Die verlorene Ehre der Ruderin Nadja Drygalla
Die öffentliche Debatte um die Olympia-Ruderin Nadja Drygalla überschattet die Teilnahme deutscher Sportler an den Olympischen Spielen in London. In den vergangenen Tagen stand die Ruderin wegen der Verbindungen ihres Lebensgefährten Michael Fischer ins rechtsextreme Milieu im Fokus der Aufmerksamkeit. Unter dem Druck dieser öffentlichen Debatte und nach Gesprächen mit deutschen Vertretern des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) verließ die Rostockerin das deutsche Olympia-Lager. Der Fall Drygalla wirft nicht nur Fragen nach dem Umgang mit dem Rechtsradikalismus in Deutschland auf. Er stellt auch die Frage in den Raum, wie mit einer Sportlerin umgegangen wird, die sich selbst ostentativ vom Rechtsextremismus distanziert, zu dem ihr privates Umfeld enge Kontakte unterhielt.
Aus der Bundesregierung gibt Verteidigungsminister Thomas de Maizière darauf eine erste Antwort. Mit deutlichen Worten mahnt er mehr Zurückhaltung an. Bei der Ruderin Drygalla habe die öffentliche Debatte eine Grenze überschritten, sagt er bei einem Besuch im Deutschen haus in London und fragt: „Steht es uns als Öffentlichkeit eigentlich wirklich zu, den Freundeskreis von Sportlerinnen und Sportlern zu screenen, zu gucken, was da los ist?“ Und weiter: „Müssen wir von Sportlerinnen und Sportlern verlangen, dass sie offenbaren, mit wem sie befreundet sind, was die denken? Wo ist da die Grenze?“
Er stelle diese Fragen, um die Grenzen einer Überprüfung auch für die Rolle von Sportlern aufzuzeigen, sagt de Maizière. Schließlich handele es sich im Fall Drygalla nicht um ein Ermittlungsverfahren. Es müsse die Lehre gezogen werden, behutsamer mit solch einem Fall umzugehen, mahnt der Innenminister.
Auch die Vizepräsidentin des Deutschen Olympischen Sportbundes findet kritische Worte zur aktuellen Debatte. Für sie ist der „gläserne Sportler“, der sich „Inspektionen des privaten Umfeldes“ gefallen lassen muss, kein erstrebenswertes Ziel. „Wir brauchen keine Agenten-Methoden“, sagt Christa Thiel in einem Interview mit der „Sport Bild“. „Wir werden auch keine Akten anlegen“, fügt die Juristin und Präsidentin des Deutschen Schwimm-Verbandes hinzu.
So etwas wäre wohl auch im Fall Drygalla kaum notwendig gewesen. Denn den Sicherheitsbehörden und wohl auch dem Sportbund war die Nähe ihres privaten Umfeldes zum Rechtsextremismus seit Jahren bestens bekannt. Warum also kocht die Debatte darüber jetzt hoch? Warum hat sich vorher niemand kritisch dazu eingelassen? Und warum hat niemand vor den Olympischen Spielen in London zu diesem Fall eine Entscheidung herbeigeführt?
Erst jetzt wird auch Nadja Drygalla selbst von der Öffentlichkeit zu den Vorwürfen befragt. Dabei distanziert sie sich in einem dpa-Interview klar vom Rechtsextremismus. „Ich habe keinen Kontakt gehabt, noch bin ich jemals auf Demonstrationen gewesen”, sagt sie. Tatsächlich liegen weder dem Verfassungsschutz noch antifaschistischen Gruppen in Mecklenburg-Vorpommern Hinweise über direkte Kontakte Drygallas zum Rechtsextremismus vor. „Wir sind ihr nie im Kontext rechter Aufmärsche oder ähnlichen Aktionen begegnet“, heißt es in Antifa-Kreisen.
Offenbar litt die Ruderin sogar unter den rechtsextremistischen Aktivitäten ihres Freundes, den sie beim ORC Rostock kennengelernt hatte. Später verließ er den Verein, wegen seiner Nähe zum Rechtsextremismus.
„Es fand seinen Höhepunkt, als er in die Partei eingetreten ist und für die NPD kandidiert hat“, sagt sie. „Ich muss ganz klar sagen, dass unsere Beziehung davon sehr stark belastet wurde und ich in vielen Diskussionen klar gesagt habe, dass ich diese Meinung nicht teile und da nicht hinter stehe.“ Spätestens als Fischer für die NPD kandidiert habe, hätten sie „ keine fröhliche Beziehung mehr geführt“. Drygalla: „Es gab auch den Gedanken an Trennung. Ich bin froh, dass ich vor den Olympischen Spielen noch einmal klar gesagt habe, dass es so nicht weiterlaufen kann.”
In der Folge habe sich Fischer dann vom Rechtsextremismus abgewandt. Im Mai sei er aus der NPD ausgetreten. Er habe „persönlich mit dieser ganzen Sache gebrochen“. „Ich hielt das Thema für mich persönlich schon vor den Olympischen Spielen für erledigt“, sagt die Ruderin.
Die NPD bestätigt Fischers Austritt. Fischer habe die NPD Ende Mai verlassen, sagt Mecklenburg-Vorpommerns Vize-Landeschef David Petereit. Allerdings gibt es Zweifel an Drygallas Darstellung, wonach sich Fischer tatsächlich von der Neonazi-Ideologie und der rechten Szene ganz abgewendet habe.
Angeblich soll Fischer noch am 1. Mai bei einer Demonstration als Fotograf aufgetreten sein und Gegendemonstranten fotografiert haben, behauptet die Internetplattform „Endstation Rechts“. Zudem sei auf der Internetseite „Mupinfo“, die von Petereit betrieben wird, am 30. Juni der letzte Blogeintrag unter dem Namen Michael Fischer veröffentlicht worden. Unter einem anderen Artikel mit diesem Namen sei sogar ein Foto Fischers abgebildet. In dem Beitrag kritisiere der Autor unter anderem öffentliche Zuschüsse für den Bau einer Moschee in Rostock und fordere, dass „Gelder der Stadt umgehend und ausschließlich für deutsche Interessen eingesetzt werden“.
„Endstation Rechts“ ist eine von den Jusos Mecklenburg-Vorpommern ins Leben gerufene Informationskampagne. Die Homepage beschäftigt sich mit der NPD im Landtag und der gesamten rechtsextremen Szene.
Ebenfalls in einem dpa-Interview versichert Fischer indes, er habe damit abgeschlossen, „dass ich Neonazi bin.“ Bereits vor den Olympischen Spielen habe er keinen „großartigen Kontakt mehr zu Leuten, die damit zu tun hatten“. Seine Motive erläutert er so: „Natürlich habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie es weiterlaufen soll – vor allem mit Nadja, weil ja schon ein paar Sachen vorgefallen waren. Mein Leben wurde dadurch auch nicht einfacher, sondern schwieriger. Man hat sich jeden Tag mehr Gedanken gemacht, Studium, eventuell mal Arbeit.“ Deshalb habe er sich entschieden, aus der Partei auszutreten und seine Aktivitäten einzustellen. „Ich wollte mir und anderen Leuten die Zukunft nicht verbauen.“
Antifa-Kreise hingegen schenken solchen Beteuerungen wenig Glauben. Immerhin sei Fischer in der Vergangenheit eine zentrale Figur der „Nationalen Sozialisten Rostocks“ gewesen. Er soll sogar gewaltbereit gewesen sein. Zu Beginn des Jahres habe er eine Gruppe vermummter Rechtsextremisten angeführt, die Teilnehmer einer Gedenkfeier für die Mordopfer der Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ angegriffen hätten.
Auch Landesinnenminister Lorenz Caffier (CDU) liegen nach „Welt“-Informationen keine „bestätigten Erkenntnisse“ vor, dass Michael Fischer sich wirklich vom Rechtsextremismus losgesagt hat. Im immer noch aktuellen Verfassungsschutzbericht 2010 des Landes heißt es über die „Nationalen Sozialisten Rostock“, sie prägten „die Aktivitäten der neonazistischen Szene in Rostock maßgeblich. Der Internetauftritt enthält regelmäßig Berichte über eigene Aktionen. Die dort eingestellten programmatischen Texte lassen zudem auf eine verfestigte neonazistische Ausrichtung der Mitglieder schließen.“ Es ist nur eine von vielen Kameradschaften in dem Land im Nordosten. Heute will Innenminister Caffier im Landeskabinett über die Lage berichten.
Nach der Sommerpause dürfte das Thema auch den Bundestag beschäftigen. Es stellten sich nicht nur Fragen nach dem Umgang mit dem Rechtsextremismus, sondern auch nach den Kommunikationsstrukturen im deutschen Spitzensport, sagt die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, Dagmar Freitag.
„Es ist auf jeden Fall klar, dass andere etwas gewusst haben müssen. Die Athletin ist dem Olympiastützpunkt in Mecklenburg-Vorpommern zugeordnet, da gibt es einen OSP-Leiter, da gibt es Laufbahn-Berater, die müssen merken, wenn eine Athletin plötzlich ihren Job verliert“, sagt Freitag und kündigt an, sie werde das Thema bei der Nachbetrachtung der Olympischen Spielen auf der Sitzung Ende September mit auf die Tagesordnungen nehmen.
Veröffentlicht am 7. August 2012 in der Tageszeitung Die Welt