Angst um Stabilität und Sicherheit

Weist die Entgrenzungs-Ideologen in die Schranken, sonst kippen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, unser Rechtssystem und unsere soziale Ordnung.

 Mitten im Getöse der Meinungen, Gegenmeinungen, Verirrungen und Verwirrungen zum Fortgang der Flüchtlingskrise und der damit einhergehenden deutschen Selbstdemontage als Staat, der sein Staatsvolk mittels kontrollierter Grenzen beschützt, stößt man manchmal auf Texte, deren Blick auf den aktuellen Stand der politischen Gemengelage in Deutschland aufklärend ist. Am 12. Januar 2016 wurde gleich in zwei Beiträgen zutreffend analysiert: Das alte Rechts-Links-Schema der politischen Einordnung hat im Grunde ausgedient. In der politischen Diskussion in Deutschland ist es allerdings noch allgegenwärtig.

Die Bezeichnungen „rechts“ oder „links“ zur Kennzeichnung der inhaltlichen Ausrichtung politischer Parteien und Strömungen soll nach unterschiedlichen Ausdeutungen entweder schon auf die Sitzordnung der französischen Nationalversammlung der Revolutionszeit von 1789 zurückgehen oder auf die der französischen Abgeordnetenkammer von 1814: Rechts vom Sitzungspräsidenten saßen die Parteien, die die alten Verhältnisse wieder herstellen wollten bzw. den augenblicklichen, als gut angesehenen Zustand zumindest bewahren wollten, und links saßen die politischen Kräfte, die nach politischen und gesellschaftlichen Veränderung strebten, z. B. nach einer Beteiligung der unteren Schichten am gesellschaftlichen Wohlstand und bei der politischen Willensbildung.

Klare Zuordnungen nur am Rand

Danach richtet sich bis zum heutigen Tag die Begrifflichkeit im politischen Alltag aus, auch wenn dies der unübersichtlichen Vielfalt und der oft verwirrenden Gleichzeitigkeit aktueller „linker“ und „rechter“ Strömungen in ein und derselben Partei, die in der Realität zu beobachten sind, nicht (mehr) angemessen ist. In den westlichen Demokratien des 21. Jahrhunderts hat das allerdings auch damit zu tun, dass die um die Wählermehrheit, also die gesellschaftliche Mitte kämpfenden relevanten Parteien sich in ihren politischen Aussagen im großen Maße angenähert haben.

Am deutlichsten kann man mit diesen Bezeichnungen noch die politischen Ränder definieren. „Rechtsextrem“ beinhaltet nach herkömmlicher Sichtweise ein faschistisches Weltbild, in dem Führerprinzip, Nationalismus, aggressiver Imperialismus, Rassismus sowie Ablehnung von Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie prägend sind. Als „linksextrem“ werden Parteien und Strömungen bezeichnet, die ebenso wie ihr faschistischer Gegenpart mit einer parlamentarischen Demokratie und einem rechtsstaatlichen Verfahren nichts anfangen können. Darüber hinaus reden sie der Enteignung der „Vermögenden“, der Vergemeinschaftung der Produktionsmittel sowie der gewaltsamen Errichtung einer egalitären kommunistischen Gesellschaft das Wort.

Am äußeren Rand gibt es somit noch klare Zuordnungen. Die Parteien der „Mitte“ versuchen deshalb, neu aufkommende politische Strömungen von Anfang an als Parteien des politischen Rands zu etikettieren, um eine abschreckende Wirkung beim Wähler zu erzielen.

An dieser Stelle soll allerdings keine Diskussion über „rechts“ oder „links“ in der westlichen Parteienlandschaft im Allgemeinen und im politisch blockierten Parteienspektrum Merkel-Deutschlands im Besonderen geführt werden, sie würde ausufern. Hier soll es um Aussagen gehen, die anhand der Flüchtlingskrise konstatieren, dass sich die politischen Auseinandersetzungen in Deutschland und Teilen Europas jenseits des alten Rechts-Links-Schemas gerade zu einem kulturellen Richtungskonflikt entwickeln bzw. schon entwickelt haben.

Die dreigteilte gesellschaftliche Mitte

In einem Interview mit der „Welt“, überschrieben mit dem Titel „Angela Merkel nimmt Europa in Geiselhaft“[1], kritisiert der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Elmar Wiesendahl scharf Merkels Politik der Grenzöffnung und ihre Unfähigkeit zu einer Korrektur der misslungenen Politik. Was jetzt gerade passiere, sei reine Gesichtswahrerei. Merkel versuche erpresserisch, die europäischen Staaten auf die deutsche Linie zu bringen, die von allen abgelehnt werde. Sie nehme damit Europa in Geiselhaft für die Aufrechterhaltung ihrer Fehlentscheidung am 5. September 2015. Weitere Gesinnungsethik bringe Deutschland aber nicht weiter, verantwortungsethisch „geht kein Weg an einer Begrenzung der Flüchtlingszuwanderung vorbei“. Zumal der eigentliche Massenansturm wohl noch kommen werde.

Nach Meinung Wiesendahls ist ein künftiger Kampf der Kulturen in Deutschland selbst unausweichlich. Allein dieser Begriff wird für manche aus den Reihen der deutschen Willkommensrufer ausreichen, Wiesendahl in die Ecke des Rechtspopulismus oder gar Neo-Faschismus zu stecken:

„Es geht um den Status und Erhalt der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Das hat nichts mit Fremdenangst zu tun, sondern mit einem ,Clash of Cultures’“.

In der „libertären Willkommenskultur“ will man von kommenden Konflikten zwischen kulturell unterschiedlich geprägten Menschen nichts wissen. Wiesendahl begründet diesen aus seiner Sicht unausweichlich kommenden kulturellen Kampf durch eine fehlende „mentale Integration“ beim größten Teil der Zuwanderer:

„Die Flüchtlinge kommen aus vormodernen autoritären Staatsgebilden, die ausgesprochen repressive politische Strukturen besitzen. Sie haben über die Jahre nur unter staatlicher Unterdrückung gelebt. Mündiges Staatsbürgertum ist unterentwickelt. Und um damit klarzukommen, war für sie Korruption und Bestechung Alltag. Dieses Grundbewusstsein bringen sie nach Deutschland.

[Außerdem kommen die Flüchtlinge] aus rückständigen, partiell feudalen gesellschaftlichen Verhältnissen (…). Es ist nicht nur die Unterdrückung der Frau, sondern ein patriarchalisches Verwandtschafts- und Clan-System, das weit von der modernen Kernfamilie entfernt ist. Die arrangierte Ehe ist selbstverständlich, sogar die Zwangsehe. Nicht individuelle Freiheit und Selbstbestimmung, sondern die Ehre der Familie ist von höchstem Wert. Das individuelle Leistungsprinzip zählt wenig. Bei uns stellt dies aber das A und O dar, um beruflich etwas zu werden. Dort bedient man sich beruflich verwandtschaftlicher Beziehungen. Dieses Muster des gesellschaftlichen Zusammenlebens bringen sie nach Deutschland.“

Im Gefolge des immer instabiler werdenden globalen Systems und der damit einhergehenden neuen Völkerwanderung sieht der Parteienforscher kein Abdriften der Mitte nach rechts, sondern eine schon erfolgte Aufspaltung der Mitte in drei Lager, die um die politische Deutungshoheit kämpfen:

  • Das libertär-humanistische Lager: „Es neigt zu einer zivil-religiösen Gesinnungsethik. Man fühlt sich selbstgewiss im Sinne der Verfechtung höchster moralischer Werte wie Menschlichkeit und Barmherzigkeit. Dieses Lager hat einen Flüchtling vor Augen, der unbedingt in Deutschland bleiben muss.“ Diese politische Strömung, die „voller Inbrunst hinter der Willkommenskultur steht“, hat bis jetzt die öffentliche Meinung bestimmt und über die political correctness die Debatte über eine weitere Zuwanderung und die Behandlung von Flüchtlingen in eklatanter Weise verengt.
  • Das zweite Lager ist die „pragmatische Mitte“: „Das sind Leute, die sind offen, die haben auch keine Angst, aber die stellen Fragen. Die wollen etwa wissen, warum sie 1,2 Millionen Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern willkommen heißen sollen. Die wollen wissen, was das kostet, welche gesellschaftlichen Folgen das hat, was alles von der libertären Seite nicht benannt wird.“
  • Das dritte Lager nennt Wiesendahl die Traditionalistisch-Verängstigten. Das ist „eine Gruppe, die aus ihren Werthaltungen heraus ein Verständnis von Identität hat und die Identität kulturell durch Überfremdung infrage gestellt sieht“.

Die altideologischen Diskurse helfen nicht mehr

Ob man eine traditionalistische Haltung unbedingt mit dem Begriff „verängstigt“ anreichern muss, sei einmal dahingestellt, es ergibt sich auf jeden Fall zwischen diesen Lagern ein massiver kultureller Richtungskonflikt, und – so muss man Wiesendahl ergänzen – diese neuen Lager haben sich quer durch die bisherigen politischen Strömungen in der Gesellschaft und somit auch durch viele der bisherigen Parteien des alten Rechts-Links-Schemas gebildet. Allerdings, schlage sich diese Entwicklung, so Wiesendahl, noch nicht im Bundestag nieder. Dort gebe es in der Flüchtlingsfrage keine Opposition:

Wir haben im Bundestag lauter Parteien, die einen humanitären Pro-Flüchtlings-Konsens vertreten. Was fehlt, ist, dass auch die pragmatische und die traditionalistische-ängstliche Mitte durch Parteien im Bundestag eine Stimme fänden. Wir haben da eine riesengroße Repräsentationslücke, die unverantwortlich ist.

Ebenso deutlich benennt Heinz Theisen in seinem Beitrag „Jenseits von Links und Rechts“ im Online-Portal „Achse des Guten“ die künftigen politischen Kampflinien innerhalb der westlichen Gesellschaften. In den westlichen Gesellschaften würden schon heute nicht Linke und Rechte, sondern Kulturoptimisten (von Theisen auch „Entgrenzer“ genannt) und Skeptiker gegenüber interkultureller Vermischbarkeit aufeinanderprallen. Im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen wird es verstärkt um die künftige Gestaltung von Asylrecht, Flüchtlingsaufnahme und Einwanderung gehen. Der Zuwanderung jeglicher Art steht das absolut berechtigte Interesse der indigenen Bevölkerung nach Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Sicherheit und Sozialverträglichkeit gegenüber. Der Beitrag von Theisen beschäftigt sich in weiten Teilen mit der Zuwanderungsfrage, hier sollen aber nur die Passagen zur Neuausrichtung der politischen Lager, die seiner Meinung nach erkennbar sind, behandelt werden.

Mit den Begriffen des alten Rechts-Links-Schemas haben sich unter den neuen Entwicklungen im globalen Maßstab abstruse Zuordnungen ergeben:

„Die Kritik an der Globalisierung der Ökonomie gilt als ,links’, die an der mangelnden Selbstbehauptung westlicher Werte als ,rechts’. Wer die europäische Leitkultur verteidigt, ist demnach ,rechts’, obwohl es sich um eine liberale Kultur der Freiheit und um eine soziale Kultur der Gleichberechtigung handelt. Umgekehrt gelten islamische Bewegungen, obwohl sie mehrheitlich autoritär und vergangenheitsorientiert sind und sich gegen individuelle Freiheiten und Gleichheit der Geschlechter aussprechen, nicht als ,rechts’“.

Das wird der Realität der schon eingetretenen und sich weiter verschärfenden Entwicklung nicht mehr gerecht:

„Die altideologischen Diskurse über sozial-ökonomische Konflikte und über Gleichheit und Ungleichheit sind offenkundig nicht mehr geeignet, den neuen Herausforderungen von Offenheit oder Abgrenzung der Kulturen gerecht zu werden. An der Bewahrung der sozialen Ordnung des Westens haben heute sowohl politisch Linke als auch Rechte Interesse. Wer die freiheitliche Ordnung bewahren will, ist sowohl ,liberal’ als auch ,konservativ’. Wenn alle halbwegs vernünftigen Leute aber alles zugleich sind, machen diese alten politischen Begriffe keinen Sinn mehr, sie helfen nicht mehr, zu unterscheiden.“

Es geht um einen Paradigmenwandel von sozial-ökonomischen zu kulturellen Konflikten. Um eine realitätsnahe Beschreibung der aktuellen Lage abzugeben, würden neue Begriffe benötigt. An der Beibehaltung der alten Begrifflichkeiten haben vor allem die „universalistisch gesonnenen Eliten“, die bis jetzt immer noch den politischen Diskurs bestimmen, ein elementares Interesse. Denn mit den Bezeichnungen des alten politischen Lagerdenkens kann man die Kritiker einer unbegrenzt offenen Gesellschaft à la Merkel mit Leichtigkeit als Rechtspopulisten diffamieren. In dem Moment, in dem das nicht mehr ohne Weiteres funktioniert, in dem z. B. das Postulieren einer europäischen Leitkultur im politischen Wettstreit um die Macht akzeptiert wird, „ist es um die Legitimität ihrer Macht geschehen“.

Was ist sozial?

Am alten westlichen Nationalstaat, der doch bis zum heutigen Tag den Anspruch der Menschen innerhalb des westlichen Kulturkreises absichert, in einer freiheitlich-demokratischen sowie rechts- und wohlfahrtsstaatlichen Ordnung zu leben, haben vor allem die bundesdeutschen Eliten in den letzten Jahren kein gutes Haar gelassen. Nun aber kommt der über nationale oder bis 2015 doch wenigstens über die EU-Grenzen abgeschirmte westliche Sozialstaat in Europa an seine Grenzen, da es gar keine politischen Grenzen mehr geben soll, wie die Globalisten oder, wie Heinz Theisen sie nennt, die Kulturoptimisten, geradezu mit religiöser Inbrunst verkünden. Welchen Begriff von „sozial“ hat eigentlich ein Anhänger der Willkommenskultur in Deutschland, wenn er überhaupt willens ist, über einen solch relativ abstrakten Begriff noch nachzudenken?

Es ist verheerend, dass der bisher politisch bestimmende Teil der Eliten in Deutschland eine Politik auf der Basis einer Verantwortungsethik aufgegeben hat, um endlich das zu tun, was aus Sicht so vieler Gutmenschen und sonstiger Schwarmgeister einfach moralisch richtig ist. Das reicht nun offenbar, um ein modernes Industrieland wie die Bundesrepublik zu führen:

„Umfragen zufolge gelten die größten Ängste der Bevölkerung nicht den ,Ausländern’, sondern den Kontrollverlusten einer Politik der Grenzenlosigkeit. Nicht die Flüchtlinge, sondern das aus grenzenloser interkultureller Naivität herbeigerufenen Staatsversagen erzeugt die größten Ängste. Für diesen Kontrollverlust sind nicht die Migranten verantwortlich, die ihren Eigeninteressen folgen, sondern die Politiker, die unser Eigeninteresse verleugnen. Als unser Staat noch von Juristen statt von Physikerinnen und Pastoren regiert wurde, war – links wie rechts – klar, dass jedes Minimum an Staatlichkeit in den Zusammenhang von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt gehört und dass dieser Zusammenhang entweder von einer nationalen oder von einer europäischen Grenze geschützt werden müsste.“

Ein „altes Opfer“ der nun immer wirkungsvoller an der bisherigen sozialen Ordnung rüttelnden Veränderungen, die die Globalisierung in die Innenpolitik der einzelnen Nationalstaaten hineingetragen hat, ist – nach Theisen – die deutsche Sozialdemokratie:

„Die Sozialdemokratie ist wie die politische Linke überhaupt durch die Globalisierungsprozesse und jetzt vor allem durch die dramatisch zunehmende Migration in ein Dilemma geraten. Ihr Spagat zwischen Kosmopolitismus und ,Partei der kleinen Leute’ wird immer schmerzhafter.

Mit der Inanspruchnahme von sozialen Leistungen durch Migranten verringern sich die den Einheimischen zugedachten Ressourcen. Immigranten werden zu Konkurrenten bei niedrigbezahlten und ungesicherten Arbeitsverhältnissen. Die Globalisierung bietet den ,Global Player’ Chancen, den weniger konkurrenzfähigen sozial Schwachen raubt sie den Schutz von Grenzen, mit der Folge zunehmender Konkurrenz im Niedriglohnmilieu. Sozial Schwache wenden sich an andere Kräfte, die dann nach alter Hackordnung rechts sein müssen.“

Die herausgeforderte westliche Werteordnung

Bisher konnte man im Westen im Rahmen der Nationalstaaten die soziale Ordnung aufrechterhalten, indem man die Staatseinnahmen (erhobene Steuern plus aufgenommene Schulden) über Leistungsgesetze umverteilt hat. Dieser Weg des sozialen Ausgleichs ist in Frage gestellt, wenn über weiterhin anhaltende und zum Teil immer unkontrollierter ablaufende Zuzüge aus anderen Kulturbereichen des Globus das bisherige Modell des Wohlfahrtsstaats überfordert wird. Wo wollen sich die „linken Kräfte“ in der Gesellschaft jetzt positionieren?

Ätzend ist auch Theisens Kritik am aktuellen Feminismus, der in der einsetzenden neuen Völkerwanderung wahrlich keine gute Figur abgibt:

„Im Gegensatz zu Alice Schwarzer haben die neuen Genderaktivistinnen, die nur in sozialen, aber weder in biologischen noch kulturellen Kategorien denken können, lange nicht bemerkt, dass die Emanzipation der Frau derzeit der Toleranz gegenüber patriarchalischen Kulturen und Religionen untergeordnet wird. Wenn unverhüllte Frauen in Köln als ,Schlampen’ und Freiwild von Männern aus Macho- und Kriegskulturen verfolgt werden, bleibt denjenigen, die zugleich interkulturell und frauenbewegt sein wollen, nur die Flucht in die Lüge und Vertuschung, an der von der Politik über die Polizei bis zur Presse die wichtigsten Institutionen dieses Landes beteiligt waren.

Fliegt dieses Lügen- und Gutmenschenkartell dann durch die basisdemokratischen Medien im Netz auf, wird eine Entscheidung zwischen den Werten Emanzipation und Interkulturalität allerdings unausweichlich. Wer zugleich für die Gleichwertigkeit der Geschlechter und für die Gleichwertigkeit auch von den Kulturen ist, die diese Gleichwertigkeit ablehnen, gerät in einen unaufhebbaren Widerspruch. Angesichts dieser Inkompatibilitäten droht der Dialog der Kulturen zur Verhöhnung der Opfer zu verkommen.“

Gemäß dem am alten Rechts-Links-Schema wird im Gefolge der Silvester-Übergriffe in Köln und in anderen deutschen Städten von den stramm linksgerichteten Kräften die Skepsis gegenüber einer bestimmten Religion und bestimmten kulturellen Verhaltensweisen mit Ausländerfeindlichkeit oder Rassismus gleichgesetzt. Dass hier die westliche Werteordnung durch ein gänzlich anders geformtes Werteverständnis herausgefordert wird, will man nicht sehen. Die Unkenntnis bzw. das Ignorieren kultureller Unterschiede zeige sich aber auch bei der regierenden Kanzlerin, ob das die irreale Politik „gegenüber der Clankultur des orthodoxen Griechenlands“ betrifft oder den Glauben, „arabische Muslime“ seien in gleicher Weise integrierbar wie Spanier oder Italiener.

Unter Rückgriff auf Samuel P. Huntingtons These vom Kampf der Kulturen, der zwangsläufig einen Zusammenprall unterschiedlicher Werteordnungen impliziert, kommt Theisen dann auch zu seiner Kernaussage:

„In den westlichen Gesellschaften prallen heute nicht Linke und Rechte, sondern Kulturoptimisten und Skeptiker gegenüber interkultureller Vermischbarkeit aufeinander. Die einen glauben an die Vernetzung zu Global Governance und die anderen fürchten eine Verstrickung inkompatibler Wertordnungen.“

Gerade die Skeptiker würden durch das räumliche Zusammenrücken in der Globalisierung die These vom kommenden bzw. bereits stattfindenden Zusammenprall der Kulturen bestätigt sehen. Der Riss zwischen Kulturskeptikern und Kulturoptimisten geht auch durch die große, bisher konservativ geprägte Volkspartei in Deutschland:

„Es ist weniger ein Linksruck als Realitätsverlust, wenn eine ehemals konservative Partei plötzlich auf Seiten der Unbegrenztheit und damit des Kontrollverlusts steht. Wer zu den Guten gehören will, lässt die alten Kategorien von richtig und falsch hinter sich und erfreut sich des wohligen Gefühls höherer Moralität. Dabei dürfen dann auch die christlichen Kirchen nicht länger fehlen, die doch wissen müssten, dass Humanismus und gesellschaftliche Solidarität spezifisch christliche, aber gewiß keine islamischen Wurzeln haben.“

Entgrenzungen und Verstrickungen des Westens

Die bisher von allen Parteien im Bundestag getragene Politik der unkontrollierten Grenzöffnung erzeuge jedenfalls bei den „einfachen Menschen, die aus ihrer Lebenswelt um die Grenzen des Möglichen und die Notwendigkeit von Gegenseitigkeiten wissen“, zunehmend Angst um Stabilität und Sicherheit:

„In den vergangenen Jahrzehnten waren Neokonservative, Neoliberale und links-idealistische Universalisten je auf ihre Weise an den Entgrenzungen und Verstrickungen des Westens beteiligt. Solange sie ihrer jeweiligen Ideologie verhaftet bleiben, sind sie Teil des Problems. Solange sie sich nur wechselseitig die Schuld an Einzelphänomenen der Entgrenzungskrise geben, werden sie kein Teil der Lösung sein.“

Oder noch etwas skeptischer formuliert: Wenn nicht bald, wenigstens bei den noch zur Vernunft fähigen Teilen der politischen Funktionsträger, ein Umdenken bei der Einschätzung der sozialen Tragbarkeit des immer weiteren unkontrollierten Zuzugs aus nicht-westlichen Kulturen einsetzt, wenn nicht bald die Träger einer Entgrenzungs-Ideologie in der Gesellschaft deutlich in die Schranken verwiesen werden, dann werden wir unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, unser westliches Rechtssystem und unsere bestehende soziale Ordnung in absehbarer Zeit nicht mehr erhalten können.

Ein solches Umdenken kann aber nur jenseits des Rechts-Links-Schemas erfolgen.

 

Anmerkungen

[1] http://www.welt.de/regionales/hamburg/article150852461/Angela-Merkel-nimmt-Europa-in-Geiselhaft.html