Türkisch als Deutsch-Barriere?
Die CSU will Deutsch zur Pflicht für Ausländer auch zu Hause erklären. Der Sprachwissenschaftler Schlobinski sieht ein Sprachproblem in engen Zuwanderer-Netzwerken.
Wie ist der Vorstoß der CSU, wonach Zuwanderer auch zu Hause Deutsch sprechen sollen, wissenschaftlich zu bewerten? Wir fragten den renommierten deutschen Linguisten Prof. Peter Schlobinski vom Deutschen Seminar der Leibnitz Universität Hannover. Er publizierte unter anderem über Comics und Jugendsprache oder Sprache und Kommunikation im Internet.
Die CSU fordert, dass Zuwanderer zu Hause Deutsch sprechen sollen, und ist dafür von allen Parteien heftig kritisiert worden. Wie beurteilen Sie den Vorschlag aus wissenschaftlicher Sicht?
Peter Schlobinski: Es geht der CSU ja wohl vornehmlich um den Spracherwerb der Kinder. In der Wissenschaft haben wir es mit Frühbilingualismus bzw. Zweitspracherwerb zu tun, wie also Kinder zwei- oder mehrsprachig aufwachsen. Dabei muss man verschiedene Fälle unterscheiden: Sprechen beide Elternteile dieselbe Muttersprache, oder kommen sie aus unterschiedlichen Herkunftsländern? Und wie ist die Umgebungssprache, in der das Kind aufwächst?
Wenn beide Elternteile Türkisch sprechen?
Schlobinski: Dann wird zu Hause Türkisch gesprochen. In der Regel ist es so, dass in der ersten Lebensphase Sprachmischungen auftreten. Das Kind wird also deutsche Wörter in türkische Sätze einbinden und umgekehrt. Normalerweise schwächt sich das mit dem Heranwachsen ab. Aus linguistischer Sicht ergeben sich daraus keine Probleme. Allerdings muss man sagen, dass nie beide Sprachen gleichwertig erworben werden. In der Praxis wird immer eine Sprache als Muttersprache empfunden und besser beherrscht.
Wie werden die beiden erlernten Sprachen später genutzt bzw. eingesetzt?
Schlobinski: Das hängt von der Situation und vom Zweck ab. Es kann also sein, dass man mit ganz engen Freunden die eine Sprache spricht, und wenn man in einer öffentlichen Umgebung ist und funktional sprechen muss, die andere Sprache gebraucht. Auf dieser Basis ist es von der Frühbilingualismus-Forschung her gesehen kein Problem, wenn Kinder zweisprachig aufwachsen. Im Grunde genommen sind diese Kinder in einer multikulturellen und multilingualen Gesellschaft sogar im Vorteil, wenn sie nämlich eine Sprache perfekt und eine zweite fast perfekt beherrschen.
Welche Sprache lernen die Kinder den meistens perfekt? Diejenige, die in der Umgebung gesprochen wird, oder diejenige, die sie zu Hause lernen?
Schlobinski: In der Regel lernen sie die Umgebungssprache. Übrigens können Sie in der Schweiz beobachten, wie die Leute ganz wunderbar Italienisch oder Französisch sowie die deutsche Sprache beherrschen.
Warum funktioniert das bei vielen der in Deutschland lebenden Türken nicht?
Schlobinski: Das funktioniert dann nicht, wenn sich die Menschen fast ausschließlich in türkischen Communitys aufhalten. Wir haben etwa in Berlin oder vielen nordrhein-westfälischen Städte ganz enge türkische soziale Netzwerke. Da sprechen dann die Kinder nicht nur zu Hause türkisch, sondern eben auch im Kontakt mit anderen türkischen Kindern. Damit genießt das Türkische Priorität. In der Peergroup, also der Gruppe von Gleichaltrigen oder ethnischen Gruppen, spielt dieses Phänomen auch eine Rolle. Das heißt, dem Sprachwerbsproblem bezogen auf das Deutsche liegt ein soziales, gesellschaftliches zugrunde.
Auch in den USA haben chinesische oder deutsche Einwanderer immer auch soziale Gemeinschaften gebildet. Ein Sprachenproblem gab es dennoch nicht. Was unterscheidet sie von Zuwanderern in Deutschland?
Schlobinski: Die USA waren von Beginn an ein Zuwanderungsland. Die Gesellschaft hat sich über die Sprache sozialisiert. Wer wirtschaftlichen Erfolg haben wollte, musste die Sprache können. Folglich haben sich die Leute über die amerikanische Sprache adaptiert. Jetzt aber gibt es in den USA ähnliche Probleme wie in Deutschland. In Miami bilden die kubanischen und mexikanischen Zuwanderer längst enge eigene Communitys. Das sind starke Gemeinschaften, in denen untereinander ausschließlich Spanisch gesprochen wird. Die Amerikaner beklagen dort, dass sie, um etwa Geschäfte machen zu können, Spanisch lernen müssten. Diese Probleme werden in den USA auch lebhaft diskutiert.
Wie ist die Situation in anderen europäischen Ländern?
Schlobinski: In Frankreich leben sehr viele Marokkaner, Tunesier und Algerier. Für die ist Französisch kein Problem, weil es ja auch in ihren Herkunftsländern gesprochen wird. Gleichwohl haben wir eine extreme Ghettobildung etwa in der Pariser Banlieu. In den Niederlanden und den skandinavischen Ländern wird sehr viel in Integration und Spracherbwerb investiert.
In den türkisch-arabischen Communitys hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die sogenannte multi-ethnolektale Umgangssprache etabliert, die gänzlich ohne Artikel auskommt. Wird das die deutsche Sprache dauerhaft verändern?
Schlobinski: Viele Sprach-Phänomene haben zu tun mit der allgemeinen Entwicklung der Umgangssprache. Da lassen wir im gesprochenen Deutsch etwa manchmal die Person oder eine Präpositionen einfach unter den Tisch fallen. Das geschieht also nicht nur in der Umgangssprache der türkisch-arabischen Communitys. Wir haben etwa die Umgangssprache im brandenburgischen Raum, die bayerische Umgangssprache. Kurzum: Uns eventuell missfallenden Entwicklungen in der Sprache können wir nicht pauschal auf die sogenannte Kiez-Sprache schieben. Unbestritten aber bleibt: Sprachkenntnisse sind enorm wichtig, weil sie der Schlüssel für die Teilhabe an der Gesellschaft in allen Bereichen ist.