AfD-Streit um völkische Gesinnung

AfD-Vize Hans-Olaf Henkel rückt Parteimitglieder in die geistige Nähe von Faschisten. Anlass ist die „Erfurter Resolution“. Die Folgen einer irrationalen Debatte.

In der AfD tun sich Abgründe auf. Im Kampf um Macht und Einfluss setzt die eigene Führung sie dem Verdacht einer braunen Gesinnung aus. Wie anders wären Äußerungen ihres stellvertretenden Vorsitzenden Hans-Olaf Henkel zu deuten, als dass er Mitglieder der ostdeutschen Landesverbände und speziell einen ihrer Vorsitzenden ideologisch in die geistige Nähe der NSDAP rückt?

Vor dem Hintergrund einer vom thüringischen AfD-Landeschef Björn Höcke veröffentlichten „Erfurter Resolution“ attestiert Henkel den ostdeutschen AfD-Mitgliedern in der Zeitung „Junge Freiheit“ „spinnerte völkische Ansichten und einen primitiven Antiamerikanismus“ und fordert Höcke öffentlich auf, die Partei zu verlassen. „Und ich hätte da auch einen Vorschlag, wo Sie besser aufgehoben werden…“, sagt er, wagt aber nicht den Satz zu Ende zu bringen, sondern überlässt die noch drei fehlenden Buchstaben der Phantasie der Leser.[1]

„AfD gibt ihren Anspruch auf“

Henkels Attacke trifft die AfD in einer Zeit, in der sie überaus verwundbar ist. Denn nach der eiligen Gründung und den schnellen Wahlkampferfolgen bräuchte sie dringend Ruhe für die Suche nach sich selbst, nach dem, was sie im Innersten ausmacht, also nach dem Wesenskern ihrer politischen Existenz.

Darüber debattieren derzeit zahlreiche Ausschüsse, deren Arbeit noch in diesem Jahr in die Form eines Programms gegossen werden soll. Eine solche Arbeit erfordert Konzentration, Gelassenheit und Weitsicht, schließlich muss die Programmatik über den Tag hinaus tragen. Doch der Prozess der Selbstfindung wird von immer neuen Führungsfeden erschüttert. Die Hoffnung, mit dem klaren Bekenntnis des Bremer Parteitages zum Vorsitzenden Bernd Lucke werde Sachlichkeit einkehren, ist dahin.[2]

Rätselhaft erscheint indes, warum ausgerechnet die „Erfurter Resolution“[3] zur neuen Eskalation zwischen den verfeindeten Lagern führte, nämlich dem eher christdemokratischen Lucke-Flügel auf der einen und dem nationalkonservativen Flügel auf der anderen Seite. Zu den „Luckianern“ zählen etwa Henkel, die Europa-Abgeordneten Joachim Starbatty, Bernd Kölmel und Ulrike Trebesius; die Nationalkonservativen sammeln sich um die Ko-Vorsitzende Frauke Petry, und AfD-Vize Alexander Gauland. Ihnen werden etwa die Europa-Abgeordneten Beatrix von Storch, Markus Pretzell und eben auch Björn Höcke zugerechnet.

„Ich wollte mit der Resolution in der Programm-Debatte daran erinnern, wofür wir einmal angetreten sind“, sagt Höcke. „Unsere Anhänger verbanden mit die Hoffnung auf eine grundsätzlich andere Partei.“ Leider müsse er feststellen, dass die AfD diesen Anspruch mehr und mehr aufgebe.

Lucke und Henkel lassen Fragen unbeantwortet

In seiner vom thüringischen Landesparteitag verabschiedeten Resolution schreibt er: „Anstatt nun jedoch die Alternative zu bieten, die wir versprochen haben, passen wir uns ohne Not mehr und mehr dem etablierten Politikbetrieb an: dem Technokratentum, der Feigheit und dem Verrat an den Interessen unseres Landes. Wir orientieren uns in unserem politischen Handeln ängstlich an dem, was uns Institutionen, Parteien und Medien als Spielraum zuweisen, anstatt selbst den Radius unseres Handelns abzustecken und zu erweitern. Wir zeigen zu oft jenen vorauseilenden Gehorsam, der die Verhältnisse, gegen die wir angetreten sind, nicht verändert, sondern zementiert.“

Im Gegensatz zu Lucke sähen viele Mitglieder die Partei nach wie vor „als Bewegung unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte

(Gender Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit usf.)“. Wörtlich heißt es in der Resolution:

„Die Enttäuschung über das fehlende Bekenntnis der AfD zu einer grundsätzlichen politischen Wende in Deutschland ist in allen Landesverbänden (und vor allem im Osten) mit Händen zu greifen.“

Höcke kritisiert den Hamburger Bürgerschaftswahlkampf, aus dem die ostdeutschen Wahlsieger bewusst ferngehalten worden seien und warnt vor dem in Bremen beschlossenen „provokativen Umbau der AfD zu einer technokratisch ausgerichteten Partei“. Gemeint ist die Reduzierung der bisherigen Dreierspitze auf einen Vorsitzenden plus Generalsekretär.

Er gehe davon aus, dass Henkel die Resolution gar nicht gelesen habe, sagt Höcke. Schließlich enthalte sie nicht das kleinste Indiz für völkisches Gedankengut. Auf Nachfrage der „Welt“ mochte sich Henkel weder zur der Frage äußern, in welcher Textpassage der Erfurter Resolution er „völkisches Gedankengut“ herauslese noch zu der Frage: „Wenn sich diese Vorwürfe nicht aus der Erklärung ableiten lassen, woraus dann? In welchen Aussagen welcher AfD-Politiker zeigt sich das völkische Gedankengut?“

Auch AfD-Chef Lucke, dem der Autor wie Henkel fünf Fragen schriftlich zukommen ließ, wollte zum Sachverhalt nicht Stellung nehmen. Er ließ damit beispielsweise die Frage danach, ob er die von Henkel geäußerte Kritik teile, ebenso unbeantwortet wie die Frage danach, wie er als Vorsitzender die teifgreifenden inhaltlichen Auseinandersetzungen bewerte. Er äußere sich „zu innerparteilichen Auseinandersetzungen nicht in der Presse“, lautete Luckes knappe Antwort. Das stimmt so freilich nicht, denn der dpa sagte er auf Fragen zur Resolution, die Partei habe klar formulierte politische Ziele, die von der großen Mehrheit der Mitglieder getragen würden. Lucke wörtlich: „Eine andere AfD wird es nicht geben.“

„Ich bin Langstreckenläufer“

Erstaunlich ist die Reaktion der sächsischen Landesvorsitzenden Frauke Petry, deren politische Vorstellungen schließlich eng mit denen Höckes korrespondieren. Auch sie wollte auf Nachfrage weder zur Henkel-Kritik an den ostdeutschen Landesverbänden noch zur Resolution selbst etwas sagen. Will heißen: Von Petry darf Höcke keine Rückendeckung erwarten. In der Partei heißt es dazu, sie fürchte ihn als intelligenten Konkurrenten.

Einzig AfD-Vize Alexander Gauland rang sich zu einem Wort pro Höcke durch: „Eine solche Erklärung wie die von Höcke hätten wir noch vor einem Jahr alle unterschrieben“, sagt er.

Thüringens Landes- und Fraktionschef ist bislang über die Landesgrenzen hinaus wenig aufgefallen. Höcke unterscheidet sich vom weithin bekannten AfD-Führungspersonal durch seinen eher introvierten, nachdenklichen Auftritt. „Ich bin Langstreckenläufer“, sagt er. „Da lernt man, mit sich und seinen Gedanken allein zu sein.“ Er dringt gern tiefer ein in die Fragen, die die Gegenwart aufwirft und scheut auch vor einem komplexen Politikentwurf nicht zurück. „Wir müssen die Antithesen zum Mainstream formulieren“, sagt er. „Gegen eine monokulturelle Welt und eine monokulturelle Wirtschaft.“ Da habe die AfD, die immerhin als Partei der Wirtschaftsexperten angetreten sei, bis heute eine Bringschuld.

Allerdings eckte er schon früh in den eigenen Reihen an. Es missfiel der Parteiführung, dass es seine Gedanken nach dem Einzug der AfD in den Landtag zuerst in einem Interview mit dem Herausgeber der Zeitschrift Sezession, Götz Kubitschek, darlegte.[4] Kubitschek, den Höcke seit Jahren kennt, ist später vom Bundesvorstand die Aufnahme in die AfD verweigert worden, weil die Partei nicht in die Nähe des Instituts für Staatspolitik (IfS) gerückt werden wollte, das als Denkfabrik der „Neuen Rechten“ gilt und die Zeitschrift „Sezession“ verlegt.

Die Argumente für diese Entscheidung lieferte der AfD-Führung unter anderem das „Netz-Gegen-Nazis.de“.[5] Nach deren Recherchen sollen an den IfS-Akademien auch schon NPD-Mitglieder und deren Nachwuchsorganisation Junge Nationaldemokraten teilgenommen haben. Kubitschek soll das eingeräumt haben. Bekanntestes Beispiel sei der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Arne Schimmer.

Auch Petry wendet sich ab

In seinem Interview mit Kubitschek sprach Höcke etwa über die Beziehung von Politikern und Volk:

„Die Liebe zu unserem Volk gründet im Gefühl der Nähe, die im Gegenüber das Eigene erkennt. Sie wird gespeist durch das Wissen um das Herkommen aus der Zeit und den Gelingensbedingungen der Gegenwart. Ein gelebter politischer Bezug nährt nicht nur den Willen, das Volk zu vertreten, sondern auch den Wunsch, selbiges in seinen Anlagen zu entfalten.“ Den Abgeorndeten der etablierten Parteien warf er vor: „Sie besitzen als Teil einer technokratisch veranlagten Funktionselite keine Volksnähe mehr und sind deshalb nicht in der Lage, eine Politik zu machen, die am Volkswohl orientiert ist.“ Eine „am Volkswohl ausgerichtete Politik“ müsse dezidiert „antiideologisch ausgerichtet sein“.

Er habe sich niemals „völkisch im Sinne eines ausgrenzenden Nationalismus“ geäußert, sagt Höcke heute. „Allerdings scheue ich mich nicht, vom deutschen Volk zu sprechen, wie es auch das Grundgesetz tut.“ Und: „Demokratie ohne Volk ist nicht möglich.“ Nach der Veröffentlichung der Resolution habe er von AfD-Mitgliedern aus ganz Deutschland viel Zuspruch bekommen. In nur zwei Tagen hätten 1000 Mitglieder die Resolution unterzeichnet, zu der das Lucke-Lager inzwischen eine Gegenerklärung, die sogenannte „Deutschland-Resolution“[6] ins Netz gestellt hat.

Verantwortlich hierfür zeichnen Henkel, Starbatty, Kölmel und Trebesius. Darin heißt es: „Wir brauchen weder Flügelkämpfe noch wolkige Phrasen aus dem Arsenal rechter Splitterparteien (…)Haben wir Mut zur Wahrheit: Vor uns liegt eine Richtungsentscheidung (…)Deshalb unterstützen wir klar die politische Linie von Bernd Lucke und Frauke Petry.“

Über Letztere heißt es in der Partei, die sächsische Landesvorsitzende sei gegen ihren Willen in diesem Aufruf namentlich genannt worden. Es sei der Versuch, das Lager der Lucke-Gegner zu destabilisieren. Andere halten diese Darstellung für wenig glaubwürdig, da sie ihren Mitstreiter Höcke nach dem Henkel-Angriff nicht zur Seite sprang.

Auf der Liste der Erstunterzeichner „Pro-Lucke-Liste“ fand sich zu seiner eigenen Überraschung auch der niedersächsische Landesvorsitzende Paul Hampel. Der aber protestierte umgehend und musste wieder gestrichen werden. Zwischen Hampel und Lucke nämlich ist das Tischtuch zerschnitten, weil der AfD-Chef nur wenige Tage zuvor Hampels Wiederwahl als Landesvorsitzender hatte verhindern wollen.

Desaster bei Jauch

Warum Lucke damit letztlich böse und noch dazu in seinem eigenen Landesverband scheiterte, das kam so: In Niedersachsen hatte sich eine „Bürgerliche Alternative“ im Sinne der Erfurter Resolution gegründet. Auf dem Landesparteitag gingen Lucke-Getreue die neue Gruppierung scharf an. Parallel dazu trat Luckes Vertraute Trebesius auf und warf dem niedersächsischen Landesvorsitzenden Hampel mehr oder weniger deutlich Unfähigkeit vor.

Die Attacken bewirkten letztlich das Gegenteil dessen, was sie bezweckten. Bei der Neuwahl des Landesvorstandes setzten sich ausschließlich Vertreter der „Bürgerlichen Alternative“ durch. Luckes Kandidaten gingen mit wehenden Fahnen unter. Auch in Nordrhein-Westfalen drohen die Luckianer unter die Räder zu kommen. An die Öffentlichkeit lancierte Informationen über angebliche Schwierigkeiten des Landesvorsitzenden Markus Pretzell mit dem Finanzamt werden ihnen zur Last gelegt und versammeln die Mitglieder hinter ihrem Landeschef.

Lucke sei nervös, heißt es in der Partei. Außerdem leide er darunter, dass kaum noch zu Talkshows eingeladen werde. Nicht einmal in der Euro-Griechenland-Debatte, also dem Kernthema der AfD, spiele er eine Rolle. Sein letzter Auftritt dazu bei Günther Jauch wird von AfD-Mitgliedern allgemein als Desaster gewertet. Und Henkel mache die Lage mit seiner Scharfzüngigkeit auch nicht besser. Die Kollateralschäden seien unkalkulierbar.

 

Anmerkungen

[1] Siehe auch: Günther Lachmann, „Henkel ruft zur Säuberung der AfD auf“, GEOLITICO vom 6. Januar 2015

[2] Günther Lachmann, „AfD bindet ihr Schicksal an Lucke“, GEOLITICO vom 1. Februar 2015

[3] Erfurter Resolution unter: http://derfluegel.de/

[4] Götz Kubitschek, „Ein Doppelinterview“, Sezession vom 15. Oktober 2014: http://www.sezession.de/46828/bjoern-hoecke-stefan-scheil-und-die-afd-ein-doppelinterview-1-teil.html

[5] „Neu-rechtes ,Institut für Staatspolitik’ schult NPD-Kader und findet das prima“, Netz-gegen-Nazis.de vom 22. Januar 2010: http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/institut-fuer-staatspolitik-schult-npd-kader-5897

[6] „Deutschland-Resolution“: http://deutschland-resolution.de/

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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