Charles III. – der letzte König?

BOULEVARD ROYAL

Charles III. / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: 12019;https://pixabay.com/de/photos/prinz-von-wales-charles-80861/ Charles III. / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: 12019;https://pixabay.com/de/photos/prinz-von-wales-charles-80861/

König Charles III. wird seinen eigenen Weg gehen. Er ist näher am Volk als seine Mutter Queen Elizabeth II., ist dem Zeitgeist zugewandt und unkonventionell.

Nun ist London Bridge unwiderruflich down. Der Codename für den Tod Elizabeth II. entfaltet seit dem Ableben der Queen seine volle protokollarische Pracht und erlebt am Montag, den 19. September 2022, mit ihrem Staatsbegräbnis seinen Höhepunkt. Zehntausende Royalisten, Verehrer, Schaulustige, temporär royal Interessierte, Spontane und Touristen stehen seit Tagen stundenlang in langen Schlangen an, um einen letzten kurzen Blick auf den Sarg der Monarchin in der Westminster Hall im Herzen Londons erhaschen zu können.

Die Behörden haben inzwischen dazu aufgerufen, sich nicht mehr in die Reihen der Trauernden einzureihen, da die Wartezeit bis zum Aufbahrungsort acht Stunden beträgt. Was für ein grandioser Abschied, den so nur eine große Monarchie entfalten kann! Keine Republik, und vor allem vom Zuschnitt der Bundesrepublik mit Staatsoberhäuptern wie Frank-Walter Steinmeier ist dazu nur ansatzweise in der Lage. Welten, nein Äonen liegen dazwischen. Und unter allen noch existenten Monarchien vermögen in erster Linie die Windsors ein solch ritualgesättigtes Pomp and Circumstances zu entfalten. Glückliches Britannien!

Königsnamen schreiben Geschichten

Charles Philip Arthur George hat sich also für den Königsmanen Charles entschieden. Er hätte auch einen seiner anderen drei Vornamen wählen können, unter denen der mythologisch aufgeladene Arthur hervorsticht. Warum nicht King Arthur? Nicht nur Fans der Artus-Sage und von Fantasy-Abenteuern à la Game of Thrones hätten ihre helle Freude gehabt. Es wäre eine extravagante Wahl gewesen, die dem nicht minder extravaganten Charles gut zu Gesicht gestanden hätte.

Philip, benannt nach seinem Vater, wäre als Königsname ziemlich unenglisch und wirkt auf der Insel für royale Verhältnisse exotisch. Nur einmal und dann auch nur kurz gab es einen Titularkönig Philip von England, den Gatten von Queen Mary, der ältesten Tochter und Nachfolgerin Heinrichs VIII. Dieser Philip war als Felipe II. im Hauptberuf König von Spanien und einer der damals mächtigsten Herrscher der bekannten Welt. Seiner strategischen Ehe mit der erzkatholischen Bloody Mary war kein Glück vergönnt und endete mit dem vorzeitigen Tod der Queen.

Zu guter Letzt George: Ein Name wie Donnerhall unter den Königsnamen der britischen Geschichte der letzten gut dreihundert Jahre. Er ist der Königsname überhaupt, seit der erste George noch als Georg von Hannover es über einen Treppenwitz der britischen Erbfolgeregelung (bloß keine Katholiken!) über mehrere verwinkelte dynastische Ecken auf den britischen Thron schaffte.

Sechs Georges an der Zahl gab es bisher, und der letzte Namensträger war der Vater Elizabeth II., George VI. Jener hieß vor seiner Thronbesteigung Albert nach dem Albert schlechthin, dem deutschen Prince Consort Queen Victorias. Warum also nicht die vermeintliche Erfolgsnummer George? Wahrscheinlich ist die Erklärung recht einfach: Seit 73 Jahren kennen die Briten und die Welt ihn als Charles. Niemals hat ein englischer respektive britischer Thronfolger so lange auf die Krone gewartet wie er. Ein anderer Königsname wäre wohl nach so vielen Jahrzehnten der Gewöhnung als befremdlich empfunden worden. Aber trotzdem Charles?? Why, wieso, weshalb?!

Blutgetränkte und liederliche Könige Charles

Grau und kalt soll der 31. Januar 1649 gewesen sein, als der Delinquent zum Schafott geführt wurde. Es war nicht irgendein Verbrecher, der dem Scharfrichter übergeben wurde. Es war der entmachtete König Charles I. von England, Schottland und Irland. Der Stuart soll sein Ende mit Fassung getragen und würdig sein Haupt gelassen haben. Noblesse oblige! Bis zum Schluss königlich – nur Bürgerliche winseln um Gnade.

Der vorausgegangene Bürgerkrieg, die schlagkräftige New Model Army, die in den 1980ern als Namensgeber für eine weltweit erfolgreiche britische Indie-Band zu erneuten unverhofften Ehren kam, und last but not least die unselige kurzlebige Republik unter Oliver Cromwell, er möge in der Hölle schmoren, sind eine andere Geschichte.

Charles II., ältester überlebender Sohn des ersten Charles, war nach der Wiederherstellung der Monarchie ein Kind seiner Zeit: barock-luxurierend, ein Schwerenöter wie er im Buche stand, dessen Weg unzählige uneheliche Kinder und gebrochene Frauenherzen regelrecht pflasterten. Dazu zeigte er wenig Interesse am politischen Tagesgeschäft, was ihm sehr, sehr wahrscheinlich Krone und Kopf retteten. Zumindest legte er dankenswerterweise den Grundstein für die königliche Gemäldesammlung. Long time ago.

Auf zu neuen Ufern mit Charles III.

Und nun also Charles III., König des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und seiner anderen Reiche, Verteidiger des Glaubens sowie Oberhaupt des Commonwealth of Nations. Dieser ältere Herr hat nun seine Bestimmung angetreten und ging in den ersten Tagen seit seiner Übernahme der Königswürde bereits immer wieder auf Tuchfühlung mit seinen Untertanen – ups pardon – mit seinen Bürgern. Als er mit seiner Frau und Queen Consort Camilla am Tag Eins seiner Amtszeit aus Balmoral kommend in London vor dem Buckingham Palast sich der versammelten Trauergemeinde zuwandte, unzählige Hände schüttelte, ein Küsschen erhielt, da war bereits deutlich – Charles geht seinen eigenen Weg, näher am Volk, zugewandt und unkonventionell. Das war der frühere Prince of Wales allerdings nicht immer.

Exzentriker, Öko, Sozialarbeiter

In seiner Kindheit und Jugend galt der neue König als schüchtern und unbeholfen. In der Umgebung seiner Eltern hieß es, Charles denke zu viel, er sei grüblerisch. Dagegen sollte eine robuste Erziehung helfen, die seine Eltern mangels Zeit nicht aufbringen konnten. Gefühlsleben war in der Royal Family zu der Zeit noch nicht en vogue, das ist ein Privileg der neuen Generation um William und Harry.

Charles fand die Zeit im schottischen Internat Gourdonstoun wenig erquicklich, da seine sensible Natur ziemlich malträtiert wurde. Gemeinschaft, Wettbewerb, Kampfgeist und Naturerfahrungen waren elementar bei der Ausbildung, die bereist sein Vater Prinz Philip begeistert durchlaufen hatte. Wie der Vater, so der Sohn? Nicht in diesem Fall. Seine musische Seite entwickelte der Thronfolger dann im Laufe der Jahre doch noch, was Fotos und Filme beweisen, wo er als Zeichner, Maler und Musiker zu sehen ist.

Als Schüler blühte er in Theaterinszenierungen auf, wo er im komischen Fach glänzen durfte: als tölpelhafter Sportreporter oder Wettermoderator, der seinen Text vergisst. Später hat er diese Rolle nochmals für die BBC gespielt. Ein ehemaliger Pressesprecher der Queen meinte dazu, dass Charles ein Mann mit viel Humor und Witz sei. Er wird diese Talente in seinem neuen Amt gut gebrauchen können. Die Royal Family ist neben ihren Aufgaben als Repräsentantin des Staates auch eine Art bunte Theatertruppe, die auf den Bühnen des Landes und der Welt auftritt. Jedem ist eine eigene Rolle zugedacht, die sich idealerweise zum Charakterfach entwickelt.

Mehr als Vorreiter des Zeitgeists

Ein Charakterkopf ist Charles III. zweifellos. Durch seine privilegierte Stellung hat er so ziemlich alles durchlaufen, was das Leben hergibt: Akademische Weihen in Archäologie, praktische Staatskunst durch seine Mutter und Regierungsberater, hoch zur See als Marineoffizier, Kampfpilot der Royal Airforce, begeisterter Weidmann, Künstler, Architekturkritiker, Dandy und nicht zuletzt der bestangezogene Mann in seinem Reich.

Selbst als oberster Sozialarbeiter des Landes hat er sich hervorgetan durch die Gründung des Princes Trust, der seit Jahrzehnten jungen Menschen aus prekären Verhältnissen hilft einen Schulabschluss zu machen und einen Beruf zu erlernen. Selbst hartnäckigsten Kritikern des Königshauses nötigt dieses Engagement Respekt ab, da diese Organisation sehr erfolgreich arbeitet.

Charles ist auch überzeugter Grüner und hat bereits in den 1970er-Jahren auf Umweltverschmutzung und Klimawandel eindringlich hingewiesen. Er war hier seiner Zeit voraus. Damals wurde er für sein Engagement noch belächelt, heute wird er dafür hoch gelobt.

Für seine Schrullen und Spleens, die über Charles kolportiert werden, sollten die Briten dankbar sein, einerlei ob wahr oder gut erfunden. Sei es der Lakai, der eigens für das Aufdrücken der Zahnpasta zuständig sein soll oder die maßgefertigte Klobrille, die Charles angeblich auf seinen Reisen begleitet. Nicht zuletzt der schreckliche Beuteltee (disgusting!), der strengstens bei Hofe verboten ist, was auch jedem Bürgerlichen ein Vorbild sein sollte. Geschichten wie diese gibt es viele, und sie prägten Charles‘ Image mit. Wenn schon eine Monarchie, dann bitte richtig: Pomp, Glanz und Luxus gehören einfach dazu. Wer will schon eine republikanisierte Version?! No, thank you!

Ein Pakt für die Zukunft

Gleichwohl ist auch die britische Monarchie längst ein schwieriger Spagat zwischen Tradition und Veränderung. Charles III. hat nicht allein die Ausbildung, das jahrzehntelange praktische Training dazu. Er besitzt die Intuition für den Zeitgeist, dessen Wirkmächtigkeit die Zukunft der Monarchie elementar bestimmt.

Die nächste Generation, insbesondere um den neuen Prince of Wales, William Arthur Philip Louis, unterstützt Charles und Camilla tatkräftig. Seine Familie mit Gattin Catherine und den drei Kindern George, Charlotte und Louis ist die Bank, auf der die Monarchie baut.

Viele Waliser sind nicht glücklich mit der Entscheidung Charles‘, seinen ältesten Sohn sofort zum Fürsten von Wales erhoben zu haben. Er sei wie sein Vater und alle Prinzen von Wales zuvor kein Waliser. Tief sitzende walisische Abneigungen gegen die englische Aneignung des kleinen Landes an der Irischen See und seines vornehmsten Titels brechen bei solchen Gelegenheiten verstärkt auf. Es soll für William wohl eine deutlich abgespecktere Einsetzungszeremonie in der walisischen Hauptstadt Cardiff geben, die nicht an die seines Vaters erinnern soll. Die Royals sind eben lernfähig.

Wem gehören die Kronen?

Die Fliehkräfte in Charles‘ Reich beschränken sich nicht allein auf die Staaten im Commonwealth wie Australien oder Neuseeland, in denen er König ist. Sie sitzen ihm auch im eigenen Land im Nacken: Schottland will erneut über die Unabhängigkeit abstimmen. Es gibt Forderungen diesmal auch über die Staatsform abstimmen zu lassen. Eine Republik Schottland ist nicht auszuschließen, in der Charles dann ein Ausländer auf seinem Schloss Balmoral in den Highlands wäre. Oh my god!

Auch in Nordirland gibt es stärkere Tendenzen, sich mit der Republik Irland zu vereinigen. Und nicht zuletzt Wales, das seine keltischen Traditionen wieder entdeckt und vielleicht sich von König und dem fremden Fürsten des Landes, William, lösen möchte. Die opulente Einsetzung Charles‘ als Fürst von Wales 1969 durch seine Mutter mit allem Gepränge, wofür die britische Monarchie berühmt ist, war ein glänzendes Medienereignis. Jedoch gab es damals schon Proteste vor der Burg Caernarfon, als die Queen ihrem ältesten Sohn die Krone aufsetzte.

Das ganze Spektakel war frei erfunden, da es eine solche Inthronisierung für den Prince of Wales so nie zuvor gegeben hat. Dann auch noch diese von den Engländern erbaute Burg, von den Walisern als Trutzburg der englischen Eroberung betrachtet, hat symbolisch und emotional die Bande zwischen Walisern und dem Königshaus langfristige nicht gestärkt. Das Gegenteil von gut ist eben gut gemeint.

England wird royal bleiben

Die Macht der Bilder ist für die Monarchie unverzichtbar, aber auch heikel, gefährlich. Als weltweit agierende Bildermaschine tanzt das britische Königshaus auf einem dünnen Seil. Zu viel Licht darf nicht das Geheimnis der Monarchie lüften, so hat es der bekannte britische Verfassungsrechtler Walter Bagehot im Viktorianischen Zeitalter auf den Punkt gebracht. Diese Jonglage müssen ab sofort Charles und seine engste Familie um Camilla und William bewältigen. Die Chancen auf Erfolg stehen gut und die Royal Family beherrscht das alte Adelsprinzip, die Kunst des Obenbleibens, hervorragend.

Der neue König hat eine Verschlankung des Königshauses angekündigt, zeitgeistige Themen stehen neben traditionellen und die Monarchie spült durch die vielen Touristen jährlich mehr Geld in die Staatskasse, als diese für die Institution ausgibt. Selbst wenn Schottland, Nordirland und Wales sich vom Vereinigten Königreich lösen sollten – Charles bleibt ohne Zweifel König von England. So hat alles vor Jahrhunderten angefangen und so wird es bleiben. Long live The King!

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2 Comments
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Konrad Kugler
Konrad Kugler
1 Jahr her

„Wir brauchen kriegsähnliche Zustände“.
???

Angermann
Angermann
1 Jahr her

Nicht der letzte König, sondern der hinterletzte!

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