Der Westen als Kriegstreiber
Rund 3500 Bürger folgten dem Aufruf der Friedensbewegung zur Demonstration vor dem Amtssitz des Bundespräsidenten in Berlin. Auch die Mahnwachenbewegung war dabei.
Kurz vor Weihnachten versucht die sieche deutsche Friedensbewegung wieder auf die Beine zu kommen. Und tatsächlich brachten mehrere Tausend Menschen dazu, vor dem Berliner Amtssitz von Bundespräsident Joachim Gauck für Abrüstung und friedliche Konfliktlösungen zu demonstrieren. Alle Redner klagten den Westen der Kriegstreiberei an.
„Kriege breiten sich weltweit in einer immensen Geschwindigkeit aus, sie kehren mit dem Krieg in der Ukraine nach Europa zurück“, heißt es im Aufruf des „Aktionsbüros Friedenswinter 2014/2015“. Und weiter: „Die Nato und besonders die USA führen weltweit völkerrechtswidrige Kriege und geben 72 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben aus. Die Bundesregierung ist ein aktiver Bestandteil dieser militaristischen Politik.“
„Verjüngung verpasst“
Seit den 1980er Jahren, in denen sie Zehntausende gegen den Nato-Doppelbeschluss auf die Straße brachte, ist die deutsche Friedensbewegung sie zu einem kleinen Häuflein in die Jahre gekommener Aktivisten geschrumpft. Nun soll durch den Zusammenschluss mit anderen Gruppen eine Reanimation der links gefärbten Bewegung gelingen. Dabei umarmen die Friedensaktivisten, zu denen traditionell auch die DKP gehört, auch die umstrittene Mahnwachenbewegung, die des Rechtspopulismus verdächtigt wird.
Reiner Braun von der Kooperation für Frieden, einem Dachverband von 50 pazifistischen Gruppen, rechtfertige in der „taz“ die Kooperation mit der Mahnwachenbewegung. „Ich möchte gern, dass wir als traditionelle Friedensbewegung auf sie zugehen und den Dialog suchen“, sagte er. Er räumte ein, die Friedensbewegung befinde sich in einer Krise. „Wir haben uns nicht rechtzeitig um eine Verjüngung gekümmert“, sagte er. Unter anderem die Mahnwachenbewegung soll nun dazu beitragen.
Jedenfalls gelang es den Veranstaltern der Demonstration vor dem Schloss Bellevue erstmals seit langer Zeit wieder, rund 3.500 Teilnehmern zu mobilisieren. Zu der Kundgebung „Verantwortung für unser Land heißt: Nein zu Krieg und Konfrontation“ hatten unter anderen die rüstungskritische Organisation IPPNW (Ärzte gegen den Atomkrieg) und die katholische Organisation pax christi. Zu den Unterstützern zählten auch Gewerkschaften und linke politische Parteien.
Dehm lobt Montagsdemonstranten
Zunächst versammelten sich die Teilnehmer am Berliner Hauptbahnhof und zogen dann zum Amtssitz des Bundespräsidenten. Auf Transparenten wandten sich die Demonstranten teilweise direkt mit Spruchbändern an Joachim Gauck. Darauf hieß es: „Du sollst nicht töten, Herr Pfarrer“, „Sie sind der Super-GAU für den Frieden“ oder auch: „Stahlhelm ab, Herr Gauck!“ und: „Wir sagen Nein zur Konfrontation mit Russland.“
In vorderster Reihe marschierte Dieter Dehm, streitbarer Bundestagsabgeordneter der Linken und erfolgreicher Musikproduzent. Er habe kein Problem mit den Montagsdemonstranten, sagte er im Gespräch mit GEOLITICO. Dehm war selbst bereits auf diesen Montagsdemonstrationen aufgetreten, die seiner Ansicht nach keineswegs in die rechte Ecke gehörten. „Ich habe dort über Antisemitismus geredet und bekam einen Riesenbeifall. Dann habe ich noch Brechts Ballade von der Judenhure gesungen, auch dafür gab es Riesenbeifall“, sagte der Linken-Poliktiker.
Die Montags-Demos rechts zu verorten, sei eine „der großen Propagandalügen“ der Massenmedien. Ihm sei kein einziges rechtsradikales Zitat der Organisatoren Ken Jebsen oder Lars Mährholz bekannt. „Heute wird ja schon die Forderung nach Abschaffung der Nato als rechtsradiales Gedankengut bezeichnet“, sagte Dehm. „In Gottes Namen: Diese Forderung stammt von uns Linken.“
„Würde Russlands ignoriert“
Dehm bezeichnete die Berliner Demonstration vor dem Schloss Bellevue als Versuch, möglichst viele Friedensgruppen zusammenzuführen. Das große Thema sei eigentlich ein altes, denn es laute: „Gegen Krieg und Faschismus, das ist der Schwur von Buchenwald, wo auch meine Familie Opfer zu beklagen hat“, sagte Dehm. „Dazu zählt der Kampf gegen Antisemitismus genauso wie der Kampf gegen die Deutsche Bank, die ja Auschwitz finanziert hat.“
Dass Gauck nun zum Feindbild der Linken aufgebaut werde, erklärte er so: „Dieser Bundespräsident hat unerträgliche Dinge abgesondert über die neue Rolle Deutschlands in der Welt.“ Und die Frage, ob es vertretbar sei, den Bundespräsidenten auf so einer Demonstration mit dem Stahlhelm zu zeigen, beantwortete er rundheraus mit einem „Ja“. „Das ist im Rahmen der künstlerischen Freiheit völlig vertretbar. Da muss er sich noch dran gewöhnen. Das war natürlich in dem Land, aus dem er kommt, nicht möglich, dass Künstler ihre Meinung sagen dürfen. Bei uns aber ist es möglich.“
Auslöser des Konflikts mit der Ukraine sei das „Heranschieben der Nato an Russland“, sagte Dehm. Der Westen habe die verletzte Würde Russlands „völlig ignoriert“. „Immerhin hatte die Sowjetunion 27 Millionen Tote im zweiten Weltkrieg zu beklagen.“
Unter den Teilnehmern waren auch ostdeutsche Pfarrer, die Bundespräsident Gauck im Sommer für dessen Haltung zum Militär in einem offenen Brief kritisiert hatten, darunter der Berliner Pfarrer Siegfried Menthel. Die Friedensbewegung forderte auf der Abschlusskundgebung, auf der unter anderen der Theologe Eugen Drewermann sprach, Lehren aus den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts zu ziehen, an die vielen Millionen Toten zu erinnern und alles dafür zu tun, dass von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgeht.
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