Wie unsere heile Welt zerfällt

Ob Russland-Sanktionen oder die Rettung der Banco Espirito Santo: Die Opfer bringt allein der Bürger. Wir sind Beutetiere in einer gnadenlosen globalen Treibjagd.

Ein Witz. Eine Wette. Ein Wahnsinns-Salat. Ein Mann aus Ohio hat auf der Crowdfunding-Webseite “Kickstarter” binnen eines Monats über 55.000 Dollar eingesammelt[1], um einen Kartoffel-Salat anzurichten. Zunächst hatte er lediglich 10 Dollar als Ziel für die Aktion angegeben. Dann wurde der Versuch ein Knaller. 7.000 Leute rannten dem Mann die Bude ein, um den ungewöhnlichen kulinarischen Online-Versuch mitzufinanzieren.

Ob das eine Aktion für das Guinness-Buch wird, kann ich nicht beurteilen. Aber die Sammelaktion für den Kartoffel-Salat sagt uns etwas eminent Wichtiges über die Lage der Wirtschaft, angesichts rückläufiger Kredit-Volumina: Geld ist im Überfluss vorhanden, sowohl in Nordamerika, als auch in Europa.

Versteckte Inflation und Minizinsen

Doch die Banken leihen wenig aus. Und die Konsumenten wissen nicht, wo sie ihr Erspartes – genauer gesagt das, was die Notenbanken ihnen über Minizinsen noch nicht abgenommen haben – anlegen sollen. Wenn ein Kartoffel-Salat so viel Geld auf sich zieht, was könnten wir dann alles für wahrhaft wichtige Projekte auftreiben?

Oder anders herum: Sowohl in den Firmen, als auch in den Banken – UND unter Michels Kopfkissen – ist genügend Geld vorhanden, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die Motivation fehlt jedoch, es auszugeben, oder zu investieren. Das ist der wichtigste Grund für die schwache Kredit-Entwicklung.[2]

Und dafür fallen uns viele Gründe ein: Unsicherheit ist einer. Schwache Nachfrage in vielen Industrien ist ein zweiter. Die allerorten aufgeblähten Preise für Immobilien und Wertpapiere sind auch ein Grund: Warum das liebe Geld in überteuerte Produkte oder Dienstleistungen stecken, wenn uns versteckte Inflation und Minizinsen sowieso schon teil-enteignet haben?

Wem vertrauen?

Die Menschen halten auch deshalb ihr Geld fest, weil sie keine Koordinaten mehr haben: Die ersten Beispiele dreister Konto-Konfiszierung in Europa haben alle verunsichert. Die wachsende Zahl von Konfliktherden erzeugt bei vielen Zeitgenossen eine Art Endzeit-Stimmung. Es fehlen Drehbücher und Handlungsanweisungen, was man in Zeiten wie diesen tun kann. Und wem soll man vertrauen, wenn es um unser Geld geht? Konto-Grabschern in den Finanzministerien? Banken? Leitmedien, die uns schon lange nicht mehr alles berichten?

In dem eskalierenden Konflikt zwischen Russland und dem Westen ist in der vergangenen Woche etwas passiert, was Bände spricht. Die jüngste Runde von Sanktionen der EU und der USA gegen Russland beantwortete Russlands Präsident zunächst “nur” mit Drohungen. Doch eines wissen wir schon: Wenn Putin zurückschlägt, könnte die Burger-Braterei McDonald´s ein prominentes Opfer sein.

Wir erinnern uns: McDonald´s ist eines der schillerndsten und bekanntesten Symbole der Globalisierungs-Ära, deren Ende derzeit mit lauten Glocken eingeläutet zu werden scheint. Der Journalist Thomas Friedman feierte McDonald´s in den 90er Jahren als “goldenen Bogen der Konflikt-Vermeidung.” Friedman´s Theorie: Ein Siegeszug von McDonald´s rund um den Globus würde das Ende von Kriegen bedeuten.

Zerplatzte Träume

Aber jetzt, 25 Jahre nachdem die Burger-Kette ihr erstes “Restaurant” in Moskau eröffnete, hat die stark zugenommene Verzahnung der Weltwirtschaft nicht das Zeitalter von Konflikten beendet, wie Reuters in einem Kommentar vermerkt[3], sie hat lediglich ein neues Schlachtfeld geschaffen.

Die daraus resultierende Ernüchterung greift stärker um sich, als die laufende Ebola-Epidemie. Vielleicht ist das der wahre Grund, warum wir in Zeitungen und Magazinen derzeit so viele Bären[4] abgebildet sehen.

In den vergangenen Monaten sind einfach zu viele Traumgebilde eingestürzt und Illusionen zerbrochen. Zum Beispiel die, dass wachsender Wohlstand von oben nach unten durchsickert. Oder, dass Kunden Könige sind. Oder, dass Banken nur unser Bestes im Sinn haben. Wir sind in Wahrheit Beutetiere in einer gnadenlosen globalen Treibjagd. Oder diese Illusion: Die Herrschaft der Gesetze schützt uns vor Politikern, die ihre Bodenhaftung verloren haben. Oder, oder, oder …

Und dann kam dieser Knaller: Portugal hat die Ära 2.0 der Bailouts eingeleitet, indem die Regierung die Banco Espirito Santo für 4,9 Mrd. Euro rettete. Der Bailout soll diesmal ganz überwiegend Aktionäre und Anleihe-Halter treffen, hören wir. Aber das glauben wir erst, wenn alle Verbindlichkeiten aus diesem neuesten Schlamassel bekannt sind und wir wissen, ob Aktionäre und Anleihe-Gläubiger wirklich die ganze Rechnung übernehmen können.

Schwer angeschmiert

Hier haben wir es mit dem Platzen einer Illusion zu tun, die noch gar keine war, oder besser gesagt, die als Konsequenz zerstörten Vertrauens in unsere Institutionen eine Fehlgeburt geblieben ist: Das Vertrauen, dass diesmal die Steuerzahler verschont bleiben.

Ihnen wird die miserable Nachricht nur anders beigebracht, mit der inzwischen üblichen Propaganda. Warum wir jedoch auch diesmal wieder schwer angeschmiert werden, erklärt uns Bloomberg so:

Die ersten Mittel für die Espirito-Rettung stellt der “Resolution-Fonds” der Bank of Portugal (Zentralbank) zur Verfügung. Dieser Fonds besorgt sich das nötige Geld mit Hilfe eines Kredits des Finanzministeriums. Dieser Kredit soll zurückgezahlt werden mit den Erlösen aus Notverkäufen der noch verwertbaren Restbestände der Banco Espirito.

Die durchaus leichte Prognose lautet so: Das Finanzministerium wird auf hohen Forderungen sitzenbleiben, die aus der Finanz-Mülldeponie der Espirito-Ruinen nie im Leben vollständig bedient werden können. Und wer erstattet dem Finanzministerium den Rest ?

Ich gebe die Antwort nicht selbst, weil jeder sie kennt ….

 

Anmerkungen

[1] CNN Money, „Potato salad crowd funder raises $55,000 and promised 3,330 people „a bite“: http://money.cnn.com/2014/08/03/technology/social/potato-salad-crowdfunding/index.html?iid=HP_LN

[2] Stephan Maaß, „Euro-Krise verdirbt Europäern die Lust auf Kredite“, Die Welt: http://www.welt.de/wirtschaft/article130844513/Euro-Krise-verdirbt-Europaeern-die-Lust-auf-Kredite.html

[3] Mark Leonard, „Clashes with Russia point to globalization’s end“, Reuters: http://blogs.reuters.com/great-debate/2014/07/30/clashes-with-russia-point-to-globalizations-end/

[4] Michael Sincere, „Stock trader who called three crashes sees 20% collapse“, Marketwatch.com: https://secure.marketwatch.com/story/stock-trader-who-called-three-crashes-sees-20-collapse-2014-07-28

 

Über Markus Gaertner

Markus Gaertner war über viele Jahre freier Wirtschafts-Korrespondent mit Sitz in Vancouver. Heute arbeitet er für den Kopp-Verlag. Weitere Artikel