Grieche kündigt Euro-Austritt an
Zuerst stoppen sie den Schuldendienst, sagt Ex-Botschafter Chrysanthopoulos. Dann folgt der Euro-Austritt. Voraussetzung: Dimas wird nicht Präsident und Syriza gewinnt die Wahlen.
Als Leonidas Chrysanthopoulos die Tür der kleinen Wohnung im Athener Regierungsviertel aufschließt, öffnet er gleichsam das Tor zu einer längst vergangenen Epoche. Sie erzählt von den Helden des griechischen Unabhängigkeitskrieges der Jahre 1821 bis 1829, als die Griechen sich vom Joch des Osmanischen Reiches befreiten. Gräuliche Zeichnungen auf von der Zeit gegilbten Untergrund zeigen stolze, schnurrbärtige Krieger, von denen einer den Krummdolch im Gürtel trägt, und selbstbewusst-schöne Frauen.
Chrysanthopoulos bemerkt den erstaunten Blick, lächelt verschmitzt und bittet freundlich in die gute Stube, deren Patina besetzte Wände die Vergangenheit konservieren: Auf der Anrichte steht tatsächlich noch eine Öl-Lampe, die ihrem Besitzer vor einer Ewigkeit Licht in der Dunkelheit spendete, in der Ecke zeugt eine Marien-Ikone von orthodoxer Religiosität, und der Ottomane vor dem winzigen Couchtisch ist eine Reminiszenz an die Biedermeier-Epoche. Wäre da nicht der Laptop auf dem kleinen Tisch unter dem Fenster zur Straße hin, könnte dieser Raum ebenso gut einem Traum oder der Fantasie eines Bühnenbildners entsprungen sein.
Kämpferische Tradition
Inhaltsverzeichnis
Tatsächlich aber ist er ein Stück Realität nur wenige Meter entfernt vom Syntagma-Platz, auf dem sich seit 2010 immer wieder Zehntausende zum Protest gegen die von der Troika verordnete Sparpolitik versammeln und wo seit Wochen Hunderte syrische Kriegsflüchtlinge mit ihren Kindern campen, weil sie die Weiterreise nach Deutschland erzwingen wollen.
Wie er so dasteht mit seinem englischen Tweed-Jacket und der Cordhose, schaut Leonidas Chrysanthopoulos gar nicht wie ein früherer griechischer Boschafter aus. Und schon gar nicht wie ein Politiker, der sein Heimatland von Grund auf verändern will. Eher wie ein gutmütiger, altersmilder Herr, der seinem Gast die am Morgen auf seiner Farm rund 200 Kilometer nördlich von Athen frisch geernteten Orangen mitgebracht hat.
Doch der Pensionär meint es ernst. Er will an die kämpferische Tradition seiner über 300 Jahre alten Familie anschließen, indem er einen politischen Feldzug gegen die amtierende griechische Regierung unterstützt und sein Land, wie er meint, vom Joch der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds befreien.
Tatsächlich steht mehr als schlecht um sein Land, wie ein aktueller Bericht der Fédération internationale des ligues des droits de l’Homme (FIDH) dokumentiert. Die FIDH ist ein Dachverband verschiedener Menschenrechtsorganisationen und zieht eine erschreckende Bilanz der sogenannten Rettungspolitik der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF).
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Seit dem Ausbruch der Krise wurden nicht nur Pensionen und Einkommen um teilweise 50 Prozent gekürzt, sondern Millionen Menschen ihrer Existenz beraubt. „Die entsetzlichen Auswirkungen, die die Krise nicht nur auf die Wirtschaft, sondern auch auf die Demokratie und die Menschenrechte hatte, können nicht mehr geleugnet werden“, schreiben die FIDH-Autoren. „Wir werden Zeugen eines Übergangs in einen Zustand, bei dem elementare Grundrechte und der Rechtsstaat herausgefordert und abgebaut werden.“
„Und dann wird alles anders.“
Noch immer seien 28 Prozent der Griechen arbeitslos, die Jugendarbeitslosigkeit liege bei 61 Prozent. Seit dem Ausbruch der Krise mussten 180.000 Kleinunternehmen schließen, schreibt die FIDH. Laut inoffiziellen Quellen sind 2,5 Millionen Bürger ohne Krankenversicherung. Auch das hat gravierende Folgen: Binnen eines halben Jahres stieg die HIV-Infektionsrate um 52 Prozent, 62 Menschen starben an dem wieder aufgetauchten West-Nil-Virus. Seit dem Ausbruch der Krise hat sich die Selbstmordrate verdoppelt.
Darum will Chrysanthopoulos den Umsturz und hat dazu gemeinsam mit einigen anderen Mitstreitern um den Wirtschaftsjournalisten Dimitris Kazakis vor der Europawahl eine Bewegung gegründet. Sie nennt sich EPAM, ist in Zellen organisiert, der Mitglieder sich selbst als Mitkämpfer bezeichnen. Epam ist zutiefst patriotisch und sympathisiert mit der linken Syriza.
Bei der Europawahl versuchten sie sich als Partei. „Aber wir waren zu spät dran, darum haben wir nicht einmal einen einzigen Abgeordneten ins EU-Parlament gebracht“, sagt er. Andererseits sei das auch gar nicht so wichtig, denn die zu Beginn des kommenden Jahres anstehenden Neuwahlen werde sowieso Syriza gewinnen. „Und dann wird alles anders“, ruft der frühere Botschafter aus der kleinen Küche nebenan, wo er gerade einen Saft aus den mitgebrachten Orangen zubereitet.
Zwar spricht vieles für Neuwahlen, aber ausgemacht sind sie noch nicht. Zu Neuwahlen kommt es nur dann, wenn der aktuelle Präsidentschaftskandidat Stavros Dimas auch in der letzten Parlamentsabstimmung nicht die nötigen 180 Stimmen erhält.
In Brüssel wird der ehemalige Weltbank-Mitarbeiter und EU-Kommissar Dimas geschätzt. Gerade deshalb genießt er als Präsidentschaftskandidat in der griechischen Bevölkerung kaum Sympathien. Von ihm geht das falsche Signal aus. So war seine Niederlage in den Abstimmungen am 17. und 23. Dezember keine Überraschung. Darüber not Ministerpräsident Antonis Samaras der Opposition anschließend gar eine Regierungsumbildung und Neuwahlen Ende 2015 an, falls Dimas doch noch gewählt würde. Für Syriza indes war das Angebot unannehmbar, weil Samaras in dieser Zeit weitere Troika-Vorgaben umsetzen und in deren Sinne eine Verfassungsänderung anstreben würde, um weitere sieben Milliarden an Notkrediten zu bekommen.
Schuldendienst einstellen
Anders als Syriza stellt Epam den Euro öffentlich als Grund allen Übels dar. Epam will raus aus der Euro und die Drachme wieder einführen. Die Bewegung fordert einen Schuldenerlass und propagiert eine komplette wirtschaftliche Neuorganisation des Landes. „Syriza wird genau das machen“, sagt ¢Chrysanthopoulos. Da ist er sich absolut sicher, obwohl die meisten seiner EPAM-Mitstreiter dies bezweifeln. Sie vermuten, Syriza werde, wenn sie einmal an der Macht sei, sich auch nicht anders verhalten als die anderen Parteien.
Chrysanthopoulos hingegen vertraut seinen Kontakten zu den Sozialisten. Freilich werde Syriza mit dem Euro-Austritt keinen Wahlkampf machen, weil das die Griechen beunruhigen könnte. „Würden sie es sagen, bekämen sie nicht die Stimmen, die sie brauchen“, sagt er. Denn in diesen unruhigen Zeiten hält selbst die von der Sparpolitik der Troika gebeutelte griechische Bevölkerung am Euro fest.
Aber er hat schon eine genaue Vorstellung davon, wie Griechenland dem Euro den Rücken kehren. „Naja“, sagt er und schmunzelt. „Wenn Syriza gewinnt, stellen wir als erstes den Schuldendienst ein.“ Will heißen, Griechenland zahlt seine Kredite nicht mehr zurück. Einfach so.
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Außerdem würden sie die griechische Nationalbank „renationalisieren“ und neue Anleihen zur Staatsfinanzierung begeben. „Dann erklären wir einen schrittweisen Austritt aus der Eurozone.“
Die weiteren Schritte sehen so aus: Wie beim Eintritt in die Eurozone gäbe es in der einjährigen Austrittsphase parallel zum Euro bereits eine neue nationale Währung. Nach etwa einem Jahr könnte die nationale Währung deutlich abgewertet werden, um die Waren-Exporte anzukurbeln. Gleichzeitig sollen zu diesem Zeitpunkt Verträge mit anderen Ländern über Öl-Importe und Rohstoffe abschließen. „Wir sind bereits mit Öl exportierenden Ländern im Gespräch“, sagt Chrysanthopoulos. Unter anderen mit Russland.
Auf die Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage Griechenland die Kreditzahlungen einstellen könne, sagt der frühere Botschafter, seine Freunde und er hätten in der Wiener Vertragsrechtskonvention 1969 einen Passus gefunden, der dies ausdrücklich ermögliche. „Da gibt es einen Artikel, der aufzeigt, unter welchen Konditionen ein Vertrag nichtig ist“, sagt er. Ein Vertrag sei demnach ungültig, wenn Fehler gemacht wurden, wenn Druck ausgeübt oder ein Vertragspartner erpresst wurden.
„All diese genannten Bedingungen treffen auf die griechische Rettungspolitik zu. Wir sind erpresst worden. Darum sind unsere Kreditverpflichtungen nichtig. Wir müssen nicht zahlen“, sagt der frühere Botschafter. „Und in dem Moment, in dem wir keine Zinsen mehr zahlen, können wir das Geld in unsere Wirtschaft und die Sozialsysteme stecken.“
2,5 Millionen Nichtversicherte
Vorrangig denkt er dabei an das sei das längst kollabierte Gesundheitswesen. Im ganzen Land organisieren Ärzte und Pfleger kostenlose Behandlungen für die inzwischen 2,5 Millionen Nichtversicherten. Einer dieser Helfer ist Christos Sideris, er leitet eine Einrichtung auf dem Gelände des früheren US-Stützpunktes von Athen. Sideris und Chrysanthopoulos stehen in engem Kontakt. Sideris und Chrysanthopoulos stehen in engem Kontakt. Gemeinsam unterstützen sie eine Anzeige der deutschen Menschenrechtsaktivistin Sarah Hassel-Reusing beim Internationalen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Sideris startete sein Projekt vor genau drei Jahren. Er sammelte Ärzte und Helfer um sich, die bereit waren, kostenlos Patienten zu versorgen. Die Stadt stellte das Gelände und den kleinen Flachdachbau zur Verfügung. Alles andere organisieren sie selbst. Dazu zählen vor allem Medikamente und Kindernahrung, aber auch medizinisches Gerät.
Heute sind wandhohe Regale prallvoll mit Medikamenten gefüllt. Unermüdlich sortieren und katalogisieren die Helfer die in großen Säcken ankommenden Spenden. Manches erreicht die Einrichtung auch über dunkle Kanäle, wie etwa ein Präparat eines deutschen Arzneimittelherstellers. Aus Deutschland stammt auch ein Ultraschallgerät. „Ein Hamburger Freundeskreis hat es uns gespendet“, sagt Sideris. Voll eingerichtet sind jeweils auch ein Raum für Zahnbehandlungen und einer für Gynäkologie. Alle Geräte sind alt und technisch nicht mehr auf dem neuesten Stand, aber hier sind sie unentbehrlich.
Sideris schildert den Erfolg seiner Einrichtung gern in Zahlen. Im ersten Jahr, also 2012, kamen 4000 Patienten, im Jahre darauf waren es schon fast fünfmal soviel, nämlich 19.000. Und in diesem Jahr zählte die Einrichtung 43.000 Patientenbesuche.
Warum in Griechenland so viele Menschen heute auf solche Einrichtungen angewiesen sind, erklärt er so: „Es gibt in Griechenland drei Kategorien von Nichtversicherten: erstens die Unternehmer, die infolge der Krise pleite gingen und sich heute keine Versicherung mehr leisten können. Zweitens diejenigen, die zwei Jahre arbeitslos sind und automatisch ihren Versicherungsschutz verlieren, drittens die offiziell vom Staat als Arm anerkannten.“
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Für die Betroffenen hat das zum Teil unvorstellbare Folgen, etwa wenn chronisch Kranke ihre dringend benötigten Medikamente nicht mehr bekämen. Selbst wer noch versichert sei, könne die Arzneimittel kaum noch finanzieren, sagt Sideris: „Weil die Regierung alles Geld für Kredite ausgibt und im Gesundheitssystem radikal gestrichen hat, müssen die Patienten für teure Medikamente heute bis zu 60 Prozent zuzahlen.“
Wer soll sich das leisten können in einer Gesellschaft, in der laut einer Studie des „State Budget Office“ des griechischen Parlaments insgesamt 2,5 Millionen Griechen unterhalb der offiziellen Armutsgrenze leben und weitere 3,8 Millionen als von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht gelten. Zusammengenommen sind das 6,3 Millionen Menschen beziehungsweise knapp 60 Prozent der griechischen Bevölkerung.
„Alle vor Gericht stellen.“
In Athen zeigt sich diese Armut vor allem in steigenden Kriminalitätsraten und einer zunehmenden Zahl von Bettlern, die durch die Straßen streunen wie die vielen ausgesetzten Hunde. Aber es gibt immer noch jene, die im Straßencafé mal eben für 20 Euro ein Glas Weißwein trinken und den Bettlern, die ungeniert an den Tisch kommen, zehn Euro zustecken. Es ist eine Stadt mit zwei Gesichtern.
Wie der Bericht der Menschenrechtsorganisation FIDH, stellt auch der frühere Botschafter Chrysanthopoulos die Frage nach den Verantwortlichen für diese soziale Spreizung. Während die FIDH jedoch den früheren griechischen Regierungen eine Teilschuld gibt, konzentriert sich Chrysanthopoulos auf jene, die seit Ausbruch der Krise die Forderungen der Troika erfüllten. „Wir sollten sie alle vor Gericht stellen“, sagt er. „Sie haben dem griechischen Volk schweren Schaden zugefügt.“
Auch er selbst ist betroffen. Eigentlich hätte er als Botschafter eine Pension von rund 3000 Euro bekommen sollen. Die sei aber um die Hälfte gekürzt worden. „Gleichzeitig soll ich im Vierteljahr rund 3000 Euro Steuern und Abgaben zahlen“, sagt er. „Das verweigere ich.“ Und wenn der Staat die Abgaben einziehen wolle, wisse er sich zu wehren. „Ich habe auf meiner Farm eine Flinte, eine Pistole und einige Gasmasken“, sagt er. „Die sollen nur kommen.“ Er stammt eben doch aus einer kriegerischen Familie, deren Geschichte seine Mutter einst in ihrem kleinen Apartment im Athener Regierungsviertel ein lebendiges Andenken gehalten habe.