Mögen die Schotten klar entscheiden
Den Schotten ist ein starkes Votum zu wünschen. Denn ein klares Ergebnis würde die Zuversicht stärken, dass der gewaltfreie Einsatz für die Freiheit lohnenswert ist.
So manch intimer Freund des sogenannten europäischen Friedensprojektes mag angesichts des schottischen Referendums über eine Abspaltung von Großbritannien die Vorstellung von davon schwimmenden Fellen quälen. Und er mag für diesen Fall verzweifelt nach Alternativen suchen.
Jo Leinen, SPD-EU-Parlamentarier und Mitglied des Verfassungsausschusses im EU-Parlament, positionierte sich schon mal und lässt die Schotten ungefragt wissen:
„… In der Tat ist in den Europa-Verträgen nicht vorgesehen, dass sich ein Staat aufteilt und aus einem Mitgliedsland zwei werden. Schottland hat alle Bedingungen erfüllt, in der EU zu sein, und das Land vor die Tür zu setzen, käme einer Diskriminierung gleich.“[1]
Leinen lässt dabei im Dunkeln, wieso er glaubt, dass sich die schottische Bevölkerung durch erneute Beitrittsverhandlungen mehrheitlich diskriminiert fühlen sollte, wenn –wie bereits die EU-Kommission feststellte – Schottland nach einer Abspaltung eben nicht automatisch EU-Mitglied bleibt oder wird.
Ein rotes Tuch
Damit Schottland nicht wie ein normaler Beitrittskandidat behandelt werde, hat er flugs eine Rezeptur zur Hand:
„Man wird einen speziellen Vertrag für den kontinuierlichen Beitritt von Schottland aushandeln müssen.“
Für seinen geschätzten Kollegen Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Vize-Präsident des Europäischen Parlaments, wäre hingegen eine schottische Unabhängigkeit von Großbritannien „ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union“. Dabei nimmt er selbstredend das EU-Unwort „Referendum“ – ein rotes Tuch für die Akteure des Brüsseler Tollhauses – nicht in den Mund.
Gleichzeitig bereitet ihm wohl eine Zersplitterung der EU-Mitgliedstaaten ernsthafte Sorgen, da eine solche Entwicklung die Handlungsfähigkeit der EU weiter schwächen könne.
Aus Sicht vieler europäischer Bürger, die sich innerlich bereits von dieser EU-Demokratur distanziert haben, ist jedoch gerade diese Handlungskompetenz, die sich u.a. durch permanente Einmischung in gesellschaftliche Rahmenbedingungen und dauernde Unterstützung von Konzerninteressen zeigt, unerträglich geworden.
Europa der Vaterländer
Den von unabhängigem Handeln beseelten Schotten ist ein klares Votum zu wünschen. Ein solches Ergebnis hätte zweifellos Signalwirkung für alle weiteren Sezessionsbewegungen und würde die Zuversicht stärken, dass jeder gewaltfreie Einsatz für Freiheit und Unabhängigkeit lohnenswert ist.
Hoffen wir, dass sich in diesem Zusammenhang der gesunde Menschenverstand europäischer Bürgerinnen und Bürger auf Sicht durchsetzt und damit im Sinne von Charles de Gaulle ein „Europa der Vaterländer“ – also ohne Gleichmacherei und kulturzersetzende Integration – ermöglicht wird.
Anmerkung
[1] Jo Leinen im Gespräch mit Jasper Barenberg, Deutschlandfunk: http://www.deutschlandfunk.de/referendum-schottland-waere-der-29-eu-mitgliedsstaat.694.de.html?dram:article_id=297816