AfD-Chef Lucke wollte die Piraten mit ins Boot holen

Eine vertrauliche Mail belegt: Lucke plante den Aufbau einer außerparlamentarischen Opposition. Heute kämpft er um den Einzug in den Bundestag – und die Strategen der anderen Parteien sind ratlos...

 

Im vergangenen Frühjahr war Bernd Lucke noch ein Suchender. Nicht etwa, weil der heutige Chef der „Alternative für Deutschland“ (AfD) noch keine Meinung zur Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung gehabt hätte. Nein, mit der lag er schon lange über Kreuz. Vielmehr sondierte er das politische Terrain, weil er eine außerparlamentarische Opposition schmieden wollte. Dabei stieß er neben den Freien Wählern auf eine vergleichsweise neue politische Gruppierung, die ihm durchaus für seine Zwecke geeignet schien – die Piraten.

Also schrieb Lucke im Mai 2012 eine E-Mail an den Bundesvorsitzenden der Piraten, Bernd Schlömer. Die Mail, in der er sich als Professor der Universität Hamburg und Sprecher des Bündnisses Bürgerwille vorstellte, liegt GEOLITICO vor. „Da ich glaube, dass unsere Ziele auch von der Piratenpartei geteilt werden, würde ich gerne in den nächsten Tagen (baldmöglichst) mit Ihnen darüber telefonieren“, schrieb Lucke.

Wenige Wochen vorher erst hatte er das Bündnis Bürgerwille ins Leben gerufen, das expliziert gegen die Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung aufbegehrte. Öffentlich jedoch wurde es kaum wahrgenommen. Lucke aber wollte öffentliche Aufmerksamkeit, er wollte etwas bewegen, auch wenn er so in der CDU, der er bereits vor über 30 Jahren beitrat, nie aufgefallen war. Vielleicht lag es daran, dass er zunächst seine Karriere als Wissenschaftler vorantrieb. Seit 1998 lehrt er an der Universität Hamburg, er war 2004 Berater der Weltbank und leitete Forschungen zur Marktliberalisierung und Wachstumsintegration in Südeuropa und im Nahen Osten.

Noch ganz auf Unions-Linie

Offensiv mischte er sich erstmals mit dem Hamburger Appell unmittelbar vor der Bundestagswahl 2005 in die Bundespolitik ein. Damals forderten Lucke und seine Mitstreiter Thomas Straubhaar und Michael Funke Lohnzurückhaltung. Immerhin 243 Ökonomen schlossen sich der Forderung der Hamburger Volkswirtschaftler an, und die CDU-nahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) zitierte den Appell auszugsweise. Damals war der heutige AfD-Chef also noch ganz auf Unionslinie.

Doch dann kam die Finanzkrise, vor allem die griechische Tragödie. Andere Professoren wie der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider oder der Volkswirt Wilhelm Hankel zogen gegen die Politik der schwarz-gelben Regierung vor das Bundesverfassungsgericht. Auch der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler klagte. Lucke schloss sich später der Verfassungsbeschwerde von Mehr Demokratie e.V. an. Vor allem aber drängte es ihn aufs politische Parkett.

Er wolle ESM-kritische Organisationen und Parteien „besser koordinieren und inhaltlich fokussieren“, schrieb er an Piraten-Chef Schlömer. „Insbesondere schwebt mir vor, mit dem neu zu schaffenden Instrument einer ,Außerparlamentarischen Anfrage’ die in Sachen Rettungsschirmpolitik völlig inakzeptable Informationspolitik der Bundesregierung bloßzustellen und die Informationsrechte der Bevölkerung einzufordern. Hierzu soll ein Sprechergremium und ein Expertenrat geschaffen werden.“

Der Pirat antwortet nicht

Dazu habe er bereits „Vorgespräche mit Mehr Demokratie e.V, der Zivilen Koalition und dem Bund der Steuerzahler“ geführt. Sie alle stünden dem Vorhaben grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Von Schlömer jedoch wurde Lucke enttäuscht. Der Pirat beantwortete die Mail nicht einmal mehr. Nachdem sich die Piraten im vergangenen Jahr selbst zerlegten, mag Lucke froh sein, dass es nicht geklappt hat. Außerdem fand er über die Zivile Koalition bald Mitstreiter zur Gründung der „Wahlalternative 2013“, aus der im Frühjahr die „Alternative für Deutschland“ hervorging. Inzwischen schreiben Demoskopen der neuen Partei bereits ein Wählerpotenzial um die Zwanzig Prozent zu, einige sehen sie gar schon im Bundestag.

Heute sagt Lucke über die Anfrage bei Schlömer: „Ich habe und hatte keinerlei politische Affinität zu den Piraten – außer dass ich ihre Opposition gegen den ESM richtig fand. Ich wäre nie Pirat geworden und ich habe mich auch nie in diesem Sinne geäußert.“ Die Idee einer außerparlamentarischen Anfrage habe er gemeinsam mit seinem Münsteraner Kollegen Ulrich van Suntum entwickelt. „Da wir uns als Universitätsprofessoren allein nicht genug Gehör verschaffen konnten, schien es uns sinnvoll, Unterstützung für unser Anliegen aus der Bevölkerung bzw. von eurokritischen Organisationen, die Teile der Bevölkerung vertreten, zu verschaffen“, sagt Lucke. Angefragt habe er letztlich alle ihm bekannten Bündnispartner. Auch sei die Außerparlamentarische Anfrage wenig später gestellt worden. Nur hätten sich eben nicht alle angefragten Organisationen beteiligt. „Aber die VWL-Professoren waren in großer Menge dabei“, sagt Lucke.

Das Parteitagsplenum. Foto: Lachmann

Das Parteitagsplenum. Foto: Lachmann

Mit der AfD ist Lucke in kürzester Zeit nun das gelungen, wonach er so lange gesucht hat. Er verfügt über eine politische Streitmacht gegen die Euro-Politik der Regierung und avancierte zu einem landauf, landab bekannten Politiker der Republik. Doch mit der Aufmerksamkeit und dem prognostizierten Wahlpotenzial formieren sich nun auch die Gegner, die sein Treiben bislang nur müde belächelten. In den Strategie-Abteilungen der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und der FDP-Parteizentrale erarbeiteten die Strategieabteilungen in den vergangenen Wochen eilig Dossiers über die neuen Mitbewerber. Sie sollen den Parteispitzen Aufschluss über Ziele, Inhalte und Taktik der AfD geben. Aus ihnen spricht aber vor allem Ratlosigkeit.

„Dumpfe Ressentiments“

So schreibt die Abteilung Strategie, Dialog und Kampagnen des Thomas-Dehler-Hauses zur AfD-Programmatik: „Die Forderungen erinnern hier an einige Kernpunkte der Tea-Party-Bewegung.“ Damit meinen die Liberalen etwa die familienpolitischen Aussagen der AfD, die für einen Schutz der Familie als Keimzelle der Gesellschaft eintritt und Bildung als Kernaufgabe der Familie sieht. Die FDP-Strategen sehen die neue Partei zwar durchaus im rechten Spektrum. „Die Aussagen zum Feld Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bedienen gelegentlich durchaus dumpfe Ressentiments“, schreiben sie. Manche Aussagen würden „unbestreitbar von rechtspopulistischen Gruppen und Personen begrüßt“. Allerdings erlaubten die bisherigen Aussagen „keine seriöse Bewertung“ der Vorwürfe, wonach die AfD rechtspopulistisch oder gar rechtslastig sein soll. Und: „Das Wahlprogramm lässt eine exakte Verortung der neu gegründeten Partei im bestehenden politischen Spektrum kaum zu.“

Die Aussagen zur Währungspolitik seien „von einer starken Betonung nationaler Interessen geprägt“. Die Forderungen nach der Auflösung des Euro-Währungsgebietes und der Einführung nationaler Währungen seien „bewusst vage gehalten, um auch undifferenzierte Meinungen aus der Wählerschaft einfangen zu können“. Die Adenauer-Stiftung stellt noch fest, die AfD sei keine Basisbewegung, sondern eine „Partei von oben“, mit einem erheblichen Defizit an innerparteilicher Demokratie.

In der Tat ist bislang wenig Konkretes dazu nachzulesen, wie die AfD sich den Ausstieg aus dem Euro vorstellt. Alle belastbaren Aussagen stammen derzeit von Parteichef Lucke. Zuletzt hat er seine Vorstellungen in zahlreichen Talkshows so skizziert: „Wir wollen das Euro-Währungsgebiet auflösen, weil wir glauben, dass der Euro Europa spaltet, statt es zu versöhnen.“ Die AfD wolle den Euro zunächst einmal in den Südländern ersetzen und wenn diese ausgeschieden seien, das Resteurowährungsgebiet entweder in kleinere Verbünde auflösen oder zu nationalen Währungen zurückkehren.“ Wo immer er mit solchen Sätzen auftritt, ist ihm der Beifall sicher. Seine Partei wächst rasant. In nur sieben Wochen traten mehr als 10.000 Bürgerinnen und Bürger der AfD bei.

Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel