AfD-Chef Lucke: Wie halten wir’s mit dem Islam?
Gehört der Islam zu Deutschland? Bernd Lucke formuliert in zehn Thesen kritische Positionen und erhält in wenigen Tagen 4500 Rückmeldungen, die ihm zu 90 Prozent zustimmen.
Innerhalb der Alternative für Deutschland (AfD) gehen die Auseinandersetzung über den künftigen Kurs der Partei unvermindert weiter. Anlass zur Debatte geben derzeit ein Kooperationsangebot mit der islamkritischen Pro-Köln-Bewegung und die Wahl eines früheren Mitgliedes der Partei Die Freiheit an die Spitze des neu gegründeten Chemnitzer Ortsverbandes. In diesem Kontext sorgt aber auch eine Aktion von Parteichef Bernd Lucke für Aufsehen. Obwohl er in der Vergangenheit bereits durch einen Aufnahmestopp von Mitgliedern rechtspopulistischer Gruppen und Parteien versuchte, ein Abdriften der AfD nach rechts zu verhindern, sah er sich nun zu einem weiteren, offenbar als innerparteiliches Korrektiv gedachten Schritt gezwungen.
In einer E-Mail an die Parteimitglieder verschickte Lucke nun zehn von ihm selbst verfasste Thesen zum Islam. Darin setzt er sich durchaus kritisch mit der Religion auseinander und kritisiert die Feststellung des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, der gesagt hatte, der Islam gehöre zu Deutschland. Wenn Wulffs Satz „als eine implizite Bejahung des Islams in Deutschland gemeint ist, ist er falsch und töricht, weil er sich pauschal und undifferenziert zu einem komplexen Phänomen äußert, das viele unterschiedliche Strömungen und Aspekte umfasst“, schrieb Lucke. Was zu Deutschland gehöre, müsse „präzise benannt werden und sollte von Deutschland her gedacht werden“.
Keine Scharia in Deutschland!
Mit Verweis auf die Religionsfreiheit formulierte der AfD-Vorsitzende: „Insbesondere hat jeder Moslem das Recht, seinen Glauben friedlich zu praktizieren, seine Kinder in diesem Glauben zu erziehen und sich in Moscheen mit anderen Moslems zu versammeln.“ Allerdings seien den Religionen auch Grenzen gesetzt. „Islamische Glaubenslehren, die die Freiheit und Gleichberechtigung von Frauen einschränken, verstoßen gegen Grundwerte unserer Gesellschaft. Mädchen und Frauen, die unter diesen Glaubenslehren leiden, bedürfen unseres Schutzes und Beistands“, heißt es in der E-Mail an die Mitglieder.
In diesem Zusammenhang seien die „aus dem Koran abgeleiteten Rechtsvorstellungen der Scharia“ mit dem Rechtsstaat unvereinbar. „In Deutschland wird nicht nach der Scharia Recht gesprochen und auch eine informelle Streitschlichtung, in der beide Seiten die Anwendung der Scharia wünschen, darf sich nicht an der Scharia orientieren, wenn dadurch Dritte in ihren Rechten beeinträchtigt werden“, schrieb Lucke und wandte sich zugleich gegen „theokratische Staatsvorstellungen“.
Medien sind schuld
Deutschland sei ein säkularer Staat mit einer „tief verwurzelten christlichen Prägung“. Obwohl so mancher islamische Theologe andere Vorstellungen habe, akzeptierten „viele unter uns lebende Moslems die Trennung von Staat und Religion.“ Damit machte Lucke deutlich, dass er durchaus Ausnahmen sehe, die sich einem „gedeihlichen Zusammenleben“ auf dieser Basis verweigerten. Der AfD-Chef verwies in seiner Mail auch darauf, dass religiösen Minderheiten „in islamischen oder kommunistischen Staaten unterdrückt und ihre Anhänger verfolgt würden. Lucke: „Oft sind auch Christen gewaltsamer Verfolgung ausgesetzt.“
Im Anschreiben an die Mitglieder erläuterte Lucke die Gründe für seine Thesen. Er stelle mit Bedauern fest, dass „zunehmend Medien darüber spekulieren, dass die Alternative für Deutschland heftige Auseinandersetzungen über das Thema Islam“ führe. Weil er jedoch, anders als die Medien, an eine große Übereinstimmung zu dem Thema in der Partei glaube, wolle er seine Thesen innerparteilich zur Diskussion stellen.
90 Prozent Zustimmung
Eine solche innerparteiliche Debatte zu einem konkreten Inhalt ist neu. Nicht einmal das Parteiprogramm, mit dem die AfD zur Bundestagswahl antrat und das bis heute gilt, ist von den Mitglieder ausführlich beraten oder gar in seinen Details beschlossen worden. Ein kleiner Führungszirkel hatte es zum Gründungsparteitag zusammengeschrieben, der dieses Verfahren dann allerdings sanktionierte. Derzeit erarbeitet wiederum ein kleiner Kreis von Führungsmitgliedern eine umfassendere Programmatik, mit der die Partei in den Europawahlkampf ziehen will. Lucke gab in der Runde die Parole aus, die AfD solle den Charakter einer „Volkspartei mit Integrationskraft um einen freiheitlichen Markenkern“ anstreben.
Über das Partei-Echo auf seine Thesen zeigt er sich überaus zufrieden. Innerhalb weniger Tage will er 4500 Rückmeldungen mit nahezu 90 Prozent Zustimmung bekommen haben. „Wir haben einen großen Grundkonsens in der Partei, mit allenfalls einigen abweichenden Einzelmeinungen. Das wollte ich zur Enttäuschung unserer Gegner einmal ganz deutlich machen, und das ist ja auch gelungen“, sagte Lucke der „Welt“. Er verstehe seine Thesen nicht als politische Agenda. Die komme später. Vielmehr habe er „nur die Rechte und Pflichten des Zusammenlebens aufgeschrieben, so wie sie sich aus den Grundrechten ergeben“. Es gehe ihm keinesfalls darum, den Islam und seine vielen Strömungen und Aspekte pauschal zu beurteilen. „Der Zakat, die Armengabe, muss doch anders beurteilt werden als die Behandlung der Frauen“, sagte er. Die AfD lege in der Euro- und Europapolitik großen Wert auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. „Das ist auch unser Maßstab für den Umgang mit dem Islam. Wie die große Resonanz auf meine Thesen zeigt, ist den Mitgliedern das wichtig“, so Lucke.
Pro Köln dockt an
Dennoch suchen islamkritische Organisationen weiterhin die Nähe zur AfD. In Köln wehrt sich der AfD-Stadtverband gegen Annäherungsversuche der rechtsgerichteten Pro Köln. Pro-Köln-Fraktionsgeschäftsführer Markus Wiener untermauerte seinen Wunsch auf Kooperation unlängst mit zwei Artikel, die der heutige Kölner AfD-Sprecher Carlo Clemens 2009 und 2010 veröffentlicht hatte. Die Kölnische Rundschau zitiert Clemens daraus mit den Worten: „Ich habe auch höchsten Respekt vor den Mannen von Pro Köln/NRW, die ungeheurem Druck ausgesetzt sind.“ Derzeit sei es „die Pro-Bewegung, die manche Herzen am rechten Fleck höher schlagen lässt“.
In Sachsen sorgen sich AfD-Mitglieder weiter über den Einfluss von früheren Mitgliedern der Partei Die Freiheit. Aktueller Anlass ist die Wahl des früheren stellvertretenden Landesschriftführers der Freiheit, Ullrich Oehme, zum Vorsitzenden der AfD in Chemnitz. Für Irritationen sorgt zudem, dass mit Joachim Ziems ein Mitglied der Ratsfraktion von Pro Chemnitz zum Schatzmeister gewählt wurde.