Tödliche Schüsse im Palast: Nepals Königsfamilie endet im Blutbad

GEOLITICO ROYAL

Nepal / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: ashleshkshatri; https://pixabay.com/de/photos/tempel-palast-durbar-platz-stra%c3%9fe-5790082/ Nepal / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: ashleshkshatri; https://pixabay.com/de/photos/tempel-palast-durbar-platz-stra%c3%9fe-5790082/

Ein letztes Abendessen, mysteriöse Ereignisse im Palast zu Kathmandu und viele ungeklärte Fragen. Erinnerungen an das blutige Ende von Nepals Monarchie.

Heftige Wortgefechte, klirrende Gläser und wüste Drohungen sollen an diesem schicksalhaften Freitag dem mörderischen Massaker vorausgegangen sein. Wie üblich freitagsabends versammelte sich auch am 1. Juni 2001 die nepalesische Königsfamilie zum gemeinsamen Abendessen. Doch sollte das familiäre Tête-à-Tête eine unerwartete Wendung nehmen.

Unfähige Nachfolger und ehemals königstreue Maoisten

König Birendra saß seit 1972 auf dem Thron. Er war als ausgleichender politischer Kopf anerkannt und ein vom Volk geschätzter Monarch. An diesem Tag soll er seinen angeblich stark betrunkenen ältesten Sohn, Kronprinz Dipendra, von der Abendgesellschaft ausgeschlossen haben. Laut Bediensteten habe er ihn zum Ausnüchtern auf sein Zimmer geschickt.

Wie ein abgewatschter dummer Schuljunge muss er sich gefühlt haben. Das scheint ohnehin bereits lange ein Grundgefühl Dipendras gewesen zu sein. Als Playboy-Prinz mit zahllosen Affairen und Ausschweifungen war er, anders als sein Vater, bei den Nepalesen sehr unbeliebt.

Der König selbst soll seinen Sohn in vertraulichen Gesprächen mit nepalesischen Politikern als nicht würdig für den Thron bezeichnet haben. Sein aufbrausender Charakter, seine Zügellosigkeit und sein geringes Interesse an Reformplänen für die zerrissene nepalesische Gesellschaft stellten seine Eignung als Thronfolger infrage.

Und das vor dem Hintergrund des damals auf einem Höhepunkt befindlichen Bürgerkrieges: Eine kommunistische Guerilla stand dem Königshaus mit seinen Verbündeten aus Armeeführung und Adels-Clans gegenüber. Die aufständischen Maoisten, die König Birendra anfangs durchaus gewogen waren, kämpften sich vom besonders armen Westen des Landes mit zunehmender Unterstützung durch die Bauern in Richtung Hauptstadt Kathmandu vor.

Königsfamilie am Abgrund

Die inneren Spannungen des Landes schienen sich mit den zunehmenden Krisen innerhalb der Königssippe zu synchronisieren. Jedenfalls hielt sich Kronprinz Dipendra an besagtem 1. Juni 2001 nicht an die Anordnung seines Vaters und kehrte zum Schauplatz der Soiree zurück. Und so nahm das Schicksal seinen Lauf.

Angeblich sollen die Heiratsabsichten Dipendras mit einer Frau aus der rivalisierenden Familie der Rana, die früher das Amt des Premierministers erblich innehatten, ein Motiv für den Mord gewesen sein. Außerdem zeigte sich der Kronprinz unzufrieden mit der aus seiner Sicht zu laschen Haltung des Vaters gegenüber den Rebellen. Eine härtere militärische Gangart sollte den Bürgerkrieg beenden.

Letztere forderte auch der Onkel und jüngere Bruder des Königs, Gyanendra, der an diesem Freitagabend im Juni nicht wie sonst beim Familienessen zugegen war. Er befand sich außerhalb der Hauptstadt und konnte angeblich wegen Wetterproblemen nicht rechtzeitig eintreffen.

Dipendra kam in voller Kampfmontur wieder zum geselligen Beisammensein zurück. In seiner Hand hielt er eine automatische Waffe, die er drohend in der Luft geschwungen haben soll. Sein Vater soll ihn noch aufgefordert haben, seine lächerlichen Drohgebärden zu lassen, was der Sohn mit der Eröffnung des Feuers quittierte. Die Ballerei kostete außer dem König und der Königin noch weitere sechs Familienmitglieder das Leben. Blutüberströmt lag der Kern des Shah-Clans neben und auf den Sofas, dazu das zersplitterte Glas und ein Kronprinz im Blut- und, angeblich, Drogenrausch. Nun holte er zum finalen Akt aus und erschoss sich selbst.

Eine Menge ungeklärter Fragen

Wie er das mit einer automatischen Waffe gemacht haben soll, das ist bis heute ebenso unklar wie die gesamten Hintergründe des Blutbads. Dipendra wurde erst nach der Schießerei mit seiner ausgelöschten Familie aufgefunden von spät herbeieilenden Sicherheitskräften der Palastgarde. Noch lebend lag er schwerstverletzt drei Tage auf der Intensivstation, auf der ihn die Regierung und die Hindu-Priesterschaft zum König ausriefen.

Ein Mörder als Herrscher? Die Nachricht verbreitete sich blitzschnell in der Hauptstadt und die Volksmeinung war klar gegen Dipendra, der durch sein desaströses Image rasch als Schuldiger feststand. Jedoch blühten die Verschwörungstheorien: Wo war Prinz Gyanendra? War es ihm tatsächlich unmöglich gewesen, zum Abendessen rechtzeitig einzutreffen?

 Wieso war Gyanendras Frau nicht mit von der Partie? Wieso haben die Leibwächter nicht eingegriffen, als die ersten Schüsse fielen beziehungsweise weshalb konnte Dipendra im Kampfanzug mit Waffe durch den Palast spazieren? Es soll ein Waffenverbot für die Mitglieder der Königsfamilie und Besucher in der Anlage gegeben haben.

War der Kronprinz wirklich unzurechnungsfähig, wie es die Regierung behauptetet, um ihn zu entschuldigen und als König ausrufen zu können? Hatten die benachbarten Großmächte Indien und China ihre Finger im Spiel? Viele dieser Fragen und weitere sind bis heute nicht beantwortet. Die Königsherrschaft Dipendras endete nach drei Tagen auf der Intensivstation mit dem Exitus.

Das Blutbad setzt sich im Bürgerkrieg fort

Gyanendra Bir Bikram Shah Dev wurde von der Regierung zum neuen König ausgerufen und nach Hindu-Ritus gekrönt. Alle Leichen, auch die des mutmaßlichen Attentäters, sind ebenfalls nach Sitte der Hindu-Religion schnell verbrannt worden. Eine Obduktion war somit nicht möglich und wahrscheinlich nicht erwünscht.

Wer hat von der fast völligen Auslöschung der Königsfamilien profitiert? Auf den ersten Blick Gyanendra und sein Sohn, der mindestens so unbeliebt war wie sein Vater und der mörderische Cousin Dipendra. Auf den zweiten Blick die Maoisten, die sich in den sieben Jahren der Herrschaft Gyandendras massiven militärischen Widerstands ausgesetzt sahen.

Doch es nützte am Ende nichts mehr. Das Image des Königs wie der Monarchie war durch das mysteriöse Massaker stark beschädigt. Und durch die seine Kompromisslosigkeit gegenüber den Rebellen sowie die grassierende Korruption innerhalb der alten Eliten verlor Gyanendra fast alles. Sein Leben und das seiner Familie durfte er behalten.

Die siegreichen Maoisten schafften die Monarchie ab, zeigten sich gegenüber dem Ex-König jedoch gnädig. Er durfte als einfacher Bürger weiterhin im Land bleiben, wo er sich bis heute aufhält. Seinen Palast musste er räumen, das Gebäude ist heute ein Museum.

Gyanendra hat immer noch Anhänger aus dem konservativen hinduistischen Milieu. Eine Renaissance des Königtums ist jedoch nicht zu erwarten, denn dafür haben die Ex-Royals doch zu sehr abgewirtschaftet.

Ironie der Geschichte: Zu Gyanendras Geburt weissagten im Hindu-Priester, dass er zwei Mal König sein werde. Sie behielten recht – einmal war er es als Kind für gut ein Jahr Anfang der 1950er Jahre in einer Staatskrise und dann noch einmal von 2001 bis 2008 als Totengräber der letzten Hindu-Monarchie.

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