstmals wieder ein leichter Kapitalzufluss von 7 Millionen Dollar verzeichnet worden.

Immerhin scheint die massive Kapitalflucht gestoppt. Doch von einer Rückkehr des Kapitals kann kaum die Rede sein. Allein während der Februarwochen rund um die Straßenschlachten auf dem Maidan waren rund 3 Milliarden Dollar aus dem Land abgeflossen, was etwa 7 Prozent der Einlagen entsprach.[12]

All das hält die Regierung in Kiew bisher nicht davon ab, den Militäreinsatz und die Zerstörung in der Ostukraine mit großem Nachdruck fortzusetzen und mit der politischen Rückdeckung des Westens eine Konfrontationspolitik gegenüber Russland zu betreiben, die sie sich finanziell und wirtschaftlich, aber auch politisch genau genommen überhaupt nicht leisten kann.

Kampf ohne Grenzen?

Ohne die Unterstützung des Westens würde in der Ukraine bald alles zusammenbrechen, sehr wahrscheinlich auch die politische Ordnung. Denn Kiew segelt im Wind des Westens ohnehin schon seit Monaten immer hart an der Grenze des Machbaren. Genau genommen, ist das ein Vabanquespiel. Die Regierung verspielt die Ressourcen und Zukunftsperspektiven des Landes allein für die Rückgewinnung der Kontrolle über den Osten mit militärischen Mitteln. Es stellt sich angesichts der desolaten Lage die Frage, wie lange der Militäreinsatz im Osten für die Führung in Kiew noch durchzuhalten wäre, wenn der Westen ihr die politische, mediale und finanzielle Rückendeckung entzöge.

Es ist nicht mehr auszuschließen, dass die Regierung in Kiew den politischen und Medien-Rückhalt zu einem beträchtlichen Teil einbüßt. Denn sie hat diesen über Gebühr genutzt, um im Kampf gegen pro-russische Rebellen und solche, die einfach pauschal dazu erklärt wurden, alles, was sie unternahm, zu rechtfertigen. Was sie jedoch getan oder nicht getan hat, ist in vielen Fällen unklar und damit ebenso, inwieweit sie das, was sie wirklich getan hat, rechtfertigen kann. Was, wenn sich herausstellen sollte, dass Kiew bei diesem Kampf keine Grenzen kannte?

Die Ermordung von Demonstranten und Polizisten auf dem Maidan am 20. Februar und die Ursache für die zahlreichen Todesfälle infolge des Brandangriffs auf ein Gewerkschaftshaus im Zusammenhang mit gewaltsamen Auseinandersetzungen in Odessa am 2. Mai sind bis heute nicht aufgeklärt. Dasselbe gilt für den Absturz von Flug MH17 der Malaysia Airlines am 17. Juli.

 

In allen drei Fällen gibt es zahlreiche Ungereimtheiten und noch immer viele, von Kiew ungeklärte Fragen. Das nährt den Verdacht, dass die Regierung etwas zu vertuschen versucht.

Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass Kiew in allen angesprochenen sowie auch in vielen anderen Fällen, zum Beispiel bei dem Abschuss von zwei ukrainischen Kampfjets durch Raketen am 23. Juli oder dem Raketen-angriff auf einen Flüchtlingstransport bei Lugansk am 18. August unmittelbar nach dem jeweiligen Ereignis entweder den Separatisten und/oder Russland die Verantwortung zugewiesen hat, obwohl das oft wenig plausibel war und auch entsprechende Belege nicht mitgeliefert wurden.

Das Problem für die Regierung in Kiew ist, dass sie das inzwischen schon viel zu oft so gemacht hat. Im für die politische Führung schlimmsten Fall könnte sich herausstellen, dass sie in den vergangenen Monaten ein Lügengebäude errichtet und immer höher aufgebaut hat, das so wackelig geworden ist, dass es schließlich in sich zusammenbrechen muss und sie mitreisst.

Auch für die politisch Verantwortlichen in der Ukraine gilt der alte Spruch von Abraham Lincoln:

“You can fool all the people some of the time and some of the people all the time, but you cannot fool all the people all the time.”

Bevor sich jedoch dieser Spruch im Falle der Ukraine bewahrheitet und bevor in den Medien dieser Eindruck zu entstehen beginnt, werden die Politiker im Westen längst dafür gesorgt haben, dass sie dadurch nicht beschädigt werden können. Kiew hat sein Blatt überreizt. Die EU bekommt im Herbst eine neue Europäische Kommission, die Nato einen neuen Generalsekretär, in den USA finden für Präsident Obama wichtige Kongresswahlen statt und auch die Ukraine wählt dann ein neues Parlament. Das ist eine natürliche „deadline“. Der Regierung Jazenjuk gehen das Glück und die Zeit aus.

 

Anmerkungen

[1] RIA NOVOSTI, „Kiew: Militäreinsatz im Osten kostet Ukraine monatlich $128 Mio.“: http://de.ria.ru/politics/20140724/269101909.html

[2] Carsten Kühntopp, „Es fehlt ein ganzer Haushalt“, tagesschau.de: http://www.tagesschau.de/ausland/iwf-ukraine104.html

[3] Ministry Of Finance Of Ukraine, „Summary on Public Debt and Government-Backed Debt of Ukraine (as of December 31, 2013)“: http://minfin.gov.ua/control/en/publish/article?art_id=392697&cat_id=89513

[4] National Bank Of Ukraine, „Balance of payments, June 2014: http://www.bank.gov.ua/doccatalog/document?id=67273

[5] a.a.O.

[6] RIA NOVOSTI, „Ukrainische Gold-und Devisenreserven im Juli um rund sechs Prozent geschrumpft“: http://de.ria.ru/business/20140807/269226291.html

[7] National Bank Of Ukraine, a.a.O.

[8] „Doppelte Abhängigkeit“, Die Zeit: http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-02/Ukraine-Handelspartner-EU

[9] Bank Of Ukraine, „Bulletin No. 7/2014“: http://www.bank.gov.ua/doccatalog/document?id=9768258

[10] „Ukrainische Wirtschaft bricht ein“m Handelsblatt: http://www.handelsblatt.com/politik/international/folge-des-konflikts-ukrainische-wirtschaft-bricht-ein/9828816.html

[11] International Monetary Fund, „IMF Announces Staff Level Agreement with Ukraine on First Review under the Stand-By Arrangement“: https://www.imf.org/external/np/sec/pr/2014/pr14351.htm

[12] David Böcking, „Kapitalflucht: Ukraie fürchtet Finanzkollaps“, Spiegel Online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ukraine-fuerchtet-finanzkollaps-a-956093.html

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Über Stefan L. Eichner

Als Ökonom beschäftigt sich Stefan L. Eichner seit 1990 mit den Themen: Europäische Integration, Wirtschafts- und Industriepolitik, Industrieökonomik und Wettbewerbstheorie. 2002 stellte er in einer Publikation eine neue Wettbewerbstheorie vort, die er "evolutorischer Wettbewerb" nennt. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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