Geschichte versus Denkmal-Politik

In Bozen rückt ein Brunnen wieder in den Mittelpunkt politisch-kulturellen Interesses, der seit seiner künstlerischen Gestaltung vor 110 Jahren die Geister schied.

Nicht allein Bücher haben ihre Geschichte. In Bozen rückt ein Brunnen wieder einmal in den Mittelpunkt politisch-kulturellen Interesses, der seit seiner künstlerischen Gestaltung vor 110 Jahren die Geister schied und häufig Gegenstand erbitterter Auseinandersetzungen, aber auch großer Fürsorge um die Wiedereinsetzung in seinen Rang als historisches Denkmal gewesen ist. Es handelt sich um den Laurin-Brunnen auf dem zentralen, nach dem 2010 verstorbenen langjährigen Südtiroler Landeshauptmann Silvius Magnago benannten Landhausplatz. Dort war er 1996, drei Jahre nach der im Rahmen eines Tauschgeschäfts vereinbarten Rückgabe durch das Roveretaner Kriegsmuseum aufgestellt worden.

Seit 2012 wälzen die Verantwortlichen im Landhaus, dem Südtiroler Landtag, sowie im Palais Widmann, dem Sitz der Landesregierung, Pläne, den Magnago-Platz neu zu gestalten. Zwar ist noch keine Entscheidung gefallen, doch die deutschtiroler Opposition befürchtet, dass just der Brunnen dieser Neugestaltung zum Opfer fallen soll. Wohl nicht ganz zu Unrecht, denn die beiden ihn konstituierenden Figuren sind nicht nur den italienischen Parteien nach wie vor ein Dorn im Auge. Wiewohl besagte Oppositionsparteien in mehreren Landtagsanfragen immer wieder auf die Ungewissheit hinwiesen und verlangten, das Objekt möge am bisherigen Standort verbleiben, blieben Landtagspräsiddium und Regierung (an deren Spitze Landeshauptmann Arno Kompoatscher) die Antwort bisher schuldig.

Geschichte und Geschichten

Der Laurin-Brunnen, eine 1905 vergebene Auftragsarbeit des „Talferleege Culturvereins“ an die Bildhauer Andreas („Andrä“) Kompatscher und Arthur Winkler, war 1907 an der Bozner Wassermauerpromenade entlang der Talfer aufgestellt worden. Sein künstlerischer Gehalt manifestiert sich in den ihn bestimmenden Figuren, Dietrich von Bern und Laurin, Gestalten aus literarisierten Sagenstoffen des Mittelalters. Die bildnerische Anordnung zeigt beider Kampf: Dietrich ringt Laurin nieder – so zumindest wurde (und wird) es (nicht nur) italienischerseits interpretiert, weshalb das Brunnenensemble einst vom ursprünglichen Standort entfernt worden und bis zur Rückkehr nach Bozen fast sechs Jahrzehnte im Burggraben von Rovereto verbannt geblieben war.

Das Produkt zweier Künstler Hände – wie konnte es in die Mühlen der Politik geraten? Wie konnten bildnerisch gestaltete Figuren der höfischen Dichtung des 13. Jahrhunderts die Gemüter so für oder gegen sich einnehmen? Wer waren überhaupt Laurin und der ihn figürlich bezwingende Dietrich? Fragen über Fragen. Es sind darauf gegebene Antworten, es sind Ansichten über das Kunstwerk und Interpretationen des zugrundeliegenden literarischen Stoffes, die zu Abbruch und Deportation, schließlich aber doch zur Rückkehr und Wiederaufstellung des Brunnenensembles führten.

Der Kern des episch breit und variantenreich überlieferten Sagenstoffes ist rasch erzählt. „Uns ist in alten maeren / wunders vil geseit…“ – beinahe wie im Prolog zum Nibelungenlied könnte die Geschichte beginnen, manche Anklänge sind ohnedies unverkennbar. Im vorzeitlichen Bauzanum, das Deutschen heute Bozen und Italienern Bolzano ist, findet ein höfisches Turnier statt. Dem Sieger winkt ein hoher Preis für die Tjoste, den ritterlichen Lanzenkampf zu Pferde. Dietrich von Bern, Held auch im „Nationalepos der Deutschen“, der „Nibelungen Not und Klage“, trägt den Sieg davon: die liebreizende Königstochter heißt mal Similde, mal Künhilde. Doch als Dietrich sie an seinen Hof nach Verona heimführen will, das noch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in deutscher Benennung ganz selbstverständlich Bern hieß, ist sie verschwunden, entführt. Geraubt von Laurin, dem Herrscher über das Rosengartenreich hoch droben im Gebirg‘.

Fehlinterpretation

Mit seinen Mannen bricht der kühne Recke Dietrich, in dem wir den Gotenkönig Theoderich sehen dürfen, dessen Mausoleum in Ravenna erhalten ist, zum Rosengarten auf. Laurin, der königliche Held und Antagonist, ist durch einen goldenen Faden, den er um sein Reich legte, vor den Herannahenden gewarnt. Er stürzt sich mit den Seinen auf die Eindringlinge. Ein heftiger Kampf entbrennt. Der endet erst, als Dietrich Laurin im Zweikampf einen Gürtel entreißen kann, der jenem die Kraft von zwölf Männern verlieh. Der geschlagene Laurin wird gebunden in seinen Kristallpalast geführt, Similde befreit. Noch einmal gelingt es ihm, sich wider den Bezwinger zu erheben und Dietrich zu bannen. Die liebende Similde kennt die Kraft des Zaubers und entbannt den Gemahl und dessen Getreue. Erst jetzt ist Laurin endgültig besiegt. Er hat Dietrich als Gefangener nach Bern/Verona zu folgen.

Mit der Figur des geheimnisumwitterten Königs Laurin haben sich die Auguren einigermaßen schwergetan. Und dabei führte philologische Fehlinterpretation zu einem handfesten historisch-politischen Konflikt. Weil der Name gar zu sehr den historischen Lautgesetzen des Deutschen unterworfen ward, etymologisierte man ihn als „schlauen und hinterlistigen Zwerg“. Das rührte von der Germanomanie der Philologen her, die allzugern bereit waren, dem „Nationalgeist“ ihr wissenschaftliches Ethos zu opfern.

Dem Protagonisten Dietrich musste zudem ein Wesen entgegentreten, auf dessen „Niederringen“ schon sein Äußeres, seine Andersartigkeit vorauswies. Was lag näher, als die Deutung des Namens auf eine Figur zu bringen, die auch sonst in der älteren Dichtung über die Volksüberlieferung bestens eingeführt war – den Zwerg. Dass die höfische Figuration stimmte, war dadurch gewährleistet, dass es sich bei Dietrichs Gegenspieler um einen König der Zwerge handelte. Dabei hatte doch Karl Müllenhoff, einer der großen Editoren, schon 1865 festgestellt: „Der Name ist fremd, undeutsch, rätisch.“

Heute wissen wir, dass Laurin auf „lawaréno“ zurückgeht, „der im Steinland Wohnende“. Auch wissen wir, dass diese rät(oroman)ische Benennung mit jenem kleinen alpinen Urvolk der Ladiner verknüpft ist, das um den Sella-Stock lebt, wohin es sich zurückzuziehen gezwungen sah, nachdem es erst von römischem Zug nach Norden, dann von gen Süden gerichteter bajuwarisch-fränkischer Landnahme überrannt und verdrängt worden war.

Tausendfache Namenfälschungen

Doch bevor sich derlei Kenntnis verbreiten und sich die Erkenntnis eines produktiven Dilettanten, des bedeutenden Alpensagen-Forschers Karl Felix Wolff, allmählich Bahn brechen konnte, wonach der Stoff just in der ladinischen Erzähltradition von den zwei Königen eine harmonisierende Wende erfährt, indem sie im Rosengarten, der des Abends in untergehender Sonne erblüht, friedfertig und einträchtig in einem phantastischen Ewigkeitsreich miteinander herrschen, da war es für Winklers und Kompatschers Brunnen in Bozen längst zu spät.

In der Nacht vom 4. auf den 5. Juli 1933 fielen Unbekannte über die Skulptur her und zerschlugen sie. Nach notdürftiger Instandsetzung ward sie im Stadtmuseum untergebracht. Doch hinfort war dem plastischen Stück älterer Literatur kaum Ruhe beschieden. Die Monarchisten rieben sich daran. Sahen sie doch in Laurin eine Verspottung König Viktor Emmanuels III., mit dessen Kleinwüchsigkeit die künstlerische Konfiguration nichts weniger als die zwergenhafte Statur gemein hatte. Noch größerer Rigorosität befleißigten sich die Schwarzhemden. Die faschistischen Bannerträger erblickten, bevor sich ihr Duce und der deutsche Führer verbündeten, im „Niederringen“ Laurins durch Dietrich den Sieg des germanischen über das romanische Element, somit eine Schmähung der stolzen, von Benito Mussolini auf römisch-imperiale Höhen zu führenden italienischen Nation.

Mit der Folge, dass besagte Brunnenfigur schließlich am 17. Juli 1936 in den Burggraben von Rovereto verbannt wurde. Sicherlich nicht ohne Zutun des faschistischen Umvolkungsfanatikers Ettore Tolomei. Der hatte sich von Bozen aus mit Sendungsbewusstsein und unbändigem Hass auf alles Deutsche, der „Re-Italianisierung“ des 1919 Italien zugeschlagenen südlichen Teils Tirols verschrieben – eines mehr als ein Jahrtausend währende Geschichte des Landes verfälschenden Dranges, dem erst der Untergang seines Gönners Mussolini Einhalt gebot. Wenngleich die tausendfachen Namenfälschungen Tolomeis auch im „domokratischen“ Italien erhalten blieben und bis zum heutigen Tage amtlichen Charakter tragen.

Späte Gerechtigkeit

Dass der Laurinsbrunnen am 17. März 1993 als Akt später Gerechtigkeit zurückkehren und 1996 auf dem Landhausplatz aufgestellt werden konnte, war hartnäckigen Bemühungen des damaligen Kulturlandesrats Anton Zelger und seines Nachfolgers Bruno Hosp sowie deren Mitstreitern zu danken. Seit 1984 hatten sich der Landesverband für Heimatpflege und der Heimatschutzverein Bozen unablässig dafür eingesetzt. Sie wurden publizistisch vom Chefredakteur der Tageszeitung „Dolomiten“, Josef Rampold, unterstützt. Das Bozner Stadtmuseum war einbezogen worden, Tauschgeschäfte hatte man ins Auge gefasst. Vergeblich.

Zunächst verliefen Vorstöße wegen neuerlicher, ins Ideologische gewendeter Interpretationen sterts im Sande. Umstritten war auch die Rechtslage. So konnte lange der Widerspruch nicht beseitigt werden, der darin bestand, dass die Verschleppung des Denkmals auf Veranlassung des Podestà, des faschistischen Amtsbürgermeisters der Stadt, „moralisch widerrechtlich“ geschah. Andererseits war das Roveretaner Kriegsmuseum formalrechtlich Eigentümer geworden und vertrat darüber hinaus die Auffassung, ihm gebühre auch gewohnheitsrechtlich nach so vielen Jahren der Brunnen.

Schließlich konnte der Widerspruch in der Rechtsauffassung doch überwunden werden. Man einigte sich, da Rovereto einst ohne eigenes Zutun in den Besitz gekommen war, auf eine „Rückschenkung“ ohne jedwede Gegenleistung. Gleichwohl erhielt das Kriegsmuseum eine „Gegengabe“ aus Beständen des Bozner Stadtmuseums. In Kardaun, im Landesbauhof der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, wurde der Brunnen restauriert. An seinen alten Standort an der Wassermauerpromenade kehrte er aber nicht zurück. Hosps berechtigte Auffassung, wonach er dort gefährdet sei, hatte sich durchgesetzt. Das Denkmal sollte nicht noch einmal Objekt weltanschaulich-nationalpolitischen Gesinnungsstreits werden, obschon ihm eigentlich längst die ideologische Farbe abgewaschen worden war.

Doch auch auf dem Silvius Magnago-Platz vor dem Landhaus waren Dietrich und Laurin schon einmal Gegenstand einer Verunzierungsattacke von „Casa Pound“, einer Vereinigung von Mussolini-Jüngern, deren (bezeichnenderweise von seinen italienischen Landsleuten in den Bozner Gemeinderat gewählter) Oberer ungestraft für den Schwarzhemden-Faschismus Propaganda macht. Dennoch ist der Laurin-Brunnen unter der direkten Aufsicht von Politikern, Landhausbediensteten und Passanten dort sicherer als an anderen Plätzen der Stadt, weshalb er an seinem gegenwärtigen Standort gewiss am besten aufgehoben ist und verbleiben sollte. Man darf gespannt sein, ob Landeshauptmann Arno Kompatscher bei seiner Entscheidung gewillt ist, dem Namensvetter Andrä Kompatscher, einem der beiden Künstler, die das Denkmal schufen, Respekt zu zollen.

 

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