„Alltagsrassismus“ an Schulen?

Wissenschaftler beklagen die  „Diskriminierung“ von Schülern nichtdeutscher Herkunft. Lehrer seien ihnen gegenüber negativ eingestellt und verhinderten Bildungskarrieren.

 

Drei Schüler arabischer und türkischer Herkunft werden nach dem ersten Schuljahr auf einem Berliner Gymnasium nicht versetzt. Gegen diese Entscheidung der Lehrer ziehen die Eltern vor Gericht. Sie behaupten, die schulische Leistung ihrer Kinder sei auch darauf zurückzuführen, dass die Klasse fast ausschließlich aus Schülern nichtdeutscher Herkunft bestanden habe. Das Gericht überzeugen sie damit nicht, es weist die Klage ab. Dennoch hätten die Eltern richtig gehandelt, sagen Soziologen und Integrationsforscher, die auf Einladung des Mediendienstes Integration in Berlin diskutierten.

Ihrer Ansicht nach benachteiligt das deutsche Schulsystem Kinder nicht deutscher Herkunft. Es trage sogar Züge eines latent vorhandenen Alltagsrassismus. Jedenfalls gebe es nach wie vor keine Bildungsgerechtigkeit in Deutschland.

„Als Türkenklasse stigmatisiert“

Im vergangenen September hatte die Klage der Eltern der beiden türkischen Schüler und ihres arabischen Klassenkameraden gegen die Berliner Schulverwaltung Aufsehen erregt. Damals waren die Eltern vor Gericht gezogen, weil ihre Kinder das Probejahr in der 7. Klasse am Gymnasium nicht bestanden hatten. Sie warfen dem Leonardo-da-Vinci-Gymnasium in Berlin-Neukölln vor, ihre Kinder in einer Klasse mit viel zu hohem Migranten-Anteil untergebracht zu haben. Dieser Umstand habe sie am Schulerfolg gehindert.

„In der Klasse meiner Mandanten waren 63 Prozent Schüler sogenannter nicht deutscher Herkunftssprache. In zwei Parallelklassen waren es nur 13 bzw. 29 Prozent“, sagte der Anwalt der Familien, Carsten Ilius. Ein solch gravierender Unterschied wirke diskriminierend. „Die Klasse wurde als Türkenklasse stigmatisiert“, sagte Ilius. Darin drücke sich unterschwellig ein auch an Schulen vorhandener „Alltagsrassismus“ aus, der den einzelnen Schüler in seiner Entfaltung behindere.

„Araber wählen kein Latein“

Nun hatte die Schule die Klassen allerdings nicht nach ethnischer Herkunft eingerichtet, sondern wie üblich als Kriterien der Wahl der zweiten Fremdsprache und der Religionszugehörigkeit herangezogen, bestätigte Ilius. Demnach wurden die Schüler, die Latein als 2. Fremdsprache wählten, in einer Klasse zusammengefasst. Außerdem habe die Schule Rücksicht auf Schülerwünsche genommen, die mit den Klassenkameraden aus der Grundschulzeit zusammenbleiben wollten.

So wird seit Jahrzehnten an deutschen Schulen verfahren. Gleichwohl sei dies problematisch, befand der Anwalt. „Diese Art der Klasseneinteilung ist eine indirekte Form der Diskriminierung“, sagte er und begründete diese Ansicht unter anderem mit dem Argument: „Arabischstämmige Schüler wählen nach Aussage des Schulleiters so gut wie nie Latein, türkeistämmige Schüler nur ganz selten.“ So wirke allein das Fremdsprachen-Kriterium segregierend, also trennend.

„Spezifische Diskriminierung“

Von einer problematischen Entwicklung sprach auch Juliane Karakayali, Soziologie-Professorin an der Evangelischen Hochschule Berlin. Seit den PISA-Ergebnissen von 2001 sähen viele Eltern in Kindern mit Migrationshintergrund in einer Schulklasse als Bildungsrisiko für die eigenen Kinder. Dabei sei der „geringe Bildungserfolg“ der Migrantenkinder „eine Folge einer spezifischen, institutionellen Bildungsdiskriminierung“, sagte sie. Die Zweisprachigkeit dieser Schüler werde oft als Defizit betrachtet, sie würden häufiger bei der Einschulung zurückgestellt oder an Sonderschulen verwiesen. „Bei gleichem Notendurchschnitt werden sie seltener fürs Gymnasium empfohlen“, sagte Karakayali.

Sie sprach von „negativen Einstellungen“ der Lehrerinnen und Lehrer gegenüber Kindern mit Migrationshintergrund. Sie behinderten auf diese Weise den Lernerfolg der Kinder, deren Verhalten sie vor allem als Ausdruck einer „fremden Kultur“ wahrnähmen. „Gibt es Konflikte, so werden diese kulturalisiert, auch wenn die Ursachen meistens im Schulalltag oder der Interaktion zwischen Lehrern und Schülern zu finden sind“, sagte die Soziologin. Kinder mit Migrationshintergrund würden häufig weniger gefördert und erhielten bei gleicher Leistung schlechtere Noten.

Studie bestätigt Befürchtungen

Schulklassen, in denen Kinder mit Migrationshintergrund in der Mehrzahl seien, entstünden etwa durch das Wahlverhalten der Eltern und durch institutionelle Entscheidungen. „Beispielsweise wenn Anmeldungen von Eltern mit Migrationshintergrund nicht angenommen werden oder die Schulleitung eine Klasseneinteilung nach Herkunft vornimmt“, sagte sie und fügte hinzu: „Zum Teil erfolgen diese Einteilungen auf der Ebene der Schulklassen auf Wunsch herkunftsdeutscher Eltern.“

Der Integrationswissenschaftler Haci-Halil Uslucan verwies in seinen Beiträgen wiederholt auf eine Studie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Die Studie mit dem Titel „Segregation an deutschen Schulen“ warnt vor den negativen Folgen der Segregation an deutschen Schulen. „Sie beeinträchtigt vor allem die Bildungschancen von Schülern mit Migrationshintergrund“, heißt es in der von der Mercator-Stiftung geförderten Forschungsarbeit.

„Bildungskarrieren werden gestoppt“

Knapp 70 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund „besuchen bereits im Grundschulalter eine Schule, an der mehrheitlich Kinder nichtdeutscher Herkunft lesen und schreiben lernen“. Nicht nur „die ungünstigen familiären Lernvoraussetzungen“, auch „ihre oft lernschwachen Mitschüler“ hemmten den Lernerfolg dieser Kinder. In deutschen Großstädten lernten knapp 40 Prozent aller Grundschüler mit Migrationshintergrund in leistungsschwachen Klassen, schreiben die Autoren der Studie.

„Diskriminierungswahrnehmungen führen auch zu kognitiven Einbußen“, sagte Uslucan. „So werden Bildungskarrieren gehemmt oder gar gestoppt.“ Wie schon Karakayali verwies auch er auf die unterschiedliche Wahrnehmung von Kindern nichtdeutscher Herkunft durch Lehrer. „Bei gleichen Noten bekommen sie oft keine Gymnasialempfehlung“, sagte er. Auch dies sei ein Beitrag zur Segregation.

„Schüler richtig fordern“

Er appellierte an die Schulen, stärker auf die Bedürfnisse der Kinder mit Migrationshintergrund einzugehen. „Schüler passen ihre Leistungen oft dem Niveau ihrer Umgebung an“ sagte er. Gerade in Klassen mit hohem Migrantenanteil aber würden die Anforderungen oftmals abgesenkt und gute Schüler nicht richtig gefordert.

Unser Newsletter – Ihr Beitrag zur politischen Kultur!

Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

// require user tracking consent before processing data _paq.push(['requireConsent']); // OR require user cookie consent before storing and using any cookies _paq.push(['requireCookieConsent']); _paq.push(['trackPageView']); [...]
×