Christian Lindner heiratet – und die Republik steht kopf

GLAMOURÖSE HOCHZEIT

Christian Lindner, FDP / Quelle: Pixabay, lizuenzfreie Bilder, open library: kschneider2991; https://pixabay.com/de/photos/politik-parlament-fdp-liberal-4846092/ Christian Lindner, FDP / Quelle: Pixabay, lizuenzfreie Bilder, open library: kschneider2991; https://pixabay.com/de/photos/politik-parlament-fdp-liberal-4846092/

Christian Lindners Heirat versetzt die Republik in den Ausnahmezustand. Auch Kanzler Scholz ist auf Sylt dabei, und Friedrich Merz gibt den Jet-Piloten.

Deutschland muss Guido Westerwelle posthum dankbar sein. Nein, nicht für seine Weigerung beim Krieg gegen Libyen mitzukämpfen. Schon mal gar nicht für sein Gerede über die spätrömische Dekadenz. Dankbar sein sollte das Land, dass er ihm Christian Lindner geschenkt hat. Als jungen, alerten Politiker, in dem bereits bei seinen ersten Auftritten als FDP-Generalsekretär sein Verlangen nach Aufmerksamkeit zu erahnen war. Seit Tagen trendet Lindner in den Medien. Jedoch nicht für seine Politik.

Solche Hochzeiten gibt es nur bei der FDP

Lindners Hochzeit mit der 33-jährigen Journalistin Franca Lehfeldt ist die vielleicht am besten choreografierte, die ein (amtierender) Bundespolitiker dem Bürger bisher präsentierte. Lediglich die Heirat der damaligen Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer mit dem Ex-Bildreporter, Ex-Playboy-Journalisten und Ex-Sat1-Studioleiter Bonn, Udo Philipp, live auf Sat1 reicht an das Sylter Medienereignis im Sommer 22 heran.

Damals im beschaulichen Bonn war die Braut Minister und der Star und der Gatte ein die Jahre gekommener Filou der besten Jahre der alten Bundesrepublik. Er bedankte sich vor laufenden Kameras noch beim Party-Service des KaDeWe, und die Sicherheitsbeamten im Studio murmelten „Herzlichen Glückwunsch“.

Bei der Lindner-Lehfeldt-Sause auf Sylt ging es ausgelassener und glamouröser zu als bei der FDP-Kollegin Schwaetzer dreißig Jahre zuvor. Breits im Vorfeld sickerten über die Springer-Medien gezielt Details der Polit-TV-Hochzeit durch, die Lindner mit Interviews garnierte. Darin verriet er, dass er und seine Franca sich eine große Familie wünschten mit möglichst vielen Kindern.

Der Hochzeitsmarathon ging über drei Etappen: standesamtliche Trauung im Sylt-Museum in Keitum mit anschließendem Essen im Kreise der Familie im Restaurant „Vogelkoje“. Die Preise bewegen sich auf dem Sylter Durchschnitt: Hauptgerichte gab’s ab 42 Euro, und die in solchen Lokalen unvermeidliche Crème Brulée mit Früchten der Saison ab 13 Euro.

Zum Polterabend wollten sich die 9-Euro-Ticket-Punks selbst einladen, was allerdings am falsch ausgewählten Schauplatz scheiterte. Sicherlich wäre der Polterabend mit Punk-Einlagen allen Gästen unvergesslich. Etwas ungewöhnlich mutet es auch an, den Polterabend nach dem Standesamt und vor der kirchlichen Zeremonie zu feiern. Was würde Parteifreundin Irmgard Schwaetzer dazu sagen?!

Sloterdijks Philosophen-Predigt

Überhaupt die kirchliche Trauung, wie sie in vielen Medien genannt wird: Gottes Segen ohne Kirchensteuern, denn das Brautpaar hat der Kirche schon vor Jahren den Rücken gekehrt und die Steuergroschen entzogen. Ob sich so eine Seifenoper in der Kirche für einen Finanzminister schickt? Auf jeden Fall ist das Kalkül leicht durchschaubar, und nicht nur theologisch und moralisch hat die Okkupation des Kirchenraumes Geschmäckle.

Strenggenommen war es auch gar keine Trauung, da die Brautleute, wie gesagt, konfessionslos sind. Aber findig wie Lindner ist, hat er den Philosophen und Weltendeuter Peter Sloterdijk für den transzendenten Teil der Zeremonien engagiert. Vermutlich hat er den frisch Vermählten ihre Zukunft und die des ganzen Landes anhand seines Opus Magnum „Sphären I-III“ – Blasen, Globen, Schäume tiefengedeutet.

Hoffen wir, dass die Ehe des Bundesfinanzministers und seiner ins Rampenlicht drängenden Journalistin kein trügerisches Schaumgebilde ist, das im Kraft zehrenden Politikbetrieb in sich zusammenfällt. Aber wieso die ganze mediale Aufregung um die Hochzeit eines 43-jährigen Kabinettsmitglieds mit einer praktisch unbekannten Springer-Journalistin?

Neuer Glanz für die Republik oder spätrömische Dekadenz?

Sicherlich ist Christian Lindner neben Wirtschaftsminister Robert Habeck einer der jüngeren und besser aussehenden Männer in der deutschen Spitzenpolitik. Sie haben beide einen eigenen Stil. Das muss man ihnen zugestehen, da es in der Bundesrepublik, im Gegensatz zu Frankreich, Italien oder England, kaum nennenswert repräsentative Politiker gibt.

Frankreich ist in seiner Staatsrepräsentation quasi eine Monarchie geblieben, französische Spitzenpolitiker legen viel Wert auf ihr Äußeres. Das gleiche in Italien, das ohnehin das Land des Dolce Vita, der Mode und des schönen Scheins ist, was sich auch in der Politik widerspiegelt. Und natürlich England mit seiner glanzvollen Monarchie und den anderen Traditionen, die zur Staatsrepräsentation gehören. Aus diesen Zutaten heraus kann eben ein Boris Johnson ins höchste politische Amt aufsteigen und hemmungslos exzentrisch sein.

Anders ist es in der Bundesrepublik, die auch als Berliner Republik allzu viel Glanz und Gloria vermeidet. Lindners Hochzeit ist eine Ausnahme für ein an über die eigenen Landesgrenzen ausstrahlenden Celebritys armes Land. Kann also die Sylter Heirat vor dem Hintergrund eines Krieges und der vom Finanzminister persönlich angekündigten mageren Zeiten den frisch Vermählten und der derzeit schwächelnde FDP einen Sympathiebonus bringen?

Deutsche Kleinkariertheit?

Unüberhörbar gab es Kritik an den Kosten für die Sicherheit der Gäste durch das Bundeskriminalamt. Ist das nur deutsche Kleinkariertheit? Und wie kommt es bei den Bürgern an, dass CDU-Chef Friedrich Merz am Steuer seines Privat-Jets einflog?

Auch Olaf Scholz war nebst seiner bislang nahezu unbekannten Gattin Britta Ernst, Ministerin in Brandenburg, bei der Lindner-Sause. Was ist eigentlich mit Ehrenamt der Kanzlergattin geworden, das Hannelore Kohl einst so perfekt ausfüllte, möchte man Frau Ernst fragen. Jedenfalls gilt wohl auch in der deutschen Politik inzwischen: There is no polit business without show business. Ohne Medien und Spektakel kein Wahlerfolg. Wird es Christian Lindner und Franca Lehfeldt Glück bringen?

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2 Comments
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fufu
fufu
1 Jahr her

Worauf der Artikel nicht eingeht… wer bezahlt das Ganze ? Eine ziemlich daemliche Frage, schon klar. Mal ein paar Hypothesen… der Staat, unwahrscheinlich, Herr Lindner von seinem Ministergehalt, er war ja mal pleite… per Kreditaufnahme, keine Ahnung… oder laesst sich so ein Ereignis von weltbewegender Bedeutung medial vermarkten…????

Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
1 Jahr her

Der Autor schreibt: „Christian Lindner heiratet – und die Republik steht kopf“. Ach, wirklich? Ist es nicht eher so, dass lediglich eine überschaubare Horde von bezahlten Schreiberlingen und Kamerahaltern diverser Medienanstalten und Zeitungen die Sache breitgetreten hat? Schon in vier Tagen kräht da kein Hahn mehr nach! Ein Kopfstehen der Republik ist ja wohl etwas anderes! … Interessanter wäre schon die Frage, warum diese Hochzeit in der meinungsbildenden Klasse so viel Beachtung gefunden hat? Etwa die irrige Annahme, das Publikum würde sich dafür interessieren? Oder ein Versuch, Lindner und mit ihm die FDP entweder entweder aufzuwerten (attraktives Brautpaar, modern, jung)… Read more »

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