Papst Franziskus – zehn Jahre König der Könige

BOULEVARD ROYAL

Papst Franziskus / Quelle: Pixabay, lizenzfreie bilder, open library: Annett_Klinger; https://pixabay.com/de/photos/papst-rom-vatikan-italien-5678520/ Papst Franziskus / Quelle: Pixabay, lizenzfreie bilder, open library: Annett_Klinger; https://pixabay.com/de/photos/papst-rom-vatikan-italien-5678520/

Papst Franziskus wurde als erster Außereuropäer als Reformer ersehnt und als Seelsorger für Flüchtlinge aktiv. Wie sieht nach zehn Jahren seine Bilanz aus?

Jetzt ist Schluss mit dem Karneval, so oder so ähnlich soll Jorge Mario Bergoglio reagiert haben, als ihm der päpstliche Zeremonienmeister Guido Marini in der „Kammer der Tränen“ die traditionellen Accessoires wie die rote Monzetta zur weißen Soutane reichen wollte. Auch die ikonischen roten Lederslipper italienischer Edelmarken verschmähte er.

Seine Wahl war kein Zufall – bereits beim Konklave von 2005, aus dem Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. wieder herauskam, lag er auf Platz zwei. Diesmal hatte sich also das liberale gegen das konservative Lager durchgesetzt. Doch ist es wirklich so einfach?

Im Clinch mit dem Zeitgeist

Der Argentinier setzte gleich zu Beginn seines Pontifikats am 13. März 2013 Zeichen: Franziskus als Herrschaftsname, dem er sein Programm für die Armen da zu sein zugrunde legte sowie die Zurückweisung des für ihn eitlen Tands, den seine Vorgänger noch schätzten. Zeremonienchef Marini soll konsterniert gewesen sein und in den kommenden Jahren fühlten sich nicht wenige innerhalb des Vatikans und unter den Gläubigen vor den Kopf gestoßen. Franziskus der Bulldozer?

Die Heilige Römische Kirche hat ihr langes Dasein neben der Spiritualität, dem Pakt mit den irdischen Mächten zu einem Gutteil ihrer Schauseite zu verdanken. Die Prachtentfaltung der katholischen Kirche und des Vatikans sind ein Überbleibsel des spätantiken römischen, später byzantinischen Hofzeremoniells. In der katholischen Welt spielen Traditionen eine zentrale Rolle, sind sie doch Richtschnur über die Zeitläufte mit all ihren Moden hinweg.

Bilderstürmerei hat die Römische Kirche über 2000 Jahre vereiteln können und Abspaltungen wie der Protestantismus gut verkraftet. Das gelang ihr vor allem dadurch, dass sie überwiegend resistent gegen den Zeitgeist blieb. In der Person Franziskus‘ erkennen seine nach zehn Jahren Amtszeit zahlreichen Kritiker kein Bollwerk gegen die Zumutungen des Zeitgeists – im Gegenteil: Er ist der Türöffner! Wer ist dieser Franziskus, wo kommt er her?

Der schlaue Junge aus Buenos Aires

Jorge Mario Bergoglio ist Argentinier und Jesuit. Argentinier zu sein, gilt als etwas Besonderes in Lateinamerika. Es ist ein Land, das sich stark zu seinen europäischen Wurzeln bekennt. Bergoglio gehört als Spross einer italienischen Einwandererfamilie zu der neben den spanischstämmigen Gauchos prägenden Ethnie. Viele Argentinier sehen sich weniger als Südamerikaner, als Latinos – sie sehen sich als eine europäische Variante in Lateinamerika, die sich kulturell und sozial von Nachbarn wie Brasilien abhebt. Eine gewisse Überheblichkeit wird den Argentiniern gegenüber den übrigen Staaten auf dem Subkontinent nachgesagt.

Bergoglio hat als Jesuit eine weitere prägende Sozialisation durchlaufen, in der sich Spiritualität und Weltläufigkeit verbinden. Priester anderer Orden unterstellen Jesuiten gerne eine gewisse Überheblichkeit, denn sie haben in der Kirche den Ruf, die schlauen Jungs zu sein.

Überheblich, schlau – wieviel steckt davon in Franziskus? Er hat sich in seiner Zeit als oberster Jesuit während der Militärdiktatur in Argentinien durchlaviert. Darauf angesprochen und kritisiert als zu milde gegenüber der Junta reagiert er oft unwirsch. Er habe nun mal unter diesen schwierigen Bedingungen das Beste daraus machen wollen – für seine gefangenen Ordensbrüder und die jesuitische Gemeinschaft.

Mit seinem Aufstieg zum Papst bricht sein sanguinisches Temperament immer wieder durch: cholerisch, gar zornig soll er sein. Insbesondere gegenüber den Kardinälen der Kurie, die seiner Meinung nach viel zu sehr im römischen Luxus lebten und zu wenig bei den Gläubigen. Franziskus‘ Programm hat oder besser hatte zwei Kapitel: eine Reform der gescholtenen Kurie und eine Kirche der Armen. Aber gegen die Kurie zu arbeiten, das ist so gut wie unmöglich. Auch sein Vorgänger Benedikt XVI. musste das erfahren.

Kampf gegen Windmühlen

Böse Zungen in der Ewigen Stadt behaupten, dass es der Kurie einerlei sei, wer unter ihr Papst ist. Mit seinen Bemühungen, die Verwaltung zu reformieren, gilt er Vatikan-Experten als gescheitert. Zu viel Beharrungsvermögen und konservative Traditionen haben Franziskus‘ Aktivitäten an die römischen Marmorwände geklatscht.

Unterstützer des Papstes hoffen, dass mit dem Tod Benedikts Franziskus weniger gehemmt ist und er sich doch noch gegen den traditionalistischen Benedikt-Club durchzusetzen vermag. Aber vielleicht haben die liberalen Reformer vor allem in Deutschland von Anfang an zu viele Erwartungen in den Mann aus Buenos Aires gesetzt.

Bilderstürmerei liegt der Römischen Kirche nicht und Franziskus weiß, dass er alle Strömungen der Weltkirche berücksichtigen muss. Wenn nicht, dürfte eine weitere Spaltung der Kirche drohen. Und er möchte bestimmt nicht als „Pontiwegx Maximus“ in die Kirchengeschichte eingehen. Franziskus soll über den Reformdrang der deutschen Katholiken sinngemäß gesagt haben: Sie diskutieren in ihren Gremien und schreiben dann eine Broschüre. Martin Luther lässt grüßen mit dem Unterschied, dass er seine „Broschüre“ nicht nach Rom geschickt, sondern gleich in Wittenberg ans Kirchenportal genagelt hat.

Mit seinem Programm, eine Kirche der Armut zu schaffen, getreu seinem Vorbild des Heiligen Franziskus, kommt er besser voran. Er stellt die Marginalisierten in den Fokus seiner Predigten, reist zu entlegenen Weltgegenden, ernennt Kardinäle von den Rändern, die von seinen Vorgängern weitgehend ignoriert wurden.

Eines seiner zentralen Themen ist die Migration, die er als Menschenrecht sieht. Er geißelt mit Worten bei seinen Auftritten Staaten und Regierungen, die restriktiv gegenüber Flüchtlingen vorgehen. Franziskus sieht theologisch eine Kernaussage der christlichen Botschaft, die Nächstenliebe, bedroht und schärft vom Kardinal bis zum Gemeindepriester es allen stets ein: Geht dahin, wo die einfachen Menschen sind, wo es auch mal stinkt.

Weichensteller für den Nachfolger

Mit dem Pomp des Vatikans als Zentrum der Weltkirche und Monarchie, in der er absoluter Herrscher ist, kann Franziskus wenig anfangen. Als „König der Könige“ wie seine Vorgänger über Jahrhunderte sieht er sich nicht. Dieser Titel gebührt für ihn ausschließlich Jesus.

Franziskus lebt bescheiden im Gästehaus Santa Martha in einem Zwei-Zimmer-Apartment mit kleinem Bad. Ohne Küche. Die ist sozusagen extra, also eine Kantine. Dort setzt er sich beim Essen zu Pilgern, Priestern auf der Durchreise oder weltlichen Angestellten des Vatikans. Anders als frühere Päpste lässt er sich nicht im Mercedes chauffieren, sondern in einem weißen Fiat 500 und sitzt neben dem Fahrer. Seine Kritiker sagen, dass er immer noch der normale Seelsorger sein wolle und durch seine Aktivitäten für Soziales und Migranten mehr wie der Chef einer NGO wirke, denn als Heiliger Vater.

Er ist ein widerwilliger Monarch, der er nach der ungeschriebenen Verfassung des Vatikans zwangsläufig ist. Er will anscheinend tatsächlich der demütige Diener Gottes sein – in der Politik würde man sagen: nah bei den Menschen.

Franziskus ist 86 Jahre, immer mehr kränkelnd, oft sitzt er im Rollstuhl. Dem Jubiläum zum 10. Jahrestag seiner Wahl als oberster Brückenbauer der Kirche dürfte kein zweites folgen. Er hat inzwischen so viele wahlberechtigte neue Kardinäle aus Asien und Afrika ernannt, dass der nächste Papst erneut kein Europäer sein dürfte.

Überhaupt Europa und die Kirche – ein unaufhaltsamer Niedergang? Beim Empfang der Botschaft des Heiligen Stuhls in Berlin zum Jubiläum beschäftigte diese Frage die Gäste. Eine Lösung für das Problem hatte niemand. Vielleicht einfach so, wie der Papst es versucht: Zu den Menschen gehen, auch wenn es manchmal stinkt.

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