„Es reicht, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen“

 

Menschen werden durch öffentliche Anschuldigungen gesellschaftlich vernichtet. Ist das die Welt, in der wir leben wollen? Über ein Interview mit Fanny Ardant.

Keiner unserer Werte ist so oft vergewaltigt worden wie die Freiheit. Gerade unter denen, die sie wie eine Monstranz vor sich hertragen, sind nicht wenige, die sie abgrundtief hassen. Das sind Leute, die andere Meinungen und Lebensentwürfe nicht ertragen und die Freiheit dafür verantwortlich machen, dass sie sich klein fühlen unter all den abweichenden Anschauungen und Einstellungen. Das sind diejenigen, die immerzu neue Gesetze und Gebote verlangen, mit der sie die Freiheit in Ketten legen können.

Herrschen wollen sie, diese Wichte und Gernegroße. Sie wollen Macht erlangen über die Freiheit und all ihre Ideen zunichte machen. Weil ihnen die eigene Borniertheit die großartigen Chancen der Freiheit versagt, wollen sie anderen vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben, wie sie zu leben und zu denken haben.

„Ich habe es vorgezogen, frei zu sein“

Im Extrem gehen sie so weit wie die die Chinesen, die Millionen Uiguren in einen Gulag von „Umerziehungslagern“ pferchen, um deren freien Geist vollständig auszulöschen. Jede Diktatur baut auf das Schreckgespenst der Hölle. Bei den einen existiert sie im Jenseits, bei den anderen im Diesseits der Folterknäste, oder sie wird gelebt in der gesellschaftlichen Ausgrenzung und Stigmatisierung, der Verächtlichmachung all derer, die es wagen, eigene Wege zu gehen – wie etwa die die inzwischen 70 Jahre alte französische Schauspielerin Fanny Ardant.

Ein bemerkenswertes Interview mit ihr kündigt der „Spiegel“ fast schon boulevardesk-krawallig an: „Fanny Ardant erklärt, warum sie unserer Zeit hadert, nichts für ihre Gesundheit tun will, nie wählen gegangen ist – und trotz der Vergewaltigungsvorwürfe zu Roman Polanski hält.“ Anlass des Interviews ist ihr jüngster Film über das Altern „Die schönste Zeit unseres Lebens“, der seit Anfang November mit großem Erfolg in den französischen Kinos läuft.

Fanny Ardant sagt, sie „habe es immer vorgezogen, frei zu sein“, wohl wissend, worauf sie sich einließ. „Unabhängigkeit ist für mich ein hohes Gut. Ein sehr zerbrechliches auch, weil wir alle Angst haben: Angst vor dem Morgen, Angst, nicht mehr geliebt zu werden. Angst, allein zu sein.“ Da sie für das Interview ein Pariser Restaurant ausgesucht hat, das Detoxsäfte und frische Salate auf der Karte hat, fragt der „Spiegel“: „Tun Sie etwas für sich und Ihren Körper, wie es gerade alle tun?“ Ardant antwortet: „Ich habe es (das Restaurant) ausgesucht, weil es nah an meiner Wohnung liegt.“

Sie „hasse die Idee, sich exzessiv um den eigenen Körper zu kümmern. Ich hasse auch diese Dialoge, die man neuerdings führt: Huch, die isst Fleisch. Huch, du trinkst Wein. Auf keinen Fall Gluten essen. Ich mag die Gainsbourgs dieser Welt, Leute, die gefährlich leben. Und deshalb esse ich Fleisch und trinke Wein und Bier. Allerdings rauche ich nur noch die Zigaretten der anderen, seitdem ich Tuberkulose hatte.“

„Je puritanischer, desto gefährlicher“

Der „Spiegel“ findet die Antwort „aggressiv“ und will wissen, warum sie so emotional reagiert. „Weil ich diese neue Gesellschaftsordnung, die sich da abzeichnet, nicht mag“, antwortet Ardant. „Es wird vorgegeben, was man machen, essen, tun sollte. Nach Gluten werden uns demnächst sicher bestimmte Worte verboten.“ Ihr gehe „diese ganze Political Correctness auf die Nerven“. Und weiter: „Ich habe mir nie etwas untersagt. Je puritanischer eine Gesellschaft sich verhält, desto gefährlicher wird es. Es gibt keine politischen Dogmen mehr, aber stattdessen breitet sich unterschwellig etwas anderes aus – eine neue Definition dessen, was gut und was schlecht ist. Ich mache da nicht mit. Es gibt keinen Raum mehr für Exzesse, für Widersprüche. Für mich aber machen Widersprüche den Reichtum eines Menschen aus.“

So ist es. Als die 68er gegen den Zeitgeist opponierten, rissen sie die Fenster auf zu einer im Mief kleingeistiger Spießbürgerlichkeit verbarrikadierten Nachkriegszeit. Sie erlösten eine Gesellschaft, in der Widerspruch, Fragen und Kritik verpönt waren, aus den Fängen lebensfeindlicher Moralvorstellungen und einem undemokratischen Klassendenken. Endlich erhielt die Frau die gleichen Rechte wie der Mann, neue Bildungsangebote sprengten soziale Sperren und ermöglichten Arbeiterkindern den Aufstieg.

Und heute? Da gibt es zum Beispiel die #MeToo-Bewegung gegen sexuelle Belästigung. Niemand dürfte etwas dagegen haben, wenn Frauen gegen sexuelle Belästigung zu Felde ziehen. Aber die #MeToo-Bewegung hat längst einen anderen Charakter angenommen. Fanny Ardant sagt dazu: „Ich mag es nicht, einfach nur Verdächtigungen öffentlich in den Raum zu stellen. Eine Bewegung, die die Rolle der Justiz übernimmt, interessiert mich nicht.“

„Ausgelöscht ohne juristisches Urteil“

Genau das ist der Punkt. Es geht längst nicht mehr darum, Rechte einzuklagen, sondern Menschen außerhalb der Gerichtsäle gesellschaftlich hinzurichten. „Heute kann jeder irgendeine Anschuldigung rauspusten. Ein Presse, die ihren Pflichten nicht mehr nachkommt, verbreitet sie dann. Aber wenn wir der Justiz nicht mehr vertrauen, dann ist das das Ende der Demokratie“, sagt die Schauspielerin.

Und auf die Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Regisseur Roman Polanski angesprochen, sagt sie weiter: „Ich lese keine Zeitungen mehr, ich kenne nicht die Details. Aber ich komme immer wieder auf denselben Punkt zurück. Ich finde skandalös, was mit Kevin Spacey geschehen ist, er wurde ausgelöscht, ohne dass bisher ein juristisches Urteil erfolgt wäre. Ist das die Gesellschaft, in der unsere Kinder groß werden sollen? Eine Gesellschaft, in der es reicht, dass andere mit dem Finger auf jemanden zeigen, und alle schreien: Uhh, uh, uh?“

Ist sie das? Eine solche Gesellschaft fiele weit hinter elementare Errungenschaften des demokratischen Rechtsstaates zurück. Das kann niemand wollen. Noch ist es Zeit, die Freiheit zu retten!

0
0
votes
Article Rating
Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

14 Comments
Inline Feedbacks
View all comments
Argonautiker
Argonautiker
5 Jahre her

Nicht, daß ich dem Tenor dessen was diese Dame zu sagen hat, nicht zustimmen würde, das Denunzieren ist der neue Umgang, aber: „Eine solche Gesellschaft fiele weit hinter elementare Errungenschaften des demokratischen Rechtsstaates zurück.“ Das halte ich für falsch. Das Denunziantentum ist die Folge des sogenannten Rechtsstaates, weil es erst die übergeordnete Definition der Regeln braucht anhand derer denunziert werden kann. Der Rechtsstaat zerlegt sich gerade vielmehr selbst, weil er Regeln zu Gesetzen deklariert hat und diese wiederum über die Freiheit gestellt hat, was aber eben nicht den Gesetzen der Wirklichkeit entspricht. Das Denunziantentum halte ich für ein Ventil der… Read more »

dragaoNordestino
5 Jahre her

Eine Gesellschaft, in der es reicht, dass andere mit dem Finger auf jemanden zeigen, und alle schreien: Uhh, uh, uh?“ Ja leider ist dies heute so…. Frau Ardant sieht dies richtig… und ja, es ist nötig da mal den Rückwärtsgang ein zu legen und zum Rechtsstaat zurück zu kehren. Wieso das Mainstream China-Bashing im Artikel eingang gefunden hat, kann oder muss man sich schon fragen. Sollen da eventuell Werte-Westliche Bürgerdar..eller schon auf zukünftige härtere Attaken gegen China eingestimmt werden.? Es gibt dazu einiges um nach zu denken Meinungsmache mit einem dubiosen „China-Experten“ https://www.nachdenkseiten.de/?p=56639 und: Westliche Mobilmachung gegen China unter US-Führung… Read more »

hubi stendahl
hubi stendahl
Reply to  dragaoNordestino
5 Jahre her

dragao Was für ein seltsames Fass machen Sie denn jetzt wieder auf? Herr Lachmann schrieb. „Im Extrem gehen sie so weit wie die Chinesen, die Millionen Uiguren in einen Gulag von „Umerziehungslagern“ pferchen, um deren freien Geist vollständig auszulöschen.“ Mal abgesehen davon, dass es wahr ist und nicht nur die Uiguren betrifft, sondern auch Randgruppen wie Falun Gong; was für eine seltsame Brücke bauen Sie hier zum Verfasser des Artikels, der weder Einfluss auf die politischen Verhältnisse in China, noch auf die zwischenstaatlichen Beziehungen nimmt, nehmen kann und nehmen will. Haben Sie zum eigentlichen Inhalt des Artikels, dem Zerfall der… Read more »

dragaoNordestino
Reply to  hubi stendahl
5 Jahre her

@stendahl … Und nun zurück zum Thema.

Ja dann bleiben Sie doch einfach beim Thema…. wieso haben Sie es eigentlich nötig, mit einem ellenlangen Kommentar auf meine Ansichten zu antworten, wenn diese eh Mist sind.?

Und wieso werden von Ihnen andere Meinungen per sé diffamierend abgekanzelt…. vermutlich sind Sie einer, der gerne mit dem Finger auf andere zeigt und Uhh, uh, uh schreit.

Wie auch immer, egal….

Emmanuel Sarides
Emmanuel Sarides
Reply to  dragaoNordestino
5 Jahre her

Der Drache hat nun mal hier recht, ich fand auch die Einbeziehung Chinas als eines Unrechtstaates, der einen Uiguren-Gulag unterhält, völlig fehl am Platze, das lesen wir ja tagtäglich in den Bürgerlichen Medien. Und „Spiegel“ zitieren, tja, ob diese Bild-Zeitung für Studenten eine Quelle sein kann, die es verdient, zitiert zu werden? Fragen über Fragen

hubi stendahl
hubi stendahl
5 Jahre her

Ordnung in einer demokratischen Gesellschaft bedeutet Teilhabe. Teilhabe bedeutet faire Bedingungen mit Interessenausgleich. Vergleicht man es mit dem aktuellen Zustand wird wohl jedem klar, dass unter friedlichen Bedingungen eine solche Ordnung nicht mehr herzustellen ist. Die NGO´s müssten verboten werden, die Konzerne zerschlagen. Die Politiker bis in die mittleren Beamtenebenen ausgetauscht und die Vernetzungen im eigenen Interesse in Judikative, Legislative und Exekutive aufgelöst werden. Mit Völkern, deren einziges antrainiertes Interesse der Konsum, Partys, Events, dutzende Geschlechter und der nächste Urlaub sind, lässt sich eben kein Staat machen. Was kommt ist insofern auf das eigene Konto zu buchen. Warnungen gab es… Read more »

helmutn
helmutn
Reply to  hubi stendahl
5 Jahre her

Eine Nation in der Alte Leute im Gefängnis sitzen wie Mahler,Haverbeck,Schäfer ect. weil sie nicht Obrigkeitshörig genug sind sollte sich nicht anmaßen über andere Nationen zu Gericht sitzen.Ja,damit meine ich das Uigurenthema weil ich weis das hiermit wie allgemein bekannt Unfrieden von außen geschürt wird.Da bin ich ausnahmsweise bei Dragao !

Wayne Podolski
Wayne Podolski
Reply to  helmutn
5 Jahre her

Zum 130er StGB ein paar Gedanken von Gerard Menuhin. In dem Zusammenhang sollte man Außen-Heiko bzw. seine Nachfolgerin mal fragen, wieso immer noch jede Menge Gesetze aus der NS-Zeit (ich habe neulich mal die Zahl 90 gelesen) Gültigkeit besitzen, wo er doch ständig in irgendwelchen Talkshows rumhängt. Auch habe ich gerade die neueste Ausgabe der exzellenten Express-Zeitung bestellt. Sie kommt aus der Schweiz und klärt über die wahre deutsche Geschichte auf, wozu deutsche Medien anscheinend nicht in der Lage sind.

http://www.gerard-menuhin.de/Kolumne/Der_Gesetzgeber_ist_blind.html

https://www.expresszeitung.com/

Wayne Podolski
Wayne Podolski
5 Jahre her

Es ist schon ein paar Jährchen her, als ich das letzte Mal SPIEGEL TV mir angeschaut habe, wurde aber über einen Link auf die Ausgabe vom letzten Wochenende hingewiesen in der es über „Die bizarre Welt der Holocaustleugner“ ging. Nun hat vor einiger Zeit ein Deutsch-Türke die Deutschen als „Köterrasse“ bezeichnet, worauf natürlich ein Aufschrei durch die Gemeinde ging. Wenn man sich aber ehrlich macht, haben wir uns diese Bezeichnung unredlich verdient mit permanenter Unterwerfung gegenüber Judea und den Amerikanern, aber natürlich auch gegenüber den Muslimen.In den Kommentaren unter dem Video meldet sich nicht nur die SPIEGEL-Haustrollarmee zu Wort, sondern… Read more »

hubi stendahl
hubi stendahl
Reply to  Wayne Podolski
5 Jahre her

„..so verwundert es nicht, das auch jemand wie Julian Assange ebenfalls hierzulande keinerlei Unterstützung erfährt, man könnte ja fremden Mächten dabei auf die Füsse treten.“ Ich denke, das liegt eher daran, dass die umerzogene entpolitisierte Masse (gilt nicht nur für die BRD) mit einem Assange der „verloren“ hat, nichts (mehr) anfangen kann. In dieser bereits dekadenten Phase des gesellschaftlichen Umbruchs werden „unsterbliche“ Stars gebraucht, die der Masse die irreale Welt erklären und in deren Glanz man die eigene, oft auf Konsum reduzierte sinnfreie Existenz, wenigstens etwas aufpeppen kann. Lieber geht man zu einem Grönemeyer, der als Systemschreier in Göbbelsmanier der… Read more »

Wayne Podolski
Wayne Podolski
Reply to  hubi stendahl
5 Jahre her

Der große Zampano der Rap & Hip Hop Szene ist eine gewisser Lyor Cohen. Die Gesellschaft wurde also gezielt mit diesem Musikstil, begleitet durch Punk oder Feminismus und den ganzen Genderkram, geimpft um letztlich ihre Zerstörung herbeizuführen.Ich will schnell noch dieses Video nachreichen. Das Original wurde bereits gesperrt.
https://youtu.be/ikD-xj5tYCM

helmutn
helmutn
5 Jahre her

Ich stimme Fanny Ardant gerne zu.In vielen Dingen sehe ich alles genau so.Wenn z.B. Spacey kriminell war dann hat das ein ordentliches Gericht zu befinden.Das Problem ist leider die Justiz.Ihr kann man nicht mehr trauen wie ich selbst in den letzten 10 Jahren 4mal erfahren durfte.
Das mit den Uiruren sehe ich anders.Zwar weis ich nicht genau Bescheid über alle Zusammenhänge aber wir haben ja weltweit diese „Farbenrevolutionen gesehen.Wenn NGOs und Milliardäre Regierungen stürzen können dann müssen diese Regierungen auch dagegen vorgehen können !

Charly
Charly
5 Jahre her

Als jemand, der nicht mehr in Deutschland lebt, betrachte ich Deutschland mit immer größerem Befremden, so als würde man eine Suizid-Sekte beobachten!

Peter Meier
Peter Meier
4 Jahre her

Werter Herr Lachmann, vielen Dank für den guten Beitrag. Allerdings: „Es gibt keinen Raum mehr für Exzesse, für Widersprüche. Für mich aber machen Widersprüche den Reichtum des Menschen aus.“ Leben wir tatsächlich in einer Welt in der es „keinen Raum mehr für Widersprüche und Exzesse gibt“? Ist nicht vielmehr der in unzähligen Ländern der Welt sich auf den Strassen ausbreitende Unmut der Menschen ein Zeichen für stets grösser werdende Widersprüche und Exzesse einer kleinen Elite? Sind nicht der zunehmende Werteverlust unserer kulturellen Errungenschaften, wie sie im Christentum und er Aufklärung Ausdruck finden und die zunehmende materiellen Ungleichheiten, grosse Widersprüche, welche… Read more »