YouTube und die Morddrohung
Der Betreiber eines YouTube-Kanals wollte sich gegen falsche Urheberrechtsansprüche wehren. Google gab seine Daten weiter – offenbar an dubiose Kläger. Zurück kam eine Morddrohung in arabischer Sprache.
Wer sich auf Google einlässt, kann zuweilen böse Überraschungen erleben. Gemeint sind nicht etwa Ergebnisse von Suchanfragen oder das millionenfache Sammeln von Nutzerdaten. Nein, in diesem Fall geht es um die Weitergabe von Personendaten durch Google an Dritte und die daraus resultierende Morddrohung.
Im Mittelpunkt des Falles steht der Betreiber eines Video-Kanals auf der Google-Tochter YouTube. Der Kölner Morris B. produziert dort seit einigen Jahren einen Videokanal, in dem unter anderen die zum Christentum konvertierten Barino Barsoum und Sabatina James Sendungen moderieren, die Klage gegen den Islam führen.
Sabatina James stammt aus Pakistan und ist in Österreich aufgewachsen. Ihre Lebensgeschichte als Muslimin, die sie selbst aufschrieb, wurde zum Bestseller: Als sie von ihren Eltern nach Pakistan zurückgeschickt wurde, um dort zwangsverheiratet zu werden, floh sie und wurde Christin. Seither bedroht ihre Familie sie mit dem Tod. Sie selbst gründete eine Hilfsorganisation für bedrohte Frauen. Barino Barsoum wuchs in Köln auf, radikalisierte sich in der Abu-Bakr-Moschee zum gewaltbereiten Islamisten, bevor er koptischer Christ wurde und als solcher in zahlreichen Fernsehsendungen über seine Islamismus-Erfahrung berichtete.
„Mohammeds Psyche“
Morris B. benannte seinen Kanal nach einm arabischen Sender „Al Hayat TV.net“. Dort laufen Sendungen mit Titeln wie „Islam und die Abtrennung von Gliedmaßen“, „Wie der Islam gegen uns hetzt“ oder auch „Mohammeds Psyche: Narzissmus und Paranoia“. Allesamt Inhalte also, mit denen die Ankläger des Islam immer wieder die ebenfalls selbsternannten Verteidiger des Islam provozieren, die wiederum ihre Sicht der Dinge in Kommentaren zu den Videos posten.
So lief der Kanal seit 2012 ungestört und brachte es in diesen Jahren auf 2142 Abonnenten, was nicht wenig, aber auch nicht viel ist. Und doch schienen die Botschaften einige so sehr zu stören, dass sie nicht mehr nur mit scharfen Kommentaren gegen die Macher von Al Hayat TV.net vorgehen wollten.
Im August diesen Jahres meldete sich ein ominöser Absender bei YouTube, der sich „ChristFirst, Copyright“ nannte. Er warf den Betreibern von Al Hayat TV.net vor, die allgemeinen Copyright-Rechte zu verletzen. YouTube sandte daraufhin eine automatisierte Mail, in der Morris B. über die Beschwerde informiert wurde. Dieser schrieb unverzüglich an YouTube zurück: „Die Videos, die sich auf unseren Kanal befinden, stammen aus unserer eigenen Produktion und niemand hat Rechte darauf außer uns. ,ChristFirstCopyright’ ist ein Betrüger. Er möchte damit die Löschung unseres Kanals erreichen, oder nur wissen, wer diesen Kanal betreibt. Einen offiziellen Widerspruch wollen wir vermeiden, da unsere Persönlichen Daten an die Gegenseite gelangen und somit eine Gefahr für uns darstellen könnte.“
Standardisiertes Verfahren
Prompt kam Tags drauf eine automatisierte Antwort von der Google-Tochter YouTube zurück. Im Fall einer Urheberrechtsverwarnung gebe es drei Möglichkeiten, „wie du den Status deines Kontos als ,einwandfrei’ wiederherstellen kannst“, heißt es darin. Erstens könne der Beschuldigte sechs Monate warten, bis die Verwarnung aufgehoben werde. Voraussetzung für die Aufhebung sei jedoch, dass der Betroffene den Lehrgang zum Urheberrecht besuche und innerhalb dieser sechs Monate keine weiteren Verwarnungen erhalte. Zweitens könne der Beschuldigte die Person, die das Video gemeldet habe, bitten, den Urheberrechtsanspruch zurückzunehmen. Und drittens heißt es in der Google-Mail: „Falls dein Video irrtümlicherweise entfernt wurde (z. B. im Fall einer fairen Verwendung der Inhalte), kannst du eine Gegendarstellung einreichen.“
Morris B. hatte kaum Zeit darüber nachzudenken, da erreichte ihn bereits die YouTube-Nachricht, dass sein Kanal aufgrund einer dreifachen Urheberrechtsverletzung nun endgültig gesperrt werde. Derart unter Druck gesetzt, entschied er sich nun doch zur Gegendarstellung, mit der er nicht nur seine Anschrift und Telefonnummer offenlegen musste. Google hat dazu ein standardisiertes Verfahren eingerichtet.
Einen von uns zu dem aktuellen Fall eingereichten Fragenkatalog beantwortete Google nicht, sondern verwies lediglich auf die Allgemeinen Nutzungsbedingungen von YouTube:
„YouTube nimmt das Urheberrecht und die Privatsphäre der Nutzer sehr ernst. Wenn mehr als eine Person uns darauf hinweißt, das Urheberrecht zu einem Video zu besitzen, kann YouTube nicht in die Streitigkeit eingreifen. Die beiden Parteien müssen direkt miteinander sprechen, um eine Lösung zu finden.“
Das geschieht folgendermaßen:
„In diesen Fällen müssen wir die beiden Parteien verlinken, um die Angelegenheit zu regeln.“ Konkret heißt das, Google leitet schützenswerte Personendaten weiter und rechtfertigt dies mit dem Satz: „In diesem Prozess weisen wir ausdrücklich darauf hin, dass wir die von einem Antragsteller eingereichten Kontaktinformationen mit der jeweils anderen Person teilen, dies Bedarf der ausdrücklich vorherigen Zustimmung des Kanalbetreibers.“
In Treu und Glauben versichern
In der Praxis sieht das so aus, dass der Beschwerdesteller die Daten des Beklagten erhält, er selbst bleibt hingegen anonym. Anders als vor einem ordentlichen Gericht weiß der Beklagte über seinen Kläger nichts, der jedoch weiß über ihn alles.
Allerdings lassen die Google-Bestimmungen zu, dass der Beklagte sich einen Anwalt nimmt und dann statt der eigenen Daten die des Anwalts angibt. Grundsätzlich aber besteht Google auf Offenlegung von Personendaten aufseiten des Beklagten, wenn dieser seinen Kanal gegen die Beschwerde mit dem einzigen zur Verfügung stehenden Mittel verteidigen will: der Gegendarstellung. In den Allgemeinen Geschäftsbestimmungen heißt es dazu: „Hinweis: Bei unvollständigen Gegendarstellungen können wir keine Maßnahmen ergreifen.“
Außerdem wird der Beschuldigte aufgefordert, „der folgenden Erklärung zustimmen und sie in deine Gegendarstellung aufnehmen: „Ich akzeptiere den Federal District Court des für meinen Wohnort zuständigen Justizbezirks – oder, sollte sich mein Wohnort außerhalb der USA befinden, des für YouTube zuständigen Justizbezirks – als Gerichtsstand sowie die Klagezustellung des Beschwerdeführers.“ Außerdem muss er wörtlich versichern: „Ich erkläre, dass ich in Treu und Glauben der Ansicht bin, dass die betroffenen Inhalte aufgrund eines Fehlers oder einer unzutreffenden Identifizierung entfernt oder deaktiviert wurden.“
Morris B. füllte die Gegendarstellung vorschriftsmäßig aus und schrieb: „Ich bitte Sie daher, den Kanal mit dem dazugehörigen Inhalt wiederherzustellen.“ Das war am 27. August. Als er zwei Wochen lang nichts von Google hörte, schrieb Morris B. noch einmal und bat um Aufklärung, was denn nun aus seinem Fall würde. Eine Woche nach dieser Mail kam denn endlich eine Antwort von Google: „Vielen Dank für deine Gegendarstellung. Sie wurde der Partei weitergeleitet, die die Urheberrechtsverletzung geltend gemacht hat. Wenn wir keine Antwort erhalten, wird Ihr Material in 10 bis 14 Werktagen ab heute wieder hergestellt werden.“
Staatsschutz ermittelte
Am 24. September ging dann tatsächlich die scheinbar erlösende Antwort ein. Denn Google teilte ihm mit, der Beschwerdeführer habe seine Urheberansprüche an dem Video „Ich verließ den blutigen Islam“ zurückgezogen. Damit sei der Kanal wieder frei. Noch am selben Tag bat Morris B. darum, die Anonymität des Beschwerdeführers aufzuheben, der immerhin im Besitz seiner vollständigen Personendaten sei. „Wir möchten gerichtlich gegen ihn vorgehen“, schrieb er an Google.
Doch die Antwort auf dieses Schreiben kam diesmal nicht von Google, sondern per Googlemail in arabischer Sprache von „ChristFirst copyrights“: „Danke für deine persönlichen Daten. Diese werden wir mit einem Bild deines Senders ,Alhayattvnet’ auf den Web-Seiten von Al-Qaida und anderen europäischen Dschihadisten posten: In deinem Sender beschimpfst du den Propheten des Islam und sagst, er sei ein Verrückter und ein Verbrecher“, heißt es in der Mail, die mit einer unmissverständlichen Morddrohung endete: „Pass auf Deinen Kopf auf und sorge jetzt schon dafür, dass ein Haus unter Polizeischutz gestellt wird.“
Nun schaltete Morris B. die Polizei ein, der Staatsschutz übernahm die Ermittlungen. Allerdings konnten die Kölner Beamten erst einmal nicht viel ausrichten, denn die Mail mit der Morddrohung wurde offensichtlich aus Afghanistan oder Pakistan abgeschickt. Das ergab eine Auswertung der Zeitzonen. Ein von Morris B. eingeschalteter Medienanwalt verlangte von Google Auskunft darüber, wie es möglich sei, dass schützenswerte Personendaten an offensichtlich gewaltbereite radikal-islamische Gruppen weitergegeben würden, blieb ohne konkrete Antwort.
Zu Einzelfällen wie dem von Al Hayat TV.net wollte sich Google nicht äußern. Für dessen Betreiber Morris B. war die Sache aber immer noch nicht ausgestanden. Erstens war da die Morddrohung, zweitens schrieb ihn nun ein gewisser „Sam John“ an, der suggerierte, Mitarbeiter der Google-Rechtsabteilung zu sein. Dieser „Sam John“ schrieb, er könne Al Hayat TV.net zu einem anderen Status verhelfen, der das Programm weitgehend unangreifbar mache. Die Bedingung: Morris B. solle 3.000 Dollar zahlen. Seine Daten ziehen offenbar ungeahnte Kreise…