Immer mehr ausländische Arbeitsuchende werden zu Obdachlosen
Im Winter 2020/2021 betrug der Anteil der Ausländer unter den Obdachlosen etwa in Hamburg 80 Prozent. Die meisten von ihnen sind Arbeitsuchende aus Osteuropa.
In der Hansestadt Hamburg hat die Zahl der ausländischen Obdachlosen rasant zugenommen. Nun streiten Juristen und die Sozialbehörde, ob diese Menschen verstärkt abgeschoben werden sollen, obwohl die meisten aus dem osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten kommen.
Hamburg verfügt schon seit längerem über ein ausdifferenziertes Hilfesystem zur Vermeidung und Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Gleichwohl stieg die Zahl der obdachlosen Menschen in Hamburg in den letzten Jahren stetig an. In der Folge wurde das Hilfesystem für obdachlose Menschen weiter ausgebaut. So wurden Notübernachtungs- und Tagesaufenthaltsstätten geschaffen und das Winternotprogramm ins Leben gerufen. Im Jahr 2020 wurden über 20 Millionen Euro für diese Angebote aufgewendet, inklusive der pandemiebedingten Sondermaßnahmen sogar rund 34 Millionen Euro.
80 Prozent der Obdachlosen kommen aus dem Ausland
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Der überwiegende Anteil der Obdachlosen in Hamburg besteht aus Personen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit und multiplen Problemen, insbesondere Suchterkrankungen (Alkoholismus). 2018 hatten 61 Prozent der obdachlosen Menschen eine ausländische Staatsangehörigkeit. Insbesondere das Winternotprogramm wird nach Angaben der zuständigen Hamburger Sozialbehörde überwiegend von dieser Gruppe in Anspruch genommen. Im Winter 2020/2021 betrug ihr Anteil bereits rund 80 Prozent.
Wie kam es dazu? Viele dieser Obdachlosen sind Osteuropäer, die in Deutschland eine Arbeit suchen. Sie bleiben oftmals über Jahre hinweg vor Ort und werden immer wieder im Winternotprogramm vorstellig. Ein großer Teil dieser Menschen hat wegen fehlender Anwartschaften oder aus ausländerrechtlichen Gründen, wie zum Beispiel fehlender Aufenthaltserlaubnis oder bestehender asylrechtlicher Wohnsitzauflage in einem anderen Bundesland, in Hamburg keinen Anspruch auf Sozialleistungen und damit auch keinen Anspruch auf eine dauerhafte öffentlich-rechtliche Unterbringung bzw. Übernahme der Kosten für die Anmietung eigenen Wohnraums.
Allerdings obliegt der Stadt zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben bei unfreiwilliger Obdachlosigkeit eine Handlungspflicht. Grundlage ist das Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Insbesondere bei Kälteeinbrüchen oder in akuten medizinischen Notfällen ist diese Hilfe uneingeschränkt auch anonym zu gewähren, weil vermieden werden muss, dass Menschen aus Angst etwa vor ausländerrechtlichen Konsequenzen die sozialen Angebote meiden.
Die EU sieht keine uneingeschränkte Freizügigkeit vor
Jedoch sei es rechtlich nicht geboten, die dauerhafte anonyme Inanspruchnahme des Hilfesystems zu gewährleisten, argumentieren Juristen des Rechnungshofes. Das Sozialrecht sehe als Hilfemöglichkeit ausdrücklich die Rückkehr ins Heimatland oder die Inanspruchnahme von Hilfen an einem anderen Ort vor. Hilfebedürftige Ausländer erhielten in diesen Fällen nach den geltenden Bestimmungen lediglich existenzsichernde Leistungen zur Überbrückung des Zeitraumes bis zur Ausreise, längstens für die Dauer eines Monats. Liegen andere Sozialleistungsansprüche vor, zum Beispiel nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, seien diese ebenfalls – gegebenenfalls an einem anderen Ort – in Anspruch zu nehmen.
Nach Ansicht des Rechnungshofes sehen die europäischen Regelungen, anders als oft dargestellt, keine uneingeschränkte Freizügigkeit für Bürger der EU vor. Für nicht erwerbstätige Unionsbürger ohne ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz bestehe die Freizügigkeit nur bis zu sechs Monate zur Arbeitssuche. Danach könne die zuständige Ausländerbehörde die Freizügigkeitsberechtigung gegebenenfalls entziehen.
Sozialbehörde will nicht ausweisen
Würden diese Regelungen nicht angewendet, entwickele sich das niedrigschwellige System zur Gefahrenabwehr hin zu einem Ersatzhilfesystem, das ungewollt Anreizwirkungen zum Zuzug nach oder zum Verbleib in Hamburg entfalten könne.
Die hamburgische Sozialbehörde argumentiert, dass es allein auf die faktische Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ankomme. Es bestehe eine Verpflichtung zur Unterbringung auch dann, wenn der Erwerb von Sozialleistungsansprüchen in Deutschland ausgeschlossen ist. Dazu sagt der Rechnungshof, dass es nicht Sinn und Aufgabe eines ordnungsrechtlichen Gefahrenabwehrsystems sei, spezielle gesetzliche Regelungen in ihrer Wirksamkeit dauerhaft einzuschränken.
Jetzt will die hamburgische Sozialbehörde gemeinsam mit der Innenbehörde eine Arbeitsgruppe einrichten, in welcher die Problematik erörtert werden soll.