Schlecker und die Stunde der politischen Heuchler

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Schlecker-Talk bei Maybritt Illner

Sieh an, sieh an. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und sein rheinland-pfälzischer Kollege Kurt Beck (SPD) sind verärgert darüber, dass nun doch keine Transfergesellschaft für die 11.000 Mitarbeiter der von Arbeitslosigkeit bedrohten Mitarbeiter der Drogeriekette „Schlecker“ zustande kommt. Und schuld ist die Ein-Prozent-Partei FDP.

In den vergangenen 20 Jahren haben die Liberalen so manche aberwitzige Entscheidung getroffen. Aber das Votum gegen die Transfergesellschaft gehört nun wirklich nicht dazu. Schlecker ist am Ende. Und nicht die FDP, sondern das Management des Unternehmens hat die Arbeitsplätze der Schlecker-Mitarbeiter vernichtet. Ein Management übrigens, dass laut der vielen in der Vergangenheit veröffentlichten Berichte seinen Mitarbeitern keine allzu große Wertschätzung entgegenbrachte.

Jetzt haben sie die Mitarbeiter gar in existenzielle Not gestürzt. Arbeitslosigkeit ist eine der schwersten Belastungen für einen Menschen. Das Gefühl, plötzlich überflüssig zu sein, nicht mehr gebraucht zu werden, nirgendwo mehr dazuzugehören, lässt die Betroffenen an ihrem Selbstwert zweifeln und führt nicht selten zu schweren psychischen Erkrankungen. Folglich ist es eine der vornehmsten Aufgaben der Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, die Menschen vor der existenziellen Not der Arbeitslosigkeit zu schützen.

Diese Verantwortung beginnt aber nicht erst dann, wenn ein Unternehmen bereits pleite ist oder eine Volkswirtschaft zusammenbricht, sondern dann, wenn Unternehmen und Volkswirtschaften wachsen. In dieser Phase aber setzen die Verantwortlichen meist andere Prioritäten.

Eine Transfergesellschaft für die 11.000 Schlecker-Mitarbeiter ist also alles andere als ein Ausweis verantwortungsvoller Politik. Auch wenn sie den Betroffenen für eine kurze Zeit ein wenig Hoffnung geben mag, eine Lösung ihrer Probleme ist sie nicht.

Warum setzt sich die Politik dann dafür ein? Ganz einfach, weil sie sich selbst einen Gewinn davon verspricht. Sie instrumentalisiert das Leid der Betroffenen für ihre eigenen Zwecke. Politiker wie Seehofer und Beck gaukeln ihnen Mitleid und Hilfsbereitschaft vor mit dem vordergründigen Ziel, auf diese Weise Wählerstimmen zu gewinnen. Warum die Gewerkschaften, die übrigens in vielen Fällen die desaströse Unternehmenspolitik, die zur Arbeitslosigkeit führte, mitgetragen haben, auch das noch mitmachen, bleibt ein Rätsel.

All diese großen „Hilfsaktionen“ sind also letztlich nichts weiter als reiner Populismus. Die Politik geriert sich als Retter von Tausenden Schicksalen. Aber was tut sie, wenn der Mittelständler mit 50, 100 oder 300 Mitarbeitern scheitert und diese Menschen das gleiche Schicksal ereilt wie die Schlecker-Angestellten? Dann geschieht nichts. Ihre soziale Not wird stillschweigend ignoriert. Diese Menschen müssen allein sehen, wie sie zurechtkommen.

Was müssen diese Menschen denken, wenn sie gestern Abend Kurt Beck im Fernsehen sahen, als dieser über das Scheitern der Transfergesellschaft sagte: „Ich war heute so bitter wie schon lange nicht mehr in der Politik.“ Sie werden ihn als das entlarvt haben, was der Politiker Beck wie alle anderen in solchen Fällen ist: ein Heuchler.

Günther Lachmann am 30. März 2012 für Welt Online

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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