König Abdullah II. von Jordanien und der Tanz auf dem Vulkan

BOULEVARD ROYAL

Beduinen in Jordanien / Quelle: Unsplash, lizenzfreie Bilder, open library: Daniele Colucci; https://unsplash.com/de/fotos/MchEBdctI24 Beduinen in Jordanien / Quelle: Unsplash, lizenzfreie Bilder, open library: Daniele Colucci; https://unsplash.com/de/fotos/MchEBdctI24

Wie Jordaniens König Abdullah II. den Nahen Osten stabilisiert und das Wüstenreich mit seinen Stammesstrukturen modernisiert. Eine Mission Impossible?

Peter Scholl-Latour bereiste auch Jordanien und kannte noch Abdullahs Vater, König Hussein. Über ihn ließ der legendäre Reisejournalist nichts kommen. Fest im Bündnis mit dem von den USA angeführten Westen, in Großbritannien militärisch ausgebildet, in Amerikas Universitäten gebildet, gläubig und bescheiden in der Lebensführung. Husseins Tod besorgte die Politiker in Washington, war doch der neue Monarch lange nicht der Thronfolger und die Frage stellte sich: Bleibt er treu an der Seite der USA?

Mehr Schein als Sein?

Abdullah II. steht zuverlässig im westlichen Bündnissystem und hat weder Washington noch die ehemalige Protektoratsmacht in London enttäuscht. Ähnlich wie für die USA war für Scholl-Latour der junge Abdullah ein unbeschriebenes Blatt, der sich zusammen mit seiner palästinensischen Frau Ranja vor allem dem Luxus widmete. In einer Talk-Show charakterisierte er die Königin als verwöhnt und an westlicher Mode und Gadgets interessiert. Dem damals jungen Monarchen prophezeite er eine instabile Herrschaft und sah schwere Zeiten für Jordanien heraufziehen. Wie sieht es fast dreißig Jahre nach der Thronbesteigung Abdullahs aus?

Die anfängliche Skepsis hat sich in Zuversicht gewandelt, und der König hat die westlichen Partner zufriedengestellt. Er hält Jordanien als einziges arabisches Land im Nahen Osten zuverlässig auf Westkurs, muss dafür aber einen hohen Preis zahlen. Im Inneren gibt es unter den Beduinen-Stämmen immer wieder Kritik an der Westbindung und dem zu europäischen Lebensstil der Königsfamilie. Die Beduinen sind das Rückgrat der jordanischen Gesellschaft, und gegen sie zu regieren, käme politischem Suizid gleich. Jordanien hat gemessen an der ethnischen Bevölkerung überproportional viele Migranten.

Angriffe aus dem Inneren

Die größte Gruppe stellen die Palästinenser, die seit den Tagen Husseins im Land Zuflucht finden. Innerhalb ihrer Elite hat Adullah seine Frau ausgewählt, was als kluger Schachzug gewertet werden darf. Allerdings ist im Palast zu Amman der so genannte Schwarze September 1970 nicht vergessen. Die palästinensischen Dauergäste versuchten unter ihrem Anführer Yasir Arafat, den König zu beseitigen und die Kontrolle über das Land zu gewinnen. Für Arafat hätte sich so die Frage nach einem eigenen Staat ideal gelöst. Anders als in Palästina, hätte er auf staatliche Strukturen zugreifen könne und wäre dem Konflikt mit Israel entronnen.

Die Rechnung hatte der Chef der Palästinenser allerdings ohne die Haschemiten und ihre Verbündeten gemacht. König Hussein schlug den Aufstand mit eiserner Faust nieder – zusammen mit seinen treuen Beduinen und natürlich den USA. Arafat und seine Gefolgsleute konnten der Rache des Herrschers durch Flucht ins Ausland nur knapp entkommen. Die Palästinenser in Jordanien haben ich anschließend angepasst und sind weitgehend treu zum Königshaus – vor allem seit der Einheirat Ranjas  ins Herrscherhaus. Ein Mittel der Politik, das bereits Alexander der Große anwandte oder die Habsburger mit ihrem Motto „Tu felix Austria nube“.

Ehen für den Frieden

Im Sommer 2023 schrieben die Haschemiten ein neues Kapitel ihrer Heirats-Politik: Kronprinz Hussein ehelichte in einem mehrtägigen Fest Prinzessin Rajwa aus Saudi-Arabien, die eine entfernte Cousine des starken Manns in Riad ist, Kronprinz Mohammed bin Salman. Hochadel und Politprominenz aus aller Welt gaben sich im Palast zu Amman ein Stelldichein: William und Kate aus England mit allen anderen europäischen Dynastien, sämtliche Vertreter aus den asiatischen Monarchien von Bhutan über Malaysia bis Japan, und last but not least US-First Lady Jill Biden.

Dieser Auflauf an hochkarätigen Gästen hat nicht allein mit dem Prestige der Haschemiten zu tun, die ihre Familie in direkter Linie auf den Propheten Mohammed zurückführen. Es geht um die wichtige geostrategische Lage Jordaniens: im Norden das vom Bürgerkrieg zerrüttete Syrien, im Osten der Irak, der immer mehr unter dem Einfluss Irans steht, im Süden das mächtige Saudi-Arabien und im Westen Israel und die frustrierten Palästinenser.

Jordaniens König muss mit vielen Bällen in der Luft jonglieren und bislang gelingt ihm das. Seine Herausforderungen sind enorm: Unter den 11 Millionen Jordaniern leben gut 1,3 Millionen Flüchtlinge aus Syrien und Irak. Für konservative Kritiker in Amman stellen sie eine Bedrohung der gesellschaftlichen Verhältnisse dar, ähnlich wie einst die Palästinenser im Land.

Die Weltbank stuft rund 35 Prozent der Jordanier als arm ein, unter ihnen insbesondere die jungen, die wie in anderen arabischen Ländern von hoher Arbeits- und Perspektivlosigkeit betroffen sind. Dieser Aspekt war zentral für die Aufstände während des kurzlebigen Arabischen Frühlings 2010/11, der sich über Jahre zuvor anbahnte. Für Abdullah war er mehr als eine Warnung, die er ernst nimmt.

Kritiker am Westkurses verschwinden seither im Gefängnis, da sie als Bedrohung für die Sicherheit des Landes gelten. Abdullah stellt seinen Widersachen die Frage: Wollt ihr Bürgerkrieg und Chaos wie in den Nachbarländern? Noch scheint das die Mehrheit im Land nicht zu wollen, steht der König doch für die Einheit und Stabilität Jordaniens. Und wie sieht der Westen die Verhältnisse im Reich der Haschemiten?

Pleitestaat mit vielen Gönnern

Insbesondere die USA finanzieren den chronisch klammen Staatshaushalt im Bündnis mit dem Internationalen Währungsfonds und den immer selbstbewusster auftretenden Golfstaaten. Anders als seine arabischen Nachbarn verfügt Jordanien nur über wenige Bodenschätze, zu denen hauptsächlich Phosphat, Pottasche und Ölschiefer gehören – allerdings in geringen Mengen. Öl und Gas, nach wie vor die Schmiermittel der Weltwirtschaft, sucht man im Land vergebens.

Die jüngste Hochzeit mit einer saudischen Prinzessin dürfte daher auch nicht allein der Liebe geschuldet sein. Sie soll sich sicherlich für das Herrscherhaus auch politisch und ökonomisch auszahlen. Wie viel davon beim jordanischen Volk ankommt, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Denn die Korruption im Land ist endemisch, die Beduinen stellen die Elite auch in der Verwaltung, die Palästinenser sind zwar einigermaßen ruhiggestellt, aber immer noch marginalisiert und die Modernisierungsmaßnahmen des Königs bleiben oft genug im Bestechungsgestrüpp stecken.

Auch muss Modernisierung in einem islamischen Land nicht zwingend von der Mehrheit der Menschen unterstützt werden, zumal, wenn sie allzu offen pro Westen, also USA daherkommt. Ein berühmter Amtskollege Abullahs, der letzte Schah, konnte davon ein Liedchen singen. Sowohl Amerika wie auch die EU wollen, dass in Amman alles so bleibt, wie es ist. Dafür sehen sie geflissentlich über Korruption, das Schein-Parlament oder die politischen Gefangenen hinweg. Der letzte zuverlässige und politisch-ökonomisch abhängige arabische Staat ist wichtiger für das geostrategische Gefüge im Orient als demokratische Experimente oder eine feministische Außenpolitik.

Die Geschichten wiederholen sich

Apropos politische Gefangene: Selbst ein aufmüpfiger Halbbruder des Königs, der einen Putsch geplant haben soll, schmort im Hausarrest. Immerhin hat er es im Palast komfortabler als die gewöhnlichen Häftlinge in den unwirtlichen Knästen.

Die Familiengeschichten wiederholen sich: Kronprinz Hussein erhielt eine standesgemäße Ausbildung im Westen, wie seine Vorgänger: Militärakademie in Sandhurst, sowie Universitäten in den USA. Kann der Spagat zwischen haschemitischen Traditionen der arabischen Welt und dem Westen dauerhaft gelingen?

Abdullah schafft weiter Fakten! Mit den USA gibt es ein erfolgversprechendes Joint Venture: das „King Abdullah II Special Operations Training Centre“ (KASOTC), das Armee- und Polizeieinheiten weltweit zu Elite-Kämpfern gegen den internationalen Terrorismus ausbildet.

Der haschemitische Thron ist sicherlich durch die Verbindung zum Propheten Mohammed einer der angesehensten in der islamischen Welt. Aber auch einer der fragilsten. Fällt Abullah II. oder seine Nachfolger durch innere Unruhen oder Angriffe seiner arabischen Nachbarn, wären die Folgen dramatisch – und nicht allein für den Nahen und Mittleren Osten. Neue, unerwünschte Migration kämen auf Europa zu, und es entstünde ein Machtvakuum, das Mächte wie Iran, Russland und China für sich ausnutzen dürften.

In dem Film-Epos „Lawrence von Arabien“ ruft der englische Anführer seinen arabischen Kämpfern zu: „Auf, nach Akaba!“ Und seine Gefährten skandieren: „Akaba, Akaba, Akaba!“ Diese südlichste jordanische Stadt, ist damals wie heute ein Fixpunkt der Machtverhältnisse. Einziger Zugang des Landes zum Meer und Grenzgebiet zu den mächtigen Nachbarn Ägypten, Saudi-Arabien und Israel. Also doch eine Mission Impossible?! 

Unser Newsletter – Ihr Beitrag zur politischen Kultur!

×