Diana – Prinzessin in einer eisigen Monarchie

GEOLITICO ROYAL

Prinzessin Diana tanzt am 11. November 1985 in der Eingangshalle des Weißen Hauses mit dem US-Schauspieler John Travolta / Quelle: Wikipedia, public domain: United States Federal Government, Public domain, via Wikimedia Commons; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:John_Travolta_and_Princess_Diana.jpg Prinzessin Diana tanzt am 11. November 1985 in der Eingangshalle des Weißen Hauses mit dem US-Schauspieler John Travolta / Quelle: Wikipedia, public domain: United States Federal Government, Public domain, via Wikimedia Commons; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:John_Travolta_and_Princess_Diana.jpg

Der Spielfilm „Spencer“ über das Leben von Prinzessin Diana ist psychologisch spannend erzählt und steckt trotz aller Vertrautheit voller Überraschungen.

Das einzige Bild, das zählt, ist das auf der Zehn-Pfunde-Note“, spricht die Queen an Diana gewandt, dreht sich um und spaziert mit ihrem Corgi-Rudel in den winterlichen Park von Schloss Sandringham. Die drei Weihnachtsfeiertage 1991, in denen sich die Handlung von Spencer entfaltet, wirken nicht allein in puncto Wetter kalt.

Kälte durchzieht den ganzen Film, der nichts mit bisherigen Fiktionen über das Leben der Fürstin von Wales, Königin der Herzen, gemein hat. Kalt ist die Atmosphäre fast durchgehend auf dem Wintersitz Elizabeth II., auf dem die Royal Family alljährlich zu Weihnachten zusammenkommt. Sie ist eisig, als Diana an Heiligabend nach der Queen eintrifft, was ein gehöriger Faux-Pas ist. Niemand hat nach ihrer Majestät einzutreffen.

Perlen, Paparazzi und eisige Blicke

Der preisgekrönte Regisseur Pablo Larraín lässt Diana in der Eröffnungsszene in ihrem Porsche ohne Sicherheitspersonal durch die karge Landschaft Norfolks irren. Sie findet den Weg zum Schloss nicht. In einem Café gibt sie das scheue, fragende Reh, so wie sie ikonografisch im Gedächtnis geblieben ist. Alle Gäste glotzen sie an, und sie scheint wie das Christkind, das plötzlich über das gemeine Volk hinabschwebt.

Natürlich hätte die echte Diana den Weg nach Sandringham ohne Hilfe der Besucher aus dem Café gefunden. Sie hat in der Gegend ihre Kindheit und Jugend verbracht – und sie war der Königsfamilie seit ihrer Geburt bekannt. Aber war sie ihr auch vertraut? Der Film gibt darauf eine eindeutige Antwort: nein. Sie irrt nicht nur durch die Landschaft, sie irrt durch ihre unglückliche Ehe, sie irrt durch ihr Leben in dieser speziellen Familie. Die Heirat mit Prinz Charles und alles, was daraus folgte, war ein einziges großes Missverständnis. Eine vorprogrammierte Katastrophe, die „Spencer“ vorwegnimmt.

Larraín nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise in die Traditionen einer von Regeln und Zwängen gefangenen Familie. Diana tritt als die Sprengerin dieser Ketten auf den Plan. Sie sucht nach Geborgenheit und Wärme, die sie weder von ihrem Mann noch vom Familienoberhaupt bekommt. Lediglich eine fiktive Hofdame, dazu noch in die Prinzessin verliebt, gibt ihr neben den Söhnen Geborgenheit. Die eingangs erwähnte Szene im Schlosspark zeigt den schwelenden Konflikt zwischen ihr und der Familie.

Elizabeth verdeutlicht ihrer Schwiegertochter, dass nicht all die Paparazzi zählen, die Diana auf Schritt und Tritt folgen mit ihrer Gier nach möglichst spektakulären Bildern. Nein, es zählt nur der Monarch, der stilisiert auf Banknoten, offiziellen Porträts und anderen Symbolen der Krone erscheint. „Spencer“ zeigt nicht allein ein Generationenkonflikt und ein Ehedrama – der Film verweist auf eine Zeitenwende. Die Monarchie, die Elizabeth seit inzwischen 70 Jahren stoisch repräsentiert, kommt an ihr Ende. Diana spielt den Katalysator, den Brandbeschleuniger, der die Krone fast verbrannt hätte.

Der symbolisch aufgeladene Film hat einen ersten Höhepunkt in der Szene bei Tisch, am Abend des 24. Dezember: Diana erscheint wiederum zu spät. Die übrigen Familienmitglieder sind bereits an der Tafel versammelt. Elizabeth II., kühl-distanziert gespielt von Stella Gonet, glänzt in ihrer exquisiten Robe mit kostbaren Juwelen dekoriert und durchbohrt ihre Schwiegertochter mit Blicken, die zwischen Unverständnis, Ratlosigkeit und einem Anflug von Verachtung changieren. Eine Andeutung eines Knicks vor der Schwiegermutter, die eisigen Blicke der übrigen Familienmitglieder wahrnehmend, nimmt sie gegenüber ihrem Mann Platz an der festlich gedeckten Tafel. Wenn Blicke töten könnten!

Erst jetzt, nachdem alle versammelt sind, ergreift die Queen ihren goldenen Suppenlöffel, führt ihn langsam zum Mund, dabei Diana durchdringend anblickend. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Diana erträgt die herzenskalte Atmosphäre kaum noch, fasst sich immer wieder an ihre Perlenkette, die ihr Charles zu Weihnachten geschenkt hat. Die Kamera nähert sich immer mehr dem dramatisch verzweifelten Mienenspiel Dianas, die von Kristen Stewart eindringlich dargestellt wird und zu Recht als Oscar-würdig gilt. Die Szene entlädt sich fulminant, indem Diana die Kette zerreißt und die Perlen in die grünliche Festtagssuppe platschen.

Eine Queen aus der Vergangenheit

Zuvor hat Diana eine verstörende Vision: Auftritt Anne Boleyns, die im Türrahmen des Speisesaals erscheint. Die liebste Frau Heinrichs VIII. erscheint Diana mehrfach und soll symbolisch ihr eigenes Schicksal andeuten. Hoch aufgestiegen und tief gefallen. Boleyn war wie Diana beim Volk beliebt, umschwärmt bei Hofe, von Heinrich anfangs auf Händen getragen. Das ist allerdings ein entscheidender Unterschied zu Diana und Charles. Jener trug immer nur eine auf Händen und streut ihr bis heute Rosen: Camilla. Auch verfügten, nach allem, was bekannt ist, weder Charles noch die Queen den Tod Dianas. Anders Heinrich mit seinem Todesurteil gegen Boleyn wegen angeblichen Ehebruchs und Hochverrat.

Auch verfolgte keine klebrig-aufdringliche Fotografenmeute die Renaissance-Queen – wiederum anders bei Diana. Gemeinsam haben sie lediglich die ehebrecherischen Gatten und den frühen Tod. Anne Boleyn als eine Art Alter Ego Dianas zu zeichnen, ist eine originelle Idee, aber sie überzeugt nicht in der Tiefe. Dafür waren beide Frauen charakterlich zu unterschiedlich, lebten in zu verschiedenen Zeiten und agierten völlig anders in ihren Ehen.

Tradition schlägt Individualität

Überhaupt lässt der Regisseur die Zuschauer immer wieder darüber rätseln, was Wirklichkeit und was Fiktion ist. Ein grundsätzliches Problem bei Biopics, denen historische Ereignisse als Blaupause dienen, die bis in die Gegenwart reichen und deren Protagonisten zum Teil noch am Leben sind. Ein Vorwurf, der sich auch die Macher der Netflix-Erfolgsserie „The Crown“ ausgesetzt sehen. Der Zuschauer hat den Eindruck, so muss es gewesen sein bei Hofe, in den Stallungen, Betten und Festen. In „Spencer“ versucht der Regisseur diese Wirkung zu zerstreuen, indem er mit Dianas Visionen spielt, die stets auf den harten Boden der Tatsachen aufprallen.

Kristen Stewarts eigentlicher Gegenspieler ist jedoch nicht der notorisch ungetreue Gatte oder die kühl-überlegene Monarchin in ihrem aus der Zeit gefallenen Stoizismus – es ist der Major Alistar Gregory, souverän und dezent sadistisch gespielt von Timothy Spall. Er sieht, hört und weiß alles. Er ist der Zeremonienmeister, Chef-Agent, oberste Sicherheitsoffizier der Royal Family – kurzum er ist der Kustode der heiligen Traditionen während des Aufenthalts auf Sandringham.

Zwischen ihm und Diana kommt es im Park des Schlosses zu einem Show-down. In ihrem Gespräch, dessen Anlass die erneute Ermahnung Gregorys gegenüber Diana ist, nicht wieder zu spät zum Essen zu kommen und die dafür vorgesehen Kleidung zu tragen. Er erkennt in ihr die Rebellin wider die Tradition und erklärt der Prinzessin, worauf es ihm und generell ankommt im (englischen) Leben. Nicht überraschend zieht er einen Vergleich zu seiner Militärzeit und der Sinnfrage, wieso es lohnt zu dienen. Für ihn ist es die Krone, in der sich alles an Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Landes verdichtet. Dafür lohnt es sich, zu dienen und das erwartet er auch von Diana. Die Erwartung enttäuscht sie jedoch für alle, die an die Werte der Monarchin und ihrer treuen Paladine glauben.

Einzig ihre beiden Kinder, William und Harry, glauben an die Mutter. In einer weiteren Schlüsselszene, in der sie mit beiden Jungen ganz unköniglich im Schlafzimmer auf dem Boden herumlümmelt, bring Diana den inneren Widerspruch zwischen ihr und dem Königshaus auf den Punkt: „Hier gibt es keine Zukunft, sondern die Vergangenheit ist die Gegenwart.“

Am Ende der drei Weihnachtstage braust sie mit beiden Söhnen im Porsche davon, isst mit ihnen Fast Food und blickt versonnen auf die Themse mit der Tower Bridge. Sie wagt den Ausbruch aus dem Korsett der Traditionen und einen Versuch von Normalität. In diesem Moment ist sie nicht die Princess of Wales: Sie ist Diana Spencer. Jene junge Frau, die nie Teil der Königsfamilie war und sich zurücksehnt nach ihrer unbekümmerten Kindheit auf dem Land. Aber auch diese Unbekümmertheit ist am Ende nur Fiktion.

Regisseur Pablo Larraín ist zusammen mit der Hauptdarstellerin Kristen Stewart eine interessante Charakterstudie dieser einst meist fotografierten Frau der Welt gelungen – jenseits gängiger Klischees. Und er hat ohne große Schnörkel oder gar Pathos ein Innenleben der berühmtesten Familie Großbritanniens gezeichnet, mit der man nicht tauschen möchte.

Fazit: „Spencer“ ist psychologisch spannend erzählt, mit einer starken Hauptdarstellerin und wenigen überflüssigen Figuren, wie jene der lesbischen Zofe Dianas, die als ihre einzige Freundin inszeniert wird. Die Dramaturgie enthält trotz einer vermeintlichen Vertrautheit mit den Protagonisten sowie den historischen Ereignissen überraschende Szenen. Sehenswert.

„Spencer“, Drama, 2021, deutsch-britisch-chilenische-US-Koproduktion, 117 Minuten.

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