Täter und Opfer eines mörderischen NSU-Kommentars

Auf Facebook schrieb jemand, es sei schade, dass die NSU nicht Philipp Rösler ins Visier genommen habe. Er entschuldigte sich vergeblich. Welche Kultur hat das Netz?

 

Gemeinhin sagt der Bürger seine Meinung zu politischen Themen öffentlich nur ungern. Selbst in Bürgerversammlungen, in denen Kommunalpolitiker etwa über einen Umbau der Schule oder Pläne für eine Fußgängerzone diskutieren, reden in erster Linie nur diejenigen, die materiell betroffen sind. Anders ist es dann wieder am Stammtisch. Da hat dann jeder zu allem eine Meinung, will heißen: Da geht es dann ganz hemmungslos und meist auch schmerzfrei zu Sache.

Enthemmend wirkt zuweilen auch das Internet. Als Christopher Kerkovius auf seiner Facebook-Seite das von der SPD ins Netz gestellte Bild des FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler sah mit der Aufschrift „Rösler meint, eine 4 € Lohnuntergrenze reicht für die Menschen“, kommentierte er drauflos: „Wenn DAS kein Fake ist, dann gehört er…, dann gehört er…, dann gehört er…!!! Ich darf’s leider nicht aussprechen oder schreiben. Ich habe den Eindruck, dann müsste man selbst Westerwelle heilig sprechen. Schade, dass die NSU-Gruppe sich nicht solche vorgenommen haben, denn das wäre nicht so schlimm!“

Screenshot der Facebook-Debatte

Screenshot der Facebook-Debatte

Die Reaktionen auf diese Entgleisung ließen nicht lange auf sich warten, zumal Kerkovius Mitglied der Grünen ist und 2006 sogar für den Landtag in Mecklenburg-Vorpommern kandidierte. Sein Kommentar und das Rösler-Bild erschienen nun auf der Facebook-Seite von FDP-Liberté. Dort hieß es: „Die Grünen! Ein grüner Landtagskandidat aus 2006 wünscht sich die Ermordung von Philipp Rösler durch die NSU!“ Kerkovius wurde des Rassismus beschuldigt.

„Verkommene Gesellschaft“

Inzwischen hatte Kerkovius sein Fehlverhalten eingesehen. Er entschuldigte sich bei dem Jungen Liberalen Christian Unger, der Kerkovius heftig kritisiert hatte. „Hallo, Herr Unger, da ich Sie offensichtlich sehr verletzt habe, habe ich alle meine Beiträge zu dieser möglichen Fake-Nachricht gelöscht. Es tut mir leid!“, schrieb Kerkovius. In mehreren Absätzen versuchte er, seine Wut zu erklären, die ihn zu dem Satz verleitet habe. „Aber es nun einmal so, dass ich ungeheuer verbittert bin über den ethisch und sozial verkommenen Zustand unserer globalen Gesellschaft.“

An diejenigen, die sich bei ihm persönlich über die Worte empört hatten, schrieb er: „Es tut mir unendlich leid, dass (…) ich so aus der Fassung geraten bin. Ich finde es selbst völlig inakzeptabel und schäme mich dafür und bitte alle, die ich damit verletzt habe, um Verzeihung!“

Der Liberale Christian Unger aber mochte die Entschuldigung nicht annehmen. „Ich diskutiere nicht mit Rassisten. Wir sehen uns im Gerichtssaal. Auf Wiedersehen“, antwortete scharf auf Facebook. Kerkovius versuchte es noch einmal: „Menschen von  Format können eine Entschuldigung annehmen, insbesondere, wenn sogar die verletzenden Posts restlos gelöscht wurden.“ Doch Unger blieb hart. „Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass ich Ihre Kommentare nicht lese (…) Wir sehen uns garantiert nochmal, vorm zuständigen Gericht.“

„Parteiinterne Konsequenzen“

Die FDP informierte außerdem den Grünen-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern über den Vorfall. Über die Entschuldigung indes teilte sie offensichtlich nichts mit. Und die Grünen selbst fragten gar nicht erst bei dem Beschuldigten nach, ob die Vorwürfe denn auch zuträfen. Stattdessen postete die Grüne Jugend, dass sie einen wie Kerkovius nicht länger in bei den Grünen wünsche.

„Wir wurden nun mehrfach schon auf die rassistischen Äußerungen des Herrn Christopher K. aufmerksam gemacht“, schrieben sie. „Wir selbst sind ziemlich entsetzt über die Äußerungen, die Chritopher K. hier im Internet verbreitet hat. Die Grünen sind für uns eine Partei in der Rassismus keinen Platz hat und auf keinen Fall toleriert werden darf. Wir fordern den KV Vorpommern Rügen sowie den Landesverband MV auf, sich schnellstmöglich öffentlich von Christopher K. und seinen Äußerungen zu distanzieren. Sollten dieses Verhalten keine parteiinternen Konsequenzen für Christopher K. nach sich ziehen, werden wir prüfen in wieweit wir selbst dies vorm Schiedsgericht einfordern können. Denn Rassismus darf keinen Platz in dieser Gesellschaft und schon gar keinen Platz bei den Grünen haben!“

Auch der Kreisverband Stralsund drohte seinem Mitglied ein Parteiausschlussverfahren an.

Vaterfigur für einen Togolesen

Im Gespräch sagt Kerkovius, er sei weit davon entfernt, rassistisch zu denken. Im Gegenteil habe er in der Vergangenheit immer wieder Ausländern geholfen. Zu einigen von ihnen habe sich ein sehr enges Verhältnis entwickelt. „Ich habe mich wiederholt für nichteuropäische Asylanten eingesetzt“, sagt er. Darunter sei unter anderen ein Togolese gewesen, dessen Abschiebung er zwar nicht verhindern konnte, der aber „jetzt fast wie ein Sohn“ für ihn sei. „Meine Frau und ich haben ihm aus bitterer Armut heraus geholfen, sich in Benin, wohin er geflohen ist, eine kleine Existenz aufzubauen. So konnte er heiraten und eine Familie zu gründen. Er nennt mich meistens ,father“, sagt Kerkovius. Der Togolese habe sogar seine erste Tochter nach Kerkovius’ Frau genannt. Wer es nicht glaube, könne auf Facebook bei „Anani Koffi“ aus Cotonou/Benin nachschauen.

Er denkt jetzt darüber nach, vielleicht von sich aus die Grünen zu verlassen. „Das ist jedenfalls besser als ein Rauswurf“, sagt er. Und das Internet sei für ihn eine andere Welt geworden.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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