Die globale Finanzelite erhöht den Druck auf Europa
Ihr Ziel ist der europäische Notversorgungsstaat. Sie arbeiten auf den unterschiedlichen Ebenen und in den unterschiedlichsten Positionen daran, die großen Vermögen dieser Welt möglichst schonend über die Krise zu bringen.
Der Druck der Finanzmärkte auf eine weitere Übernahme der Schulden innerhalb des Euroraumes wächst. Die die Finanzmärkte bestimmende globale Geld- und Bankenelite versucht über die verschiedensten Kanäle die Politik der westlichen Industrienationen in Sachen Bewältigung der Weltfinanzkrise weiter auf Kurs zu bringen. Dazu gehört die alternativlose Euro-Rettung. Jede Menge fragwürdiger Ideen werden produziert, in welchem institutionellen Rahmen das passieren soll. Auch Kritiker der Euro-Rettungspolitik und der Beibehaltung der Währungsunion aufseiten der Sozialdemokratie werden jetzt zur Ordnung gerufen. Sie sollen die Unumkehrbarkeit der Euro-Einführung gefälligst nicht in Frage zu stellen.
Selten treten die Mitglieder der globalen Finanzelite selbst auf, um die Richtlinien der Krisenpolitik vorzugeben. George Soros ist da eher eine Ausnahme. So hat er pünktlich nach der Wahl in Deutschland die deutschen Politiker ermahnt, nun endlich der Einführung von Eurobonds zuzustimmen. Im „Handelsblatt Online“ war unter dem Titel „Soros ermahnt die Deutschen“ am 1.10.2013 zu lesen:
„Der US-Großinvestor George Soros fordert von Deutschland eine besondere Verantwortung in Europa und sieht gemeinsame Staatsanleihen der Euro-Länder unbeirrt als geeigneten Weg zur Bewältigung der Schuldenkrise. Durch Eurobonds könnten schwache EU-Länder von der Wirtschaftskraft der Bundesrepublik profitieren und die Zinslast so in Grenzen gehalten werden (…).“
Helfer der Finanzeliten
Umrahmt werden solche „Ratschläge“ mit Aussagen wie, niemand wolle eine Transferunion und die wirtschaftlich schwächeren Länder dürften natürlich nicht in ihren Reformbemühungen nachlassen. Vor dem Hintergrund des nächsten „Rettungspakets“ für Griechenland, einer italienischen Krisenpolitik, die Reformmaßnahmen eher wieder zurück- als fortsetzt, und einer weiterhin bestehenden staatlichen Souveränität der Euro-Einzelländer klingt das alles äußerst fragwürdig.
Wie gesagt, die Mitglieder der Finanzelite halten sich aber sonst zurück. Es treten eher andere in Aktion. Manche Leser werden sich eventuell an „das Helferlein“ erinnern, den kleinen Techno-Kobold des Supererfinders Daniel Düsentrieb in den Micky-Maus-Heften. Das Helferlein ist kein tumber Roboter, sondern handelt aus eigenem Antrieb und völlig autonom.
In vielerlei Hinsicht stehen den Finanzeliten dieses Planeten viele solche willigen Helferlein zur Verfügung, sie müssen nicht direkt angewiesen werden. Sie wissen immer, was im Sinne ihrer Herren zu tun ist. Sie sind keine plumpen Marionetten, sondern eigenständig, dezentral und agil. Es ist diese auf allen Ebenen angesiedelte Schicht der Helferlein, die vor allem den Druck auf Deutschland, als dem eigentlichen Euro-Kernland, ausübt.
Masterplan des IWF
Ein solches Helferlein ist z. B. die IWF-Chefin Christine Lagarde. Und ja, auch sie ist nach den Wahlen in Deutschland gleich wieder tätig geworden, um die deutsche Regierung auf Linie zu bringen. Unter ihrer Ägide fordert der IWF verstärkt wieder die völlige Schuldenvergemeinschaftung im Euro-Europa. Der IWF legte am Montag nach der Wahl – viel Zeit lässt man der deutschen Politik nicht – einen Masterplan vor:
„Unmittelbar nach der Bundestagswahl meldet sich der Internationale Wäh-rungsfonds (IWF) mit einem Masterplan für die Eurozone zu Wort. Der Plan war in Washington bereits am Montag nach der Wahl verfügbar, für Europa haben sich die globalen Chefstrategen eine Schamfrist von zwei Tagen gegeben und legten den Plan am Mittwoch vor.“
Neben einer Fiskalunion mit „zeitweisem Fiskaltransfer“ sieht der Masterplan des IWF eine zentrale Haushaltsaufsicht, die Einführung einer Bankenunion, ein gemeinsames Euro-Budget und eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung der Euro-Staaten vor. Lassen wir einmal beiseite, dass diese Elemente eines Zentralstaats auch entsprechend über Volksabstimmungen legitimiert werden müssten, falls es nach den bisherigen Maßstäben unserer Demokratie geht. Im Masterplan darf aber ein Punkt nicht fehlen:
„Die entscheidende Forderung des IWF ist jedoch ‚die Vergemeinschaftung der bestehenden Schulden, um damit Anreize zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit und Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen reduzieren zu können‘.
Zu diesem Zweck wünscht der IWF eine ‚gemeinsame Schuldenaufnahme‘, was gleichbedeutend ist mit der Einführung von Eurobonds. Bereits im Juli 2012 hatte der IWF die Einführung von Eurobonds favorisiert. (…).
Nach den Vorstellungen des IWF soll die ‚gemeinsame Schuldenaufnahme‘ mittels ‚gemeinsamer Einnahmen‘ erfolgen, was eine stärkere Risiko-Aufteilung im Euroraum zur Folge hätte.“
Träumer und Realitätsverweigerer
Der Masterplan des IWF ist nichts anderes als die schnelle Aufrichtung eines Euroland-Zentralstaates, ein Projekt, das trotz vielerlei Anstrengungen in ca. 60 Jahren europäischer Integrationsbemühungen nicht zustande gekommen ist. Sollten im IWF so viele Träumer und Realitätsverweigerer sein, die das nicht wissen? Letztendlich geht es darum, sicher zu stellen, dass die Schulden der Euro-Krisenstaaten an die Vermögenden dieser Welt bezahlt werden, ob mit oder ohne einen funktionierenden Euro-Staat.
Falls also das Ergebnis wäre, dass die Schulden der Europäer von den wirtschaftlich starken Staaten der Eurozone bezahlt würden, aber leider keine zentrale und demokratisch legitimierte europäische Zentralmacht entstanden ist, sondern Steuergelder aus den Einzelstaaten einfach nur abgeschöpft werden, wen stört das im IWF? Denn wie auch immer die Rahmenbedingungen aussehen, Hauptsache das Geld fließt nach oben: Mission accomplished.
Durchhalteparolen à la Honecker
Aber auch auf der Ebene der internen deutschen Diskussion treten Helferlein in Aktion. Hier gilt es vor allem, eventuelle Dellen in der bundesdeutschen Einheitsfront der Euroretter wieder zu begradigen. Da gibt es doch tatsächlich gemäßigte Linke, also Sozialdemokraten, die an Sinnhaftigkeit und Fortbestand der Eurowährung zweifeln und das auch noch offen aussprechen. Das kann nicht ohne Entgegnung stehen bleiben. Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein, er ist Professor für Politische Ökonomie an der Hertie School of Governance, springt hier in die Bresche und versucht, diese Abweichler wieder zur Raison zu bringen. Sein Artikel im Cicero Online mit dem Titel „Eurokritik wird in der gemäßigten Linken salonfähig“ wird dort wie folgt verlinkt: „vorwaerts-immer-rueckwaerts-nimmer/55958“. Vielleicht hat da ein Cicero-Redakteur genug Humor aufgebracht, um die Kernaussage des Helferleins Enderlein in einem Satz auszudrücken, und dann wäre die Anspielung auf Erich Honeckers DDR und den entsprechenden Durchhalteparolen nicht zu übersehen.
„Gute“ und „schlechte“ Euro-Gegner
Bevor auf Enderleins Artikel im Einzelnen eingegangen wird, muss eine unter dem Gesichtspunkt einer offenen Debattenkultur völlig indiskutable Aufteilung angesprochen werden, die Enderlein unter den Euro-Gegnern vornimmt. Bei den „linken Kritikern“ am Euro oder der Währungsunion in ihrer jetzigen Form handelt es sich, so Enderlein, immer um überzeugte Europäer, die den Euro aus Sorge um ein sozial gerechtes und demokratisch verfasstes Europa ablehnen. Diese „gemäßigten Linken“, die sich gegen das Euro-Projekt stellen, sind bei Enderlein von jedem Verdacht erhaben, den Euro „aus Inflationsangst oder merkantilistischer D-Mark-Nostalgie“ abzulehnen, wie etwa rückwärtsgewandte Nationalisten. Sie lehnen den Euro ab, um Europa zu retten, das ist zwar laut Herrn Enderlein ehrenwert, aber falsch.
Den Euro aus Gründen einer DM-nationalistischen Haltung und purer Rückwärtsgewandtheit abzulehnen, ist allein die Sache aller anderen Euro-Gegner. Diese „nationalkonservativen“ Euro-Gegner sind also nicht besorgt um die immer bedenklicher werdende Legitimationsbasis der Entscheidungen im aktuellen Europa, sie kritisieren nicht eigentlich die immer bedrohlicher werdende Zwangsintegration innerhalb des Euro-Raums, die keinen Raum für demokratische Prozesse mehr belässt, sie kritisieren nicht die durch die Globalisierung und die Einheitswährung immer größter werdenden sozialen Verwerfungen in Europa. Sie sind halt einfach nur dagegen.
Es gibt Euro-Gegner aus guten Gründen und aus schlechten. Die mit den guten Gründen sind die gemäßigten Linken, alle anderen sind nationalkonservative Integrationshasser. „Teile und herrsche“ hieß dieses Prinzip bei den Römern. Es in einer Debatte um ein komplexes Problem anzuwenden, wie es diese verunglückte Währung darstellt, ist unredlich. Wenn Herr Enderlein die Welt der Euro-Gegner wirklich so holzschnittartig sehen würde, muss man sich fragen, ob der Elite-Ausleseprozess an deutschen Universitäten und Hochschulen wirklich noch funktioniert. Allein schon, dass Inflationsangst von Herrn Enderlein als eine Geisteshaltung am rechten Rand unserer Gesellschaft angesiedelt wird, lässt Zweifel daran aufkommen, wie „wissenschaftlich“ eigentlich seine Aussagen sind.
Zu den „guten“ und damit gemäßigt links stehenden Euro-Gegnern gehören nach Angabe von Enderlein auch „anerkannte sozialdemokratische Vordenker“ wie Fritz W. Scharpf oder Wolfgang Streeck. Die Position von Wolfgang Streeck soll hier kurz aufgeführt werden, damit klar ist, was Enderlein in seinem Beitrag eigentlich kritisiert.
Kapitalismus versus Demokratie
In einem Interview mit einer Schweizer Tageszeitung vom März diesen Jahres zu seinem neuen Buch, in dem er die Rettungspolitik für den Euro scharf kritisiert, gibt es vom Soziologen Wolfgang Streeck, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln und Professor für Soziologie an der Universität Köln, folgende Meinungsäußerungen:
Über die Aussichten, z.B. Griechenland von Berlin oder Brüssel aus zu reformieren, sagt er:
„Konsolidierung nur „von innen, wenn überhaupt. Die Vorstellung, dass Deutschland Griechenland oder irgendein anderes Land «konsolidieren» soll, ist abenteuerlich. Der italienische Staat hat das in Sizilien in 150 Jahren nicht geschafft. Wie soll das dann gegenüber souveränen Demokratien gehen? Denken Sie an die Aufregung in der Schweiz, als ein deutscher Finanzminister das Schweizer Bankenrecht mit der Kavallerie reformieren wollte“.
Über die ach so segensreiche Globalisierung:
„Ich „zeige, dass die Regierungen in den Ländern des demokratischen Kapitalismus seit der sogenannten Globalisierung gezwungen sind, eine schwierige Gratwanderung zwischen den Interessen ihrer nationalen Staatsvölker und denen des von mir ironisch so genannten internationalen «Marktvolks» zu unternehmen. Dass sie sich dabei zunehmend an den «Märkten», sei es für Real- oder Finanzkapital, orientieren müssen, ist mittlerweile ein Gemeinplatz. Von Leuten wie Greenspan oder Draghi wird es mit großer Befriedigung als wünschenswerter Normalzustand proklamiert.“
Über die ausufernde Staatsverschuldung, die seiner Meinung nach in letzter Zeit eben nicht mehr von unverantwortlichen Politikern mit pompösen Wahlversprechen erzeugt wurde:
„Ich zeige, dass der jüngste Verschuldungsschub, der grösser war als alle vorangegangenen und der die gegenwärtige Krise erst ausgelöst hat, Folge der Finanzkrise war, also der erpressten Übernahme von spekulativ vergebenen und dann faul gewordenen Krediten. Staatliche «Wohltaten» erhielten seit der neoliberalen Wende in den 1980er-Jahren vor allem diejenigen, deren Steuerlast durch «Steuerreformen» laufend gesenkt wurde; entgangene Steuereinnahmen wurden durch Schuldenaufnahme ersetzt. Im Übrigen ist in allen reichen Industrieländern die soziale Ungleichheit seit drei Jahrzehnten gestiegen, und am unteren Rand der Einkommensverteilung sind die Einkommen relativ und oft auch absolut zurückgegangen, als Folge von Entgewerkschaftung, Einschnitten in den Sozialstaat, struktureller Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung. Von «Wohltaten» und «über die Verhältnisse leben» kann hier keine Rede sein.“
Auf die Frage, ob die Demokratie noch die geeignete Staatsform für die globale Wirtschaft sei:
„Sie meinen, wir brauchen eine Diktatur? Die haben wir ja schon – erinnern Sie sich doch daran, wie die Finanzmärkte den Staaten ihre Reaktionen auf die Finanzkrise diktiert haben und wie wenig bisher geschehen ist, um eine Wiederholung auszuschließen. Man muss andersherum fragen: Ist die globale Wirtschaft geeignet für die Demokratie? Wenn nicht, dann muss man sich überlegen, wie man so etwas wie lokal begrenzte Regierungsfähigkeit zurückgewinnt. Ich bin davon überzeugt, dass dies das große Thema der kommenden Jahrzehnte sein wird.“
Viele der Helferlein der globalen Finanzelite müssen angesichts solcher Aussagen über die Finanzmärkte und ihre Diktatur wie elektrisiert sein. Henrik Enderlein muss diese Anmerkungen Streecks meinen, wenn er ihn dafür kritisiert, dass er zwischen dem Kapitalismus in der heutigen Form und der Demokratie einen Widerspruch sieht.
Illusion vom Ende der Krise
Aber gehen wir noch etwas genauer ein auf die Aussagen Wolfgang Streecks zur Sinnhaftigkeit der Eurowährung. Auf die Frage nach dem Ende des Euro und die Rückkehr zu nationalen Währungen sind seine Ausführungen im Interview etwas ausweichend:
„Natürlich weiß auch ich, dass der Nationalstaat etwas antiquiert ist, um es vorsichtig auszudrücken. Aber solange wir nichts Besseres in Aussicht haben, bin ich froh, dass Frau Merkel und die Herren Draghi und Barroso nicht auf Dauer bestimmen können, wer in Italien oder Griechenland Premierminister wird.“
Seine Ansichten zu Euro-Rettung und Rückabwicklung der Euro-Währung hat Streeck genauer in seinem Buch „Gekaufte Zeit“, aber auch in einem Aufsatz mit dem Titel „Vom DM-Nationalismus zum Euro-Patriotismus?“ in der im Internet nicht frei zugänglichen Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“ (9/2013, S. 75 – 92) niedergelegt. Einige Aussagen zum Euro-Problem dieses komplexen Aufsatzes, der in seiner Argumentation hier nicht im Entferntesten wiedergegeben werden kann, der aber ergänzend hier genannt werden soll, lauten:
„Ich möchte (…) versuchen, meine Leser und vielleicht sogar meinen Rezensenten dafür zu gewinnen, sich von der in Deutschland erstaunlich tief verwurzelten Gleichsetzung der Europäischen Währungsunion mit ‚Europa‘, und sogar der ‚europäischen Idee‘, loszusagen – auch auf die Gefahr hin, von den zahlreichen Gralshütern der Milch der frommen Denkungsart als kleinstaaterisch-nationalistischer Nostalgiker aus Europa ausgebürgert zu werden.“
(…).
Die Ansicht von der Euro-Krise als einer nur zeitweiligen Krise „wird sich schon bald als Illusion erweisen, und zwar weil den gegenwärtigen Konflikten (…) erhebliche Unterschiede in Struktur und Funktionsweise zwischen den in der Währungsunion zusammengezwängten Volkswirtschaften zugrunde liegen. Diese sind nicht nur technischer Natur, sondern gehen auf lange gewachsene und politisch nur begrenzte und kurzfristig überhaupt nicht disponible Unterschiede zwischen sozialen Strukturen und kollektiven Lebensweisen zurück. Die Währungsunion, so beileibe nicht nur meine These, hat den in Europa nebeneinander existierenden unterschiedlichen Wirtschaftsweisen eine einheitliche Geldordnung übergestülpt, mit der diese nicht gleichermaßen gut leben können.“
(…).
„Umso wichtiger ist es, zu betonen, dass die Europäische Währungsunion eben nicht ‚Europa‘ ist (…), sondern eine zwischenstaatliche Vereinbarung über eine gemeinsame Währung und ihre Verwaltung. Soweit sie Europa ‚einigt‘, tut sie dies, indem sie den beteiligten Staaten gleichermaßen die Möglichkeit nimmt, eine eigene an ihre jeweils besondere Situation angepasste Geldpolitik zu verfolgen. Insbesondere hindert sie sie daran, ihre Währungen gegeneinander auf- oder abzuwerten.“
(…).
„Zugleich glaube ich aber, dass die dann [in einer weiter bestehenden Währungsunion] notwendig werdenden laufenden Ausgleichszahlungen verschiedenster Art des Nordens an den Süden die ‚Solidaritäts‘-Bereitschaft der Nordländer überfordern werden – wenn nicht die ihrer Eliten, dann jedenfalls ihrer Wähler, die die Rechnungen begleichen müssen.
Ganz verdenken kann man ihnen das nicht, auch wenn man entschieden dafür ist, dass die Wohlhabenden mit den weniger Glücklichen teilen. In einem immer degressiver werdenden Steuersystem und angesichts der Möglichkeiten wirklich wohlhabender Organisationen und Individuen, zwischen unterschiedlich anspruchsvollen Steuerwelten zu wählen, steht zu erwarten, dass für die innereuropäische Solidarität im Wesentlichen diejenigen aufzukommen hätten, denen zugleich zum Zweck der Haushaltskonsolidierung die Renten, Sozialleistungen und Bildungsinvestitionen gekürzt werden.“
(…).
„Die Währungsunion erscheint somit als ein Programm zur Zwangsvereinheitlichung der Wirtschafts- und Lebensweisen der europäischen Völker, das diese gegeneinander aufbringt und sie politisch in Nationalstaaten erster und zweiter Klasse auseinanderdividiert.“
„Nostalgisch-konservativer Irrweg“
Soweit der klare Abgesang des „anerkannten“ sozialdemokratischen Vordenkers Streeck auf die europäische Währungsunion. Aber was erlaubt sich Streeck? Wer so schlimme Dinge über den Euro sagt, muss damit rechnen von den „guten“ Europäern abgekanzelt und zur Ordnung gerufen zu werden, z.B. von Henrik Enderlein.
Enderlein wirft Streeck vor, mit seiner Kritik und seinen Ansichten einen „nostalgisch-konservativen Irrweg“ zu gehen. Er hält Streeck zwar immerhin noch für einen „guten“ Euro-Gegner, der somit nicht zu den dumpfen DM-Nationalisten vom „rechtsintellektuellen Rand“ zu zählen ist, die den Kampf gegen den Euro nach Meinung Enderleins nur als Mittel ansehen, um die verhasste europäische Integration zu verhindern, trotzdem ist die Arroganz in diesen Aussagen kaum zu überbieten. Wolfgang Streeck wird hier als vom rechten Euro-Weg abirrendes Lamm dargestellt, dem gutes Zureden wieder in die Spur helfen muss.
Enderlein nennt den Euro in seiner jetzigen Struktur richtigerweise eine Währung mit „mangelnder Legitimationsgrundlage und dysfunktionaler Wirtschaftsregierung“, aber – vorwärts immer, rückwärts nimmer – er ist nun einmal „als logische Fortsetzung des wirtschaftlichen Integrationsprojekts Europa“ anzusehen. Er stellt fest, dass die freien Handels- und Kapitalflüsse in einem EU-Binnenmarkt mit einer auf die Binnenkonjunktur jedes einzelnen Landes ausgerichteten Geldpolitik infrage gestellt seien.
Nun könnte man hier schon einwenden, dass die freien Flüsse des Geldes in Euro-Europa aus vielerlei Gründen leider nicht mit der konkreten Mobilität der Arbeitskräfte harmoniert, so dass es bis auf Weiteres nicht zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum im Euroland kommen wird. Man kann durchaus behaupten, dass der Euro aus den gleichen Gründen wie das damalige europäischen Wechselkurssystem in Schwierigkeiten gekommen ist: Viele der beteiligten Staaten im EU-Binnenmarkt waren und sind einfach noch nicht bereit für den engeren Zusammenschluss. In der Vergangenheit konnte man aber das Wechselkurssystem anpassen, die Eurowährung lässt solche Anpassungen nicht zu.
Flexible Reaktionen sind nur noch für die Staaten des Binnenmarktes möglich, die sich 1999 nicht dem Euro angeschlossen haben bzw. bis jetzt nicht beigetreten sind. Diese Staaten haben die Krise eindeutig besser verkraftet als die Euro-Südperipherie. Eher muss man davon sprechen, dass diese, da sie keine eigene Währung hat, durch ihren Sparkurs das übrige Europa langsam in Schieflage gebracht hat. Eine Argumentation, die Enderlein völlig ausblendet, weil die Alternativlosigkeit der Euro-Rettung bei ihm im Vordergrund steht.
Teilaustritt von Staaten
Ebenso wenig wird auch nur durchgespielt, ob nicht ein Teilaustritt von bestimmten Staaten aus der Währungsunion besser wäre, und immerhin würde der Euro als weiterer Integrationsschritt für Europa erhalten bleiben. Für Enderlein wäre das der Anfang vom Ende des Euro, er kann eben nur in Crash-Szenarien denken. Die Wiedereinführung nationaler Währungen wäre „der Anfang eines breiteren Renationalisierungsprozesses, der uns ins Zeitalter der Nachkriegsjahrzehnte zurückkatapultierte“.
Wieder muss man mit Verwunderung vermerken, dass manche Euro-Befürworter in ihrem Eifer einfach übersehen, dass es im EU-Europa auch vor Einführung des Euros einen freien Binnenmarkt, Zollfreiheit und über das Schengen-Abkommen auch freien Verkehr ohne Passkontrollen gab, und wider die historische Realität für die Zeit vor 1999 ein düsteres Bild einer Nachkriegszeit ohne jegliche Freizügigkeit malen. Anders ist es nicht mehr zu begreifen, dass Enderlein in Auseinandersetzung mit Wolfgang Streecks Thesen zu folgender absurden Behauptung kommt:
„Der Wunsch nach einer Rückkehr in die Welt der Nachkriegsjahrzehnte, mit Zöllen, geschlossenen Grenzen und Kapitalkontrollen, führt die Linken jedenfalls in eine nostalgisch-konservative Sackgasse.“
Enderlein versucht geschickt, eventuelle schwierige Übergangszeiten bei einer Umstrukturierung oder Auflösung der Währungsunion, die sicherlich auch zeitweise Bankschließungen, Grenz- und Kapitalkontrollen und Unruhe unter der bis jetzt von den Mainstream-Medien ruhig gestellten Bevölkerung mit sich bringen würden, zu übertragen auf den andauernden Gesamtzustand der EU nach einem solchen Schritt. Er versucht dem Leser einzureden, der Übergangszustand würde mit Sicherheit zum Dauerzustand werden, aber er kann hier nicht mit Beweisen aufwarten. Die EU vor Einführung des Euros war jedenfalls nicht das Enderleinsche Horrorland mit geschlossenen Grenzen, dauernden Zollkontrollen und eines durch Misstrauen und Nationalismus geprägten Klimas. Warum sollten die Staaten des Euroraums sich nicht über Verhandlungen, rationalen Überlegungen und in kontrollierter Form aus dem selbst verschuldeten Euro-Elend befreien können?
Währung ohne Staat
Nach Henrik Enderlein gibt es für die Eurozone aber nur die Flucht nach Vorn, koste sie, was sie wolle. Wer als Leser seines Beitrags bis zu diesen Zeilen glaubte, dass der Höhepunkt der Seltsamkeiten schon erreicht wurde, wurde eines Besseren belehrt.
Enderlein spricht zwar vom „Wagnis, eine Währung ohne Staat“ zu schaffen, was er aber beschreibt, ist ein Staat, der in dieser Zeit der „globalen Interdependenzen“ in Abhängigkeit von einer vom wem auch immer zu definierenden Notstandssituation zwischen Bundes- und Zentralstaatlichkeit oszillieren soll.
Anknüpfend an ein Konzept von Habermas über ein supranationales und demokratisch verfasstes Gemeinwesen beschreibt Enderlein Folgendes:
„Das ist zwar kein griffiges Konzept, dafür aber eine kluge theoretische Blaupause, die es politisch anzureichern gilt. (…). Notwendig sind dafür weder umfassende Eurobond-Konstrukte noch weitreichende Machtverschiebungen nach Brüssel oder langfristige monetäre Transfers in nur eine Richtung. Denkbar wäre auch ein ‚Ausnahmeföderalismus‘: In normalen Zeiten regiert der Nationalstaat, in Krisenzeiten nähert sich das System über Solidaritätsmechanismen in der Bankenunion und einer Fiskalunion einem föderalen Solidaritätssystem an – im Gegenzug für Souveränitätsabtretung. Wir brauchen dafür allerdings dringend ein stimmiges Legitimationskonzept. (…).
Deshalb muss heute gerade die politische Linke eine europäische Wirtschaftsregierung einfordern und dabei vor allem auf mehr demokratische Rechenschaftspflicht pochen (…).“
Enderlein vermeidet den Begriff Staat und spricht nur von „paneuropäisches politisches Gemeinwesen“, aber das ist eigentlich nur ein Vertuschungsversuch. Am Ende ist es doch ein verdeckter Zentralstaat, verkleidet als Bundesstaat, der hier geschaffen wird, denn es geht letztendlich um den Zugriff auf die Ressourcen der Steuerbürger. Es soll den Europäern noch das Gefühl gegeben werden, sie seien Herr über ihre eigenen Steuern und Abgaben, die über die nationalstaatlichen Behörden erhoben werden. Am Ende aber kann dieser „paneuropäische“ Zentralstaat in Lauerstellung, sobald es gilt, einen finanz- und wirtschaftspolitischen Notstand in einem oder mehreren Teilstaaten zu bekämpfen, sich per Notstandserlass des Brüsseler Machtzentrums (EU-Parlament, EU-Kommissare, Gipfel der Regierungschefs) in einen Nothilfestaat verwandeln.
Das auf diese Weise entstandene transnationale und notzentralistisch geführte Machtgebilde soll – so muss man Enderlein verstehen – das Recht haben, in „Krisenzeiten“ über demokratische legitimierte Zentralgremien, die in normalen Zeiten nur beschränkte Macht haben sollen, Zugriff auf einen Teil der Steuergelder und Abgaben aller Euro-Bürger zu haben, um mit Hilfe dieser Gelder krisenhaften Entwicklungen zu begegnen. Auch hier gilt dann wieder: Not kennt eben kein Gebot.
Mit anderen Worten: es würde ein in der Geschichte bisher nicht aufgetauchtes alptraumhaftes Staatsgebilde entstehen. Ein bürokratisches Monstrum, aber immerhin in dieser Form neuartig. Das ist nicht ohne Logik, denn die verunglückte Währungsunion mit ihren nicht zusammenpassenden Teilstaaten ist offenbar anders gar nicht mehr zusammenzuhalten. Man fragt sich bei diesen „neuen“ Ideen, die Enderlein vorgibt, in die Diskussion zu bringen, ob hier nicht alte Ideen wieder salonfähig gemacht werden sollen. Man fragt sich auch: Wenn der Begriff durch die deutsche Geschichte nicht so negativ belegt wäre, hätte Enderlein für das, was er mit dem Begriff „Ausnahmeföderalismus“ belegt hat und auf europäischer Ebene einrichten will, nicht auch der Begriff „Notverordnungsstaat“ benutzen können?
Der Noversorgungsstaat
Wie weit wollen die Befürworter des Euros eigentlich gehen, um den Euro zu retten? Es ist außerdem noch anzumerken, dass die Errichtung eines Staatsgebilde des europäischen Ausnahmeföderalismus zur endgültigen tiefen Spaltung der bisherigen EU führen würde, denn Großbritannien oder die skandinavischen Staaten sind in solch einem Konstrukt der gesondert regierten Eurostaaten schlechthin nicht vorstellbar. Aber man komme Enderlein nicht mit rationalen Argumenten, denn Wolfgang Streeck hat mit seiner These eines kontrollierten Rückbaus eines verunglückten europäischen Wegs, der zur Gefährdung für erkämpfte demokratische Grundrechte wird, Sachargumente genug geliefert, die man mittels absurden Ideen eines temporären Nothilfestaats nicht hätte angreifen müssen.
Wie ein Staatsgebilde überhaupt funktionieren soll, das in „normalen Zeiten“ trotz einer eingeforderten “Wirtschaftsregierung“ den Teilstaaten immer noch erlaubt, eigenständig zu wirtschaften und zu haushalten, und damit auch die Freiheiten zu haben, sich in Schwierigkeiten zu bringen, bis hin zu Überschuldung und Staatsbankrott, um in Krisenzeiten per „Ausnahmeföderalismus“, also als „ausnahmeföderale“ Notstandsverwaltung, und natürlich mit den Ressourcen aller Teilstaaten die Dinge wieder ins Lot zu bringen, bleibt in Enderleins Darstellung schwammig. Entweder gibt es eine starke bundesstaatliche Kontrolle der Einzelstaaten und einen direkten Zugriff der Zentrale auf den Großteil der Steuern, oder es existiert ein Staatenbund mit dezentraler Organisation. Beides gleichzeitig ist nicht durchführbar.
Absehbar ist, dass es zu Verteilungskonflikten kommen würde, denn letztlich werden die Menschen durchschauen, dass die Notgelder, die im „Ausnahmeföderalismus“ eingefordert und verteilt werden, nichts anderes sind als verdeckte Euro-Bonds oder eine Transferunion auf anderem Wege. Der Schaden, der für die europäische Idee entstehen wird, wenn die Menschen im Norden zu dem Schluss kommen, dass das Nothilfe-Parlament der Eurozone nun mit der Mehrheit der Schuldenstaaten und quasi per Notverordnung Gelder in die Südperipherie transferiert, wird unendlich sein. Man kann ob solcher Ideen nur noch den Kopf schütteln.
So panisch sind „die Finanzmärkte“ wohl geworden, dass ihre Helferlein alle politischen und ökonomischen Gesetzmäßigkeiten ignorieren, um eine in ihrer Zusammensetzung verfehlte und in ihrer Entstehung verfrühte Währungsunion um jeden Preis und mittels utopischer Staatsideen weiter bestehen zu lassen. Für die „Vollendung des Euro-Projekts“ ist auf die Schnelle ein Ersatz für die bis heute nicht zustande gekommenen Vereinigten Staaten von Europa zu schaffen, die Währung ist das übergeordnete Ziel, nicht die Befindlichkeit und der Bewusstseinsstand der EU-Bevölkerung.
Neben den Crash-Ängsten, die Enderlein schürt, ist eines der Hauptargumente für die Beibehaltung des Euros das über die Währungsunion forcierte Entstehen eines neuen globalen Players „Euro-Europa“. Eines global aufgestellten Staatswesens natürlich, man sollte es nicht vergessen, das den global organisierten Besitzern großer Vermögen weiterhin garantieren wird, die Schulden seiner Teilstaaten zu bezahlen.
Im Dickicht der Argumente
Doch dann verheddert sich Enderlein in seinen eigenen Argumenten, wenn er schreibt:
„Doch den Euro heute für gescheitert zu erklären, kommt einer politischen Kapitulation vor der Globalisierung gleich. Denn bei allen Unterschieden zwischen nationalkonservativen und linken Euro-Kritikern: Sie teilen die Überzeugung, dass der Nationalstaat die bessere Instanz im Umgang mit der Globalisierung ist. Kurzfristig und in Krisenzeiten mag das stimmen. Aber in einem längeren Zeitrahmen sind die Herausforderungen unserer Zeit nicht durch Isolationismus zu lösen – gerade in Europa nicht und gerade nicht in Zeiten des wirtschaftlichen und politischen Aufschwungs in Asien, Lateinamerika und hoffentlich bald auch Afrika.“
Wenn der Nationalstaat kurzfristig und in Krisenzeiten die bessere Instanz im Umgang mit der Globalisierung ist, dann fragt man sich, warum Enderlein ihn ausgerechnet in Krisenzeiten aufgeben will. In einem längeren Zeitrahmen gesehen und allmählich aufgebaut, beginnend mit wettbewerbsstarken Ländern, mag auch die Euro-Währung in einem europäischen Bundesstaat ihren Sinn haben, nur den längeren Zeitrahmen will Enderlein uns Euro-Bürgern nicht zugestehen: Es muss mit dem fadenscheinigen Grund der Krisenbewältigung eine Zusammenwuchern der Euro-Staaten erfolgen, ohne dass über sinnvolle Alternativen gesprochen wird.
Dieser Beitrag von Henrik Enderlein und entsprechende Aussagen und Artikel auch von anderen lassen uns erahnen, dass der Druck zur Euro-Konformität steigen wird und dass uns für die alles bereinigende „Lösung“ der Euro-Krise noch einige Überraschungen ins Haus stehen werden. Man wird die Helferlein der transnational aufgestellten globalen Finanzelite, die auf den unterschiedlichen Ebenen und in den unterschiedlichsten Positionen daran arbeiten, die großen Vermögen dieser Welt möglichst schonend über die Krise zu bringen, in nächster Zeit genau zu beobachten haben.