Schily: Festnahme Bin Ladens wäre besser gewesen
Welt Online: Herr Schily, am 11. September 2001 waren Sie Innenminister. Danach hat der Kampf gegen den Terror ihre Amtszeit maßgeblich geprägt. Hätten Sie Osama Bin Laden lieber vor Gericht gesehen? Otto Schily: Wenn die Alternative bestanden hätte, ihn festzunehmen und vor Gericht zu stellen, dann wäre die Festnahme die bessere Lösung gewesen. Selbst bei militärischen Maßnahmen ist manchmal die Gefangennahme die bessere Lösung. Aber ich gehe davon aus, dass diese Möglichkeit nicht bestanden hat. Welt Online: Welche Bedeutung messen Sie dem Tod Osama Bin Ladens bei? Otto Schily: Die Symbolkraft dieses Todes kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Dass die Amerikaner Bin Laden zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zur Strecke gebracht haben, zeugt von einer großen Beharrlichkeit und beweist die hohe Qualität der US-Sicherheitsbehörden.
Welt Online: Welche Bedeutung hat der Tod Bin Ladens für al-Qaida?
Otto Schily: Für sie ist Bin Ladens Tod ein schwerer Rückschlag. Aber man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass damit das Kapitel al-Qaida ein für allemal erledigt sei. Ihre Führungsstruktur wird nicht durch einen solchen Enthauptungsschlag so entscheidend geschwächt, dass sie nicht mehr handlungsfähig wäre.
Es haben sich in den vergangenen Jahren viele neue Strukturen gebildet, etwa im Jemen oder in Nordafrika, von wo Anschläge geplant und ausgeführt werden. Möglicherweise tut sich schon bald ein neuer charismatischer Anführer hervor.
Welt Online: Kann der Ägypter Aiman al-Sawahiri ein möglicher Nachfolger sein?
Otto Schily: Ich glaube, dass kann im Moment kaum jemand seriös beurteilen. Da spielen zu viele Faktoren eine Rolle. Osama Bin Laden verfügte zum Beispiel über erhebliche finanzielle Ressourcen. Ob das einer in der gleichen Weise darstellen kann, bleibt abzuwarten.
Welt Online: Heißt das, jetzt könnten die Geldquellen al-Qaidas versiegen?
Otto Schily: Die Vermutung liegt nahe. Bin Laden hatte ja sein eigenes Vermögen, das er eingebracht hat. Zumindest auf dieses Vermögen wird die Terrororganisation wohl jetzt nicht mehr zurückgreifen können.
Welt Online: Wie groß war der Einfluss Bin Ladens auf die Terrorpläne weltweit? Konnte er sie gezielt steuern?
Otto Schily: In einigen Fällen sicherlich, innerhalb der Strukturen von al-Qaida. Aber es haben sich weltweit Metastasen herausgebildet, also Gruppierungen, die mit al-Qaida ideologisch auf einer Linie, aber mit deren Strukturen allenfalls am Rande verbunden sind und autonom agieren.
Mitunter handelt es sich auch um Einzeltäter. Der Mann, der 2002 den Synagogenanschlag auf Djerba verübte, war ein solcher Einzeltäter. Auch die Anschläge von London wurden nicht von al-Qaida gesteuert.
Welt Online: Sie sind nach „9/11“ zum Teil sehr für die Verschärfung der Sicherheitsgesetze kritisiert worden. Können wir sie nun wieder lockern?
Otto Schily: Keineswegs. Wir können keine Entwarnung geben. Die Terrorgefahr endet nicht mit dem Tod Bin Ladens.
Welt Online: Glauben auch Sie an Racheakte?
Otto Schily: Das sind Überlegungen, die man anstellen muss. Es ist vorstellbar, dass al-Qaida versuchen wird, die Niederlage, die der Tod Bin Ladens zweifellos ist, durch einen spektakulären Akt auszugleichen. Darauf sollten wir vorbereitet sein. Und wegen der fortbestehenden Terrorbedrohung brauchen wir Maßnahmen wie beispielsweise die Vorratsdatenspeicherung.
Die Ermittlungsbehörden müssen im Verdachtsfall auf solchen Daten zurückgreifen können. Die Debatte darüber wird bei uns, wie ich meine, inzwischen vollkommen irrational geführt.
Welt Online: In der jüngeren Vergangenheit hatten wir mehrfach Terrorwarnungen. Wie stehen Sie dazu?
Otto Schily: Ich bin gegen schematische Warnstufen. Es kommt bei der Terrorbekämpfung darauf an, zum frühestmöglichen Zeitpunkt Informationen zu gewinnen, zu verarbeiten und weiterzuvermitteln. Diese Informationen sind die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit der Sicherheitsbehörden bei der Terrorbekämpfung.
Welt Online: Und was ist mit der Öffentlichkeit?
Otto Schily: Es kann Fälle geben, wo die Sicherheitsbehörden ihre Informationen weitergeben müssen. Zu meiner Zeit hatten wir einmal einen Hinweis auf einen möglichen Anschlag auf den Fährverkehr auf der Ostsee. Da haben wir aber nicht etwa die Öffentlichkeit informiert, sondern nur die Reedereien. Mit konkreten Terrorwarnungen haben wir uns an die Öffentlichkeit nur in wenigen Fällen gewandt. Aber das muss jeder Innenminister von Fall zu Fall für sich entscheiden.
Welt Online: Sind wir gut gerüstet gegen mögliche neue Terrorgefahren?
Otto Schily: Wir haben die Schlagkraft unserer Sicherheitsbehörden erheblich verbessert. Ihnen ist es in den vergangenen zehn Jahren gelungen, alle Anschlagsplanungen gegen Ziele in Deutschland rechtzeitig aufzudecken. Das ist ein großartiger Erfolg, der höchstes Lob verdient.
Günther Lachmann am 2. Mai 2011 für Welt Online