Gabriels Angriff auf die Nation
Vize-Kanzler Sigmar Gabriel will nicht nur eine gemeinsame europäische Rüstungsindustrie. Er legt die Hand an die Souveränität nationaler Sicherheitspolitik.
Anders als die Kurden im Nordirak darf sich Ägypten vorerst kaum Hoffnungen auf modernes Kriegsgerät aus Deutschland machen. Sicherheitspolitiker von CDU, SPD und Grünen begegnen dem Interesse der ägyptischen Regierung an Transportpanzern der Rüstungsunternehmen Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann mit großen Vorbehalten. Nach Informationen der „Welt am Sonntag“ will die ägyptische Regierung die Radpanzer gegen Terroristen auf dem Sinai einsetzen.
„Zwar ist die Situation auf dem Sinai wirklich dramatisch, aber diese Radpanzer sind auch auf dem Tahir-Platz gegen die eigene Bevölkerung einsetzbar“, sagt der Grünen-Verteidigungspolitiker Omid Nouripour und erinnert an das brutale Vorgehen des Regimes gegen Demonstranten in Kairo. „Dieses System fällte jüngst 600 Todesurteile in 18 Minuten“, sagt Nouripour. Das sei nun wahrlich kein Ausweis von Rechtsstaatlichkeit und rechtfertige ganz sicher nicht die Lieferung von Kriegsgerät, auch wenn es sich dabei um Transportpanzer handele. Innenpolitisch sei die Lage in Ägypten außerordentlich fragil. „Niemand weiß, wer dort in einem Jahr das Sagen haben wird“, sagt der Grünen-Politiker.
„Irak ist eine Ausnahme“
Seit Wochen sondieren die Ägypter in vertraulichen Gesprächen, ob es in Berlin eine Bereitschaft zur Lieferung von Transportpanzern des Typs GTK Boxer gibt. Sie kennen die deutschen Rüstungsexportbestimmungen und suchen auf diesem Weg nach Unterstützern. Möglicherweise spekulieren sie vor dem Hintergrund der breiten in Union und SPD zur Waffenhilfe für die Kurden auf einen Sinneswandel in der deutschen Politik. Doch damit scheinen sie kein Glück zu haben.
„Irak ist eine Ausnahme. Für Ägypten darf es keine vergleichbare Ausrüstungshilfe geben“, sagt der verteidigungspolitischen Sprecher der Unions-Fraktion, Henning Otte. Die Militärhilfe an die Kurden sei nur durch den beispiellosen Terror der Gruppe Islamischer Staat (IS) zu rechtfertigen. „Dort geht es darum, einen Völkermord zu verhinder“, sagt Otte. Wenn Ägypten Waffen aus deutschen Rüstungsunternehmen kaufen wolle, müsse der Sicherheitsrat darüber entscheiden.
Genauso sieht es der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold. „Es ist schon etwas anderes, ob ich ein Schiff für den Küstenschutz möchte oder Transport- und Funktionspanzer, die ich in den Städten genauso gut gegen das eigene Volk einsetzen kann“, sagt er. Daher fiele eine Anfrage aus Ägypten zwingend unter die strengen deutschen Exportrichtlinien.
„Europa der großen Ziele“
SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel will Rüstungsexporte deutscher Waffenschmieden künftig noch „restriktiver“ handhaben. Er unterstreicht, dass das wirtschaftliche Interesse bei Rüstungsgeschäften immer „hinter das außen- und sicherheitspolitische Interesse Deutschlands“ zurücktreten müsse. „Und die geltenden rechtlichen Vorschriften sagen dazu, dass wir außerhalb von EU, Nato und vergleichbaren Staaten nur in besonderen Ausnahmefällen Waffen exportieren dürfen“, so Gabriel.
Sein Ziel ist der Aufbau einer gemeinsamen europäischen Rüstungsindustrie. Mittel- und langfristig soll „verteidigungspolitisch in Europa noch deutlich mehr zusammenarbeiten und zusammenwachsen“. Außerdem will er die sicherheitspolitische Souveränität der Staaten auflösen. Damit stellt er eine elementare Voraussetzung der Eigentständigkeit der Nationen infrage. Er ist der Ansicht, dass nicht jeder Mitgliedsstaat über ein eigenes Heer, eine eigene Marine, eine eigene Luftwaffe sowie oftmals spezielle Ausführungen derselben Waffensysteme verfügen müsse: „Das zu ändern und zu einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik und einer gemeinsamen Verteidigungspolitik zu kommen, ist sicher ein großes Ziel. Aber Europa soll für große Ziele da sein und nicht für die Regulierung der Füllmenge von Toilettenspülungen“.
„Ja, es gibt ein Risiko“
Der SPD-Vorsitzende verteidigte den Beschluss seines Partei-Präsidiums, dass sich am Wochenende nahezu einstimmig für Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak ausgesprochen hat, obwohl die SPD 2003 eine deutsche Beteiligung am Irak-Krieg abgelehnt hatte. Nur der Vertreter des linken Flügels, Ralf Stegner, sprach sich gegen die Bewaffnung der Kurden mit deutschen Kriegsgerät aus. Gabriel sieht in der Militärhilfe für den Nordirak „keinerlei wirtschaftliches Interesse“, es handle sich schlicht um „internationale Nothilfe zur Selbstverteidigung“. „Und es gibt ein außen- und sicherheitspolitisches Interesse Deutschlands, die Terroristen der Isis zu stoppen“, so der SPD-Chef.
Allerdings gebe es auch ein Risiko. Die an die Kurden gelieferten Waffen könnten in falsche Hände geraten, räumt Gabriel ein. „Ja, es gibt dabei auch das Risiko, dass Waffen aus Deutschland irgendwann in einer anderen Auseinandersetzung wieder auftauchen.“ Aber diesem Risiko stehe die Gewissheit gegenüber, dass ohne Unterstützung der Kurden die Menschen im Nordirak verfolgt und getötet würden. Die Waffenlieferung sei „hoch heikel und die Gefahr groß, dass sich Kämpfer, die heute gemeinsam marschieren, später mit deutschen Waffen gegenseitig bekämpften“, sagt der Grünen-Politiker Nouripour. Letztlich könne es keine absolute Sicherheit geben, meinen der CDU-Politiker Otte und sein SPD-Kollege Arnold. Die Ausrüstungshilfe für die Kurden sei richtig.