In Europa wird es einsam um Deutschland
Dieser Mai kann alles ändern. Am 6. Mai wählen die Franzosen einen neuen Staatspräsidenten und entscheiden damit über den künftigen Europa-Kurs des Landes. Am selben Tag votieren auch die Griechen bei den Parlamentswahlen neu über ihr Verhältnis zu Europa. Und die Italiener werden bei der Kommunalwahl ebenfalls ihre Meinung zur Sparpolitik der „Expertenregierung“ des demokratisch nicht legitimierten, weil nicht gewählten Regierungschefs Mario Monti zum Ausdruck bringen.
Schließlich endet der Monat mit einem Referendum der Iren über die Fiskalpakt, also dem Herzstück der in Deutschland für ganz Europa konzipierten radikalen Sparpolitik, von der Angela Merkel sagt, sie sei „alternativlos“ und folglich „nicht verhandelbar“, sprich für die Ewigkeit gemacht.
Über diese deutsche Spardoktrin ist gerade erst die niederländische Regierung unter Mark Rutte zerbrochen. „Wir müssen wieder Herr im eigenen Land sein“, sagte Geert Wilders, Chef der „Partei für die Freiheit“ und kündigte Rutte die Unterstützung auf. Die im September anstehende Neuwahl will Wilders zur Abstimmung über Europa machen: „Gegen Europa, gegen die drei Prozent-Schuldengrenze, gegen den Euro.“
Solche Positionen sind auch in Frankreich populär. Sie brachten Marine Le Pen vom rechten „Front National“ immerhin 18 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen. Und der Sozialist François Hollande gewann mit einer klaren Absage an die deutsche Sparpolitik. Er kam so auf 28,2 Prozent. „Deutschland darf nicht über ganz Europa entscheiden“, sagt er. Rechnet man dann noch die knapp elf Prozent des Kommunisten Jean-Luc Mélenchon hinzu, stimmte die Mehrheit in Frankreich gegen die aktuelle, von Deutschland dominierte Europapolitik.
Sollte Hollande also am 6. Mai auch in der Stichwahl gegen Amtsinhaber Nicholas Sarkozy den Sieg davon tragen, gibt es für wenig Grund, dessen eng mit Merkel abgesprochene Europapolitik fortzuführen. Er wird zumindest vorerst an seinen Wahlversprechen festhalten müssen, denn im Juni stehen in Frankreich Parlamentswahlen an. „Wenn ich Präsident werde, sorge ich dafür, dass die Konstruktion Europas geändert wird“, sagt Hollande. „Wir sind schließlich nicht irgendein Land, wir können die Situation ändern.“
Für die Wahlen in Griechenland prophezeien die Demoskopen den mit Europa und Angela Merkel verbündeten beiden bürgerlichen Traditionsparteien ein Desaster. Bei der letzten Wahl im Oktober 2009 konnten sie noch 80 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, aktuell liegen sie in den Umfragen bei nur noch 35 Prozent. Starken Zulauf haben rechte und linke Kräfte. In ihrem Wahlkampf ist ein deutsches Europa das erklärte Feindbild.
Im Windschatten dieser Wahlen schürt der britische Regierungschef David Cameron zusätzlich die Stimmung gegen Deutschland und Europa. Die Krise sei noch lange nicht ausgestanden, sagt er. Und den Rückfall Großbritanniens in die Rezession schiebt er ebenfalls der Eurozone in die Schuhe.
[youtube http://www.youtube.com/watch?v=Gd0v-GAayV0&w=560&h=315]Es sieht also nicht gut aus für Angela Merkel und ihre Europa-Politik, die auch von der Internationalen Arbeitnehmer-Organisation (ILO) grundlegend in Zweifel gezogen wird. In ihrem aktuellen Bericht warnt die ILO gar vor sozialen Unruhen in Europa, wenn die tiefen Einschnitte in die Sozialhaushalte der Staaten weitergingen. Eine solche Politik werde die Lage in den 27 Ländern der EU weiter destabilisieren, warnt die Organisation.
Wie sehr der politische Wandel inzwischen auch das Denken in Brüssel beeinflusst, belegt eine aktuelle Meldung der spanischen Zeitung „El País“. Demnach plant die Europäische Kommission, den möglichen politischen Wandel bereits im Blick, nun in radikaler Abkehr von der deutschen Spar-Doktrin einen „Marshall-Plan“ zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise. Angeblich wollen die Kommissare 200 Milliarden Euro für Investitionen in Infrastruktur, erneuerbare Energien und Schlüsseltechnologien investieren mit dem Ziel, den wirtschaftlichen Absturz aufzufangen. Offiziell ist das noch nicht, und Finanzminister Schäuble versichert weiterhin, der Fiskalpakt mit der Schuldenbremse werde kommen.
Aber sicher ist sich die Bundesregierung ihrer Sache nicht mehr. Ganz im Gegenteil. Unter dem Eindruck der Ereignisse will sie schnell eine Initiative für Wachstum und Beschäftigung erarbeiten. Eine „Agenda für Europa“ soll her. So deutlich sieht Merkel ihre Macht und ihren Einfluss schwinden. Denn der Protest gegen sie und ihre Politik kommt nicht mehr nur allein von den Straßen Griechenlands und Spaniens. Über die Wahlen könnte er Einzug in die Parlamente halten, Regierungen stürzen und so das Machtgefüge zu Lasten Deutschlands verändern. Am Ende könnte gar der Euro kippen, und Deutschland wäre der Sündenbock, denn alle würden die von Merkel und Schäuble betriebene Sparpolitik dafür verantwortlich machen.
Dieser Mai also kann in seiner Folgewirkung mehr verändern, als die meisten bisher ahnen. Er könnte Geschichte schreiben.
Günther Lachmann am 30. April 2012 für Welt Online