Agenda für die gesellschaftliche Spaltung

Moral als Repressionsinstrument

Gesellschaft/ Volk / Quelle: Pixabay, lizenezfrei Bilder, open library: https://pixabay.com/de/menschen-publikum-masse-volk-334110/ Gesellschaft/ Volk / Quelle: Pixabay, lizenezfrei Bilder, open library: https://pixabay.com/de/menschen-publikum-masse-volk-334110/

 

Das Buch der Migrationsforscherin Sandra Kostner beschreibt, wie durch eine idenditätslinke Läuterungsagenda Meinungssperrbezirke in der Gesellschaft entstehen.

 

Teil I

Es gibt Buchtitel, die möglicherweise nur in Deutschland entstehen können. Der Titel des im Juni dieses Jahres erschienen Buches der Migrationsforscherin Sandra Kostner gehört auf jeden Fall in diese Kategorie: „Identitätslinke Läuterungsagenda – Eine Debatte zu ihren Folgen für Migrationsgesellschaften“ (Stuttgart 2019, in der Folge IL).

Bei der etwas spröden Titelgebung geht es um ein sich ausbreitendes Phänomen in der Politik der westlichen Gesellschaften, das im Buch sachlich diskutiert werden soll. Diese Sachlichkeit soll durch die Bezeichnung signalisiert werden, es ist aber kein Anreiz, um neugierige Leser anzulocken. Dabei wäre das Thema des Buches es durchaus wert, in viel größerem Maße in der Öffentlichkeit diskutiert zu werden.

Wer z. B. den Niedergang der SPD oder die immer weiter voranschreitende Entfremdung zwischen Politik und Bürgern ganz allgemein in Deutschland verstehen will, sollte das Buch lesen. Er erfährt viel über eine Denkrichtung, die mit dem lautstark geäußerten Ziel, unsere Gesellschaft humaner und gerechter zumachen, Gefahr läuft, eine immer größere Spaltung zu erreichen, die bekundet, sich fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu stehen, aber Ziele verfolgt, die die dem Gleichheitsgedanken dieser Grundordnung inhaltlich widersprechen.

Identitätslinke Läuterungsagenda

Herausgeberin des Buches ist Sandra Kostner, die an der Universität Stuttgart studierte und schließlich an der University of Sydney promovierte. Sie ist derzeit Geschäftsführerin des Masterstudiengangs „Interkulturalität und Integration“ an der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd und außerdem Diversitätsbeauftragte dieser Einrichtung. In Forschung und Lehre beschäftigt sie sich unter anderem mit Migrations- und Integrationsprozessen und dem Vergleich der Migrations- und Integrationspolitik in verschiedenen Ländern, Schwerpunkt sind dabei Deutschland, Australien und Großbritannien.

Niemand wird anzweifeln können, dass Frau Kostner eine ausgewiesene Expertin für das Thema ist. Das hier vorgestellte Buch erscheint in der von ihr, Stefan Luft und Elham Manea herausgegebenen Reihe „Impulse“, deren Format zutiefst der europäischen Aufklärung, der wissenschaftlichen Objektivität und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unserer Republik verpflichtet ist. Es soll innerhalb dieser Reihe für jedes Thema, in diesem Fall der linken Identitätspolitik, eine Diskussionsgrundlage für eine weitere Beschäftigung geschaffen werden, indem in den verschiedenen Texten der Beitragenden ein „möglichst breites Spektrum an Standpunkten“ (IL, S. 2) abgebildet wird. Der wissenschaftliche Anspruch nach Kraft und Stringenz der Argumente soll zählen „und nicht moralische Haltungen, ideologische Überzeugungen oder gar persönliche Diskreditierungen“ (IL, S. 2).

Dieser rigoros kritische, objektive und „unmoralische“ Anspruch muss wohl auch der Grund sein, warum das Buch über die Entstehung einer demokratie- und freiheitsfeindlichen Strömung in unserer Gesellschaft, die an politischem Gewicht zunimmt, in den Redaktionen des Mainstreams in Deutschland wenig Beachtung gefunden hat. Sind doch gerade dort die moralisch Wohlmeinenden zu finden, die in Kostners Buch kritisiert werden. Zudem muss man sich natürlich vor Augen halten, was in diesem Buch an kritischen Aussagen über die derzeitige Integrationspolitik enthalten ist.

Sandra Kostner erzählt in der Einleitung zum Buch über eine Diskussion mit australischen Lehrerinnen auf einer Party in Cairns im Jahre 2003, die für sie zum Anstoß wurde, sich mit dem Konzept einer identitätslinken Läuterungsagenda zu befassen. Dort wurde offen darüber geredet, dass man den Kindern von Aborigines aufgrund ihrer eigenen kulturellen Prägung und zur Wiedergutmachung durch das Unrecht, das ihren Vorfahren durch die weißen Australier widerfahren sei, in Abweichung vom offiziellen Lehrplan statt z. B. Mathematik verstärkt lieber Fächer wie Kunst oder story telling unterrichtete. Es gelte, den Unterricht für indigene Kinder an deren spirituelle und kulturelle Bedürfnisse anzupassen, denn das Aufzwingen „westlicher“ Lerninhalte wäre ein weiterer gewaltsamer Akt der Kolonialisierung. Außerdem sei der Unterricht nun entspannter, seit die Aborigine-Kinder nicht mehr „dauernd mit Dingen konfrontiert würden, für die ihr Hirn gar nicht gemacht“ sei.

Als Kostner mehrfach widersprach, und sie eine der Lehrerinnen fragte, ob sie sich auch nur eine Sekunde Gedanken darüber machte, was dieses unverantwortlich Verhalten für die Kinder im späteren Leben bedeuteten könnte, war es nur ihrer angeblichen Unkenntnis der australischen Verhältnisse zu verdanken, dass sie nicht gleich als Rassistin gebrandmarkt wurde. Für Kostner wurde das zu einem eindrücklichen Erlebnis:

„Das für mich Erschreckende war, dass sie sich offensichtlich ihrer rassistischen Argumentation in keiner Weise bewusst war, ganz im Gegenteil: Aus ihrer Sicht war dieses Argument ein dezidierter Ausweis ihrer antirassistischen Haltung.“ (IL, S. 9)

Kostner nahm in den folgenden Jahren wahr, dass in den westlichen Gesellschaften in immer größerem Ausmaß Läuterungsdemonstrationen inszeniert wurden:

„Die Empfänger- beziehungsweise Opferseite umfasst Personengruppen, die in der Vergangenheit in unterschiedlichem Maße Ausgrenzungen, Ungleichbehandlungen und Abwertungen ausgesetzt waren, aus denen Benachteiligungen resultierten, deren Folgen bis in die Gegenwart reichen. Zu diesen Gruppen gehören Indigene, Afroamerikaner, Migranten, Frauen und die LGBTQJA-Community. Die Geber- beziehungsweise Schuldseite besteht im Grunde aus allen, die nicht der entsprechenden Opfergruppe angehören und daher per se für die jeweiligen Ungleichbehandlungen verantwortlich gemacht werden.“ (IL, S. 10)

Und weiter fährt die Autorin fort in der Beschreibung einer neuen Ansicht über das künftige menschliche Zusammenleben, die sich in großen Teilen des Linksspektrums entwickelt hat:

„Diese Zwangszuweisung von Schuld- und Opferidentitäten (…) bildet aus meiner Sicht die Grundlage jener spezifischen Form der Identitätspolitik, die ich identitätslinke Läuterungsagenda nenne. Den Begriff identitätslinken Läuterungsagenda habe ich deshalb gewählt, da diese Agenda von Personen konzipiert und vorangetrieben wird, die sich politisch links verorten, aber an einem entscheidenden Punkt von den traditionellen Zielen linksgerichteter Politik abweichen. Dieser Punkt betrifft das für die Linke zentrale politische Ziel der Gerechtigkeit: Identitätslinke verstehen darunter nicht mehr soziale Gerechtigkeit, sondern Identitätsgerechtigkeit.
(…).
Menschen werden dergestalt auch ihrer Individualität beraubt, denn ihre vielfältigen Lebensumstände und ihre Persönlichkeitsmerkmale spielen bei dieser Gerechtigkeitsvision keine Rolle mehr – schlimmer, sie stehen ihr sogar im Weg. Einzig und allein das Merkmal, das die Identitätslinken zur Aufteilung von Menschen in Opfer- oder Schuldgruppen heranziehen, bestimmt nunmehr, wer Ansprüche an die Gesellschaft stellen darf und wer diese zu erfüllen hat.“ (IL, S. 11)

Die Autorin fährt fort in der Beschreibung dieses neuen politischen Phänomens:

„Den Begriff der Läuterungsagenda verwende ich, da Vertreter der Schuldseite – ich bezeichne sie als Schuldenentrepreneure – danach streben, durch Läuterungsdemonstrationen die moralische Autorität für ‚ihre Gruppe‘ und damit für sich selbst wiederzugewinnen, welche sie aus ihrer Sicht wegen der von Mitgliedern ‚ihrer Gruppe‘ verübten Ungleichbehandlungen verloren haben. Ihrem Pendant auf der Opferseite – die ich Opferentrepreneure nenne – geht es neben der materiellen auch um eine moralische Kompensation für erlittenes Unrecht. Das Einfordern von moralischen Läuterungsdemonstrationen wurde daher schnell zum Kernbestandteil der Agenda der Opferentrepreneure, zumal sie den selbstauferlegten Läuterungsdruck der Schulendentrepreneure als für ihre Belange nützlich erkannten.“ (IL, S. 11/12)

„Kampf gegen identitätsbasierte Machtasymmetrien“ 

Als Schuld- und Opfer-Unternehmer bezeichnet die Autorin diese identitätslinken Politiker und drückt damit auch aus, dass hier Menschen auftreten, die in den meisten Fällen nicht aus eigener Schuld oder aus eigenem Erleben von Ungerechtigkeiten heraus handeln, sondern eine Art politische Rolle oder moralischen Auftrag übernehmen:

„Was Identitätslinke von anderen Bevölkerungsgruppen unterscheidet, ist, dass letztere aufgrund von Schuldeingeständnissen keinen grundsätzlichen moralischen Autoritätsverlust verspüren und somit auch nicht das Bedürfnis, in den Geläutertenchor einzustimmen. Aus ihrer Sicht ist es vollkommen ausreichend, wenn ein Gemeinwesen seine liberal-demokratischen Prinzipien diskriminierungsfrei anwendet, um Chancengleichheit zu erreichen. Für die Identitätslinken kann es damit nicht getan sein. Ihr Ziel ist die Wiedergewinnung moralischer Autorität mittels der Demonstration moralischer Läuterung. Und die kann nur durch aktive und sichtbare Wiedergutmachungszeichen wie positive Diskriminierungen oder die Inschutznahme von Opfern vor Kritik erfolgen.“ (IL, S. 30/31)

Für viele Linke war der Übergang zur neuen Ausrichtung nicht außerordentlich schwer, wurde doch so der Kampf für das unterdrückte Proletariat, das aufgrund einer erfolgreichen Sozialpolitik des verhassten Westens, als Zielobjekt der Weltbeglückung nicht mehr recht taugte, erfolgreich verlagert auf den Kampf für die Rechte unterdrückter Minderheiten, wobei der Vorteil in dieser Verlagerung auch noch darin bestand, dass man immer neue Minderheiten, um die man sich politisch kümmern konnte, relativ willkürlich definieren konnte:

„Der Klassenkampf wird so vom Kampf gegen identitätsbasierte Machtasymmetrien abgelöst. Der Hauptfeind ist nicht mehr das Kapital, sondern eine rassistische bzw. sexistische Geisteshaltung, deren Überwindung zur Voraussetzung für die Herstellung von sozioökonomischer Gleichheit erklärt wird. Ein Opfer der ökonomischen Interessen von Kapitalisten zu sein reicht nicht mehr aus, um in den Fürsorgefokus der Identitätslinken zu geraten. Der ‚Andere‘ im fürsorgerelevanten Sinn ist nun jemand, der einen durch Rassismus oder Sexismus hervorgebrachten Opferstatus vorweisen kann.“ (IL, S. 23)

Kostner spricht im Weiteren auch von einer symbiotischen Verbindung der beiden Rollen, die Identitätslinke ausüben können. Es ist im ureigensten Interesse und Nutzen dieser Akteure, die als „Unternehmer“ der Wiedergutmachung in selbstgestelltem moralischem Auftrag unterwegs sind, dass die definierten Opfer- und Schuldidentitäten weiter aufrechterhalten werden.

Dass hier vor allem auch auf Seiten der Schuldentrepreneure Eigeninteresse die größte Rolle spielt, liegt für Sandra Kostner auf der Hand. Auf der Opferseite ist das einleuchtend erklärbar, da sich durch die Opferstellung Ansprüche auf Sonderrechte und finanzielle Ausgleichsmaßnahmen an die Mehrheitsgesellschaft stellen lassen. Aber die Seite der geläuterten Schuldigen ist wohl komplizierter.

Man kann Vermutungen darüber anstellen, ob bei der Entwicklung eines solchen Denkens nun tiefenpsychogisch oder karrieremäßig Gründe vorrangig waren und sind. Und sicherlich können die Schuldunternehmer im innenpolitischen Kampf eine moralische Oberhoheit erlangen und damit Vorteile erzielen – aber nur, solange die Mehrheitsgesellschaft das zulässt.

Auf welch schwankendem Boden die Schuldkult-Anhänger sich befinden, zeigt inzwischen so manche europäische Wahl. Der Begriff „Eigeninteresse“, den Kostner bevorzugt, scheint daher etwas zu kurz zu greifen, zieht man den Fanatismus und die Aggressivität in Betracht, die zu Tage kommen, wenn solche Positionen argumentativ angegriffen werden. Hier scheint sich in den letzten Jahrzehnten eine Art Ideologie gebildet zu haben, die man durchaus als politische Religion bezeichnen kann. Denn dass eine ehemals linke Volkspartei wie die SPD zu einem politischen Gebilde wurde, deren Funktionäre lieber den stetigen Niedergang der Partei in der Wählergunst hinnehmen, als in irgendeiner Form die für ihre bisherige Wählerschaft in großen Teilen nicht akzeptierbaren identitätslinken Positionen zu räumen, ist erstaunlich.

Ob hier in erster Linie Eigeninteresse im Spiel ist, vor allem auf Seiten der Schuldvereinnahmer, oder nicht doch eine Art ideologischer Fanatismus, soll einmal dahingestellt bleiben. Aber die Zusammenhänge mit dem abgehalfterten Marxismus und dem neuen Diversitätsdenken sieht Kostner ja selbst. In den Repliken der anderen Autoren wird das durchaus thematisiert. Nehmen wir zur Kenntnis, dass für die Autorin Eigeninteresse der Hauptantrieb in dieser Sache ist und dass hier auch die Gefahr für unsere freiheitliche Ordnung schlummert:

„Es dauerte einige Jahre, bis ich eine für mich zufriedenstellende Erklärung dafür fand, warum identitätslinke Akteure so unerbittlich auf abweichende Meinungen reagieren und wie sie es geschafft haben, dass sich Menschen von ihnen ihr Recht auf Meinungsfreiheit beschneiden lassen. Ich sehe den Grund für die Vehemenz der Kritikabwehr darin, dass die Entrepreneure ihre eigeninteressenbasierte Agenda nur mithilfe der Zwangsverpflichtung anderer Menschen verwirklichen können. Zwangsverpflichtungen lösen bei den Betroffenen Kritik, Unmut, Widerwillen und Ablehnung aus – also überwiegend emotionale Reaktionen, denen mit Argumenten generell schwer zu begegnen ist. (…). Was die letzten 15 Jahre und damit den Zeitraum meiner Analysen betrifft, musste ich jedoch so gut wie flächendeckend feststellen, dass die Entrepreneure auf Kritiker beziehungsweise auf Menschen, die sich der Zwangsverpflichtung verweigern, nicht mit Argumenten, sondern mit moralischer Diskreditierungen reagieren.“ (IL, S. 12)

Meinungssperrbezirke

Und so entstehen auf diese Weise innerhalb der Gesellschaft Meinungssperrbezirke zu bestimmten Themen oder Personengruppen, in der eine eigene Meinung nur erlaubt ist, wenn es nicht die „falsche“ Meinung ist. Das ist allerdings nur noch ein Zerrbild einer freiheitlichen Demokratie. Sandra Kostner verdient Respekt, wenn sie unter Berufung auf ein Wort des ersten Bundespräsidenten Heuss „Die äußere Freiheit der Vielen lebt aus der inneren Freiheit des Einzelnen“ trotz der Gefahr von identitätslinken Mitbürgern, die es natürlich nur gut meinen, angegriffen zu werden. Das kann, man hat es verschiedentlich gesehen, auch die berufliche Existenz kosten.

Nach ihrer Einleitung mit der Beschreibung einer identitätslinken Einstellung, die inzwischen zu einem wirkmächtigen Faktor in allen Ländern des Westens wurde, kommt Kostner in einem „Impulstext“ (Identitätslinke Läuterungsagenda. Welche Folgen hat sie für Migrationsgesellschaften?) zum eigentlichen Thema des Buches: Wie wirkt sich die identitätslinke Läuterungsagenda, wenn sie politisch umgesetzt wird, auf eine Migrationsgesellschaft aus? Bedeutet diese Politik nicht ein Fragmentierungs- und Polarisierungspotenzial? Werden damit nicht gesellschaftlich rückständige, freiheitsbeschränkende Praktiken in patriarchalisch orientierten Migrantengruppen zementiert?

Kostner stellt zu Beginn ihres Eingangstextes fest, dass die Förderung von Diversität zum Anliegen eines großen Teils von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien geworden sei. Diversität, ein Begriff der im Wortsinne eigentlich „Vielfalt“ bedeutet, hat aber gesellschaftspolitisch eine festumrissene, eingegrenzte Bedeutung bekommen (IL, S. 17/18):

  • „Es gibt Diversitäten, die sozusagen gleicher sind als andere.

  • Die Fürsprecher der Diversitätspolitik beziehen sich auf eine verengte Form demographischer Diversität, die mit spezifischen, vor allem historischen Diskriminierungen verknüpft sind.

  • Diese förderungswürdigen Diversitäten haben sich seit den 60er-Jahren in einem Prozess der Politisierung von Identitäten entlang von Täter-Opfer-Kategorien ergeben.

  • Die verschiedenen Stränge der Entwicklung einer diversitätsbasierten Politik haben schließlich zu einer Konzeption „einer gemeinsamen Erbsünde des Westens“ geführt, auf der die identitätslinke Politikrichtung aktuell basiert.

  • „Die Identitätslinke nahm den Westen als Ganzes bei allen rassismusbezogenen Themen in die Verantwortung und erklärte Kolonialismus, Imperialismus, Sklaverei und Genozid zu den Hauptwesensmerkmalen der westlichen Erbsünde. Auf diese Weise erhiel auch Deutschland ein weißes Schuldbewusstsein. (IL, S. 18)“

  • Ergänzt wurde dann die rassismusbezogene Ausformung des Täter-Opfer-Schuldbewusstseins durch weitere Schuldzuweisungen an die westlichen Gesellschaften, die sich aus der jahrhundertelangen Diskriminierung von Frauen- und Homosexuellen ergeben haben.“

Die Ausbildung dieser politischen Denkrichtung im Westen war im Hinblick auf eine Integration von Migranten in die bestehenden Gesellschaft eher kontraproduktiv:

„Opfer- und Schuldenentrepreneure haben über die Jahrzehnte politisierte Opfer- und Schuldenidentitäten gewinnbringend genutzt. Sie haben dabei geflissentlich die nicht übersehbaren negativen Folgen ausgeblendet. So hat die eigeninteressenbasierte Schuld-Opfer-Symbiose beispielsweise Anreize dafür geschaffen,

  • (1) Teilhabedefizite und Diskriminierungsnarrative aufrechtzuerhalten,

  • (2) Schuld- und Opferidentitäten zu verfestigen und von gesellschaftlichen Entwicklungen wie dem Abbau von Diskriminierungen loszulösen,

  • (3) nach neuen Opfergruppen und Opferthemen Ausschau zu halten,

  • (4) Freiheit der Gleichheit zu opfern und

  • (5) eine Entschuldigungskultur zu etablieren, mittels derer Kritik an Opfergruppen abgewehrt und delegitimiert werden kann.“ (IL, S. 22)

Aushöhlung des Gleichheitsgrundsatzes

Kostner beobachtet auch eine Radikalitätsspirale bei den Schuldentrepreneuren, die, nachdem ihre Anliegen, Diskriminierungen bei bestimmten Gruppen zu beenden, erfolgreich war und sie damit ihre eigene „Geschäftsgrundlage“ sozusagen ruiniert haben, die Anforderungen noch steigern um im Spiel zu bleiben:

„Im Klartext: Sie setzen in bestem Eigeninteresse alles daran, Diskriminierungsnarrative aufrechtzuerhalten, unabhängig davon, was in der Realität passiert“. (IL, S. 23)

Auch hier nur die Anmerkung, dass das Ausblenden der Realität schon immer ein eindeutiges Kennzeichen für eine fanatische Ideologie war.

Als negative Folgen einer gesellschaftlich zugelassenen Politik der Identitätsgerechtigkeit sieht Kostner z. B. Freiheitsbeschränkungen für die Mehrheitsgesellschaft, eine Aushöhlung des grundgesetzlich verankerten Gleichheitsgrundsatzes, aber auch eine Fragmentierung unserer Gesellschaft, die äußerst bedenklich ist. Der letzte Punkt soll noch genauer betrachtet werden.

Mit der Politik der politisierten Diversität ändert sich auch die Ansicht über das, was soziale Gerechtigkeit ist und wie sie umgesetzt werden sollte:

„Am Terminus der sozialen Gerechtigkeit wurde festgehalten, aber inhaltlich geht es jetzt um Identitätsgerechtigkeit. Der Hauptunterschied der beiden Gerechtigkeitsmodelle besteht darin, dass soziale Gerechtigkeit auf die Herstellung von sozialer Durchlässigkeit ausgerichtet ist. Dies bedeutet, dass Menschen ihren sozialen Status beeinflussen können. Genau das schließt Identitätsgerechtigkeit aufgrund der anhand von unveränderten Merkmalen wie Geschlecht und Hautfarbe vorgenommenen Gruppeneinteilung aus.
Gesellschaftliche Polarisierungen und daraus resultierende Fragmentierungen sind nahezu unausweichliche Folgen eines solchen Gerechtigkeitsmodells. (…). Hinzu kommt, dass Identitätsgruppen um politische Aufmerksamkeit und Ressourcenzuteilung konkurrieren, was Fragmentierungstendenzen weiter verstärkt. Eine Gesellschaft, die das Signal sendet, dass Gerechtigkeit von der Förderung von Opferidentitäten abhängt, lädt nachgerade dazu ein, immer neue Opfergruppen zu konstruieren und im Kampf um Ressourcen zu mobilisieren, mit den entsprechenden Folgen für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt.“ (IL, S. 28)

Es ergibt sich auch eine Zweiteilung beim Einsatz staatlicher Interventionen: Es werden bei den als unterprivilegiert eingestuften Identitätsgruppen Praktiken und Verhaltensweisen zugelassen, die für die immer noch als privilegiert angesehene Mehrheitsgesellschaft zu Eingriffen der Staatsmacht oder der Gerichte führen. Als Begründung für diese Ungleichbehandlung wird meistens angegeben, dass die als unterprivilegierte Gesellschaftsgruppen angesehenen Bevölkerungsteile Eingriffe des Staates als neue Unterdrückung interpretieren könnte.

Als problematisch und die Gesellschaft weiter in die Polarisierung treibend sieht Sandra Kostner auch an, dass die Identitätslinken die absolute Diskurshoheit verlangen, wenn es um Angehörige von Opfergruppen geht, die selbst zu Täter werden. Sehr schnell werden dann Islamophobie- bzw. Rassismus- oder Sexismus-Vorwürfe erhoben, um Kritiker, die nicht auf der „richtigen“ Seite stehen, mundtot zu machen:

„Argumente wären selbstredend hilfreicher als Vorwürfe, aber diese scheint man nicht zu haben. Oder man ist aufgrund dessen, dass man sich zu sehr in selbstreferentiellen Echokammern bewegt, nicht darauf vorbereitet, das Analysen und Ansprüche begründet werden müssen; dass es mehr braucht als Behauptungen und dass es legitime Pro- und Contra-Argumente gibt. Wie sonst ist zu erklären, dass diskreditierende Unterstellungen so inflationär gebraucht werden und gut begründete Argumente so selten?“ (IL, S. 29/30)

Die Bevölkerung hat außerdem wenig Verständnis für finanzielle oder rechtliche Ausgleichsmaßnahmen für Opfergruppen, deren Vorfahren früher diskriminiert wurden, aber deren nicht diskriminierte Nachfahren nun in den Genuss von Sonderbehandlung kommen sollen. Doch weitere sonderbare Verhaltensweisen zerspalten die Gesellschaft:

„In der extremsten Form hat das Läuterungsbedürfnis so weit geführt, dass Identitätslinke ein neues Überlegenheitsgefühl entwickelt haben. Das alte Überlegenheitsgefühl beruhte auf Rassismus und richtete sich dementsprechend gegen andere Ethnien. Das neue Überlegenheitsgefühl bezieht seine Kraft aus dem moralischen Läuterungsgrad, den Mitglieder der ‚Dominanzgesellschaft‘ aufweisen können. Die Untererteilung der ‚Dominanzgesellschaft‘ in moralisch geläuterte und somit überlegene Personen und ‚die Anderen‘ trifft bei ‚den Anderen‘ naturgemäß auf wenig Gegenliebe und verstärkt Fragmentierungslinien.“ (IL, S. 30)

Die Autorin wundert sich, dass viele Identitätslinke gar nicht merken würden, wie sehr ihr gut gemeinter Kampf gegen Rassismus einer neuen Form von Rassismus Vorschub leistet, „den man als Läuterungsrassismus bezeichnen könnte“. Müssen wir am Ende sogar befürchten, auch wenn es Kostner so nicht ausdrückt, dass die Identitätslinken versuchen, eine neue Gesellschaft der Hypermoral aufzubauen, die auf lautstarke Gesinnungsbekundungen für die Sache der Diversität beruht? Viele Diktaturen in der Geschichte waren für die Menschen im Vorfeld einfach nicht vorstellbar, die Folgen im Falle einer weiteren Durchsetzung solcher Ideen wären jedenfalls katastrophal.

Neu geschaffene Ungerechtigkeiten

Auch in der Parteienlandschaft treten Fragmentierungen auf. Die Kluft zwischen der alten Linken, die weiter am Ziel der sozialen Gerechtigkeit festhält, und der Identitätslinken, die Identitätsgerechtigkeit auf ihre Fahnen geschrieben hat, tut sich immer weiter auf. In vielen Ländern Europas hat sich so die Stammwählerschaft von den Parteien des sozialdemokratischen Spektrums entfremdet.

Gegen Ende ihres Abschnitts über Fragmentierungen kommt Sandra Kostner zu einer bedenklichen Zusammenfassung:

„Letztendlich wurde mit dem Modell der Identitätsgerechtigkeit eine toxische Version von Gerechtigkeit entworfen, die ihr Polarisierungs- und Fragmentierungsgift langsam, aber stetig in die betroffenen Gesellschaften einträufelt. Das gesellschaftliche Klima wird von neu geschaffenen Ungerechtigkeiten vor allem auch deshalb vergiftet, weil sie die Mehrheit betreffen und damit die Demokratiefrage im Raum steht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Identitätslinken zwar aufgrund der Besetzung vieler Schlüsselpositionen einflussreiche Agenda-Setter sind, aber nicht die Bevölkerungsmehrheit stellen.“ (IL, S. 32)

Nicht überraschend ist deshalb, dass Sandra Kostner den Anhängern der identitätslinken Theorie dann am Schluss ihres Impulstext-Beitrags vorschlägt, selbstkritische Reflexionen anzustellen und „ihre Orientierung an einer gruppenbezogenen Identitätsgerechtigkeitsvorstellung“ (IL, S. 67) zugunsten einer Orientierung am Individuum aufzugeben, denn die Konsequenzen von menschenrechts- und freiheitsverletzenden Praktiken seien zu schwerwiegend, um sie unter dem Deckmantel der Kultur- bzw. Religionssensibilität hinzunehmen.

 

In diesem ersten Teil des Beitrags wurde Sandra Kostners Definition der identitätslinken Läuterungsagenda widergegeben sowie die negativen Auswirkungen, die diese politische Haltung nicht nur nach Meinung der Autorin hat. Auf Kostners Einleitungs- und Eingangstexte antworten dann verschiedene andere Autoren mit ihren Beiträgen. Im zweiten Teil werden die Beiträge von Alexander Grau, Stefan Luft, Boris Palmer und Roland Springer näher betrachtet.

Hier geht’s zu Teil II.

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Gustav
Gustav
4 Jahre her

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat, entweder auf Drängen der Fremdenführerin oder ihr bloß „entgegenarbeitend“ (frei nach Ian Kershaw), eine Hotline eingerichtet, auf welcher der wachsame Bürger Meldung erstatten kann, wenn er in seinem Umfeld „rechte Umtriebe“ bemerkt. Oder mutmaßt. Oder ahnt. Wörtlich geht es um: „Hinweise zu Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus, Reichsbürger und Selbstverwalter“. Solche Hinweise „werden rund um die Uhr vertraulich aufgenommen“. Wer das bezahlt? Na unser Genosse Heiko Maas, er lebe hoch! Hoch! Hoch! Ob auch Skalpprämien ausgelobt werden, hängt von der Qualität der ersten Anrufe ab. Natürlich sind sie bei Wikipedia, Amadeus-Antonius-Bund und „Störungsmelder“ ein bisschen sauer, dass man… Read more »

hubi stendahl
hubi stendahl
4 Jahre her

Frau Kostner beschreibt die Wirkungen in einer schleichend mit Dekadenz durchsetzten linken Gesinnungsdiktatur, die noch lange nicht auf dem Höhepunkt ihrer Zerstörungskraft ist. Indes, der künstlich von interessierter Seite lancierten Ursache, kommt sie zumindest bisher nicht auf die Spur. Vielleicht ginge ihr ein Licht auf, wenn sie sich mit den Methoden moderner Massenpsychologie vertraut machen würde und die Profiteure der derzeitigen Vorgänge eruiert, um dann die einzelnen Bausteine (über Jahrzehnte eingepflegten Inszenierungen) zu einem Bild zusammenfügt. Denn es geht den Leadern im Hintergrund immer um Macht und Profit. Auch mental. Wir sehen also hier keine plötzliche Wandlung ganzer Gesellschaften vom… Read more »

globalvoter.org
globalvoter.org
Reply to  hubi stendahl
4 Jahre her

Was hochgeht ist das exponentielle SchuldgeldSystem mit seinem Wachstumssyndrom, der Mutter aller Krisen. Von Öko zu Weltkrieg.
Mißbrauch der Ressourcen bis zur fatalen Wertillusion (Geld).
Die Meinungssperrbezirke sind in jeder Diktatur Geschäftsprinzip kommend, von westl. Erbsünde „Geld ist Geil“ (GG) und Werte lassen sich in identitätslinker Läuterungsagenda „runterspülen“. Keiner merkt die toxische Version der MachtMatrix, die, jetzt, auf Schwarz/Grün steuert, der Vorstufe der Virtuellen Diktatur, wo die Diskurshoheit, verblümt, durch Diskriminierungsnarrative, unabhängig, der Realität eingepflegt wird! Eine perfekte Inszenierung. Keiner merkt was! Die NAWO (Die Neue und Alte Weltordnung)

Jack Lopez
Jack Lopez
4 Jahre her

Klingt nach einem interessanten Buch! Und das auch noch von einer „Diversitätsbeauftragten“!
Man darf fragen, wie lange es dauert, bis identitätslinke Krawallisten ihre Vorlesungen stören werden.
Aber ich werde mir das Buch mal auf meine Liste der „Lesenswerten Bücher“ setzen.

Gerolf
Gerolf
Reply to  Jack Lopez
4 Jahre her

„Man darf fragen, wie lange es dauert, bis identitätslinke Krawallisten ihre Vorlesungen stören werden.“

Das ist allerdings eine berechtigte Frage.

MutigeAngstfrau
MutigeAngstfrau
4 Jahre her

Das gesamte Konstrukt der mentalen Verblendung der Menschheit, eingefädelt von den Hintergrundmächten dieser Welt und inzwischen über NGO’s und Meinungsinstitute wie Tavistock als Selbstzerstörungsvirus in die Nationen gepflanzt, basiert auf der fundamentalsten Lüge, nämlich der Fälschung der Geschichte. Es gibt nur sehr wenige Menschen, die sich die Aufdeckung dieser unfassbaren Schweinerei zur öffentlich vorgetragenen Lebensaufgabe gemacht haben und dafür einer unglaublichen Verhetzungsjagd ausgesetzt werden. Zu diesen Menschen gehört Thorsten Schulte, dessen Abservierung leider auch höchste Kreise der AFD betrieben hatten. Denn letztlich, so mutig auch viele der dort bewundernswert engagierten Politiker auch sein mögen, handelt es sich bei ALLEN Parteien… Read more »

MutigeAngstfrau
MutigeAngstfrau
Reply to  MutigeAngstfrau
4 Jahre her

https://www.youtube.com/watch?v=MPlSPcdsr4w

Kafka
Kafka
Reply to  MutigeAngstfrau
4 Jahre her

Vor allem, weil es einem dann schnell so gehen kann, wie Frau Beck, dei „plötzlich“ verstarb, wie merkwürdiger weise gleich 5 Autoren, die die Elite anprangerten … in nur einem Jahr!

Nathan
Nathan
Reply to  MutigeAngstfrau
4 Jahre her

Wenn der Herr Schulte in diesem Video 2 mal betont, daß er jeden Tag mit dem Rosenkranz in der Hand zu Gott betet, dann kann er nicht über der Sache stehen, sondern unterwirft sich selbst „fremdbestimmt“. Seine Vorstellung einer nur aus 3 Personen bestehen dürfende Partei mit dem einzigen Ziel der direkten Demokratie ist wohl eher eine unüberlegte (Wahn-)Idee, weil niemals Gleichgewichtung in vorausgehenden Diskussionen möglich ist. Das weiß doch auch er, und will die Szene noch mehr zerteilen statt einen? Dann bleiben wir doch lieber bei bestehender Oppositionspartei, selbst wenn sie unterwandert ist und Klimmzüge zum Überleben vor dem… Read more »

Nemesis
Nemesis
Reply to  Nathan
4 Jahre her

@Nathan, Hallo meinerseits, „lieber bei bestehender Oppositionspartei“ Die vllt. nur als Ventilfunktion erschaffen wurde. Ich warte immer noch auf Antwort dieser Partei, warum im Parteiprogramm weder der NATO Austritt noch der Friedensvertrag für die BRD gefordert wird. Der ganze „Saftladen“ wurde schon vor der sogenannten Wiedervereinigung aufgelöst und ist doch nur noch eine eingetragene Firma auf 330.000 km² mit 78 Millionen + „x“ Einwohnern/Personal. Selbst wenn es nicht so sein sollte/wäre, ist die komplette Parteienlandschaft und ihre Anhängerschar eine verkommene, peinliche und viel zu kostpielige Laienspielertruppe, die 24/7/365 ihren Amtseid vorsätzlich bricht. Also laut sogenanntem GG sind es Verbrecher, die… Read more »

Klaus-Peter Kostag
Klaus-Peter Kostag
4 Jahre her

Die Frau Kostner hat eine tolle Findung von ganz normaler, alltäglicher Ochlokratie beschrieben. Die Migrationsdebatte, ihre Weltherrschaft von ungewolltem Rassismus ist zu weit fortgeschritten, sie jetzt noch zu stoppen. Es ist aber nicht die einzige. Wegen der adversen Selektion findet sich dann Ochlokratie inzwischen als dominierend im Parlament, wöchentlich sehbare Realsatire davon, die BUNDESPRESSEKONFERENZ. Dr. Markus Krall beschreibt den ersten Teil davon, der zweite ist, dass solche Pöbelherrschaft des Polit-Prekariats nie Lösungen sucht, findet, durchsetzt sondern nur bestrebt ist, nie Fehler zu machen, von den Fress-Trögen vertrieben werden zu können.

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