Deutschland ist die größte Gefahr für die Eurozone
Angela Merkel ist gar nicht so stark wie viele denken. Frankreich steht strukturell immer noch besser da als Deutschland. Seine Wirtschaft ist längst nicht so exportabhängig, die Bevölkerung ist viel jünger, Reformen lassen sich schneller umsetzen.
Die Spannungen zwischen Berlin und Paris werden immer heftiger. Kurz nachdem Ex-Kanzler Schröder den französischen Präsidenten Hollande vor angeblichen Marktrisiken warnte, erklärte die „Bild“-Zeitung Frankreich zum Pleitekandidaten. „Wird Frankreich zum nächsten Griechenland?“, hieß die infame Zeile, die der konservative „Figaro“ willig aufgriff. Dabei liegen die wahren Risiken ganz woanders.
Seit 1994 verfolge ich die deutsch-französischen Beziehungen, zuerst aus Paris, seit 2004 aus Brüssel. Doch so eine einseitige und polemische Kampagne gegen Paris wie jetzt habe ich noch nie erlebt. forderten die französischen Arbeitgeber die neue sozialistische Regierung ultimativ auf, die Sozialbeiträge zu senken – natürlich mit dem obligatorischen Verweis auf Schröders Agenda 2010. Dann meldete sich der Ex-Kanzler selbst zu Wort (charmanterweise aus Berlin) und behauptete, Frankreich sei genauso ein Krisenkandidat wie Italien oder Spanien.
Den Höhepunkt erreichte die Kampagne, als der „Figaro“ titelte „La France de Hollande inquiète l’Allemagne“ – also Hollandes Frankreich beunruhigt Deutschland. Zum Beweis wurde nicht nur die „Bild“-Zeitung zitiert, die man in Paris offenbar als inoffizielles Sprachrohr der schwarzgelben Bundesregierung begreift. Auf zwei Sonderseiten im Wirtschaftsteil wurde auch das „Risiko“ ausgebreitet, das Frankreich angeblich für die Eurozone darstellt.
Als „Beweis“ wurde wie üblich die 35-Stunden-Woche aufgeführt. Zu dumm, dass die Autoren vergaßen, zu erwähnen, dass es beim deutschen Vorzeigekonzern VW die Vier-Tage-Woche, in der exportstarken deutschen Metallbranche die 35-Stunden-Woche und im auch nicht ganz unwichtigen Einzelhandel die 37,5 Stunden-Regel gibt. Kein Wort auch zur massiven Frühverrentung und zur steigenden Altersarmut in Deutschland. Selbstverständlich wurde auch nicht erwähnt, dass es unter Kanzlerin Merkel keine einzige große Strukturreform gab, sieht man einmal von der chaotischen Energiewende ab.
Doch das ist nicht mein Punkt. Mein Punkt ist, dass Frankreich strukturell immer noch besser dasteht als Deutschland. Die französische Wirtschaft ist längst nicht so exportabhängig wie in Deutschland, die Bevölkerung ist viel jünger, und Reformen lassen sich schneller umsetzen als im angeblichen Musterland. Richtig ist zwar, dass Hollande zögert, den von Sarkozy geerbten Reformstau aufzulösen. Richtig ist aber auch, dass das Hauptrisiko für Frankreich derzeit in einem allzu brutalen Sparkurs besteht – genauer: in der überstürzten Einhaltung des Drei-Prozent-Defizit-Ziels, wie sie von Berlin und Brüssel gefordert wird.
Um es ganz klar zu sagen, die größte Gefahr für die Eurozone geht derzeit von der Merkel’schen Austeritätspolitik aus, die die „eiserne Kanzlerin“ allen anderen verordnet, nur nicht ihrem eigenen Land. Denn der Sparkurs würgt die Konjunktur nicht nur im Süden, sondern auch im “Kern”, also in Deutschland, Frankreich und Benelux, ab. Die zweitgrößte Gefahr liegt denn auch darin, dass die Wachstumsschwäche auch Deutschland erfasst. Die neuesten Konjunkturdaten zeigen, dass es mit der deutschen Industrie schon schneller abwärts geht als mit der französischen, sogar eine Rezession wird immer wahrscheinlicher.
Allerdings wäre die Risikoabschätzung unvollständig ohne einen Blick auf die Banken. Und was kommt dabei heraus, nur einen Tag nach der Panikmache in „Bild“ und „Figaro“? Nicht etwa eine französische, sondern die Deutsche Bank schaffte es auf einen „Spitzenplatz“ unter den international gefährlichsten Geldinstituten der Welt, wie die FTD meldet. Und die Bafin fordert sogar 15 deutsche Banken zu Notfallplanungen auf, weil sie systemrelevant seien. Wenn man dann noch bedenkt, dass die deutschen Geldinstitute die größten Risiken in Spanien haben (mehr als die französischen), kann einem Angst und bange werden…
Wann werden wir die Schlagzeile lesen: „Merkels Deutschland beunruhigt die EU“, oder, aktueller noch: „Wird Deutschland das nächste Spanien?“
GEOLITICO-Autor Eric Bonse verfolgt seit 2004 Höhen und Tiefen der Europapolitik aus Brüssel – zunächst für das „Handelsblatt“, dann als freier Journalist. Zuvor war er als Reporter in Paris und lernte die französische Sicht auf Europa und die Welt kennen. Auf seinem Blog „Lost in EUrope“ analysiert er täglich die EU-Politik und die Eurokrise. Weitere Artikel finden sich hier.