Naturschutz ist konservativ und mehrheitsfähig

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Nach der Flutkatastrophe bleiben vor allem konservative Politiker Antworten auf drängende Fragen schuldig. Dabei ist die Natur ein zutiefst konservatives Thema.

Naturschutz ist konservativ. Es gibt kaum ein konservativeres Anliegen als jenes, die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren. Aber ausgerechnet die nach den herkömmlichen politischen Kategorien zu den „Konservativen“ zählenden Parteien tun sich mit dem Thema ausgesprochen schwer. Denn das Thema ist heute grün besetzt.

Und wenn’s um die Grünen geht, sehen diese „Konservativen“ rot, dann ist’s vorbei der staatsmännischen Etikette, dann wird beschimpft und verunglimpft, dann ist alles andere „links-grün-versifft“.

Bis heute ist die Wunde nicht geheilt, die gerissen wurde, als ihnen vor vielen Jahrzehnten linke Protestgruppen ein so wichtiges Thema einfach wegnahmen. Und obwohl seither Zeit genug ins Land gegangen ist, in der zumindest ein paar eigene Ideen zu dem Thema hätten sprießen können, ist da wenig gereift.

Dabei wäre es so wichtig gewesen, wie gerade erst die heftigen Regenfälle dieses Sommers in weiten Teilen Westdeutschlands gezeigt haben. Mindestens 170 Menschen sind durch die Flutkatastrophe ums Leben gekommen, ganze Ortschaften wurden von Schlammmassen verwüstet. Und die Menschen erwarten neben finanzieller Hilfe beim Wiederaufbau Antworten auf grundlegende Fragen: Wie konnte das passieren? Wie können wir so etwas künftig verhindern? Was ist nur los mit der Natur? Ist das Klima schuld?

Naturschutz ist mehrheitsfähig

Aber unter den Politikern herrscht allenthalben Sprachlosigkeit. Allen voran der derzeitige „Chefkonservative“ und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet wirkt irgendwie deplatziert, nicht nur, weil er im Angesicht der Zerstörung vor laufenden Kameras über irgendwelche Witze lachte. Nein, ihm fehlt vollständig der Bezug zum Geschehen.

So lässt die konservative Politik die Menschen weitgehend allein mit der Frage, wie der Mensch die natürlichen Lebensbedingungen erhalten und sich selbst vor den Gewalten der Natur schützen kann. Solche Debatten führte die deutsche Öffentlichkeit zwar schon häufiger, etwa nach den Hochwasserkatastrophen 2002 und 2013. Doch anders als damals ordnen die Bürger die aktuellen Ereignisse heute häufiger als direkte Folge des Klimawandels ein, berichtet das Institut für Demoskopie in Allensbach. „68 Prozent rechnen die Bekämpfung des Klimawandels daher zu den größten globalen Herausforderungen, gefolgt vom Kampf gegen Umweltverschmutzung, der Bewahrung der Artenvielfalt und der Bekämpfung von Pandemien“, schreibt Prof. Renate Köcher in der FAZ.

Übersetzt heißt das, Naturschutz ist mehrheitsfähig. Zwar reden alle immer nur vom Klima, doch Klimaschutz ist nichts anderes als Naturschutz, es geht um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Mit der Flutkatastrophe habe sich die Einschätzung der Menschen verstärkt, in Deutschland werde zu wenig für den Klimaschutz getan, so Allensbach. Unmittelbar vorher seien davon 41 Prozent überzeugt gewesen, in den Tagen danach seien es 54 Prozent gewesen.

Dabei zeigten sich allerdings deutliche Unterschiede in den einzelnen gesellschaftlichen Milieus. „Die höheren sozialen Schichten ziehen eine wesentlich kritischere Bilanz als die Mittelschicht und insbesondere die schwächeren sozialen Schichten“, schreibt Renate Köcher.

Überraschend ist das nicht. Bei Menschen mit geringen Einkommen, die finanziell nur mit mehreren Arbeitsstellen über die Runden kommen, dominiert die Existenzfrage den Alltag. Meist leben sie in sozialen Brennpunkten, wo zudem Bildungs- und Sprachdefizite den Zugang zu hochkomplexen politischen Debatten erschweren.

Naturschutz und die Umbrüche in der deutschen Parteienlandschaft

Es sind also die „höheren sozialen Schichten“, sprich die sogenannten Bürgerlichen, gemeinhin die Klientel der Konservativen, die sich mehrheitlich um den Zustand der Natur und des Klimas sorgen. Allerdings finden sie ihre Haltung nur bedingt in den Programmen und Aussagen der sich selbst als „bürgerlich“ bezeichnenden Parteien abgebildet.

Zwar haben Union und FDP in den vergangenen zwei Jahrzehnten den globalen Klimaschutz und entsprechende Formulierungen in ihre Programme übernommen, doch geschah dies immer gegen den ungebrochenen Widerstand eines erheblichen Teils der Mitglieder. So war es bei dem von Angela Merkel durchgesetzten Atomausstieg und auch bei der von ihr erzwungenen Energiewende. Bis heute hat die Union ihren Frieden damit nicht gemacht. Die FDP blieb bei diesen Beschlüssen immer auf Distanz.

Und die AfD, die für sich ebenfalls in Anspruch nimmt, die politischen Interessen der „Bürgerlichen“ zu vertreten, nimmt in der Klimafrage sogar eine Gegenposition zu den mehrheitlich die „höheren sozialen Schichten“ bewegenden Sorgen ein. Sie teilt das Bedürfnis vieler „Bürgerlichen“ nach Klimaschutzmaßnahmen noch weniger als Union und FDP. So wundert es kaum, dass die große Mehrheit der Deutschen allein die Grünen als Klimaschutzpartei wahrnehmen.

 „Ihre Bastionen sind vor allem die junge Generation und die höheren Sozialschichten“, schreibt Prof. Köcher. Und unter den jungen Leuten wissen die Grünen die Gymnasiasten und Studenten hinter sich. Anders ausgedrückt, die Bastion der Grünen ist das neue und zukünftige Bürgertum, denn die jungen Grünen-Wähler sind die „höheren sozialen Schichten“ von morgen.

Wer das erkennt, der begreift den wachsenden Erfolg der Grünen und die damit verbundenen Umbrüche in der deutschen Parteienlandschaft. Renate Köcher schreibt, allein ihre Haltung in der Klimapolitik habe die Ausgangslage der Grünen für die Wahl zum Bundestag bereits zur Mitte der Legislaturperiode erheblich verbessert. Kamen sie 2017 auf neun Prozent der Wählerstimmen, werden ihnen heute 20 Prozent zugetraut.

Eine neue Bürgerlichkeit

Dabei hat ihnen Greta Thunberg und die von ihr initiierte Protestkampagne „Fridays For Future“ enorm geholfen. Denn die daran beteiligten Schülerinnen und Schüler erhielten breite öffentliche Aufmerksamkeit und viel mediale Zustimmung.

Im konservativen Parteienspektrum jedoch sind Thunberg und die Schülerinnen und Schüler, die freitags fürs Klima auf die Straße gingen, vielfach verhöhnt worden. Offenbar haben sich die Kritiker in den Reihen von Union und AfD nie gefragt, wen sie da verhöhnen, sonst hätten sie vielleicht bemerkt, dass sie mehrheitlich über die Kinder der „höheren sozialen Schichten“ herzogen, die das Thema mit ins vielleicht noch CDU wählende Elternhaus brachten, wenn es dort nicht längst zuhause war.

Denn viele Kinder der „höheren sozialen Schichten“ sind heute oftmals Nachkommen der zumeist ebenfalls aus „besseren Verhältnissen“ stammenden 68er, die schon vor langer Zeit entscheidende Positionen in den Institutionen des Staates und der Medien besetzen und so die Deutungshoheit gesellschaftlicher und politischer Prozesse übernahmen. Sie unterscheiden sich von ihren Vorgängern vor allem durch ihren Anti-Nationalismus sowie ihre Identitätsideale.

Und sie wollen das Klima retten. Um fast jeden Preis. Sie zögern nicht, durch einen radikalen Wandel der Industrie- und Konsumgesellschaft hin zu klimafreundlichen Herstellungsverfahren und klimafreundlichen Produkten Verantwortung für die Natur und die natürlichen Lebensgrundlagen zu übernehmen. Dabei denken sie so global wie sie seit ihren Auslandsaufenthalten während des Studiums gelebt haben, und ebenso elitär.

Über die Medien transportieren sie ihre Botschaften in die Gesellschaft, über die Grünen und Linken in die Parlamente, Regierungen und die ihnen angegliederten staatlichen Stellen. Wie wirkmächtig sie sind, zeigen die Beschlüsse zur Energiewende mitsamt dem Komplettumbau der deutschen Automobilindustrie.

Naturschutz / Flutkatastrophe / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: Hans; https://pixabay.com/de/photos/hochwasser-stra%c3%9fe-untergegangen-123220/

Kampf zwischen Naturschutz und Klimaschutz

All das geschieht, obwohl die Mehrheit der Deutschen nicht davon überzeugt ist, dass Elektroautos und Windräder die beste Lösung für Natur und Klima sind. „58 Prozent sehen die Umweltbilanz von Elektroautos zurzeit noch kritisch“, schreibt Renate Köcher. Nur 21 Prozent seien für die vorrangige Förderung der Elektromobilität, die Mehrheit plädiere für Technologieoffenheit.

Gleichwohl hat sich die Bundesregierung mit den Stimmen von Union und SPD längst auf die Elektromobilität und regenerative Energien festgelegt. Ein Zurück ist kaum mehr vorstellbar. Offen und überaus diskussionswürdig ist jedoch, wie die Deutschen mit ihrer Natur umgehen. Wie sollen die Orte im Ahrtal wieder aufgebaut werden? Wie müssen Weinbauern und Landwirte auf die veränderten Klimabedingungen reagieren? Was ist mit dem Wald, der einst aus Laubbäumen bestand, die durch Fichten ersetzt wurden?

Auch die Energiewende stößt längst an natürliche Grenzen. „Auf dem Meer eskaliert der Kampf zwischen Naturschutz und Klimaschutz“, schrieb der Spiegel (Nr. 29, 2021, S. 102). Im Bemühen um saubere Energie opfere Deutschland den Meeresschutz, wenn in Nord- und Ostsee gigantische Rotorenparks gebaut würden. Schweinswale, Seevögel und das marine Ökosystem würden existenziell bedroht, warnten Organisationen wie der Naturschutzbund (NABU) Deutschland, Greenpeace oder der WWF.

Seit Jahren warnen Landwirte, Windkraftanlagen seien eine tödliche Gefahr für viele Vogelarten. Wiederholt hat das Bundesamt für Naturschutz Rücksichtnahme auf die Vögel beim Ausbau der Windenergie angemahnt. Laut NABU werden in Deutschland jährlich 12.000 Mäusebussarde von Windkraftanlagen getötet. Kann es der richtig sein, für die Rettung des Klimas in die Lebensräume bedrohter Arten einzugreifen und diese möglicherweise gar zu opfern?

Konservativ oder Reaktionär?

Wie weitreichend die von der Politik getroffenen Entscheidungen für den Lebensalltag der Menschen sind, lässt sich heute kaum überblicken. Aber anders als zur Zeit der industriellen Revolution, wo der technische Fortschritt ohne Rücksicht auf die natürlichen Lebensgrundlagen vorangetrieben wurde, stehen letztere heute im Mittelpunkt.

Rund 80 Prozent der Deutschen waren laut ARD-Deutschlandtrend schon 2019 der Ansicht, es müsse mehr fürs Klima getan werden. Mit dem Ausbruch neuer Pandemien und der Gefahr immer neuen Naturkatastrophen nimmt die Furcht zu, den durch das industrielle Wirtschaften erzeugten Gefahren der Natur ausgeliefert zu sein. Die Menschen suchen Schutz und wollen etwas ändern, und so wird die in allen Religionen verankerte Verantwortung des Menschen für die Natur erstmals real zum Maß politischen Handelns.

Das vorrangige Motiv ist, zu bewahren, was noch nicht verloren ist.

Das ist zutiefst konservative Politik und eine große Chance für alle konservative Parteien. Nutzen können sie diese Chance aber nur, wenn es ihnen gelingt, ihr bisheriges reaktionäres Politik- und Gesellschaftsverständnis zu überwinden und mit dem Wandel ihren Frieden zu machen. Ihre potenziellen Wähler aus den „höheren sozialen Schichten“ haben es längst getan.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
2 Jahre her

Dieser Artikel von Herrn Lachmann beschäftigt mich und im ersten Moment wollte ich auch zustimmen. Bei längerem Nachdenken scheint mir aber einiges problematisch. Zunächst die große Aussage: „Naturschutz ist konservativ.“ Hmm, okay, das stimmt im Prinzip schon. Allerdings ist damit eine alte Art des Konservatismus gemeint, eine aus dem 19. Jahrhundert stammende, ein Konservatismus, der bereits den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt kritisch sah. Den gibt´s heute nicht mehr. Dann die Forderung, dass die Konservativen – und er meint da unausgesprochen gewiss auch die AfD – den Naturschutzgedanken mehr aufgreifen sollten. Begründet wird das dann mit der Popularität des Themas. Okay,… Read more »

Geolitico
Webmaster
Reply to  Wolfgang Wirth
2 Jahre her

Sehr geehrter Herr Wirth,
haben Sie vielen Dank für den ausführlichen Kommentar. Inhaltlich liegen wir gar nicht weit auseinander. Den Konflikt zwischen der aktuellen Klimapolitik und Naturschutz habe ich ja auch angesprochen. Mir ging es im Wesentlichen darum, darauf aufmerksam zu machen, dass die konservativen Kräfte das Bedürfnis der Menschen nach Natur nicht aufgreifen und positiv beantworten und so Wählerpotenziale anderen überlassen.
Herzliche Grüße!
Günther Lachmann

Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
Reply to  Geolitico
2 Jahre her

Sehr geehrter Herr Lachmann, vielen Dank für ihre Antwort. Dass das konservative Lager den Komplex „Natur- und Umweltschutz“ (ich fasse beide Punkte mal für den Moment zusammen) so wenig aufgreift, sehe ich ebenfalls als ungünstig an. Und ja, die Zeit ist so, dass man mittelfristig was tun sollte. Die Frage ist aber natürlich, was genau man denn nun aufgreifen sollte … ? Ich fürchte, dass es bei der Beantwortung dieser Frage in unserem Lager durchaus ziemlich(!) unterschiedliche Ansichten gibt, sodass das Thema die Gefahr eines Spaltpilzes beinhalten könnte. Im Endeffekt würde das Gefährdende dieser Ausrichtung (-> interne Spaltungen, Streit, Unruhe)… Read more »

Manfred Jäger
Manfred Jäger
2 Jahre her

Der Autor fragt:“Und die Menschen erwarten neben finanzieller Hilfe beim Wiederaufbau Antworten auf grundlegende Fragen: Wie konnte das passieren? Wie können wir so etwas künftig verhindern? „
Das konnte passieren, weil die Altparteien aus ideologischen Gründen Anträge der AfD geschlossen ablehnen.
siehe nachfolgenden Link:
https://www.facebook.com/100012664952901/posts/1326639674434852/

Geolitico
Webmaster
Reply to  Manfred Jäger
2 Jahre her

Interessanter Hinweis. Haben Sie vielen Dank!

Werner Illhill
Werner Illhill
2 Jahre her

Ähnlich, wie Manfred Jäger; frage ich mich, wie und warum konnte sich die Flutkatastrophe so verhernd auswirken? Meiner Ansicht nach : -Indem man nicht das tut, was unsere Altvorderen seit Menschengedenken gemacht haben, nämlich verantwortungvoll mit der Natur leben und ihre Gesetze beachten. -Indem man nicht zur Kenntnis nimmt, welche Lösungen unsere Vorfahren zum Schutze vor Naturgewalten gefunden haben, diese Lösungen weder hegt noch pflegt und alle Erkenntnissen der Neuzeit, bezüglich Naturkatasstrophen, ignoriert. -In dem man, nicht wie unseren Vorfahren, Verantwortliche für ihr Versagen zur Verantwortung zieht. Na ja, verantwortungslose Personen von einem hohen Felsen stoßen, muß nicht sein, gesellschaftliche… Read more »

Andreas aus E.
Andreas aus E.
2 Jahre her

Moin Moin! Wir brauchen die Rückbesinnung auf die Kernkraft, um bei ausreichender Energiesicherheit unsere Natur von Verschandelungen durch Vogelschredder, Photovoltaikanlagen (ich meine die auf weiter Fläche, auf Hausdächern finde ich die sinnvoll) und Wasserkraftwerke („Fischhäcksler“) befreien zu können. Viele Argumente sind genannt, nur eines sei zu ergänzen, was geradezu die Brücke ist zwischen Naturschutz und konservativer Politik, nämlich die Migration. Tendenziell nimmt die einheimische Bevölkerung in Deutschland ab, eine solche Entwicklung ist im Sinne des Naturschutz durchaus zu begrüßen, denn es ist simple Rechnung: Weniger Menschen = weniger Platzbedarf, in jeder Hinsicht, Wohnen, Arbeiten, Verkehr, Ernährung, Energie, Sport usw. Genau… Read more »

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