Staats-Affäre NPD

Die Existenz der NPD ergibt sich aus der Schwäche der etablierten Parteien.  Jetzt will der Staat die NPD verbieten, ohne die Verbindungen seiner Sicherheitsorgane in die rechtsextreme Szene zu klären. Das ist die Kapitulation der demokratischen Kräfte vor den Extremisten.

Mit aller Macht drängen die Bundesländer auf ein Verbot der rechtsextremen „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD). Es gibt viele Argumente, gegen die NPD zu sein. Aber rechtfertigen diese Gründe den Vorstoß der Länder?

Erinnern wir uns: Vor einem Jahrzehnt ist der Versuch, die NPD zu verbieten, grandios gescheitert. Während des Verfahrens kam ans Licht, dass die Führungsstruktur der rechtsextremen Partei mit V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war. So stand der Staat am Ende selbst unter dem Verdacht, über die von ihm eingeschleusten Spione an antidemokratischer Propaganda, Hetze gegen Ausländer und gewaltbereiten Kameradschaften beteiligt gewesen zu sein. Das war nicht nur peinlich, wie die meisten Beobachter damals meinten, sondern stellte den deutschen Rechtsstaat insgesamt in Frage. Eine tragende Säule der Demokratie war ins Wanken geraten.

Verfassungsschützer am Tatort

Durch den Fall der Zwickauer Mörderbande, die unter dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zehn Menschen öffentlich hinrichtete, sind die Sicherheitsbehörden des Staates sogar noch stärker ins Zwielicht geraten. Ihre zweifelhafte Rolle in diesem Fall ist bis heute ungeklärt. Unzählige Akten und Beweismittel wurden vernichtet. Die Ermittlungen gegen den Verfassungsschützer, der im April 2006 unmittelbar vor dem Mord an Halit Yozgat in einem Kasseler Internet-Café am Tatort gewesen sein soll, blieben einstweilen ergebnislos. Der Mann beteuert seine Unschuld. Er sei „zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen“, sagt er. Aber wie glaubwürdig ist ein Mann, in dessen Wohnung Polizeibeamte neben zwei Pistolen, einem Revolver und Schrotpatronen auch eine abgetippte Version von Hitlers „Mein Kampf“ fanden?

Kurz und gut, der Staat strebt ein Verbotsverfahren gegen eine rechtsextreme Partei an, obwohl er noch nicht einmal die Verbindungen und Verwicklungen seiner eigenen Sicherheitsorgane in die rechtsextreme Szene geklärt hat. Ein solches Verhalten ist alles andere als souverän. Vielmehr öffnet es Spekulationen Tür und Tor, der Staat wolle durch die lautstark betriebene Debatte um das NPD-Verbot von den eigenen Fehlleistungen ablenken. Das ist keine gute Voraussetzung. Am Ende könnten die Neonazis diese Argumentation sogar gegen den Staat vorbringen.

Gleichwohl kann es keinen Zweifel daran geben, dass die NPD eine antidemokratische Partei ist. Die Passage in ihrem Programm zu Gleichheit und Menschenwürde ist nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Schließlich heißt es an anderer Stelle, Ausländer sollten aus der Sozialversicherung ausgeschlossen werden. Den Kauf von Grundstücken und Immobilien wollen die Nationaldemokraten nur Deutschen überlassen.

Offener Rassismus

Als Deutscher gilt für sie nicht derjenige, der einen deutschen Pass besitzt. Die Frage der Nationalität entscheiden sie für sich rassistisch. So schleuderte der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs im Schweriner Landtag dem irakischstämmigen Linken-Abgeordneten Hikmat al-Sabty etwa diesen Satz ins Gesicht: „Wenn Sie in den Spiegel schauen würden, würden Sie erkennen, dass Sie kein Deutscher sind.“ Und Pastös Fraktionskollege Stefan Köster bestätigte: „Ihre Hautfarbe ist dunkler.“ Zu einem anderen Zeitpunkt beleidigte Pastörs den Linken-Politiker al-Sabty mit den Worten, dieser pflege „Phantasien eines aus dem Orient Zugereisten“.

Wahlergebnisse der NPD in den Bundesländern bis 2011
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Al-Sabty ist ein besonnener Mann, der in solchen Situationen die Fassung behält. Obwohl er seit Jahren in Mecklenburg-Vorpommern unmittelbares Ziel rechtsextremer Attacken ist, reflektiert er über das Phänomen des Rechtsextremismus rationaler als so mancher Innenminister. Als ich ihn im August auf der Höhe der Debatte um die angeblich rechtsextreme Ruderin Nadjy Drygalla vor einem Stand seiner Partei in der Rostocker Fußgängerzone traf, sprach er offen ein Problem an, dass die anderen demokratischen Parteien gern verschweigen.  „Wir haben die ländlichen Räume vernachlässigt und den Rechten das Feld überlassen“, sagte er. „Unsere Schwäche dort ist ihre Stärke.“

Was er sagte, bestätigte mir die Rechtsextremismus-Expertin an der Universität Rostock, Gudrun Heinrich. Indem der Rechtsextremismus die sozialen Probleme der Menschen für seine Zwecke ausnutze, besetze er die Räume, aus denen sich der Staat zurückgezogen habe. Al-Sabty und Heinrich beschreiben ein politisches Vakuum, das die etablierten Parteien leichtfertig entstehen lassen. CDU, SPD, Grüne und Linke sind in der Weite des ländlichen Raumes in Ostdeutschland einfach nicht präsent, weil ihnen der Aufwand zu groß und die dadurch entstehende Arbeit mühsam ist.

Die soziale Falle

Und so helfen nun NPD-Mitglieder den Menschen beim Ausfüllen von Anträgen auf Arbeitslosengeld oder Hartz-IV. NPD-Leute begleiten sie auf die Ämter und richten Kindergärten ein. So füllen die Extremisten nicht nur das politische Vakuum, sondern auch eine in der Gesellschaft klaffende Lücke, die im Westen von zivilgesellschaftlichen Akteuren gefüllt wird, also Vereinen, sozialen und religiösen Gruppen.

Übrigens handeln Extremisten auf der ganzen Welt so. Zwei hinlänglich bekannte Beispiele sind sozialen Einrichtungen der islamistischen Hamas in den Palästinensergebieten und die Sozialleistungen der vom Iran finanzierten Hisbollah im Südlibanon.

Während aber Hisbollah und Hamas über ihr soziales Engagement inzwischen spürbaren Rückhalt in der Bevölkerung haben, ist die Zustimmung zur NPD verschwindend gering. Wahlergebnisse von unter zwei Prozent in den westdeutschen Bundesländern sind nicht der Rede wert. In Ostdeutschland schafften die Rechten zwar mit sechs Prozent den Sprung in den Schweriner Landtag, in Sachsen aber verloren sie über drei Prozentpunkte und kamen auf nur noch 5,6 Prozent. In Sachsen-Anhalt und Thüringen blieben sie unter der Fünf-Prozent-Hürde. Das war schon mal anders und ist ein herber Rückschlag für die Rechten. Trotzdem wollen die Ländern sie verbieten.

„Aggressive Haltung“

Für ein solches Parteien-Verbot verlangt das Verfassungsgericht neben einer gegen die demokratische Grundordnung gerichtete Ideologie klare Beweise für eine „aktiv kämpferische, aggressive Haltung“. Die jedoch sind bei der NPD nur schwer zu finden. Einige wollen sie aus dem Vier-Säulen-Konzept der Partei herleiten, mit dem sie zum Kampf um die Straße und die Parlamente aufruft.

Ob das aber ausreicht, ist bei Juristen umstritten. Und der Generalbundesanwalt hat unzweideutig klargestellt, dass der NSU nicht der bewaffnete Arm der NPD war. Außerdem befürchtet etwa der früher Verfassungsrichter Winfried Hassemer, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Verbot der NPD letztlich wieder aufheben könnte.

Warum sollten die Bundesregierung und die Länder dieses Risiko eingehen? Sie und die etablierten Parteien können der Demokratie einen viel größeren Dienst erweisen, indem sie das politische Vakuum in den ostdeutschen Ländern schließen. Sie, die Vertreter der Demokratie haben es nämlich selbst in der Hand, ob die Demokratie überleben wird oder nicht.

Wer das begriffen hat, der wir einsehen, dass jedes Parteienverbot im Grund nichts weiter ist als die Kapitulation der demokratischen Kräfte vor den Extremisten. In diesem Sinne sollten sich CDU und CSU an die parteipolitische Maxime des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß erinnern, der sagte, rechts von der Union dürfe keine politische Kraft eine Chance haben.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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