Was Gysi mit Merkel verbindet
Gregor Gysi gibt endgültig den Vorsitz der Linken-Fraktion ab. Doch seine Mission, die Reste der SED im Westen an die Macht zu bringen, ist noch nicht erfüllt.
Es ist das Ende einer Ära. Gregor Gysi geht. Am Dienstag übergibt der über viele Jahre populärste Politiker der Linkspartei die Führung der Bundestagsfraktion an Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch. Zwar müssen letztere erst noch von der Fraktion gewählt werden, doch begründete Zweifel, dass der Stabwechsel scheitern könnte, gibt es nicht. Beide haben in der Fraktion etwa gleich viele Anhänger, und bislang fühlte sich niemand veranlasst, die Wahl Wagenknechts oder Bartschs ernsthaft infrage zu ziehen. Nicht einmal die in diesem Jahr offen zutage getretenen tiefgreifenden Differenzen zwischen dem Reformerlager um Bartsch und Gysi und dem linken Flügel um Wagenknecht über die Griechenlandpolitik brachten die Personalpläne ins Wanken.
Was nun also mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Linke-Fraktion zukommen wird, erinnert nicht zufällig an die Zeit, als Gysi sie gemeinsam mit Oskar Lafontaine führte. Auch das war ein Bündnis zweier Linker, die wussten, dass sie nur gemeinsam erfolgreich sein konnten, die zwar Überzeugungen teilten, nicht aber den der westdeutschen Linken und der Kommunistischen Plattform eigenen Idealismus. So vertraten sie oft vollkommen unterschiedliche Ansichten darüber, wie aus sozialistischen Überzeugungen praktische Politik werden könnte.
Alte SED-Schule
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Gysi war in diesem Gespann immer der Pragmatiker, der Mann, der mit der deutschen Einheit die SED in die PDS transformierte und immer ein völlig unverkrampftes Verhältnis zu den Sozialdemokraten pflegte, mit denen Lafontaine im März 1999 spektakulär brach, als er vom Amt des Finanzministers zurücktrat und alle Parteiämter niederlegte. Es war Gysi, der Lafontaine zurück auf die politische Bühne holte und mit ihm zusammen aus der ostdeutschen PDS und der westdeutschen WASG die gesamtdeutsche Linke formte. Von Anfang an war der Lafontaine-Flügel immer der radikalere, weil idealistischere. Und der DDR-sozialisierte Gysi organisierte nach alter SED-Schule die Fraktion.
Nun wird Bartsch in diese Rolle schlüpfen. Auch er ist ein alter SED-Mann. Seit 1990 war Gysi sein engster politischer Weggefährte, sein Alter Ego in der PDS. Er gehörte jenem kleinen Kreis um Gysi und Hans Modrow an, der nach der Wende in der PDS die Fäden zog. Während Wagenknecht damals als jugendliche Ikone der Kommunistischen Plattform von sich reden machte, war Bartsch als Schatzmeister und Bundesgeschäftsführer bereits wesentlich an der Umgestaltung der Partei beteiligt.
Im Gegensatz zu Wagenknecht hatte Bartsch, genau wie Gysi, übrigens nie Kommunikationsprobleme mit der SPD. Und beide verloren nie ein schlechtes Wort über Angela Merkel, die sie, mit Blick auf die gemeinsame Vergangenheit, in gewisser Hinsicht als eine der ihren betrachten. Wegen seiner pragmatischen Veranlagung und seiner Fähigkeit, Entscheidungsprozesse in einer Partei zu organisieren, hätten es schon vor Jahren viele Sozialdemokraten gern gesehen, wenn Bartsch zu ihnen übergelaufen wäre.
„Überflüssige rote Linien“
Doch so etwas ist mit einem, der in einer marxistisch-leninistische Kaderpartei sein Handwerk lernte, nicht zu machen. Bartschs Ziel ist die Vollendung des von Gysi erdachten Plans, die Reste der ehemaligen SED mit Hilfe der SPD im vereinten Deutschland wieder an die Macht zu bringen. Ihr größter Erfolg auf diesem Weg war während der Proteste gegen die Hartz-Gesetze die Gründung der WASG aus enttäuschten Sozialdemokraten und Gewerkschaftern. Von Anfang an war die WASG, die dann mit der PDS fusionierte, Fleisch vom Fleische der Sozialdemokratie. Auch durch sie ist die SPD zur Zwanzig-Prozent-Partei degeneriert und in Thüringen gar zum kleinen Koalitionspartner der Linken. Kurzum, Bartsch will mit der SPD regieren. Dazu muss die Linke im Bund gar nicht wie so stark werden wie in Thüringen, sie muss nur die SPD weichklopfen.
Ein linkes Bündnis mit den Sozialdemokraten ist mit Sahra Wagenknecht nur schwer vorstellbar. Erstens wegen ihrer marxistischen Überzeugungen, zweitens weil sie nun an der Fraktionsspitze das Vermächtnis ihres Mannes verteidigen wird. Sie stellt Bedingungen, die für die SPD bis auf weiteres unerfüllbar erscheinen. Dazu gehört etwa eine Kehrtwende in der europäischen Finanzpolitik, die sogar den Euro infrage stellt. „Es zeigt sich einfach, dass der Euro nicht funktioniert, sondern immer größere wirtschaftliche Ungleichgewichte erzeugt, und am dramatischsten zeigt sich das eben in Griechenland“, sagte sie der „Welt“ und forderte die Linke zu einer Debatte darüber auf, „welchen Spielraum eine Politik jenseits des neoliberalen Mainstreams im Rahmen des Euro überhaupt hat oder ob wir dieses Währungssystem nicht generell infrage stellen müssen“. Zu den Hürden für eine Zusammenarbeit mit der SPD zählt auch die Forderung nach einem Ende jeglicher Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland.
Gysi und Bartsch hingegen halten nichts davon, an „überflüssigen roten Linien“ festzuhalten. Was die Griechenlandpolitik angeht, so glaubt Gysi gar bei einigen in der Fraktion in den vergangenen Wochen so etwas wie Ernüchterung festgestellt zu haben. Ohne sie beim Namen zu nennen, meint er die Linke um Wagenknecht, die vor der Parlamentswahl in Athen deutlich mit der radikalen Syriza-Abspaltung „Volkseinheit“ sympathisierte. Wagenknechts Ehemann Lafontaine hatte vor dem Hintergrund des griechischen Schuldendramas zusammen mit dem früheren griechischen Finanzminister Janis Varoufakis und dem Präsidentschaftskandidaten der französischen Linksfront und Ex-Minister Jean-Luc Mélenchon sogar zu einem grundsätzlichen radikalen Bruch mit Europa aufgerufen: „Wir sind entschlossen, mit diesem Europa zu brechen.“
Wahlkampf in Athen
Gysi hingegen denkt nicht im Entferntesten daran, mit diesem Europa zu brechen. Er fuhr im Gegenteil nach Athen und leitstete Syriza Wahlkampfhilfe. Am Ende ging die „Volkseinheit“ unter, sie kam nicht einmal ins Parlament, und Gysi stand auf der Seite der Gewinner. „Das war für einige schon eine Lehre“, soll Gysi über seine Fraktion gesagt haben.
Wer ihm dieser Tage begegnet, erlebt einen ernsten, einen besorgten Gregor Gysi. Anders als in der Euro-Krise, wo er lautstark, polemisch und zuweilen witzig gegen die Politik der Bundesregierung protestierte, äußert er seine Befürchtungen angesichts des ungebrochenen Flüchtlingszustroms vornehmlich im kleinen Kreis. Dann spricht er davon, dass die „Überforderungssituation in den Kommunen abgebaut“ werden müsse, denn gebe es in ganz Europa eine Rechtsentwicklung, vor der auch Deutschland nicht gefeit sei. „Von heute auf morgen“ könne die Stimmung in der Bevölkerung kippen.
Er verweist darauf, dass die Saudis den Jemen bombardieren. Da werde es nicht lange dauern, bis sich Hunderttausende von dort auf den Weg nach Deutschland machten. Auch er will niemanden abweisen, ganz so wie Angela Merkel. Aber er sagt, der Westen müsse endlich die Fluchtursachen bekämpfen, sprich lebenswerte Bedingungen in den Krisenländern schaffen. Im Übrigen habe er die ganze Sache kommen sehen, als das UNHCR in den Flüchtlingslagern an der türkisch-syrischen Grenze seine finanzielle Hilfe massiv zusammenstrich. Da habe er das Kanzleramt gewarnt, aber es habe keiner auf ihn hören wollen.
„Ich habe doch alles vergessen.“
Künftig wird er sich primär um solche außenpolitischen Fragen kümmern. Mit seinem Rückzug vom Fraktionsvorsitz wechselt er in den Auswärtigen Ausschuss. Insgesamt aber will er es ruhiger angehen lassen und der neuen Fraktionsspitze „schon gar nicht von hinten“ in die Quere kommen. Und er hat allen Grund es ruhiger angehen zu lassen. Ein Hörsturz, eine Hirnoperation und drei Herzinfarkte sollten ihm mit 68 Jahren Warnung genug sein. Außerdem habe er „viel zu wenig Freundschaften gepflegt, hatte viel zu wenig Zeit für meine Angehörigen“, bekannte er auf dem Bielefelder Parteitag im Juni. „Das lag an mir. Weil ich zu selten Nein sagte, mich einfach zu wichtig nahm“, sagte Gysi. Bereits vor geraumer Zeit habe auf die Frage, ob er noch einmal als Fraktionschef kandidieren wolle, „Nein“ gesagt. Und an diesem „Nein“ will er diesmal festhalten.
Er hat einen Vertrag für seine Autobiografie unterschrieben. Einen Haufen Arbeit habe er sich damit aufgehalst, sagt er. „Ich habe doch alles vergessen.“ Als ob jemand, der zu allem und jeden eine Anekdote weiß, alles vergessen könnte. Die eine oder andere wird er vielleicht am Dienstagabend in seiner letzten Talkshow, die er als Fraktionschef besucht, zum besten geben. Am Mittwochabend ist die große Abschiedsparty. Über 300 Leute stehen auf der Gästeliste. Angela Merkel angeblich auch.