Großartige Bilder einer viktorianischen Liebe
Hier schreibe ich auf diesem Blog mal über etwas ganz anderes, nämlich über einen Film, der am 1. Dezmeber in Deutschland anläuft. „Jane Eyre“ ist genau das Richtige für dunkle Winterabende. Cary Joji Fukunaga verfilmte die Geschichte des Waisenkindes neu.
Solche Geschichten füllen dunkle Winterabende: Als Waise kommt die aufgeweckte Jane Eyre zur verwitweten Mrs. Reed, einer selbstsüchtigen Frau, die drei überaus verwöhnte eigene Kinder hat. Von Beginn an schließt die Pflegefamilie Jane aus. Immerzu lassen Mrs. Reed und ihre Kinder die Waise den Klassenunterschied spüren und schicken das Mädchen schließlich mit dem Hinweis, sie müsse von ihren Lügen und ihrer Aufsässigkeit befreit werden, auf das Internat Lowood. Dort herrschen nicht nur fragwürdige, gewalttätige Erziehungsmethoden, sondern auch Kälte und Krankheit. Schließlich nimmt Jane im Alter von 19 Jahren auf Thornfield Hall eine Stelle als Gouvernante an und verliebt sich in den dortigen Hausherren, Mr. Rochester, der ein dunkles Geheimnis hütet.
Der autobiografische Stoff basiert auf einem Roman von Charlotte Brontë aus dem Jahr 1847 und ist bereits unzählige Male verfilmt worden. Unter anderen versuchte sich Orson Welles zusammen mit Joan Fontaine in den vierziger Jahren am dem Klassiker der viktorianischen Epoche. Am 1. Dezember läuft die unter der Regie von Cary Joji Fukunaga entstandene aktuelle Neuverfilmung in den deutschen Kinos an. „Janes Eyre“ ist Fukunagas zweiter Spielfilm. Sein Debüt gab der mit großen Vorschusslorbeeren gestartete Regisseur aus dem kalifornischen Oakland mit dem Film „Sin Nombre“, der zahlreiche kleinere Preise einsammelte.
Fukunaga hätte „Jane Eyre“ als Kostümfilm inszenieren können oder als eine Art Kammerspiel. Er jedoch entschied sich für die englische Landschaft und die frostige Atmosphäre zugiger englischer Herrenhäuser. Sein großes Motiv ist die Einsamkeit. Er spiegelt sie in der Weite sturmumtoster Felsenlandschaften, auf denen Jane etwa auf der Flucht vor ihrem Schicksal im strömenden Regen unter einem bleischweren Himmel erschöpft zusammenbricht. Er lässt mit dem von der Nacht verschlungenen Thornfield Hall gleichsam aus der Finsternis emporsteigen und macht sie allgegenwärtig in den auf den Fluren widerhallenden Schritten und den sehnsüchtigen Blicken aus den Fenstern der abgelegenen Backsteingemäuer.
Diesem großen Gemälde einer bleiernen Zeit gönnt Fukunaga nur wenige Farbtupfer. Mit dem Blühen der Kirschen erblüht Janes Liebe zu Rochester; im warmen Sonnenlicht probiert sie ihr Hochzeitskleid – und reißt es sich vom Leib, als ein herbeigeeilter Anwalt vor dem Traualtar verkündet, Rochester sei bereits seit 15 Jahren verheiratet. Seine Frau haust als Irre unter dem Dach des Anwesens.
Die junge australische Schauspielerin Mia Wasikowska ist eine großartige Jane Eyre. Es ist ihr Minimalismus, der diese Figur und mit ihr die Zeit zum Leben erweckt. Allein mit der Kraft eines Blickes oder eine die feinsinnigen Dialoge unterstreichende Geste offenbart sie Janes starken Charakter und ihre gerade deshalb so verletzliche Seele. Der in Heidelberg geborene Michael Fassbender überzeugt als vom Leben gezeichneter Rochester. Sie alle halten sich an das von Fukunaga vorgegebene Motto, das weniger oft mehr ist.
An einigen Stellen jedoch wird die Handlung aber doch zu dünn. Fukunaga verzichtet auf viele kleine Beziehungsdetails des Romans, die gerade Janes Internatszeit und die anschließende Arbeit als Gouvernante verständlicher gemacht hätten. So fehlt hier und da der Kitt zwischen den Szenen, darüber können auch die großartigen Bilder und die schauspielerische Leistung der Darsteller nicht hinwegtäuschen.
Günther Lachmann am 29. November 2011
Ab 1. Dezember im Kino: „Jane Eyre“, Großbritannien 2011, 120 Minuten, FSK ab 12, von Cary Fukunaga, mit Mia Wasikowska, Michael Fassbender und Judi Dench
Wikipedia: Dame Judith Olivia „Judi“ Dench, CH, DBE, FRSA is an English film, stage and television actress. →