Merkels Handygate ist Putins bislang größter Coup
Dass das Handy der Kanzlerin von den USA abgehört wurde, erfuhr die Öffentlichkeit nur, weil Russland diese Information lancierte. Wladimir Putin will einen Keil zwischen Europa und die USA treiben.
Es ist an der Zeit, die NSA-Spähaffäre mal aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten und Fragen zu stellen, die, aus welchem Grund auch immer, bis heute niemand gestellt hat. Denn neben der Betroffenheit über das Ausmaß, in dem Geheimdienste die Daten von Millionen Menschen sammeln und ausleuchten, gibt es bei Merkels Handygate einen weiteren Aspekt, der rein gar nichts mit Bürgerrechten, sondern allein mit Machtpolitik zu tun hat, bislang aber vollkommen ausgeblendet wurde.
Die erste Frage in diesem Zusammenhang lautet: Woher kommt die Information, dass das Handy von Kanzlerin Angela Merkel abgehört wurde? Die zweite Frage ist: Wer hat ein Interesse daran, dass die Spähaktion bekannt wird? Drittens muss nach dem Zweck bzw. dem Ziel derjenigen gefragt werden, die mit der Information an die Öffentlichkeit gingen.
Snowden muss „zahlen“
Die Antwort auf die erste Frage lautet: Die Information über die Spähaktion stammt zweifellos aus den Daten des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Joseph Snowden. Bekanntlich hält der sich seit Monaten in Russland auf, weil ihm die russische Regierung für ein Jahr Asyl gewährt hat. Von nicht wenigen westlichen Beobachtern wird Russland dafür gelobt. Doch sollte tatsächlich jemand annehmen, der russische Präsident Wladimir Putin habe den Verräter aus purem Altruismus aufgenommen, dann ist er überaus naiv. Denn nicht nur der US-Geheimdienst, auch der russische FSB verachtet Verräter. Snowdens Aufenthaltsstatus ist folglich überaus prekär und ganz sicher an Bedingungen geknüpft.
Funktionierende Geheimdienste arbeiten streng nutzenorientiert. Und weil das so ist, dürfte der Amerikaner wohl nur so lange auf die Gunst des russischen Präsidenten zählen und seine Auslieferung an die USA verhindern können, wo ihm mindestens einige Jahrzehnte Haft drohen, wie er sich die Duldung der Russen erkaufen kann. Dabei wird der Preis ganz sicher nicht in Rubel oder Dollar ausgehandelt, sondern in Datensätzen, die Russland nützlich sind.
Restlos blamiert
Damit beantworten sich die zweite und die dritte Frage fast von selbst. Selbstverständlich haben die Russen ein Interesse daran, dass der Späh-Angriff auf Angela Merkel öffentlich wird. Denn Russland möchte seit langem einen Keil in das transatlantische Bündnis treiben und auf diese Weise seine eigene machtpolitische Bedeutung, die es mit dem Zusammenbruch des Ostblocks verlor, in der Welt aufwerten. Seit Michail Gorbatschow sucht das Land neben den bereits weit fortgeschrittenen wirtschaftlichen Verflechtungen auch die politische Annäherung an Europa. Die scheiterte jedoch immer wieder an dem engen Bündnis der Europäer mit den USA.
Von Freundschaft ist dieser Tage hingegen kaum noch die Rede. Vielmehr hat das Bekanntwerden der Spähaffäre das Verhältnis der Europäer zu den USA unübersehbar belastet. Gerade die öffentliche Debatte darüber fügt der einzig verbliebenen Weltmacht und mit Deutschland dem politisch und wirtschaftlich wichtigsten Land Europas die größtmögliche Schmach zu. Beide Seiten sind restlos blamiert. Sie müssen sich beständig für ihr Handel bzw. Nichthandeln rechtfertigen und suchen händerringend nach Möglichkeiten, das Thema aus den Schlagzeilen zu bringen. Wenn das keine Genugtuung für ein Land wie Russland ist, das seit Jahren eifersüchtig gen Westen blickt, wo, wie gesagt, keine Krise das enge Band zwischen Amerika und seinen Verbündeten lösen konnte.
Gelungene Inszenierung
Die Späh-Affäre ist also eine überaus gelungene Inszenierung des Kreml. Und damit sie eben nicht aus den Schlagzeilen kommt, begann in dieser Woche mit dem überraschenden Treffen zwischen dem Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele und Snowden in Russland der nächste Akt. Niemand wird ernsthaft glauben, dass ein solches Treffen ohne die tatkräftige Mitwirkung der russischen Behörden möglich geworden wäre.
Als Snowden nämlich im Sommer noch auf dem Moskauer Flughafen festsaß, suchte Ströbele bereits Kontakt zu dem NSA-Mitarbeiter. Ein Treffen jedoch kam nicht zustande, stattdessen brach die Verbindung ab. In der vergangenen Woche meldete sich Moskau wieder, gerade rechtzeitig, um die öffentliche Debatte weiter zu befeuern. Und Ströbele hat sich prompt einspannen lassen. Denn herausgekommen ist aus dem streng geheimen Besuch nichts, was man nicht schon vorher gewusst hätte.
Verzicht auf Diplomatie
Man darf gespannt sein, was die Mitarbeiter des russischen FSB noch so alles in den streng geheimen Datensätzen ihrer „Geisel“ Snowden gefunden haben, das sie demnächst gegen den Westen einsetzen können. Wie gut der FSB mit diesem Material umgehen kann, hat er in den vegangenen Wochen eindrucksvoll bewiesen. Andere wären mit dem brisanten Material möglicherweise anders umgegangen.
Schließlich hätte Russlands Präsident Putin die Information auch diskret ans Kanzleramt weiterleiten können. Auf diese Weise wäre Angela Merkel in der Lage gewesen, die peinliche Angelegenheit auf geheimen Kanälen und ohne Ansehensverlust für beide Seiten mit Washington zu regeln. Niemand hätte etwas gemerkt.
Putin vor Obama
Doch was hätte Putin davon gehabt? Gar nichts. Putin aber ist nicht der Mann, der sich einen Snowden ins Land holt und dann den Wohltäter spielt. Er ist ein kühl kalkulierender Machtmensch. Er will dorthin, wo ihn das Forbes-Magazin bereits sieht: Es kürte den russischen Präsidenten in dieser Woche erstmals zum mächtigsten Mann der Welt. Putin vor Obama. Eine kühne Prognose, denn der russische Präsident selbst weiß nur zu gut, dass er soweit noch lange nicht ist. Über die Grenzen Russlands hinaus ist sein Einfluss immer noch begrenzt.
Und weil er das mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ändern will, und nur darum, wanderte die Information über das abgehörte Merkel-Handy auf verschlungenen Wegen aus Russland an die deutsche Öffentlichkeit und entfachte dort jene lautstarke Empörung, die notwendig ist, den größtmöglichen Schaden im Verhältnis zu den USA anzurichten. Kein Zweifel: Merkels Handygate ist Putins bislang größter Coup.