Der verdeckte Rassismus in der Politik
Die Debatte entzündete sich an FDP-Chef Philipp Rösler. Seit Monaten gehen in der Berliner FDP-Zentrale Hassmails ein. Jetzt spricht auch der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy über seine Rassismus-Erfahrungen.
Der Satz ist raus, und nichts in der Welt wird ihn wieder zurückholen. „Bei Philipp Rösler würde ich allerdings gerne wissen, ob unsere Gesellschaft schon so weit ist, einen asiatisch aussehenden Vizekanzler auch noch länger zu akzeptieren“, hatte Hessens Integrationsminister
(FDP) gesagt und damit eine Eruption öffentlicher Erregung ausgelöst. Seither streitet die Republik darüber, wie er es gemeint haben könnte. Was da gesagt wird, ist nicht immer schmeichelhaft für den Minister. Und was die Debatte zutage fördert, wirft kein gutes Licht auf Teile der Gesellschaft.
Am Rande von Wahlkampfveranstaltungen seien rassistische Äußerungen über Rösler keine Seltenheit, sagen FDP-Politiker. Eben darauf habe Hahn hinweisen wollen. Ihn selbst des Rassismus zu verdächtigen, sei geradezu absurd. „Ich bekomme am Wahlkampfstand in der Fußgängerzone zu hören: Ich würde Euch ja wählen, aber dafür müsste erst einmal der Chinese weg“, sagt etwa der Chef der Jungen Liberalen (JuLi). Hahn habe sich womöglich missverständlich ausgedrückt. „Es ist aber notwendig, diese Debatte zu führen“, so Becker in der Zeitung „Passauer Neue Presse“.
Das schlechte Gewissen der Deutschen
Ähnliche Erlebnisse schildert Thüringens FDP-Generalsekretär Patrick Kurth in der „Mitteldeutschen Zeitung“. „Als FDP-Mitglied erlebe ich häufig offene oder versteckte rassistische Äußerungen mit Blick auf Rösler. Dabei könne wir stolz auf unser Land sein, in dem es möglich ist, dass ein Opfer des Vietnam-Krieges es bis in die Regierungsspitze schaffen kann“, sagt Kurth. Hahn stelle nicht Rösler infrage, sondern er wolle wissen, „ob die Bürger tatsächlich für den Fortschritt bereit sind, einen „asiatisch aussehenden Deutschen“ als Vizekanzler zu akzeptieren. „Das ist ein Appell an das schlechte Gewissen der Deutschen“, sagt Kurth. Einige Kritiker hätten Hahn ganz offensichtlich bewusst falsch verstehen wollen.
Vor kurzem berichtete „Die Zeit“ über Hassmails, die seit Monaten in der Berliner Parteizentrale der FDP eingingen. Mitarbeiter würden diese Mails an die Polizei weiterleiten. FDP-Chef Rösler bekomme sie gar nicht erst zu Gesicht. Mit solchen und anderen Rassismus-Tendenzen in der Gesellschaft beschäftigte sich im vergangenen Jahr intensiv ein Forscherteam der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, dass Ausländerhass und Rassismus bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien. Sie bescheinigten 39 Prozent der Ostdeutschen und 22 Prozent der Westdeutschen ausländerfeindliche Einstellungen.
„Sie sind kein Deutscher.“
Abgesehen von entsprechenden Angriffen rechtsextremer NPD-Politiker etwa auf den irakischstämmigen Linken-Abgeordneten Hikmat al-Sabty im Schweriner Landtag waren bislang allerdings kaum rassistisch motivierte Attacken gegen Politiker bekannt geworden. Der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs hatte al-Sabty unter anderem mit der Aussage verunglimpft: „Wenn Sie in den Spiegel schauen würden, würden Sie erkennen, dass Sie kein Deutscher sind.“
Angestoßen durch die aktuelle Diskussion spricht nun auch der SPD-Politiker Sebastian Edathy über seine Erfahrung mit rassistischen Anfeindungen. „Mein Vater war gebürtiger Inder, meine Mutter stammte aus Mecklenburg“, sagt er. „Ersteres scheint man öfter zu bemerken als letzteres. Problematischer als der offene Rassismus, der mir Woche für Woche aus eindeutig rechtsextremen Briefen entgegenschlägt, sind unterschwellig vorgebrachte Ressentiments.“ Als er 1998 erstmals für den Bundestag kandidieren wollte, habe ihn ein vermeintlich wohlwollendes Mitglied seiner Partei beiseite genommen. Man müsse abwarten, soll der Mann gesagt haben, wie „ein Bewerber mit dunklem Teint“ im Wahlkreis ankomme. „Da müsse man nun durch, seufzte er, mir aufmunternd auf die Schulter klopfend“, so Edathy.
„Absurdes Theater.“
Im Zusammenhang mit der Sexismus-Debatte habe ihm eine Bürgerin geschrieben, sie wisse nicht, wie es in seinem Kulturkreis um der Rolle der Frau bestellt sei, wolle ihm aber nun „die Sichtweise deutscher Frauen“ darlegen. Einen Tag lang war Hahn heftiger Kritik ausgesetzt. „Herr Hahn scheint sie nicht alle beieinander zu haben“, sagte etwa SPD-Chef Sigmar Gabriel. Sein Amts-Kollege von der Linken, Bernd Riexinger, stellte fest: „Hier ist die Grenze zum Rassismus einfach überschritten.“
Dann aber nimmt ihn Philipp Rösler selbst in Schutz. „Jörg-Uwe Hahn ist über jeden Verdacht des Rassismus erhaben“, sagt der Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler. „Mit Jörg-Uwe Hahn verbindet mich seit vielen Jahren nicht nur die politische Arbeit, sondern auch eine persönliche Freundschaft.“ Er verstehe die Aufregung über die vielfach kritisierte Interview-Äußerung nicht. FDP-Bundesvize Birgit Homburger spricht von einem „absurden Theater“. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnt zur Gelassenheit. Sie sehe in den umstrittenen Äußerungen des hessischen FDP-Chefs Jörg-Uwe Hahn keinen Anlass für eine größere Rassismus-Debatte, ließ sie mitteilen. Eben diese Debatte fordert aber nun die Türkische Gemeinde.
Geschrieben für DIE WELT