Gedanken über eine desorientierte deutsche Nation
Kommende Generationen sollten erfahren, warum ihre Eltern sich bereitwillig auf den Kamikazeflug gegen das eigene Land begaben – und wer am Steuerknüppel saß.
Am Ende meiner Rezension von Fritz Söllners Buch „System statt Chaos“[1] behaupte ich, dass die fehlgeleitete deutsche Migrationspolitik nur ein Teilaspekt einer umfassenderen Problemlage und Befindlichkeitsstörung ist, in der sich Deutschland derzeit befindet. In diesen kurzen „Nachgedanken“ möchte ich diese Lage wenigstens skizzieren.
Zur Migration selber wäre noch zu sagen, dass sie direkt mit den Geldströmen von Süd nach Nord zusammenhängt, die eine Folge der sogenannten „Strukturanpassungsmaßnahmen“ sind, die den Ländern der Dritten Welt von der Weltbank und dem Internationalen Wahrungsfonds oktroyiert werden. Um die Schuldzinsen zu bedienen, werden diesen Ländern neue Kredite gewährt, aber nur gegen Auflagen wie Handelsliberalisierung, Abbau der Staatsausgaben, massenweise „Freisetzung“ von Staatsbediensteten (eine Sprachneuschöpfung, mit der das unschöne Wort „Kündigungen“ vermieden wird), Verschleuderung von Staatsbetrieben und nationalen Ressourcen durch Privatisierung, usw.
Die deutsche Nation und das Versagen der Linken
Inhaltsverzeichnis
Diese Länder geraten dadurch in eine Schuldenfalle, aus der sie sich kaum noch befreien können.[2] Es ist nur zu verständlich, dass es die Menschen in diesen Ländern dorthin zieht, wohin das Geld fließt, um sich dort bessere Lebensmöglichkeiten zu verschaffen. Dieser Zusammenhang ist schon seit langem bekannt, aber es wird meistens vermieden, auf ihn hinzuweisen.[3]
Und wie steht es um die Beteiligung Deutschlands an den Sanktionen der EU und der USA gegen Syrien, immerhin eines der Hauptherkunftsländer der Asylbewerber? Die Resolution 62/183 der Vereinten Nationen vom 19. Dezember 2007 fordert die internationale Gemeinschaft nachdrücklich auf, keine einseitigen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen gegen Entwicklungsländer zu ergreifen.
Dies alles wäre eigentlich eine Steilvorlage für eine politische Linke, die aber auch hierzulande, von Ausnahmen abgesehen, gerne das Hohe Lied offener Grenzen (für das transnationale Kapital) singt. Statt den Zusammenhang von Migration und westlich betriebener Staatenzerstörung immer wieder mit Vehemenz ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, beteiligt sie sich lieber am Verunglimpfen der Kritiker der deutschen Migrationspolitik als Populisten, Rassisten, Fremdenfeinde, etc.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich beziehe mich damit nicht in erster Linie auf die real existierende Partei, in der nicht zusammengewachsen ist, was nicht zusammengehört, sondern das „linke Lager“ allgemein, das sich – mit einer Ausnahme – über alle im Bundestag vertretenen Parteien verteilt. Und darüber hinaus auf die Redaktionsstuben der Leitmedien und Leit-Sender (besser: „Leid-Medien“, aber im Sinne von: Die-Medien-leid-sein).
Die deutsche Nation und das Versagen der Rechten
Aber auch das „rechte Lager“ versagt. Es ersetzt in der Regel eine politisch begründete Kritik der Migrationspolitik und ihrer internationalen Hintergründe durch die oft larmoyante Schau auf den Nabel einer imaginierten ahistorischen kulturellen Homogenität. Dabei ist doch der demos moderner Staaten nur in den wenigsten Fällen kulturell homogen: In Island wohl, aber noch nicht einmal in Japan mit seiner Ainu-Minorität, auf dessen „kulturelle Homogenität“ gerne verwiesen wird.
„Deutschland schafft sich ab“ – dieser Buchtitel wurde seit dem Erscheinen des entsprechenden Werks von Thilo Sarrazin im Zusammenhang mit der Einwanderungs- und Flüchtlingsproblematik schon fast zu einem geflügelten Wort, obgleich Sarrazins Fokus ja nicht nur auf die Migration gerichtet ist. Die Wählerschaft hierzulande erlaubt es ja ihrer politischen Führung, sich nicht nur zeitgleich von der Kohleförderung zu verabschieden, sondern auch von der Atomenergie und utopischer Ziele wegen („Klimarettung“) im infantilen Greta-Wahn die Automobilindustrie zu beschädigen. Die Umwelt muss und kann man schützen, aber das Klima kann man nicht „retten“.
Die Nachbarländer werden sich über die spezifisch deutsche Neigung zu einem unpolitischen utopischen Idealismus freuen, durch den Europas Musterknabe begeistert seine wirtschaftliche Zukunft an die Wand fährt. Ein Idealismus, der seine Wurzeln wohl im 19. Jahrhundert hat: „Diesen Kuss der ganzen Welt“. Das konnte nur aus der Feder eines deutschen Autors fließen. Michael Klonovsky hat in einem glänzenden, kurzen Essay alles aufgespießt, was dazu zu sagen ist. Um der Gerechtigkeit willen muss freilich auch erwähnt werden, dass wohl dem Dichter selber „das überschwengliche Tisch- und Trinklied ein wenig peinlich“ war.[4]
Eine knechtische Bundesregierung
Lebte Theodor Storm noch und könnte er die deutsche „Außenpolitik“ als Zeitzeuge kommentieren, dann würden ihm dazu wohl seine Verse genügen:
„Der eine fragt ‚was kommt danach?‘
Der andre fragt nur ‚ist es recht?‘
Und also unterscheidet sich Der Freie von dem Knecht“.
Hat jemals eine Bundesregierung sich knechtischer benommen als die jetzige? Syriensanktionen, Russlandsanktionen, „Interimspräsident“ Guaidó anerkennen, auf dem Schoß des Hegemon sitzen und von dort aus „China-in-in-die-Schranken-weisen“, die Beziehungen zu Russland ruinieren und „mit-Russland-aus-einer-Position-der-Stärke-sprechen“.
Und das, nebenbei, mit einer Bundeswehr, die man so heruntergewirtschaftet hat, dass sie bei NATO-Manövern Schwarz angemalte Besenstiele als Geschützattrappen verwenden muss. Allerdings, bei diesem politischen Personal sollte man sich eigentlich darüber freuen. Wenigstens kann es mit dieser Armee kein Unheil anrichten.
Damit noch nicht genug: Da wird die Nawalny-Posse inszeniert, um, warum wohl sonst, einen Vorwand für den Ausstieg aus Nord Stream 2 zu haben. Hat man sich eigentlich genau angesehen, wen man da als „Kreml-Kritiker“ feiert?[5]
Die Zustimmungswerte zu den politischen Parteien lassen leider keinen anderen Schluss zu, als dass dies alles ganz offensichtlich mit dem vollen Einverständnis der Wählerschaft geschieht.
Andererseits vernehmen wir dieser Tage auch neue, selbstbewusstere Töne, etwa wenn Außenminister Heiko Maas verkündet, an Nord Stream 2 auch gegen den Willen der zukünftigen Biden-Regierung festhalten zu wollen.[6] Es bleibt abzuwarten, ob sein Bekenntnis zur deutschen und europäischen Souveränität Bestand hat, sollten etwa die Grünen in eine neue Bundesregierung eintreten.
Dokumente des Psychogramms einer desorientierten Nation
Fritz Söllners Kritik der deutschen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik sollte durch Bücher ergänzt werden, die sich auf vergleichbarem Niveau mit der „Energiewende“, dem Atom- und Kohleausstieg, der programmierten Beschädigung eines bedeutenden Zweigs der deutschen Industrieproduktion und dem Jammerspiel der deutschen „Außenpolitik“ auseinandersetzen.
Ich wünsche mir auch das Werk eines Schriftstellers, das die Bedeutungszwischenräume zwischen den Zeilen der Sachbuch-Prosa in Worte fasst und, wenn nicht gerade die „Selbstabschaffung“ Deutschlands, aber doch seine Selbstlähmung literarisch widerspiegelt.
Zusammengenommen wären das die Dokumente des Psychogramms einer desorientierten Nation. Nicht, dass sich dadurch wohl vieles ändern würde. Aber zukünftige Generationen könnten wenigstens im Nachhinein verstehen, warum ihre Eltern und Großeltern sich so bereitwillig und begeistert auf den Kamikazeflug gegen das eigene Land begaben – und erfahren, wer am Steuerknüppel saß.
Anmerkungen
[1] Politik für Schlepper, Schleuser und Migranten. Geolitico, 29. Dezember 2020. https://www.geolitico.de/2020/12/29/politik-fuer-schleuser-und-migranten/
[2] Siehe umfassend Naomi Klein: The Shock Doctrine. The Rise of Disaster Capitalism. – London: Penguin, 2007.
[3] Siehe dagegen z.B. Walden Bello: Global Economic Counterrevolution. How Northern Economic Warfare Devastates the South. In: 50 Years is Enough. The Case Against the World Bank and the International Monetary Fund. Kevin Danaher (Hg.). – Boston: South End Press, 1994, S. 14 f.
[4] Michael Klonovsky: Diesen Kuß der ganzen Welt. Junge Freiheit, 10. Februar 2017, S. 13.
[5] https://www.youtube.com/watch?v=D9MnUSsK4RE
[6] „Maas: Werden im Streit um Nord Stream 2 nicht einlenken“. Frankfurter Allgemeine, 28. Dezember 2020. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/klima-energie-und-umwelt/heiko-maas-gegen-joe-biden-keine-einigung-um-nord-stream-2-17120978.html
Ja, diese Nation ist desorientiert, weil ihre Bürger das selbstständige Denken wohl nie gelernt haben und diese sich lieber in Utopien und Ideologien verrennen.
Zu diesem Satz noch:
„Die Nachbarländer werden sich über die spezifisch deutsche Neigung zu einem unpolitischen utopischen Idealismus freuen, durch den Europas Musterknabe begeistert seine wirtschaftliche Zukunft an die Wand fährt.“
Möglich, dass sich einige freuen werden, aber ob die Niederländer, Luxemburger, Schweizer, Österreicher oder Tschechen z. B. sich auf lange Sicht wirklich freuen werden, wenn ein einst führendes Industrieland zu einem Entwicklungsland mutiert, würde ich bezweifeln.
Wenn die Kuh, die bisher so erfolgreich gemolken wurde, plötzlich tot umfällt, dann werden sich so manche hier in Europa umschauen…
Unfähigeit zum Glücklichsein – Gedanken über eine lamentierende Nation Neulich hat sich mein Nachbar erschossen. Er hatte eine dicke Pension und wohnte in einem schuldenfreien Haus. Umsäumt von einem traumhaften Garten. Vor der Türe einen mordsmäßigen SUV und das alles bei bester Gesundheit. Seine Ehe war glücklich und mit ebenalls gutgeratenen Nachkommen gesegnet. Kurz vor seinem Abgang meinte er alles erreicht zu haben, das Leben sei damit sinnlos. Der Gute fühlte sich „nutzlos“ und hielt den Gedanken nicht aus, z.B. ungestört in einem Liegestuhl liegend ein gutes Buch zu lesen. Denn dabei verdiene man ja nichts. Er nahm deshalb eine… Read more »
@waltomax … Wir sind die jammernde Nation. Dem Rest der Welt ginge es gerne so mau wie uns!
Ja damit dürften Sie recht haben… nur wird dies eben nicht so gerne Wahrgenommen…. Wohlstandsverwahrlosung, die nicht nur Kinder und Jugentliche betrifft, ist wohl ein andrer Begriff für das von Ihnen festgestellte. .. denn offensichtlich sind auch viele Erwachsene Kinder, halt einfach Kinder des allgegenwärtigen Staates.
Der offene Krieg ist nicht mehr der Vater aller Dinge. Zu riskant für die bekannten Kriegsgewinnler. Man muss inzwischen die Gesellschaft von innen heraus zerstören. Also mit lock – down und schließlich mit Bürgerkrieg. Das schafft dann wieder neuen Bedarf und einen neuen Schuldenzylus. Wie bei einem Kleinkind, das sich eine Sandburg gebaut hat und diese mit Geschrei wieder vernichtet, um eine neue bauen zu können.
Eigentlich brauchte man nur ein Kerzerl, um einen Topf am Köcheln zu halten. Das bringt den interessierten Beziehern leistungsloser Einkommen aber keine Besoldung bzw. keine Zinsen. Darum muss man den Topf auskippen.
Den meisten Aussagen des Artikels kann man nur zustimmen, aber den folgenden Satz finde ich in seiner Pauschalität doch problematisch: „Aber auch das „rechte Lager“ versagt. Es ersetzt in der Regel eine politisch begründete Kritik der Migrationspolitik und ihrer internationalen Hintergründe durch die oft larmoyante Schau auf den Nabel einer imaginierten ahistorischen kulturellen Homogenität.“ Einerseits ist es durchaus zutreffend, dass die gemäßigte Rechte – etwa verkörpert durch Leute wie Karlheinz Weißmann oder Dieter Stein von der „Jungen Freiheit“ – gewisse Mühe haben, sozioökonomische Prozesse und Wandlungen angemessen zu berücksichtigen. So haben sie den Wandel vom traditionellen Industriekapitalismus zur sog. „Finanzindustrie“… Read more »
Vielen Dank für diese ausführliche Auseinandersetzung mit meinen knappen Worten. Es ist mir klar, daß ich damit Widerspruch hervorrufen muß. Aber ich wollte dieses Mal keinen längeren Aufsatz schreiben, auch aus Zeitgründen. Daher eine nur kurze Replik: Nach meinem Dafürhalten muß zwischen ethnischer Kultur und Nationalkultur unterschieden werden. Letztere hat gegenüber ersterer zwangsweise etwas Künstliches, da sie, als Kultur des demos, also der politischen Bürgerschaft, im Verlauf der Herausbildung der Moderne geschaffen wurde (Nationalliteratur, -musik, -Kunst, Infrastruktur, uva.), um den durch das Ideal der Volkssouveränität entfalteten Staat auch innerlich zusammenzuhalten. Der demos moderner Industriegesellschaften ist eben in der Regel nicht… Read more »
Die Linke hat nicht versagt – sie ist Teil des Problems, und zwar sogar zum größten Teil. Globalismus, no borders/no nations sind urlinks. Und genau das beschert uns die meisten der großen Probleme, die wir heute haben, zusammen mit dem besonders bei den Linksdrehenden vorhandenen Schuldkomplex gegenüber der ganzen Welt. Leider ziehen die Linken nicht die richtigen Konsequenzen daraus. Eigentlich müssten sie sich zur Begleichung dieser Schuld selbst entleiben. Die Rechte hat noch nicht ganz versagt – aber sie wird gerade Teil des Problems, jedenfalls wenn man einen Jörg Meuthen so weitermachen lässt, der verdiente Mitglieder und Stimmenbringer der Partei… Read more »
Alles richtig und eigentlich für jedermann klar erkennbar, wenn man von geistig gesunden Menschen mit Sinn für die Realitäten ausgeht. Nur war diese Gruppe in Deutschland nie besonders stark. Und so rannte man 2014 voller Begeisterung in einen verheerenden Weltkrieg, folgte den Nationalsozialisten ebenso willig wie heute den den grün und schwarz lackierten Neosozialisten, die sich die Zerstörung der eigenen Nation und Kultur auf die Fahnen geschrieben haben, natürlich wie stets unter Vorspiegelung hehrer Ideale, die nichts anderes sind als potemkinsche Dörfer, die den Weg zur Schlachtbank kaschieren sollen. Nein, das kann man nicht literarisch aufarbeiten außer in sarkastischen Spottgedichten.… Read more »
„Es interessiert nur wie immer kaum jemanden…“
Das interessiert erst wieder im Zusammenbruch, wenn nach Schuldigen und Schlechtmenschen gesucht wird, um zu erklären, warum das mit der schönen neuen Welt wiedermal nicht geklappt hat, und nach dem Zusammenbruch, wenn wieder entsetzt gefragt wird, wie „das“ geschehen konnte.
Es geschieht nicht, sondern es wird gemacht