Das NGO-Geschäft mit dem Skandal
NGOs wie Foodwatch leben von der Skandalisierung. Sie begreifen schnell, dass sie das Übel brauchen, das sie einst abschaffen wollten – weil es ihre Existenz sichert.
Bereits zum sechsten Mal vergab in diesem Jahr die NGO Foodwatch ihren Preis „Goldener Windbeutel“. Dieser soll, so Foodwatch, die „dreisteste Werbelüge des Jahres“ auszeichnen. Ein Negativpreis also, der dem Anspruch nach den Finger auf unentschuldbare Täuschungen der Lebensmittelindustrie legt.
Zwar ist Foodwatch wie jede zivilgesellschaftliche Organisation durch das Recht auf freie Meinungsäußerung legitimiert. Doch es darf bezweifelt werden, ob das alleine ausreicht, für alle deutschen Konsumenten zu sprechen. Das weiß man bei Foodwatch natürlich und gibt sich auf der Suche nach dreisten Werbelügen einen betont basisdemokratischen Anstrich. Es werden fünf angebliche Lügen nominiert, die dann auf der Foodwatch-Website zur Abstimmung stehen. So schlägt der „Goldene Windbeutel“ zwei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits wird mit dem Mittel des Internetprangers eine breite Öffentlichkeit hergestellt, andererseits legitimiert das Plebiszit erst das Verfahren: Wo abgestimmt wird, wird schon alles mit rechten Dingen zugehen.
Auf den zweiten Blick nimmt es der „Goldene Windbeutel“ mit Demokratie und Transparenz jedoch nicht so genau. Darüber, wer überhaupt am Pranger landet, entscheidet die NGO intern. Über Entscheidungsfindung und Kriterien wird nicht informiert. Nur ein kurz gehaltener Text gibt Auskunft über die Gründe der Nominierung.
„Wunderwasser und überfütterte Kinder“
Und diese Gründe wirken doch relativ fragwürdig. So habe sich etwa das von Coca-Cola hergestellte „Glacéau Vitaminwater“ für den Windbeutel qualifiziert, da Coca-Cola es „mit Gesundheitsversprechen wie Wunderwasser“ bewerbe. Das ließe sich freilich auch über diverse Kräutertees sagen, deren gesundheitsfördernde Wirkung ebenso wenig nachgewiesen ist.
Der Bio-Apfelsaft „Unser Norden“ des Herstellers Coop eG gerät in die Kritik, weil nicht alle verarbeiteten Äpfel tatsächlich aus dem Norden Deutschlands stammten. Ärgerlich ja, aber die dreisteste Verbrauchertäuschung Deutschlands? Wohl kaum. Der Belvita Frühstückskeks von Mondelez wird der Werbelüge bezichtigt, da es sich nicht um ein Frühstück handele, sondern „um eine Süßigkeit“. Damit sollte man mal unseren französischen Nachbarn kommen, die traditionell noch immer gern süß frühstücken und früh am Morgen Kekse in ihren café au lait tunken.
Nachvollziehbar ist allein die Kritik an der von von Nestlé produzierten Alete-Mahlzeit zum Trinken, die nachweislich Kinder überfüttere und junge Zähne schädige. Es bleibt aber die Frage, warum hier vor allem Nestlé, und nicht die Eltern, die ihre Kinder mit diesem Produkt versorgen, in der Verantwortung stehen sollte.
Prominenz der Angeprangerten
Augenfällig ist bei allen Nominierten, dass es sich bei den der vollmundigen Ankündigung nach angeblich so „dreisten Werbelügen“ tatsächlich im Großen und Ganzen um Lapalien handelt, die in etwa so sehr schockieren dürften wie die Tatsache, dass dem Konsumenten beim Genuss einer bestimmten stark koffeinhaltigen Limonade keine Flügel sprießen. Was Foodwatch mit dem „Goldenen Windbeutel“ auch angreift, ist das werbetypische Stilmittel der überzeichnenden Metaphorik. Dieses aber sollte der mündige Konsument auch ohne Negativpreis und Internetpranger durchschauen.
Tatsächlich scheint die Auswahl der Nominierten zum „Goldenen Windbeutel“ mit der „Dreistigkeit“ der „Werbelügen“ höchstens mittelbar etwas zu tun zu haben. Viel wichtiger ist die Prominenz der Angeprangerten. Denn es gehört zum Geschäftsmodell von Foodwatch, sich öffentlichkeitswirksam stets mit den Großen der Branche anzulegen.
So schaffte es der Lebensmittelgigant Unilever bisher in vier von sechs Jahren, auf der Liste der Nominierten vertreten zu sein. Nur ein, zwei Mal fehlte Unilever, etwa als der Konzern sich vor Gericht mit Foodwatch stritt. Verzichteten die selbsternannten Verbraucherschützer womöglich genau aus diesem Grund auf eine Nominierung? Weil das dann doch zu sehr nach Retourkutsche ausgesehen hätte?
Hühnchenaroma statt Fleisch
In diesem Jahr aber ist Unilever ganz wie gewohnt dabei. Die Knorr activ Hühnersuppe enthalte kein Hühnerfleisch, zudem sei im Hefeextrakt entgegen den Angaben ein Geschmacksverstärker enthalten, so Foodwatch. Auch das ist wohl ein Haar, das in unzähligen anderen Suppen von anderen Herstellern ebenso hätte gefunden werden können. Hühnchenaroma statt Fleisch ist gängige Praxis. Und vor allem: absolut in Übereinstimmung mit der Gesetzgebung, die nicht definiert, was eine Suppe genau ausmacht.
Diese Gesetzgebung wird im allgemeinen in Brüssel zwischen Vertretern der Lebensmittelindustrie und der Politik, immer mit Blick auf die Stimmung unter den Verbrauchern ausgehandelt. Nun ist es bestimmt so, dass dabei manchmal faule Kompromisse beschlossen werden oder ein wenig absurd erscheinende Gesetze. Indes: Im Allgemeinen funktioniert das System. Und nach Auffassung des Bundesamtes für Risikobewertung war die Lebensmittelversorgung in Deutschland noch nie so sicher wie heute.
Sollte man bei Foodwatch jedoch der Meinung sein, dass es in der Lebensmittelindustrie eine Regulierungslücke gibt, dass Gesetze präziser formuliert werden müssten, dass der Gesetzgeber den Verbraucher besser zu schützen habe, dann nur vor voran. Transparenter Lobbyismus für ein Ziel, das man für gut befindet, ist immer legitim. Aber warum den Umweg über Pranger und „Goldenen Windbeutel“ gehen?
Finanzierung über den Skandal
Ganz einfach: Klassischer Lobbyismus bringt nicht jene öffentliche Aufmerksamkeit, die ein wichtiger Teil des Geschäftsmodells von Foodwatch ist. Denn obwohl sich Aktionen wie der Goldene Windbeutel einer antikapitalistischen Rhetorik bedienen, die in weiten Teilen der Bevölkerung anschlussfähig ist, und mit der unhinterfragten Voraussetzung arbeiten, dass es a priori negativ zu bewerten sei, wenn mit einem Produkt in erster Linie Geld verdient wird, ist Foodwatch natürlich selbst längst zu einem machvollen „Moralunternehmen“ angewachsen, das seinen Beschäftigten ein Auskommen sichert.
Selbst wenn Foodwatch als „Non-Profit-Organisation“ firmiert, so sind all die Funktionäre und Angestellten doch vom Umsatz der NGO abhängig. Dieses System Foodwatch lässt sich nur über den Skandal finanzieren. Lobbyismus kostet oft neben Kraft und Nerven viel Geld. Der dauerhafte Modus der Skandalisierung dagegen generiert neben Aufmerksamkeit auch eine beträchtliche Menge an Spendengeld.
Mehr noch: aus der gleichzeitig geschaffenen Atmosphäre einer anhaltenden Bedrohungslage zieht der Verbraucherschützer seine Existenzberechtigung. Ein typisches Dilemma aller Helferindustrien. Hat sich das soziale Engagement erst einmal Strukturen geschaffen, von denen es sich leben lässt, hat der Helfer das Interesse, jenes Übel, das abzuschaffen er angetreten war, in seiner Bedeutung immer weiter zu überhöhen. Niemand entzieht sich gern die Existenzgrundlage.
Angst oder Gewöhnung?
Doch der Weg, den Foodwatch geht, ist gefährlich. Es wird eine ganze Branche diskreditiert. Zwar gesteht man zu, dass die für den „Goldenen Windbeutel“ nominierten Konzerne keine Gesetze brechen, das deshalb in Anschlag gebrachte Konstrukt der „legalen Verbrauchertäuschung“ suggeriert aber dennoch unlautere Machenschaften. Natürlich könnte einiges immer besser sein, aber derart den Wirtschaftszeig, der immerhin sicherstellt, dass wir uns jeden Tag mit erschwinglichen, in gleichbleibender verlässlicher hoher Qualität hergestellten Lebensmitteln versorgen können, zu diffamieren, ist nicht die feine Art.
Man muss sich fragen, warum die Branche solche Angriffe über sich ergehen lässt. Ist das System Foodwatch so erfolgreich, dass man Angst hat? Oder ist es einfach der Gewöhnungseffekt. Für die Lebensmittelproduzenten ist es an der Zeit, sich zur Wehr zu setzen.