Der Vernebelungstaktiker Joschka Fischer und andere Irrläufer
Was steckt dahinter, wenn sich Alt-68er heute auf der Seite von Großinvestoren über die Euro-Krise äußern? In ihrer Kolumne geht die Journalistin Bettina Röhl mit diesen Leuten kritisch ins Gericht. Zu Recht.
Kürzlich hat die Journalistin Bettina Röhl in der Wirtschaftswoche einen lesenswerten Beitrag über den grünen Säulenheiligen Joschka Fischer geschrieben. Der Beitrag erschien im Rahmen ihrer WiWo-Kolumne „Röhl direkt“. Schon der Einstieg in diesen Artikel reizt Leute wie mich zum unbedingten Weiterlesen:
„Die alarmistischen Euro-Untergangsszenarien, die Joschka Fischer im Jahr 2012 in mehreren Artikeln verbreitete, waren peinlicher Unsinn. Was macht Joschka Fischer eigentlich für einige Vertreter der Wirtschaftseliten so interessant?“
Es wird in der Folge dargelegt, wie sehr sich der einstige Klassenkämpfer Fischer zu einem gern gesehenen Berater für Wirtschaftsunternehmen und „Mitarbeiter“ in verschiedenen von Konzernen und umtriebigen Milliardären gesponsorten Instituten entwickelt hat:
„Auch der heutige rot-grüne Lieblingsspekulant und Hyper-Milliardär Georgos Soros, der einst zu den erklärten Klassenfeinden der terroristisch-maoistisch angefixten ‚Revolutionären‘ der Joschka Fischers, Cohn-Bendits und Thomas Schmids ( damals mit den anderen Gründer des militanten „Revolutionären Kampfes, heute Herausgeber der Welt-Gruppe) zählte, gehört heute, wie man hört, zu Fischers strategischen Partnern.
Nicht, dass der Kapitalismus oder dass die Kapitalisten eine kommunistisch-sozialistische Metamorphose durchgemacht hätten. Nein, die Anti-Kapitalisten, die Kollektivisten, die Enteignungsphantasten, die die Menschheit durch eine blutige Weltrevolution und die Liquidierung der bösesten unter den Kapitalisten ins Paradies auf Erden führen wollten, haben sich von ihren einstigen Idealen und ihren einstigen Idolen und Idealen nahezu rückstandsfrei getrennt und hängen heute am Kapital und am Geld, an Macht, an den Monopol und Kartellen wie der Drogenabhängige an der Nadel.“
Bettina Röhl stellt sich aber die Frage, welche wirtschaftspolitische Kompetenz der „Revolutions-Autodidakt“ Fischer wohl in dieses Engagement beim ehemaligen Klassenfeind einbringt. Auch die Tätigkeit als deutscher Außenminister ist eher durchschnittlich zu bewerten. Bettina Röhl kommt schließlich zum Ergebnis, dass es Fischers Vernetzung ist, die ihn interessant macht.
„Anzuerkennen bleibt indes, dass Fischer es in der akademisch ausgerichteten Protest-Szene in dem entsprechenden Milieus der West-Linken der siebziger, achtziger und neunziger Jahre als Nicht-Akademiker erst zu einem „Top-Job“ in der Sponti-Bewegung, dann zu einer großen Karriere in der Politik und jetzt zu einem etablierten Strippenzieher des Kapitalismus gebracht hat. Und diese Karriere ist der wahre Grund dafür, dass Fischer heutzutage als Netzwerker, als Lobbyist, als Kontaktmacher, als graue Eminenz nachgefragt wird wie kein anderer.“
Nützlicher Idiot
Oder anders ausgedrückt: Fischers Stärke ist das, was man im Alltagsdeutsch „Mauschelei“ und auf Neudeutsch „Lobbying“ nennt. Das ist kein Kompliment für diesen Ex-Politiker. An anderer Stelle bezeichnet sie Fischer als „eine Art eine Art globaler internationaler nützlicher Idiot für viele Interessengruppen, die sich von ihm Hilfsdienste versprechen“.
Wer zurzeit Hilfsdienste braucht, ist auch klar: die Gläubiger der Euro-Zone brauchen die eindeutige Zusage, dass die Schulden aller Länder der Eurozone bezahlt werden. Aus Sicht der Gläubiger kann das nur Deutschland sein. Doch da gibt es in Deutschland tatsächlich Widerstände, die in Euro-Europa aufgehäuften Schuldenberge anderer Länder abzutragen. Da gibt es Menschen in Deutschland, die sich tatsächlich fragen, welch ein finanzielles Trümmerfeld wir der nächsten Generation hinterlassen, die nicht nur Haftungsverpflichtungen für die Schulden anderer Länder übernehmen muss, sondern auch noch einen ungeheuren Altenberg zu versorgen haben wird.
Hier treten nun hilfreiche Netzwerker wie Herr Fischer in Aktion. In klarer Erkenntnis seiner Funktion zeigt Bettina Röhl auf, wie das bei Herrn Fischer funktioniert.
Seine politischen Auslassungen zur Lage in Europa stuft Röhl als „ein großtuerisches ökonomisch unverständiges und politisch gequirltes Gelaber“ ein, und sie ist aus ihrer Sicht in dieser Beurteilung noch „freundlich und dezent“. Vernichtend kritisiert sie z.B. Fischers Artikel in der süddeutschen Zeitung „Europa steht in Flammen“ vom Juni 2012, in dem er u.a. die ungeheure und in der sonstigen Zeitungswelt nicht weiter kritisierte Behauptung aufstellt, dass Deutschland mit seiner Politik gerade dabei sei, Europa ein drittes Mal in Schutt und Asche zu legen:
„In seinem Pamphlet voller innerer Widersprüche, missverstandener Halb-Viertel- und Unwahrheiten – das ganze aber im Brustton der Überzeugung – lanciert Fischer die Botschaft, dass Deutschland mit ‚seiner Wirtschaftskraft‘ und seinem ‚Vermögen‘ uneingeschränkt den Euro, Europa und letztlich die ganze Welt zu retten hätte.“
Eine solche klare Kritik über einen Beitrag eines grünen Netzwerkers und Strippenziehers, der sich in einer geradezu grotesken Realitätsverweigerung und klarer Interessenvertretung der Finanzindustrie über sein eigenes Land und dessen Möglichkeiten, die Welt zu retten, äußert, war leider in den deutschen Hauptmedien nicht zu lesen.
Röhl und das Erbe der 68er
Bettina Röhl, geboren 1962 in Hamburg, ist eine der Töchter der später in den terroristischen Untergrund abgetauchten Journalistin Ulrike Meinhof. Sie wuchs in Hamburg bei ihrem Vater auf, studierte Geschichte und Germanistik und arbeitet seit 1986 als Journalistin. Bettina Röhl, so vermerkt es die Wikipedia, „setzt sich in ihren Veröffentlichungen häufig kritisch mit der 68er-Generation und deren Erbe auseinander“. Gerade zu Joschka Fischer hat Bettina Röhl schon einige journalistische Arbeiten abgeliefert, die zum Teil auch im Ausland kontrovers diskutiert wurden.
Manche versuchen aus ihrer Themenwahl und ihrer Einstellung eine aus ihrer Biographie erwachsene zwanghafte Antihaltung Röhls gegen „die Linken“ zu konstruieren, was Bettina Röhl als „biologistische Sippenhaft“ bezeichnet (siehe Wikipedia). Aber es ist wohl eher so, dass Röhl diese Spielart des menschlichen Lebens auf unserem Planeten nur zu gut kennt und deshalb „die Linken“ nicht unbedingt mit Glaceehandschuhen anfasst. Es bietet sich eher der Vergleich zu dem linkskritischen Kolumnisten Jan Fleischhauer im Spiegel Online, der auch „Unter Linken“ war und völlig desillusioniert aus diesen scheinheiligen und realitätsfernen Gefilden zurückkehrte.
In Bettina Röhls Kolumne „Röhl direkt“ in der Wirtschaftswoche wird offen geredet, es herrscht die klare Ansage. Es mag auch Argumente geben, die die Einschätzungen von Frau Röhl korrigieren oder mildern, doch nur im Gegenüberstellen von Positionen und Alternativen lassen sich Lösungen und Wege finden. Im europapolitischen Meinungsbrei der aktuellen Berichterstattung werden die eigentlichen Probleme der strukturellen Unwucht in EU- und Euro-Europa und der horrenden Schuldenmacherei der Staaten vertuscht und vernebelt. Und als einen der schlimmsten Vernebelungstaktiker kann Bettina Röhl den am Anfang erwähnten Ex-Revolutionär und Ex-Außenminister herausarbeiten. Dessen veröffentlichte Untergangsszenarien, die er im Einklang mit dem Multimilliardär und Finanzspekulanten George Soros und anderen Interessierten verbreitetet, nennt sie „einfach nur peinlich bis zum Anschlag“.
Euro-Ideologen
Die Positionen die im Bundestag parteiübergreifend zur Eurokrise vertreten wurden hat Bettina Röhl in ihrer Kolumne schon immer kritisiert:
„Das Merkel-Märchen, dem sich die Eurobond-Phantasten von der Opposition anschließen, dass Deutschland die Euro-Krise mit seinem Geld ersticken müsse um den Euro und die Welt zu retten, ist teutonische Gigantomanie. Wer mit dem Spruch daher kommt, dass Deutschland ja nicht zahlen werde, sondern sich nur verbürgen würde, Verzeihung, nur den größten der inflationär aus dem Boden wachsenden Rettungsschirme tragen würde und selber am meisten vom Tragen dieses Rettungsschirmes profitieren würde, ist so dämlich wie der blumige und die Gehirne verkleisternde Ausdruck ‚Rettungsschirm‘.
Eine Bürgschaft kostet normalerweise, einfach nur so als Risikoversicherung, ohne, dass sie in Anspruch genommen wird, Geld, eine Avalgebühr, einen Bürgschaftszins. Für das bloße Tragen eines Rettungsschirmes müsste Deutschland normalerweise ganz viel Geld bekommen. Aber das soll ja gerade nicht sein, weil ganz im Gegenteil die nicht mehr voll kreditwürdigen Länder ihrerseits Zinsen, die sie auf den Weltmärkten zahlen müssten, einsparen sollen und weil die betroffenen Länder Bürgschaftsgebühren dieser Größenordnung gar nicht zahlen könnten.“
Als eine der wenigen Journalisten bzw. Journalistinnen in der deutschen Presselandschaft kritisiert sie das Festhalten am Euro um jeden Preis, kritisiert sie, dass es im Bundestag keine wirkliche Opposition gegen die Politik der Regierung Merkel-Schäuble-Rösler gebe. Bis jetzt vermisst sie, dass die Regierung den eingeschlagenen Euro-Kurs nicht zwingend und verständlich begründet hat, was ihrer Meinung nach „objektiv allerdings kaum möglich sein dürfte“. Das „Merkel-Lager“ fange dagegen an, unflätig zu werden. Die hier angesprochene Kolumne erschien im Juli 2012, der Druck gegen die Euroskeptiker ist seitdem eher größer geworden.
Druck jeglicher Art gegen Euroskeptiker scheint Bettina Röhl aber erst richtig in Schwung zu bringen, noch im selben Monat bezeichnet sie den Euro in der augenblicklichen Erscheinung als das, was er nun einmal ist:
„Der Euro ist der fehlgeschlagene Versuch einer Revolution von Oben und das Erschütternde ist, dass der Euro gänzlich überflüssig war und ist und kein einziges Problem gelöst, aber unendlich viele neue zusätzlich kreiert hat. Das Europa der unterschiedlichen Währungen ist seit den frühen fünfziger Jahren bis zur Einführung des Euro historisch betrachtet in atemberaubendem Tempo zu einer dynamisch sich entwickelnden europäischen Gemeinschaft zusammen gewachsen und dieser Prozess wäre ohne Einführung des Euro stetig im positivsten Sinne weiter gegangen. Es gab überhaupt keine Notwendigkeit den Euro einzuführen.“
Griechenland ohne Euro
Sie scheut sich nicht, offen auszusprechen, dass es Griechenland ohne den Euro besser gehen würde und dass ein Austritt Griechenlands den Euro eher stärken könnte, während die offizielle Politik und mit ihr die breite Mehrheit der Journalisten der Öffentlichkeit das Schreckensszenario verbreiten, dass Staaten wie Dominosteine kippen würden, wenn auch nur ein Land die Eurozone verlassen würde:
„Wäre Griechenland gleich anderen Ländern der europäischen Gemeinschaft wie England oder Schweden dem Euro fern geblieben, es würde dem Land heute qualitativ besser gehen, als es heute dasteht.
Die Griechen hätten mit dem altbekannten Spiel aus Abwertung der Drachme und Inflation ihren der Mitgliedschaft in der EU geschuldeten allmählichen wirtschaftlichen Aufstieg kontinuierlich fortgesetzt. Sie wären weder in der Lage gewesen noch auf die Idee gekommen sich über das Limit zu verschulden.
Der wichtige Wirtschaftszweig, nämlich die Touristenbranche, hätte sich weiter entwickelt und hätte den Tourismustypus, der einst fast selbstverständlich nach Griechenland fuhr und der heute in die Türkei fährt, nicht an sein Nachbarland verloren. Den Menschen in Griechenland wäre das Euro-Trauma erspart geblieben.
Auch die Zukunft Griechenlands sähe mit einer neuen Drachme viel besser aus, als mit dem Euro.“
Die von der Troika durchgesetzte Politik des Festhaltens am Euro in Griechenland setzt aber einen Schrecken ohne Ende fort, der keine wirkliche Lösung beinhaltet.
Solche Aussagen wird man in den öffentlich-rechtlichen Funkmedien oder auf den Hauptseiten der Mainstream-Presse leider nicht finden, die angesichts der aktuellen Politik in Europa sehr skeptische Wirtschaftswoche unter ihrem Chefredakteur Tichy ist eher eine Ausnahme.
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Auch George Soros – und hier schließt sich der Kreis zum „Netzwerker“ Joschka Fischer – hat in Röhls Kolumne schon sein Fett weg gekriegt. Sie nennt seine Auslassungen ein „unsägliches Traktat“, und trifft damit den Nagel auf den Kopf:
„George Soros, der 82 Jahre alte Spekulationszausel, der in seinen bösesten Zeiten schon mal das englische Pfund mittels seiner „bad speculations“ zum Wackeln brachte und sich ein verdammt großes Vermögen zusammen gezockt hat, verfolgt sicher keine eigenen finanziellen Interessen, wenn er jetzt in einem ellenlangen Aufsatz für das US-Magazin „New York Book Review“ mit dem Titel „The Tragedy of the European Union and How to Resolve It“ Deutschland öffentlich auffordert dem Euro einen Blankoscheck zu erteilen.
Das hatte gerade gefehlt, dass noch so ein Empört-Euch-Methusalix in diesen ökonomischen Krisenzeiten mit seinen Taschenspielertricks Öl ins Feuer schüttet, statt seine Stimme für die Vernunft zu erheben.“
Auf Pump in Saus und Braus
Soros Beitrag ist deshalb unsäglich und absolut kritisierbar, weil er Deutschland zum Schuldigen der Krise macht, obwohl er es besser wissen müsste. Die Euro-Südländer sind nicht aufgrund einer oktroyierten Sparpolitik in Schwierigkeiten, sondern weil sie über Jahre hinweg Schulden aufgehäuft haben, die sie nicht zur Weiterentwicklung ihrer Wettbewerbsfähigkeit genutzt haben, sondern die schlicht und ergreifend konsumiert wurden. Bettina Röhl drückt es gewohnt klar aus:
„Denn anders als Soros es mittelbar behauptet, hatten die Südländer bis dato kein Liquiditätsproblem, sondern ihr Problem bestand darin, dass sie über ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hinaus Schulden gemacht haben, dass sie auf Pump in Saus und Braus gelebt und wie wild geworden konsumiert haben. Griechenland kann man erneut in Liquidität ersticken, aber auch das schafft keine weltmarktfähige Wirtschaft in Griechenland und zwar auf lange Sicht nicht.“
Jetzt aber sind die bisherigen Aufkäufer von Staatsanleihen aufgewacht und stellen die Frage nach der Schuldentragfähigkeit dieser Länder. Das wäre irgendwann früher oder später passiert. Pech für die Euro-Südländer, dass der Termin jetzt – ausgelöst durch die von den USA ausgehende Weltfinanzkrise – früher liegt. Was Soros nun fordert, ist die weitere Schuldenfinanzierung der Länder der Europeripherie durch Deutschland, die auf wundersame Weise zu einem wirtschaftlichen Aufschwung in den Schuldenländern führen soll. Der Wirtschaftsaufschwung kann sich aber nur über eine wettbewerbsfähigen Wirtschaft erreicht werden und nicht dadurch, dass man weitere Schulden aufnimmt oder (um die aktuelle Diskussion einzubringen, die Frau Röhl zum damaligen Zeitpunkt noch nicht kannte) reale Umverteilungen der Einkommen innerhalb Europas durchführt.
Bettina Röhl weist die Forderungen von Soros an Deutschland zurück, weil sie ihrer Meinung nach offenbar nicht auf einer klaren wirtschaftlichen Analyse der Ursachen für die Eurokrise beruhen, sondern auf einer eher irrationalen Haltung George Soros gegenüber Deutschland zurück zu führen sind. An einer Stelle ihrer Kolumne fragt sie sich, was denn die wahren Motive Soros seien: „Steht Deutschland also auf seiner persönlichen Abschussliste und er hilft diesmal mit Propaganda ein bisschen nach? Ganz deutlich werden seine wahren Motive nicht.“
Und ins Stammbuch geschrieben für alle Soros, Fischers, Schäubles, Merkels, Gabriels und wer sich sonst noch gerne über Deutschland und seine Solidaritätspflichten gegenüber Europa äußern mag, resümiert Bettina Röhl Deutschlands Stellung in der Welt so:
„Die Schuldzuschreibung für die Euro-Krise an Deutschland macht bei nüchterner wirtschaftlicher Betrachtung der Lage keinen Sinn. Deutschland ist nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich eine zurzeit ganz gut dastehende Mittelmacht auf dieser Welt. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.“
Diese nüchterne Beurteilung der deutschen Möglichkeiten und Fähigkeiten fehlt leider bei einem Großteil unserer politischen und journalistischen Klasse, und genau das macht immer mehr Menschen in diesem Land Angst.
Alternativlose Politik
Es sind einfach seltsame Zeiten, in denen wir gerade leben. Würden die dafür Verantwortlichen z.B. Waldbrände mit dem Abwurf von Benzin oder alternativ mit einer neuen Verordnung über Verbrennung von Naturstoffen im Freien bekämpfen, wäre die empörte Reaktion der Öffentlichkeit sicher. Auch eine Bekämpfung von Hochwasserkatastrophen durch Zuleitung neuer Wassermassen in die überschwemmten Gebiete würde auffallen. Ebenso als absurd erkennen würde man alle Versuche, eine Virenepidemie durch Abhaltung eines Anti-Seuchentags (mit Ansprache der Bundeskanzlerin) zu bändigen und nicht durch entsprechende Impf- und Schutzmaßnahmen.
Aber in der Finanz- und Geldpolitik lässt die deutsche Gesellschaft (und vorneweg die Medien) letztlich zu, dass als „alternativlose“ Maßnahme einer Schuldenkrise immer weitere Schulden mit Umverteilung der Haftung für diese Schulden auf die noch einigermaßen realistisch wirtschaftenden Staaten durchgeführt wird (auch die Bundesrepublik mit ihrem 2 Billionen Euro Schuldenberg ohne die versteckten Schulden steht eigentlich nicht wirklich gut da, kann aber immerhin noch seine Schulden bedienen). Es wird zugelassen, dass die Vorgaben, die eine stabile Währung garantieren sollen und die ein Versprechen vor allem an die Deutschen waren, um dieses Euro-Abenteuer starten zu könne, inzwischen durch einen italienischen EZB-Präsidenten und eine Mehrheit der Nehmer-Länder im EZB-Rat immer weiter aufgeweicht werden, so dass die einsetzende Inflationierung der Währung zwangsläufig in einer Enteignung der (kleinen) Sparer enden muss. Diese Politik ist einfach nur irreal. Irreal ist der Glaube auf Seiten des Euro-Südens durch Gelddrucken reich zu werden, irreal sind die Vorstellungen der Berliner Politiker noch irgendetwas kontrollieren zu können.
Bettina Röhl gehört zu den wenigen Journalisten und Journalistinnen, die auf den Problemkern hinweisen, nämlich auf die tatsächlichen immensen strukturellen Probleme z. B. in EU-Europa oder in der Eurozone, und die die aktuellen Lösungsansätze der Politiker fundamental kritisieren.
Die eben nicht alarmistische, aber nüchterne und realitätsbezogene Einschätzung der Lage machen die „direkt“-Kolumne von Bettina Röhl so lesenswert. Wenn sie eines Tages nicht mehr erscheinen sollte, was hoffentlich nicht so schnell passieren wird, muss man als skeptischer Beobachter der ganzen wirtschaftlichen und (finanz-)politischen Entwicklungen hellhörig werden. Den meisten der politisch Interessierten in Deutschaland wird es wahrscheinlich nicht auffallen, sie werden weiter eingelullt sein in politisch korrekter Berichterstattung, zukunftsfroh gestimmt durch positive Wirtschaftsprognosen und eventuell weiter steigende Aktienkurse. Die Mehrheit der politisch uninteressierten Bevölkerung, die aktuell gerade ein Auge auf die aufregenden Vorgänge um Herzogin Kates Schwangerschaft und Prinz Harrys neuer Freundin hat, wird dann andere wichtige Dinge haben, die ihre Aufmerksamkeit erfordert. Für das Häuflein der Kritiker an den europapolitischen und finanzmarktrelevanten Vorgängen, die sich zur Zeit unerbittlich weiter entwickeln, könnte es aber der Hinweis sein, dass nun die finanzielle Repression, in der wir uns ohne Zweifel schon befinden, in eine schleichende politische umschlägt.