Black Box RAF oder letzte Zuckungen eines Zombies

RAF-Logo / Quelle: Wikipedia, public domain, gemeinfrei: https://de.wikipedia.org/wiki/Rote_Armee_Fraktion#/media/Datei:RAF-Logo.svg

26 Jahre nach ihrer offiziellen Auflösung erlebt die RAF ein klägliches Finale. Mit Daniela Klette geht Zielfahndern einer der letzten Terroristen ins Netz.

Im Sommer tummeln sich am Schinkel-Denkmal zur Erinnerung an die napoleonischen Befreiungskriege auf dem Berliner Kreuzberg Capoeira-Tänzer. Zu den rhythmischen Klängen gesellen sich ab und zu Besucher des Nationaldenkmals. So auch gelegentlich der Autor – wegen der schönen Aussicht. Dass eine ältere Frau, die ich dort immer wieder tanzen sah, sich als RAF-Flüchtige Daniela Klette entpuppen sollte, hätte ich mir nicht träumen lassen. Aber wer kannte sie schon?

Perfide Attentate

Michael Buback erwartet für die Hintergründe des Mordes durch die RAF an seinem Vater, Generalbundesanwalt Siegfried Buback, im April 1977 keine Aufklärung. Er sieht in Klette eine Terroristin, die wahrscheinlich nicht zu den Drahtziehern der spektakulären Attentate aus der Hochzeit der RAF gehörte. Der Mord an seinem Vater ist, wie die überwältigende Zahl der Verbrechen der der so genannten Stadt-Guerilla, bis heute nicht aufgeklärt. 34 tödliche Anschläge verübten die Linksterroristen insgesamt, worunter lediglich der Mord an Dresdner Bank-Chef Jürgen Ponto geklärt ist.

Susanne Albrecht besuchte ihren Patenonkel im Frühsommer 1977 in dessen Haus in Oberursel bei Frankfurt zwei Mal kurz hintereinander. Dabei erkundigte sie sich über die Sicherheitsvorkehrungen, wie es später Ignes Ponto dem Staatsschutz schilderte. Sie und ihr Mann hätten sich darüber nicht weiter gewundert. Ponto war nach Buback im Visier der RAF und sollte im Rahmen der Offensive 77 entführt werden.

Als es am 30. Juli an der Tür des Hauses klingelte öffnete Ponto ahnungslos die Tür für seine Patentochter Susanne. Sie kam in Begleitung von Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar, die Ponto nicht kannte. Die vier gingen ins Esszimmer unter dem Vorwand der drei Besucher, dass sie Geld bräuchten. Währenddessen hielt sich Pontos Frau telefonierend im Wohnzimmer auf.

Als Christian Klar Ponto mit gezückter Pistole eröffnete, dass er entführt werden sollte, kam es zu einem Handgemenge. Erst schoss Klar, dann übernahm Mohnhaupt die Sache: Sie feuerte hasserfüllt fünf tödliche Schüsse auf den Hausherrn. Ignes Ponto hörte wie in Schockstarre die Schießerei mit an und blieb durch die rasche Flucht des Terrortrios verschont. Die Morde an Buback, Ponto und nicht zuletzt Hanns Marin Schleyer läuteten den Deutschen Herbst ein, der die Bundesrepublik in eine ihrer schwersten inneren Krisen stürzte.

Eine freundliche Nachbarin

„Ich bin immer noch geschockt, aber auch traurig, dass sie jetzt weg ist“, kommentierte eine Nachbarin die Festnahme Klettes. Die Bewohner des unscheinbaren Mietshauses in der Kreuzberger Sebastianstraße beschreiben die RAF-Frau als freundlich und zurückhaltend. Auch über den mutmaßlichen Lebensgefährten Klettes kam den Nachbarn nur Gutes über die Lippen: „Er war auch immer sehr nett, trägt sein langes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und ist im gleichen Alter wie sie.“

Unscheinbar ist das passende Charakteristikum für Klette, die es in Berlin-Kreuzberg schaffte, dreißig Jahre unerkannt zu leben. Sie hielt sich mit Nachhilfeunterricht und, wie inzwischen spekuliert wird, durch die Rote Hilfe über Wasser. Eine Organisation, die sich um inhaftierte oder im Untergrund lebende Linksterroristen, aus Sicht der Roten Hilfe „Freiheitskämpfer“, kümmert.

Alias Claudia Ivone mit gefälschten italienischen Papieren hat Klette den Staatsschutz Jahrzehnte erfolgreich an der Nase herumgeführt. Sie soll mit zwei weiteren Kumpanen, den noch flüchtigen Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub, zwischen 1999 und 2016 schwere Raubüberfälle in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen begangen haben. Deshalb fahndete das Landeskriminalamt in Hannover federführend nach Klette und ihren Mitverschwörern.

Das Trio brauchte Geld, und zwar nicht mehr für terroristische Aktionen, sondern schlicht und ergreifend zum Lebensunterhalt. Die Frührentnerin Klette ist den Fahndern letztlich in die Falle gegangen durch eine sich über die Jahre eingeschlichene Nachlässigkeit und den Zeitgeist: Social Media. Mit ihrem italienischen Decknamen war sie auf Facebook aktiv und postete vor allem über ihre Leidenschaft Brasilien und den von dort stammenden Kampftanz Capoeira. So banal kann es enden.

Black Box der Republik

Klette selbst steht neben den Raubüberfällen in Verdacht, an dem Schusswaffen-Angriff auf die Bonner US-Botschaft 1991 beteiligt gewesen zu sein. Außerdem steht ihre Beteiligung an dem Sprengstoffanschlag auf die damals neue Justizvollzugsanstalt im hessischen Weiterstadt 1993 im Raum. Neuere Spuren weisen darauf hin, dass sie auch bei dem Desaster im mecklenburgischen Bad Kleinen beteiligt gewesen sein könnte. Bei der Anti-RAF-Aktion 1993 kamen der Polizist Michael Newrzella und der RAF-Mann Wolfgang Grams ums Leben.

Auch hier ist bis heute vieles unklar: Wer schoss zuerst? Grams oder Newrzella oder ein Dritter? Hat der GSG-9-Mann die Kontrolle verloren und Grams regelrecht hingerichtet? Vieles aus der RAF-Zeit ist eine Black Box, die den Regisseur Andreas Veiel zu seiner zurecht preisgekrönten Dokumentation Black Box BRD inspirierte. Ein sehenswerter Film, der spannend und komplex den Kampf der RAF gegen die Spitzen der bundesdeutschen Gesellschaft am Beispiel der Schicksale des Chefs der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, und Wolfgang Grams zeigt.

Neid und Missgunst

Der abgrundtiefe Hass der ersten und zweiten Generation der RAF speiste sich nur vordergründig aus dem Anspruch, die Welt zu verbessern, den Kapitalismus zu besiegen und dem Sozialismus zum Siegeszug zu verhelfen. In Wahrheit waren diese Kinder der NS-Generation neidisch. Neidisch auf ihre erfolgreichen Eltern, die wie Schleyer und Herrhausen durch die Erziehung im Nationalsozialismus tief geprägt waren. Sie wollten tief im Inneren so erfolgreich und angesehen sein wie ihre Eltern.

Diesen Widerspruch ertrugen sie kaum. Es hat sie seelisch zerrissen, den kometenhaften (Wieder-) Aufstieg der in einer Diktatur sozialisierten Elterngeneration mit anzusehen. Den damit einhergegangenen Leistungswillen, der die Bundesrepublik erfolgreich aufbaute, lehnten sie nach außen ab – sie ersehnten ihn innerlich jedoch für sich selbst. In der RAF fand diese neidgequälte Generation ihren explosiven Arm, der die Elterngeneration mit ihren Werten und Symbolen auslöschen wollte.

Hanns Martin Schleyer unternahm seine ersten Karriereschritte in der SS, Alfred Herrhausen war entscheidend geprägt durch die NS-Eliteschmiede Nationalpolitische Bildungsanstalt Sonthofen. In dem Dokudrama „Black Box BRD“ kommt Herrhausens Schwester zu Wort. Völlig ungerührt verteidigt sie das damals vermittelte Streben nach Höherem und das Leistungsdenken, das ihren Bruder stark beeinflusste. Sinngemäß sagt sie, dass eben nur der Tüchtige, der Abgehärtete nach oben kommt und zur Elite gehört.

Viele Fragen und keine Antworten

Für Michael Buback stellen sich nach Klettes Festnahme aufs Neue die entscheidenden Fragen: Wieso haben die Sicherheitsbehörden gegenüber der RAF und ihren Verbrechen so oft versagt? Was ist mit den Verbindungen zwischen RAF und Stasi? Wieso ist von 34 Morden nur jener an Ponto aufgeklärt? Und das lag nicht am Können der Ermittler, sondern an dem Zufall, dass seine Frau den Anschlag überlebte.

Buback stellt fest, dass in dem Verfahren um den Mord an seinem Vater, in dem er als Nebenkläger auftrat, herauskam, dass einer der Tatbeteiligten geheimer Informant des Verfassungsschutzes war. Wer solche Zuträger hat, braucht keine Aufklärung mehr. Sollen die Morde der RAF überhaupt nicht gelöst werden?!

„Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.“ (…) „Heute beenden wir dieses Projekt.“ Die Zeilen und noch weitere acht Seiten treffen am 20. April (!) 1998 bei der Nachrichtenagentur Reuters an. Damit löste sich die dritte Generation die Rote Armee Fraktion auf. Das Papier rechtfertigt weitschweifig „die Konfrontation gegen die Macht“ und zitiert als Höhepunkt Ernst Blochs Mantra aus den Bauernkriegen: „Geschlagen ziehen wir nach Haus, unsere Enkel fechtens besser aus.“ Daniela Klette und der klägliche Rest der RAF als ideologische Großeltern einer neuen, vierten revolutionären Generation?

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1 Monat her

Die Zeit der RAF, der Roten Brigaden, des Vietnamkriegs, des Antiimperialismus in Suedamerika waren gepraegt vom Ostwestkonflikt, formal Kapitalismus gegen Kommunismus. „In Wahrheit waren diese Kinder der NS-Generation neidisch.“ Woher der Autor diese „Wahrheit“ hat muesste er erklaeren, zweifellos eine unzulaessige Vereinfachung.

Die Rolle der geheimen Dienste, Gladio, die selektiven Morde, in Italien Aldo Moro zur Verhinderung des compromesso storico zwischen Kommunisten und democrazia cristiana (+- CDU), im wieder erstarkenden Deutschland von Vertretern der Deutschland AG, die Manipulation der oeffentlichen Meinung durch den „linksradikalen Terror“… Fehlanzeige.

Steffen
Steffen
Reply to  fufu
1 Monat her

Na, in dem Artikel geht es um die RAF und nicht um die italienischen Verhältnisse mit Roten Brigaden, die Geheimlogen P2 oder die NATO Hilfstruppe Gladio. Italien stand in den 70ern auf der Kippe tief rot zu werden, das drohte der Bundesrepublik nicht, schon gar nicht durch die RAF.

fufu
fufu
Reply to  Steffen
1 Monat her

Stimmt, aber lesen und verstehen ist bekanntlich zweierlei. In der BRD ging es darum das aufstrebende und sich verselbststaendigende Deutschland im westlichen Buendnis zu halten. An Herrhausen wurde ein Exempel statuiert, die folgenden Funktionaere und Politiker haben verstanden.

fufu
fufu
Reply to  fufu
1 Monat her

„Stimmt“…mit Einschraenkung habe aber keine Lust ins Detail zu gehen.

Moro wollte keine kommunistische Regierung, er wollte den Kompromiss, den Ausgleich. Herrhausen wollte eine vertraeglichere globale Finanzarchitektur. Wie sagte spaeter Bush… „mit uns oder gegen uns“… capito?

fufu
fufu
Reply to  Steffen
1 Monat her

In Analogie zum Titel Black Box RAF gibt es einen Film Black Box BRD auf den sich der Autor moeglicherweise bezieht. Der Film bemueht sich um eine Psychologisierung der beiden Hauptpersonen, Herrhausen und dem Terroristen Grams, fand breite Zustimmung und traegt, kein Wunder, nichts zu den Hintergruenden bei.

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