Streit um Luckes Macht in der AfD

Der Satzungsentwurf, den Lucke dem AfD-Parteitag in Erfurt vorliegen will, schaffe eine zentralistische Führung und baue die Befugnisse des Vorsitzenden erheblich aus.

Wenige Tage vor dem Bundesparteitag in Erfurt werden schwere Vorwürfe gegen den AfD-Bundesvorsitzenden Bernd Lucke erhoben. Lucke versuche seine Macht durch autoritäre und damit den Anforderungen einer demokratischen Partei keinesfalls genügenden Satzung auszubauen und zu manifestieren. Lucke wolle sich die gewissermaßen Untertan machen.

„Mit dieser Satzung wird gewissermaßen der Versuch der Bildung eine demokratischen Partei unterbunden“, sagt Markus E. Wegner der „Welt“. „Der von Lucke betriebene Entwurf stellt auf ein zentralistische Führung weniger Personen in der AfD ab, so dass die Frage nach der Einhaltung demokratischer Grundsätze – Aufbau von untern nach oben – im Sinne des Grundgesetzes, Artikel 21, zu stellen ist.“

„Völlig missglückte“ Leitlinien

Wegner ist AfD-Mitglied aus Hamburg und galt als Gründer der Wählerinitiative STATT-Partei. Seit April 2013 ist er in der AfD. Zusammen mit etwa 100 Unterstützern aus allen Landesverbänden will er verhindern, dass die Satzung auf dem Parteitag beschlossen wird. Stoppen will er zudem die von der Parteispitze vorgelegten „völlig missglückten“ politischen Leitlinien. In einem von 53 weiteren AfD-Mitgliedern unterzeichneten Antrag fordert er, das die Satzung gänzlich von der Tagesordnung zu streichen.

Stattdessen soll der Parteitag die Satzungsdiskussion auf einen Parteitag im Herbst verschieben. Dann hätten alle Gliederungen der Partei die Möglichkeit, die Satzung in Ruhe zu erarbeiten. „Die Mitglieder wollen den Parteitag in Erfurt im Licht der Europawahl sehen und nicht ,alternativlose’ Satzungen durchwinken müssen“, sagt Wegner. Wenn eine Partei politische Alternativen aufzeigen wolle, dürfe sie nicht noch „mit einer willkürhaften, undemokratischen Struktur“ hinter anderen Parteien zurückbleiben, sondern muss in der Lage sein, politische Willensbildungsprozesse demokratisch durchzustehen.

„Mitglieder bewusst getäuscht“

Stattdessen habe Lucke den Parteitag mit einer Satzung überrumpeln wollen, die in Teilen verfassungswidrig sei. Obwohl nach den Gesprächen im Parteikonvent, in dem auch die Landesverbände vertreten sind, die Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Satzung, die der Arbeitsgemeinschaft Finanzen sowie der Vorsitzende des Parteischiedsgerichts ihre Entwürfe aufrecht erhalten hätten, habe Lucke die von ihm favorisierte Fassung mit den Worten an die Mitglieder verschickt, der „modifiziert Entwurf sei mit nur einer Gegenstimme angenommen“ worden. Mit dieser Darstellung habe Lucke „die Mitglieder bewusst getäuscht“, sagt Wegner.

Zu den kritikwürdigen Punkten der Satzung zählt er etwa die Parteitagsgebühr, die Mitgliedern künftig abverlangt werden könne. „Die Folge wäre eine demokratische Mitbestimmung durch Bessergestellte.“ Außerdem sehe der von Lucke favorisierte Satzungsentwurf vor, dass die Vorstände die Listen bei Kandidatenaufstellungen schon drei Wochen vor dem Parteitag schließen könnten. Sollten sich dann Kandidaten mündlich bewerben wollen, hätte der Parteitag die Möglichkeit, dies per Beschluss zu verhindern. Auch das sei ein Steuerungsinstrument, um missliebige Mitglieder von Kandidaturen auszuschließen.

Ermächtigung zu hohen Schulden

Der Vorsitzende indes erweitere seinen Einfluss. Nur auf seinen Vorschlag hin könne der Parteitag zusätzliche Mitglieder in den Vorstand wählen. „Damit entscheidet der Bundesvorsitzende allein über die endgültige Größe und Zusammensetzung des wichtigsten Gremiums und nicht das oberste Organ Parteitag“, sagte Wegner. „das berührt Verfassungsrang!“

Und per Vorstandsbeschluss solle die Partei künftig Schulden „mit einem jährlichen Schuldendienst bis zur Höhe von 25 Prozent der erwarteten Einnahmen der Partei machen dürfen“. Wegner: Dagegen ist die EZB unter ihrem Präsidenten Mario Draghi ja sogar noch richtig harmlos.“

„Hatte ich etwas falsch verstanden?“

Einiges scheint der Protest aus der Partei bereits jetzt zu bewirken. Jedenfalls überarbeitet die Bundesgeschäftsstelle den von Lucke favorisierten Satzungsentwurf noch einmal mit Hilfe von Juristen, bestätigte Pressesprecher Christian Lüth. Unklar sei, wann der neue Entwurf den Mitgliedern zugehen könne. Möglicherweise werde dies erst am Freitag, also einen Tag vor dem Parteitag, der Fall sein.

Wegner hatte seine Kritik Anfang der Woche dem Bundesvorstand persönlich mitgeteilt. Er schrieb an den Ko-Sprecher Konrad Adam und den stellvertretenden Vorstandssprecher Alexander Gauland, die er beide von früher kennt. „Vor bald 25 Jahren saßen Sie, Herr Adam, auf einem Sofa und wir plauderten über innerparteiliche Demokratie-Defizite in den Parteien. (…) Nie hätte ich mir träumen lassen, dass Sie einmal einen derartigen AfD-Satzungsentwurf unseres Sprechers Bernd Lucke mittragen würden“, schrieb er. Und weiter: „Ebenso wurde ich vor 25 Jahren von Ihnen, Herr Gauland, mehrfach zum Frankfurter Kreis eingeladen, eine Runde, die ich in bester Erinnerung habe, da über Parteigrenzen hinweg nach neuen Wegen der Demokratie-Erneuerung gesucht wurde, oder hatte ich etwas falsch verstanden?“

„Bevormundung der Mitgliedschaft“

Nun raube ihm die Vorlage des Satzungsentwurfes „Adam/Lucke/Teil-Konvent schlicht den Atem“. Lucke zelebriere in der AfD jene Politik, die er in Europa beklage, nämlich die Zentralisierung von Macht. „Ich bitte Sie inständig, im Bundesvorstand dafür Sorge zu tragen, dass der Entwurf nicht weiter verfolgt oder aber gar in neuer Abwandlung nochmals eingebracht wird.“ Zwar sei auch der hessische Alternativentwurf „kein Ruhmesstück“, aber immerhin eine passabel Arbeitsgrundlage.

„Nehmt Abstand von einer Bevormundung der Mitgliedschaft. Züchtet nicht länger Seilschaften, deren Taue sich – ähnlich jetziger Alternativlosigkeiten – später erneut um die Hälse der Protagonisten schlingen werden“, schrieb Wegner. Darauf antwortete Adam in einer knapp gehaltenen Mail, dass er die Besorgnis für „übertrieben, um nicht zu sagen: für unbegründet“ halte.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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