Russische Verhältnisse in der FDP
Die aktuelle Mitgliederbefragung in ihrer Geschichte gerät für die FDP zum Desaster. Nicht etwa, weil der Abgeordnete Frank Schäffler mit seinem Antrag gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus vermutlich scheitern wird. Nein. Die Abstimmung selbst offenbarte einen parteipolitischen Abgrund aus Angst, Heimtücke und Niedertracht. Und diese Offenbarung wird der FDP bei den Wählern mehr schaden als alle Peinlichkeiten und Unzulänglichkeiten der Vergangenheit.
Die FDP wird beherrscht von Angst. Ihre Parteispitze fürchtet nichts mehr als den Verlust der Macht und der ihr damit drohenden Bedeutungslosigkeit. Weil dies so ist, zittert sie vor dem Wähler, der die FDP in Umfragen zur Ein-Prozent-Partei degradiert. Und inzwischen ängstigen sich Philipp Rösler und Christian Lindner sogar vor den eigenen Mitgliedern, weil die nämlich für eine andere Politik stimmen könnten.
Eine solche Parteiführung hat keine Heimat mehr, sondern steht überall in Feindesland. Und genau so verhält sie sich auch.
Geradezu panisch reagierte sie auf Schäfflers Ankündigung eines Mitgliederentscheides gegen die Euro-Politik der Regierung. Schließlich war ihr Schäfflers wachsende Popularität nicht entgangen. Sofort sah die FDP-Spitze in ihm den Anführer der Gegner im eigenen Lager, in ihren Augen war er ein Querulant, ein Umstürzler, ein Rebell.
Da das Vertrauen in die eigene Kraft und Bedeutung fehlte, bemühten sie sogar den Ehrenvorsitzenden Hans-Dietrich Genscher gegen Schäffler ins Feld. Gemeinsam formulierten sie einen Gegenantrag. Aber ihre Angst blieb.
Nun verschickten sie die Wahlunterlagen auf eine Weise, die eine geordnete Abstimmung offenbar unmöglich machte, weil der Wahlschein und die erforderliche Versicherung der Parteizugehörigkeit an unterschiedlichen Stellen im Mitgliedermagazin zu suchen waren. Mindestens 3000 Stimmen sollen ungültig sein, weil die Absender den Versicherungsschein übersahen. Viele Mitglieder klagen, sie hätten überhaupt keine Wahlunterlagen bekommen. War all das ein Versehen, oder war es Absicht? Es dürfte schwer fallen, den Verdacht der Heimtücke auszuräumen.
In dieses Bild passt dann auch die Arroganz und Dummheit der Parteispitze, Schäffler bereits vor Ablauf der Abstimmungsfrist als Verlierer auszurufen. Was haben diese Leute nur für ein Demokratieverständnis? Und menschlich schauert’s einen, wenn sie nach bangen Monaten nun in der vermeintlichen Siegerpose kaltschnäuzig den Unterlegenen als „David Cameron der FDP“ diffamieren. Niemanden sollte es wundern, wenn diese FDP den einen oder anderen an die Zustände in Russland erinnert.
Günther Lachmann am 12. Dezember 2011 für Welt Online