AfD-Vorstoß für D-Mark-Rückkehr
AfD-Ko-Chefin Petry und NRW-Landeschef Pretzell sagen, wo es langgehen soll: Deutschland raus aus dem Euro, alle EU-Verträge neu und Kooperation mit Russland.
Gerüchte haben eine unangenehme Eigenschaft. Einmal in die Welt gesetzt, lassen sie sich nur schwer wieder vertreiben. So ist es auch mit dem Gerücht, Bernd Lucke wolle die AfD spalten oder verlassen. Oder beides. Er selbst hat die Spekulationen zwar dementiert. In seiner in der Nacht nach der Bürgerschaftswahl in Bremen eilig verfassten Mail an die Parteimitglieder schrieb er: „An dem Gerücht ist lediglich wahr, dass ich mir große Sorgen um die AfD mache. Und zu diesen Sorgen zählt, dass ein von mir geschätzter Mann wie Herr Dr. Adam mit falschen Freunden an der falschen Front kämpft.“
Er schrieb aber auch: „Ich bin nicht sicher, dass die AfD in der Form, in der wir sie 2013 gegründet haben, fortbestehen wird. Es gibt Kräfte in der Partei, die eine andere, radikalere AfD wollen. Ich will dies nicht.“ Aber was versteht er unter „radikal“? Was will er verhindern? Das lässt er offen. Und so steht das gemeine AfD-Mitglied da und sieht „betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen“, wie Bertolt Brecht einst formulierte.
Als er mit der AfD die politische Bühne betrat, hat Lucke schnell begriffen, wie sehr Politik vor allem auch Inszenierung ist. So hat er den Anfang der AfD-Geschichte entscheidend mitgeschrieben; jetzt, so fürchtet der Parteivorstand, feile er am letzten Akt.
Wollte Lucke schon 2014 hinwerfen?
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„Bernd Lucke vertritt die These, dass die Partei sich von ihm weg bewegt“, sagt Ko-Sprecherin Frauke Petry. Nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland habe er gemerkt, wie seine Präsenz in den Medien durch die Anwesenheit von drei Fraktionen zurückging.
„Das schien ihn zu stören, jedenfalls wollte er schon im September 2014 die Vertrauensfrage stellen“, sagt Petry. Davon habe ihn die Führungsspitze abhalten können. In kleiner Runde sei dann ein Kompromiss über die zukünftige Führungsspitze der AfD erarbeitet worden. „Dabei sind wir Bernd Lucke sehr entgegen gekommen“, sagt Petry. „Danach jedoch begannen seine Versuche, die Partei programmatisch auf seine Position zu zwingen, Themen und Leute auszugrenzen, die seine Ansichten nicht teilen.“
So etwas nennt man gemeinhin einen Machtkampf. Sie hingegen spricht von einem „schlichten Kampf um programmatische Positionen“, bei dem Lucke vor der Kulisse „nicht genehmer Themen und nicht vertretbarer Standpunkte“ auch nicht davor zurückschrecke, „Andersdenkende schlichtweg ins rechtsradikale Lager abzuschieben“. Lucke habe noch nicht verstanden, dass es zum Wesen der Parteiarbeit gehöre, die verschiedenen Strömungen zu integrieren. „Hier wird er noch an sich arbeiten müssen“, sagt sie.
Wie sie sich Parteiarbeit vorstellt, demonstriert sie seit Wochen mit dem nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Marcus Pretzell. Gemeinsam touren sie durch die Landesverbände und diskutieren mit der Basis. Ihr Ziel ist es, die AfD in ihrer ganzen inhaltlichen Breite darzustellen. Dabei sind die Rollen klar verteilt. Sie ist die Konservative, er der Liberale.
„Beim Euro in die Offensive kommen“
„Wir müssen etwa beim Euro-Thema endlich in die Offensive kommen“, sagt Pretzell, der ursprünglich mal für die Aufteilung in einen Nord- und einen Südeuro war. Heute sei eine solche Lösung nicht mehr möglich. Einen Ausstieg südeuropäischer Staaten werde es nicht geben. „Heute gibt es nur noch einen Weg aus der Krise: Deutschland muss aus dem Euro austreten“, sagt er. „Und wir müssen den deutschen Wähler darüber aufklären, dass uns das eine Billion Euro kostet“, sagt Pretzell. „Also zwei Drittel der Kosten der deutschen Einheit.“ Doch jede weitere Verzögerung würde am Ende noch eine Billion kosten. Nun könne es nur noch darum gehen, weiteren großen Schaden von den Bürgern abzuwenden.
Eine logische Folge des Euros sei auch die immer größer werdende Lücke zwischen Arm und Reich in Deutschland. Zwar habe die deutsche Wirtschaft vom Euro profitiert, bei deutschen Arbeitnehmern sei davon aber nichts angekommen. Sie seien Schlusslicht der Gehaltsentwicklung in der Eurozone. Früher habe der Wertzuwachs der D-Mark auch zu einem Kaufkraft-Zuwachs geführt. „Und das ist der große Betrug am Verbraucher, dass er viel zu viel Geld für Sprit, für Energie, für alle Importwaren zahlt“, sagt Pretzell. „Das iPhone ist zu teuer. Es wäre günstiger, wenn er mit D-Mark einkaufen könnte.“
Der nordrhein-westfälische AfD-Chef sieht im Euro-Austritt jedoch nur einen ersten Schritt. In einem zweiten müsse über das Geldsystem insgesamt gesprochen werden. „Wir müssen über das Schuldgeldsystem reden“, sagt er. Sogar in der FDP werde darüber diskutiert, nur in der AfD nicht. Kaum jemandem sei bewusst, dass jede Erhöhung der Geldmenge mit einer Erhöhung der Schulden verbunden sei und die Probleme so nur in die Zukunft verschoben würden.
„Die EU ist nicht zu reformieren“
„Das Thema wird unter den Mitgliedern heftig diskutiert, und sie verstehen nicht, warum der Vorstand es nicht aufgreift“, sagt Petry. Überhaupt habe es seit Februar 2013 gerade mal zwei politische Strategiegespräche in der AfD-Führung gegeben. „Und selbst dazu musste Bernd Lucke genötigt werden.“ Lucke habe im Grunde keine Strategie erarbeiten wollen, weil er sich selbst für die Strategie halte.
Inzwischen sei die AfD mit ihrem Vorsitzenden ins europäische Parlament eingezogen, aber fünf der sieben EU-Abgeordneten hätten die AfD-Pläne, die EU von Grund auf zu reformieren, offensichtlich aus ihrer Erinnerung gestrichen. Pretzell erinnert sich, dass der Parteichef im EU-Parlament für eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlage der Körperschaftssteuer plädiert habe. „Er wollte den Einstieg in eine Europäisierung des Steuerrechts“, sagt Pretzell. „Das widerspricht nun ganz und gar den Vorstellungen der AfD.“
Wenn Petry und Pretzell über eine Reform der EU reden, dann geht’s wirklich ins Grundsätzliche. Angesichts der massiven Vertragsverstöße könne es keine einfache Rückkehr zum Vertrag von Lissabon oder Maastricht geben. „Wir müssen die EU-Verträge komplett neu verhandeln“, sagt Petry. „Denn diese EU ist unserer Ansicht nach so nicht zu reformieren.“ Man könnte auch sagen, sie wollen die EU „zurückverhandeln“, alles wieder auf Anfang. Und das betrifft auch die Zahl ihrer Mitglieder.
„Ich glaube, dass wir eine Zurückführung auf den Binnenmarkt brauchen“, sagt Pretzell. Schließlich habe der Freihandelsgedanke sehr lange gut funktioniert. „Darum müssen wir den Binnenmarkt auch wieder zum Kern der EU-Verträge machen und zu einem Europa der Nationen zurückkehren“, fügt Petry an. „Wobei sich dann auch die Frage anschließt, welche Staaten dann letztlich zu dieser neu reformierten EU gehören sollen.“
„Genau genommen, ist Schengen gescheitert“
Damit meint sie unter anderem Länder wie Rumänien und Bulgarien, die „unter fragwürdigen Umständen“ aufgenommen worden. „Erst wollten die Amerikaner, dass wir die Ländern aufnehmen, jetzt wollen sie uns wegen der Korruption dort bei TTIP den Investorenschutz und die Schiedsgerichtsbarkeit aufzwingen“, sagt Pretzell. „Denn die USA haben kein Vertrauen in den rumänischen und bulgarischen Rechtsstaat.“
Pretzell ist von Haus aus Jurist. Als solcher sorgt er sich um die europäische Grenzsicherung und die steigenden Kriminalitätszahlen. „Wir müssen über das Schengen-Abkommen reden“, sagt er. Und Petry verweist auf ihre Erfahrungen in der sächsischen Landespolitik.
„Die Kosten für Kriminalitätsbekämpfung sind durch Schengen erheblich gestiegen, weil die Aufgaben der Polizei gerade durch Schengen enorm zugenommen haben“, sagt sie mit Blick auf die aus Rumänien oder Bulgarien nach Deutschland schwappende Einbruchskriminalität oder den Drogenhandel an der tschechischen Grenze. Und: „Erst wenn wir anfangen, unsere eigenen Grenzen wieder zu kontrollieren haben Länder wie Italien wieder einen Grund mit uns über Flüchtlinge zu reden. Genau genommen, ist Schengen gescheitert.“
Pretzell schlägt die Neuordnung des Schengenraumes vor, zu dem dann nur noch Länder wie Deutschland, Niederlande, Frankreich, Großbritannien, Dänemark und Österreich gehören könnten.
Sicherheitsarchitektur unter Beteiligung Russlands
Ginge es nach den beiden, würde auch die militärische Sicherheitspolitik Deutschlands und Europas neu definiert und gestaltet. Es sei Zeit, über die europäische Sicherheitsarchitektur zu reden, die Russland aktiv mit einbeziehe. „Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis, und darum müssen ihre Einsätze auf das Gebiet der Nato-Staaten beschränkt bleiben“, sagt Pretzell. „Mit anderen Worten, unsere Sicherheit wird nicht in Libyen, Afghanistan, Irak oder Syrien verteidigt.“
Im Übrigen könne er sich durchaus eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur unter Beteiligung Russlands vorstellen. Und was die Krisen im Nahen Osten angeht, auch da würde er das Gespräch mit Russland suchen. „Denn da decken sich die deutschen Interessen mit den russischen ebenso wie beim Freihandel“, sagt er. „Warum schaffen wir denn nicht die Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok, die Russland immer wieder vorschlägt?“
Die Neujustierung des Verhältnisses zu Russland sei ein langfristiges strategisches Projekt, so Petry. Deutschland solle sich weder von der Weltmacht USA abhängig machen, noch sich einseitig nach Russland orientieren. Es gehe darum, die eigenen Interessen zu formulieren und den eigenen Standpunkt zwischen diesen beiden Polen zu finden. Dazu gehöre auch das Selbstbewusstsein, die etwa im TTIP-Freihandelsabkommen deutlich sichtbare Dominanz der Konzerne durch eine neue, auf den Mittelstand ausgerichtete Wirtschaftspolitik zu brechen.
Petry plädiert für eine Wende in der Steuerpolitik. Gewinne müssten dort besteuert werden, wo sie entstehen. „Und wenn Amazon, Starbucks oder andere Konzerne ihre Gewinne nicht bei uns versteuern wollen, dann sollen sie eben auf Millionen lukrative Kunden in Deutschland verzichten“, sagt sie, und Pretzell pflichtet ihr bei: „Die in Deutschland erzielte Wertschöpfung muss letztlich der Maßstab für die Steuer sein.“
Zurück zum Diplom
Es gibt aber auch Themen, bei denen beide unterschiedliche Auffassungen vertreten. Dazu gehört etwa die Wehrplicht. Während Petry überhaupt kein Problem mit der Abschaffung hat, sieht Pretzell sie als zentrales Element einer wehrhaften Demokratie. Abweichende Auffassungen vertreten sie auch in der Bildungspolitik. Petry ist eine absolute Verfechterin des dreigliedrigen Schulsystems, Pretzell hingegen hegt große Sympathie für langes gemeinsames Lernen, wie es an skandinavischen Schulen üblich ist.
Übereinstimmend lehnen sie wiederum den Bologna-Prozess, also europaweite Harmonisierung von Studiengängen und –abschlüssen ab und wollen zurück zu den erfolgreichen deutschen Diplomstudiengängen. „Von dieser Position rückt Bernd Lucke im Übrigen gerade ab“, sagt Petry. Das könne sie ebenso wenig nachvollziehen wie die Volte, mit der er seine innerparteilichen Gegner in seiner nächtlichen Mail dafür anprangere anti-etatistisch zu sein.
„Spätestens jetzt muss jedem klar sein, dass er kein Liberaler ist“, sagt Pretzell. Ein Liberaler sei schließlich „qua definitionem anti-etatistisch“, nicht zuletzt deshalb gehöre der Anti-Etatismus zum Gründungsgedanken der AfD ebenso zwingend dazu wie der Euro. Und Lucke?