Ifo-Chef Sinn hat ein AfD-Problem
Eine Presse-Erklärung der AfD zur Rente sorgte nicht nur im Parteivorstand für Wirbel, sondern brachte auch das Münchener Ifo-Institut gegen die AfD auf.
Solche Possen gibt’s nicht alle Tage. Auch nicht in der Politik. Diese dreht sich um ein Presse-Erklärung von AfD-Ko-Sprecher Konrad Adam, in der dieser die Notwendigkeit einer Rentenreform feststellte. Dabei bezog er sich auf Aussagen des Präsidenten des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, aus dessen Rede vom Juni 2014 vor der vor der nordrheinwestfälischen Akademie der Wissenschaften. Hätte sich Adams Vorstandskollegin Verena Brüdigam darüber nicht so fürchterlich geärgert, wäre die Sache gänzlich folgenlos geblieben. Doch so handelte sich die Partei eine harsche Rüge von Sinns Mitarbeitern ein. Noch dazu völlig unverdient.
Aber der Reihe nach: Bevor sie veröffentlicht wurde, hatte es im AfD-Vorstand heftigen Streit über Adams Erklärung gegeben, die mit dem Satz begann, die Zeit für eine nachhaltige Reform des Rentensystems werde nach Sinns Einschätzung „knapp“. Adam sprach von einer „durchweg kinderfeindlichen Steuer- und Abgabenpolitik“, die Kinderlose und Kinderarme zur wahlentscheidenden Klientel werden ließen. Er wies darauf hin, dass Sinn die Rentenversicherung im Umlageverfahren als „Versicherung gegen Kinderlosigkeit und die daraus entstehende Altersarmut“ bezeichne. Auch wenn man selbst keine Kinder haben könne oder wolle, müsse man im Alter nicht darben, weil man sich von den Kindern anderer Leute ernähren lassen könne.
„Sinn hat nichts gegen Kinderlose!“
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Außerdem gab Adam den Ifo-Chef mit der Einschätzung wieder, wonach Kinderlosigkeit in Deutschland massive Vorteile mit sich bringe, die immer mehr Menschen in Anspruch nähmen. Ähnlich wie Sinn rege er daher an, so Adam, „die unvermeidlichen Rentenkürzungen und das kompensierende Riester-Sparen auf die Kinderlosen zu fokussieren“. „Wer keine Kinder bekommen will oder kann, dem kann zugemutet werden, dass er das Geld, das andere für die Kindererziehung ausgeben, am Kapitalmarkt anlegt, um sich so eine Zusatzrente zu verschaffen“, so Adam.
Im AfD-Vorstand drang Verena Brüdigam vehement darauf, Adams Erklärung nicht zu veröffentlichen, weil die AfD-Spitze noch „mitten im Prozess sei, das Thema Alterssicherung zu erarbeiten“. Aus drei Gründen bitte Sie „dringend“, Adams Erklärung zurückzuhalten. Erstens halte Adam sich nicht an die verabredete Arbeitsteilung im Bundesvorstand. Zweitens sei das Konzept von Sinn nicht richtig wiedergegeben. „Ich habe mich 1,5 Stunden mit Prof. Sinn besprochen, ich war Teilnehmer seines Vortrags in München am 15.12. Das ist inhaltlich falsch, entspricht nicht dem Sinn-Konzept“, schrieb Brüdigam in einer Mail an AfD-Pressesprecher Christian Lüth.
Drittens müsse eine Position, die die Anzahl der Kinder bei einer Zusatzrente berücksichtige, „sehr differenziert beschrieben werden, um die große Gruppe der Kinderlosen nicht gegen uns aufzubringen“. Brüdigam: „Sinns Modell hat nichts gegen Kinderlose! Nur dürfen Eltern mit Kindern abgestuft nach der Anzahl der Kinder nicht benachteiligt werden!“
Nun versuchte Lüth zwischen Brüdigam und Adam zu vermitteln. Daraufhin schrieb Adam knapp zurück: „Es handelt sich in beiden Fällen um wörtliche Zitate – nicht von mir, sondern von Sinn. Wenn Frau Brüdigam den Text nicht kennt, kann ich ihn ihr gern schicken. Wenn ich Sinn zitiere und ihm zustimme, greife ich niemandem vor.“ Damit war für ihn die Sache erledigt. Die Pressemitteilung wurde veröffentlicht.
„Ungute Missverständnisse möglich“
Verena Brüdigam jedoch wollte die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen und rief beim Ifo-Institut an, um es über die Pressemitteilung ihres Vorstandskollegen Adam zu informieren. Die Reaktion des Münchener Instituts ließ nicht lange auf sich warten. „Mit Erstaunen“ habe das Institut Adams Pressemitteilung zur Kenntnis genommen, schrieb ein Ifo-Sprecher der AfD. „Zunächst einmal möchte ich Sie bitten, nicht den Eindruck zu erwecken, als habe Prof. Sinn mit Herrn Adam gesprochen. Aber leider fehlt in Ihrer Pressemitteilung der Hinweis, dass Prof. Sinn einen Beitrag für die FAZ geschrieben hat, den Sie bloß zitieren. Zweitens zitieren Sie ihn am Ende so schräg, dass ungute Missverständnisse möglich sind“. Sinn gehe es nämlich nicht um Rentenkürzungen für Kinderlose.
Wirklich nicht? In das Manuskript seiner Rede jedenfalls schrieb Sinn wörtlich: „Statt eine ganze Generation kollektiv in die Verantwortung zu nehmen, sollten die notwendigen Rentenkürzungen und das kompensierende Riester-Sparen auf die Kinderlosen fokussiert werden.“ Genau so war er von Adam zitiert worden. Weiter schrieb Sinn: „Wer keine Kinder bekommen will oder kann, dem kann zugemutet werden, dass er das Geld, das andere für die Kindererziehung ausgeben, am Kapitalmarkt anlegt, um sich so eine Zusatzrente zu verschaffen.“ Auch das hatte Adam sogar wörtlich korrekt wiedergegeben.
Gleichwohl sah der Ifo-Sprecher die Position seines Chefs nicht richtig dargestellt: „Es geht nur um zusätzliche Rentensäulen: Menschen mit Kindern sollen eine Zusatzrente erhalten. Menschen, die keine Kinder großziehen, sollen das Geld, dass sie deswegen einsparen, am Kapitalmarkt anlegen.“
„Zuwanderung als Verlustgeschäft“
Nach dieser Reaktion ging Verena Brüdigam ihren Parteifreund Adam nochmals harsch an. „Herr Adam, Sie haben meinem Kontakt zu Sinn, meiner Arbeit im Bundesvorstand und damit einem innovativen Konzept der AfD sehr geschadet. Mit Prof. Sinn hatten wir eine Koryphäe, die mir mit bestem Rat zur Seite stand.“ Adam habe das leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Und nun sei Sinn „äußerst verärgert und möchte mit der AfD nichts mehr zu tun haben“.
Das allerdings ist richtig: Sinn will mit der AfD nichts zu tun haben. Nur: Das wollte er auch vor dem Rentenkuddelmuddel nicht. Erst zum Jahreswechsel sah er sich zu einer deutlichen Distanzierung gezwungen. Damals war er die Nähe der AfD geraten, weil er die Zuwanderung als Verlustgeschäft für Deutschland bezeichnet hatte: „So wie die Migration derzeit läuft, läuft sie falsch, weil die Struktur der Migranten durch die künstlichen Anreize des Sozialstaates verzerrt wird“, sagte Sinn.
Als ihm daraufhin vorgeworfen wurde, er sei auch nicht besser als AfD und Pegida und schüre ausländerfeindliche Ressentiments, wehrte er sich: „Ich habe nichts mit Pegida zu tun, nichts mit der AfD und nichts mit den anderen Parteien. Ich halte mich bewusst fern von den Parteien. Mir geht es um die unabhängige wirtschaftliche Analyse von Systemen.“
Zur Renten-Geschichte mochte Sinn sich auf Nachfrage gar nicht mehr äußern. Sie ist ja auch ohne jede weitere Einlassung ohnehin schon „schräg“ genug.