Aiwanger, Zverev und der ewige Hitler

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Wer den morastigen Boden der NS-Zeit betritt, der versinkt darin üblicherweise. Hubert Aiwanger und Alexander Zverev zeigen, dass es auch anders geht.

Als Student führte ich Touristen durch Berlin, die überwiegend aus englischsprachigen Ländern kamen. Der Chef des Unternehmens war Australier und liebte alles, was mit (deutscher) Geschichte zu tun hatte. Wie viele seiner Landsleute hatte er, wenn überhaupt, nur äußerst oberflächliches Wissen.

Das war genauso bei den vielen Amerikanern, die ich durch Berlin führte. Aber es einte sie alle eine Leidenschaft: Hitler und die NS-Zeit. Keine Frage konnte abstrus genug sein: „Is it true, that Hilter had only one ball?!“ Oder „Where is the Reichskanzlei?“ Egal, ob es um die Hoden des „Führers“ ging oder seine Residenz – Hitler verkaufte und verkauft sich bis heute touristisch blendend.

Aiwangers Werk und Söders Beitrag

Hubert Aiwanger hat, soweit bekannt und von der Süddeutschen Zeitung investigativ noch nicht ermittelt, keine Stadtführungen oder besser Dorfführungen für Hitler-faszinierten Touristen gegeben. Er hat sich entschuldigt. Entschuldigt für ein geschmackloses Pamphlet, das vor gut 35 Jahren in seiner Schultasche gefunden wurde und das die Opfer des Holocaust verhöhnt. Sein Bruder Helmut soll der Verfasser sein und „Hubsi“ Aiwanger habe sogar deeskalieren wollen mit den eingesammelten Flugblättern in seinem Ranzen.

Die Republik war außer sich, das mediale Establishment schäumte, und die Rücktrittsforderungen seitens Ampel-Politikern ließen die bayerischen Bierzelte erschüttern. Und was machte Aiwanger? Er ging in die Offensive. Ja, schlimm sei so ein Schmierzettel, sagte er. Aber was daraus gemacht werde, sei eine mediale Vernichtungskampagne gegen ihn und seine erfolgreichen Freien Wähler.

Sein Chef, alias Markus Söder, zeigte ein schwer betroffenes Gesicht, fast schon gramzerfurcht. Pflichtschuldig verurteilte der wahlkämpfende bayerische Ministerpräsident das Machwerk und erwartete von seinem Vize klare Antworten auf die brennenden Fragen: Was, wann, wer und wo?

„Hubsis“ Erinnerungslücken

„Hubsi“ hatte aber nicht zu allem mehr eine klare Erinnerung. Wer weiß schon genau, was er wann, wo, wie und mit wem vor 35 Jahren gemacht hat? Söder wahrscheinlich auch nicht, aber er hat sich auch nicht des Verdachts des Antisemitismus ausgesetzt. Dieser wird in Deutschland zu Recht mit schärfster Ächtung bestraft, und öffentlich Buße ist das mindeste, was die Öffentlichkeit vom Delinquenten erwarten darf.

Aiwanger tat wie geheißen, und Söder begnadigte ihn mit staatstragender Mine bei einer Pressekonferenz. Aiwanger bleibt im Amt, die Bayern-Koalition mit den Freien Wählern wird nach der Wahl am 8. Oktober auf alle Fälle fortgesetzt, und die Grünen bleiben draußen. Da schäumten nicht allein die bayerischen, sondern auch die Ampel-Grünen: unerhört vom Söder, Skandal, die Demokratie ist in Gefahr!

Das sehen viele Bayern anders. Sie sind nach wie vor zufrieden mit der Koalition aus CSU und Freien Wählern, und sehr wahrscheinlich heißen der Regierungschef und sein Vize auch nach dem 8. Oktober Markus Söder und Hubert Aiwanger. Für letzteren entpuppt sich die Pamphlet-Affäre gar als Geschenk. Seine Beliebtheitswerte steigen und die Umfragewerte für seine Freien Wähler ebenso. Was ist passiert?

Der Bürger sieht nichts

An sich gar nicht so viel. Die Bürger haben einfach keine Lust auf Nebenschauplätze, die mit ihrem Leben wenig bis gar nichts zu tun haben. Sie wollen wissen, was Aiwanger und Söder für sie konkret zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse beitragen wollen. Und wie schon der bayerische Schwabe Bertolt Brecht so passend meinte: Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

In den bayerischen Bierzelten, wo derzeit der Wahlkampf wogt, wird viel gegessen und noch mehr, pardon, gesoffen. Aiwanger ist unbestritten Bierzelt-König, eine Position, die zuvor lange verwaist war und die zuletzt die CSU-Ikone Franz Josef Strauß innehatte. Zwar kann Aiwanger intellektuell nicht mit dem begnadeten Rhetor Strauß mithalten. Aber der Chef der Freien Wähler kann wie Strauß erfolgreich die populistische Klaviatur spielen.

Söders Vize ist nach seinem Mea-Culpa rasch und beherzt auf Angriff übergegangen. Schaut, ich habe mich doch entschuldigt, aber jetzt muss es auch mal reichen. Es ist Wahlkampf. Es geht um Bayern!

Die Medien indes unterstellen dem Vize-Ministerpräsidenten Trumpsche Methoden – Angriff, Attacke, Alarm! Söder muss ihn gleichwohl gewähren lassen. Denn Aiwanger und die Freien Wähler sind einfach viel zu kuschelig für die CSU, als dass Söder sie als Koalitionspartner fallen lassen könnte. Eine Verbindung mit der hyperaktiven und in Baden geborenen grünen Spitzenkandidatin Katharina Schulze ist für jedenfalls undenkbar! Davor graust’s ihn, und Strauß rotierte wohl in der Gruft, wenn es so käme.

Tennis-Stars und Hitler-Hymnen

Übrigens hat der jüdische Historiker Michael Wolffsohn seine ganz eigene Sicht auf den Fall Aiwanger. Seiner Ansicht nach war da nichts. Er spricht von Verdachtsjournalismus und von dem Rechtsgrundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“. Das Establishment runzelt die Stirn ob dieser Haltung und ballt die Faust in der Hosentasche.

Wie gut, dass es den deutschen Tennis-Star Alexander Zverev gibt. Im Viertelfinale der US Open soll ein begeisterter Zuschauer dem auf dem Platz schwitzenden und mit letzter Kraft kämpfenden Deutschen zugerufen haben: „Deutschland, Deutschland über alles!“ Zverev eilte zum Schiedsrichter und beschwerte sich über den Fan, der die erste Strophe des Deutschlandliedes anstimmte. Die „Hitler-Hymne“ sei verboten.

Sportler rutschen doch öfter aus, wenn sie sich auf das glatte Parkett der historischen Vergleiche begeben. Weder handelt es bei der ersten Strophe des Deutschlandlieds um eine „Hitler-Hymne“, wie Zverev meinte. Noch ist sie verboten. Sie wird, wie die zweite Strophe, in der Frauen, Wein und Geselligkeit besungen werden, als Nationalhymne nicht gesungen. Wenn es überhaupt eine „Hitler-Hymne“ gab, dann war es das Horst Wessel-Lied.

Dennoch traf Zverevs Beschwerde beim Schiedsrichter auf viel medialen Beifall. Und nun gehört auch er zu den Verteidigern der Demokratie. Sportlich hat es ihn leider hat es ihn nicht bis ins Finale getragen.

Hitler für immer

Aber zurück zu den Touristen: In Berchtesgaden bestaunen alljährlich Tausende die Übeerbleibsel von Hitlers Refugium bestehend aus den wenigen Resten des Berghofs und des intakten Kehlsteinhauses. Nach Kriegsende hatte die US-Armee das idyllische Gelände für sich in Anspruch genommen und dort ein Kurhotel für ihre Soldaten errichtet. Bis heute ist die Faszination für den NS-Schrecken ungebrochen, ob für Amerikaner oder den Rest der Welt.

Der Freistaat Bayern verfügt über den Hitlerschen Nachlass, da seine letzte offizielle Meldeadresse München war. Und der Freistaat verdient gut daran. Denn Hitler sells! Übrigens fragte mich einmal eine neuseeländische Touristin: „Where is the Nazi Museum and why don’t you rebuild the Reichskanzlei?!“

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Nathan
Nathan
7 Monate her

Der größte neuzeitliche Imperator, der ganz Europa, bis nach Moskau, aus rein imperialistischen Gründen zur Ehre Frankreichs mit Krieg überzog, mit unzählbar vielen Toten, der niemals vom eigenen Land hingerichtet wurde, war Napoleon! Sogar bis nach Ägypten, wo er der Sphinx die Nase abschoß sowie einen Obelisk raubte (steht heute in Paris). Dieser Massenmörder wird heute in Frankreich verehrt, es gibt unzählige Denkmäler und Museen. Die Franzosen haben eben Nationalstolz, der über alles geht. Wann machen wir das nach, mit dem Selbstbewußtsein und den Museen, die eine neuseeländische Touristin sich ansehen wollte? Da die umerzogenen, furchtzerfressenen, untertänigen Deutschen sich das… Read more »

fufu
fufu
Reply to  Nathan
7 Monate her

„Nationalstolz“ … fuer Doofe, im Zweifelsfall um die Unterschicht bei der Stange zu halten oder im Krieg zu verheizen. In Frankreich nicht anders, die obere Mittelschicht ist laengst vor strangulierenden Steuern und Kriminalitaet geflohen, die riesige Masse der Einwanderer aus den Kolonien durchgaengig mit Doppelpass oder naturalisiert. Die „grand nation“ ist am Ende, kein Vorbild und Adolf-Statuen brauchen wir auch nicht.

Nathan
Nathan
Reply to  fufu
7 Monate her

In Italien gibt es bei den „Fratelli“ keine Mussolini Verehrung? Und daraus ergibt sich die aktuelle antirussische Haltung, aber als falsche Fortsetzung der antikommunistischen(?) Tradition, um die es heute ja gar nicht mehr geht. Und wie sieht es dort mit dem Nationalismus aus? Der neuen selbstbewußten Nationalhymne „L’Italiano“: Un italiano vero?

fufu
fufu
Reply to  Nathan
7 Monate her

Sie sollten Nationalismus nicht nach dem Fussball, und Politiker nach ihrem Handeln beurteilen. Wenn sich einige wenige der „Fratelli“ eine Mussolini-Bueste auf den Schreibtisch stellen so zielt dies auf ein gewisses Waehlerpotential, genauso wie die Wahlpropaganda der Fratelli mit Seeblockade gegen die Migration und Souveraenitaet gegenueber der EU. In der Realitaet wurde die Melone von den Industriellenverbaenden an die Macht gebeamt (in diesem Zusammenhang steht sie allerdings tatsaechlich in faschistischer Tradition) und fuehrt streng nach Buch die Politik des Jesuitenschuelers Draghi fort obwohl sie eigentlich in Opposition zu Draghi gewaehlt wurde. Zuwanderung ist jetzt auch gut wegen der Geburtenschwaeche Italiens,… Read more »

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