Merkels telefonischer Ordnungsruf an eine Orstvereinsvorsitzende

Brigitte Steinles Brief an Angela Merkel

Brigitte Steinles Brief an Angela Merkel

Wenn daheim das Telefon klingelt, ist es meistens die Familie, vielleicht ein Bekannter oder schlimmstenfalls das Callcenter eines kriminellen Glückspielbetreibers. Mit nichts anderem rechnete Brigitte Steinle aus Boris Beckers Heimatort Leimen, als sie jüngst ans Telefon eilte. Doch diesmal meldete sich eine Stimme, die ihr bestens vertraut war, obwohl sie nie zuvor mit ihr gesprochen hatte: Am Telefon war Bundeskanzlerin Angela Merkel! Kein Witz! Genau so war es an einem Freitagnachmittag im Hause Steinle. Und Brigitte Steinle brauchte durchaus einen Moment, bevor sie begriff, wie ihr geschah.

Nun ruft die Bundeskanzlerin nicht mal eben so an und erkundigt sich nach dem Wohl der Bürger. Brigitte Steinle ist erste Vorsitzende des CDU-Stadtverbandes Leimen. Ein Stadtverband ist die unterste Ebene in der Parteihierarchie und in normalen Zeiten Lichtjahre von der Wahrnehmung durch die Parteizentrale in Berlin oder gar das Kanzleramt entfernt.

Doch diese Zeiten sind alles andere als normal, Europa ächzt unter einer historischen Finanzkrise deren Last nun auch die Bundesregierung ins Wanken bringt. Denn sowohl in der FDP als auch in den Unionsparteien schwindet die Zustimmung für die Regierungspolitik zusehends.

Und so ist der Anruf der Kanzlerin im Hause Steinle wohl als  allerhöchster Alarm zu werten.

„Von längerer Zeit schon hatten wir Frau Merkel einen geharnischten Brief geschrieben“, erklärt Brigitte Steinle die Beweggründe Merkels gegenüber „Welt Online“. Darin beklagt

der Stadtverband Leimen der CDU im Rhein-Neckar-Kreis, „nicht nur das äußere Erscheinungsbild im Bund und in den Ländern ist derzeit desaströs, auch im Inneren lässt sich nach unserer Überzeugung keine klare und eindeutige Struktur erkennen, die den bisherigen Werten der CDU entspricht“.

Die Leimener beklagen, dass sich „die CDU in den zurückliegenden Jahren einiger ihrer besten Köpfe entledigt“ habe. Mit der Atompolitik habe sich die CDU „in ungewöhnlicher Hektik in Richtung der Grünen“ bewegt, die neue Bildungspolitik schaffe Freunde in der SPD, und die Steuergeschenke auf Kosten der folgenden Generationen könnten der FDP dienen. „Das ist keine wertkonservative, zielgerichtete Politik der CDU für Deutschland, sondern ein Hasardieren um mögliche Koalitionspartner nach den nächsten Wahlen“, schreiben die Leimener.

Und dann kritisieren sie gar die Ankündigung der Kanzlerin, bei der nächsten Bundestagswahl erneut antreten zu wollen. „Diese Entscheidung sollte man 2013 treffen, nicht aber im Sommer 2011. Auch sollte hier eine Beteiligung der Basis in Erwägung gezogen werden, wie es nun die Baden-Württembergische CDU mit ihrem/ihrer Spitzenkandidaten/in anstrebt“, schreibt die Spitze des Stadtverbandes.

Steinles Brief an Merkel in voller Länge

In vielen Gesprächen der Mitglieder mit Bürgerinnen und Bürgern kristallisiere sich immer wieder heraus, dass die Politik der CDU „weder verlässlich noch kontinuierlich“ wahrgenommen werde. „Der Unmut darüber an der Basis könnte derzeit nicht größer sein“, heißt es in dem Brief. Und zur Griechenlanddebatte schreiben die Kommunalpolitiker, das eigentliche Problem der Basis sei die Einsicht, „dass der Bankensektor in Begleitung der Krisenlösungen der größte Gewinner sein wird“.

Lange Zeit sei dieser Brief ohne jede Reaktion geblieben.  „Bis dann Frau Merkel persönlich anrief“, sagt Steinle. Sie beschreibt das Gespräch als „sachlich“ und „vernünftig“. „Nur waren wir in vielen Dingen eben nicht einer Meinung“, erinnert sich die CDU-Stadtverbandsvorsitzende. Merkel habe immer wieder ihre Positionen zum Euro erklärt, das Hin und Her in der Kernkraft und warum sie die Hauptschule abschaffen will.

„Ich habe der Kanzlerin gesagt, der Bund solle sich aus der Bildung heraushalten. Das ist Sache der Länder. Die Hauptschule ist bei uns in Baden-Württemberg sehr erfolgreich, laut Bildungsmonitor 2011 liegen wir mit an der Spitze der Bundesländer und das soll auch weiterhin so bleiben.“, sagt sie.

Dann habe sie Frau Merkel deutlich gemacht, dass das mit dem „C“ in der Partei schon lange nicht mehr stimme. „Der Cem Özdemir von den Grünen hat mal gesagt, es gäbe keine christlich-abendländische Kultur. Da hätte ein Aufschrei durch die Partei gehen müssen. Aber es kam nichts“, sagt die CDU-Lokalpolitikerin.

Außerdem habe sie die Kanzlerin auf die fehlende Kommunikation in der Partei angesprochen. So etwas, wie die nun geplanten Regionalkonferenzen, habe man in der DDR gemacht, mit Parteikommunikation habe das nichts zu tun. Steinle: „Ich sagte ihr, dass von oben nach unten nicht miteinander geredet wird.“ Auch das sah die CDU-Vorsitzende Merkel anders. „Wir sind irgendwie nicht zueinander gekommen“, resümiert Steinle.

Das scheint auch Merkel so empfunden zu haben. Denn angeblich hat sie zwischenzeitlich weitere Ortsversitzende angerufen.

Günther Lachmann am 16. September 2011 für Welt Online

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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