Wissenschaft riskiert ihre Freiheit

Die Geisteswissenschaften haben sich den herrschenden Ideologien schon an den Hals geworfen. Tun es auch die Naturwissenschaften, ist unser Wohlstand in Gefahr.

Wirtschaft und Wissenschaft arbeiten in Deutschland eng zusammen. Das sichert den Wohlstand in einem rohstoffarmen Land, welches auf den Fleiß und die Kreativität seiner Bewohner angewiesen ist. Aber seit einigen Jahren erschwert der Zeitgeist diese Zusammenarbeit mehr und mehr, zum Nachteil von uns allen.

Wirtschaft und Wissenschaft kooperieren auf mannigfache Weise miteinander. Am wichtigsten ist die Auftragsforschung, in deren Rahmen die Wirtschaft konkrete Fragestellungen gegen Entgelt von der Wissenschaft untersuchen lässt. Mehrere Milliarden Euro fließen auf diese Weise Jahr für Jahr den staatlichen Universitäten und Fachhochschulen sowie den steuerfinanzierten außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu. Viel Geld, auf das die chronisch unterfinanzierte Wissenschaft dringend angewiesen ist. In vielen technischen Disziplinen wie etwa dem Maschinenbau wäre Forschung ohne die Gelder aus der Industrie gar nicht mehr möglich.

Wissenschaft muss frei sein

Ferner richtet die Wirtschaft gemeinsam mit der Wissenschaft Veranstaltungen aus, stellt Praktikumsplätze für Studierende sowie Arbeitsmöglichkeiten für Examenskandidaten und Doktoranden bereit und fördert so den Dialog zwischen Theorie und Praxis. Nicht selten unterstützt die Wirtschaft die Wissenschaft auch durch Geld- oder Sachspenden oder sie finanziert sogenannte Stiftungsprofessuren. Diese Professuren, deren Ausrichtung natürlich von den akademischen Gremien genehmigt werden muss, widmen sich dauerhaft oder zeitlich begrenzt einem bestimmten Thema, welches der Wirtschaft am Herzen liegt.

Wissenschaft funktioniert am besten, wenn sie sich frei entfalten kann. Es entspricht ihrem Wesen, etablierte Annahmen in Frage zu stellen und immer neues Wissen zu erzeugen. Aus der Grundlagenforschung im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich entstehen Anwendungsmöglichkeiten, die dann von der Industrie vermarktet werden können.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert die Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Der einzelne Wissenschaftler ist dementsprechend frei in der Themen- und Methodenwahl sowie in der Bewertung und Verbreitung seiner Forschungsergebnisse. Die Wissenschaftsfreiheit wird traditionell als ein Abwehrrecht gegen den Staat verstanden, der in der Vergangenheit immer wieder der Versuchung erlegen ist, in den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess einzugreifen oder missliebige Ergebnisse zu unterdrücken.

Zeitgeistkonforme Vorgaben

Heutzutage droht der Wissenschaft aber nicht nur Gefahr durch staatliche Eingriffe, sondern auch durch militante Bewegungen, die sich im Besitz der Wahrheit glauben. Die Anhänger bestimmter Ideologien, zum Beispiel radikale Tierschützer, Gegner der Gentechnik oder der Kernkraft, üben Druck auf einzelne Wissenschaftler oder auch wissenschaftliche Einrichtungen aus. An einer rationalen Auseinandersetzung sind diese Gruppierungen nicht interessiert. Vielmehr versuchen sie, durch Drohungen und Übergriffe ein Klima der Angst und der Einschüchterung zu erzeugen. Häufig beugt sich die Wissenschaft diesem Druck mit dem Ergebnis, dass bestimmte Themen nicht mehr erforscht werden, dass ganze Wissenschaftsbereiche verkümmern und schließlich aufgegeben werden. Denn auch Wissenschaft vollzieht sich nicht im luftleeren Raum, sondern wird durch die Akzeptanz bzw. Nichtakzeptanz in der Gesellschaft beeinflusst.

Der Staat setzt sich durchaus für die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft ein. Zu den Aufgaben der staatlichen Hochschulen gehört u.a. auch der Wissens- und Technologietransfer. Gleichzeitig macht sich der Staat aber auch für den Tierschutz stark, für den Umweltschutz, die Gleichstellung der Geschlechter und vieles andere mehr. So bestimmen beispielsweise einige Hochschulgesetze, dass die Hochschulen friedlichen Zielen verpflichtet sind und ihnen eine besondere Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung obliegt.

Solche zeitgeistkonformen Vorgaben stürzen die Wissenschaft in ein Dilemma: Wie weit reicht ihre Freiheit, wo liegen die Grenzen, die ihr durch Wünsche und Anforderungen der Politik und der Gesellschaft gezogen werden? Und natürlich stellen solche Gesetzesformulierungen ein Einbruchstor für militante Gruppen dar, um ihre Anliegen über Beteiligungs- und Aufsichtsgremien durchzusetzen.

Sieg der Ideologie

Beispielsweise wird an vielen Universitäten versucht, die Zusammenarbeit mit der Rüstungswirtschaft unmöglich zu machen, was über eine Friedens- oder Zivilklausel erreicht werden soll. Hier ergeben sich Abgrenzungsfragen ohne Ende, denn letztlich kann nahezu jedes technisch-naturwissenschaftliche Forschungsergebnis auch zu militärischen Zwecken eingesetzt werden.

Viele Wissenschaftler resignieren angesichts dieser Unübersichtlichkeit und verlagern ihre Forschungsschwerpunkte. Zumal der Staat sich meistens aus diesen Konflikten heraushält und der Wissenschaft keine Rückendeckung gibt. So setzt sich ideologisches Denken aufgrund seiner Aggressivität häufig durch, zum Schaden der Wissenschaft. Viele interessierte Unternehmen finden in der deutschen Wissenschaft keine Ansprechpartner mehr, ihnen bleibt nur der Weg, mit Forschern im Ausland entsprechende Kooperationen einzugehen.

Was müsste geschehen, um dieser unheilvollen Entwicklung entgegenzutreten? Vom Staat ist wenig Abhilfe zu erwarten, da er sich dem Zeitgeist in aller Regel beugt.

Glaubenssätze werden bestätigt

Nun, zuallererst müsste die Wissenschaft ihre Freiheit viel offensiver verteidigen als es zurzeit der Fall ist. Sie sollte nicht aus Konfliktscheu den Auseinandersetzungen aus dem Wege gehen und Kompromisse suchen; dieses Verhalten ermuntert nur die ideologisch Motivierten, ihre Forderungen noch nachdrücklicher anzumelden. Weiterhin müsste die Wissenschaft, die sich bisher vornehm zurückgehalten hat, den Kampf mit den Ideologien selbst aufnehmen und sie widerlegen. Denn diese sind zumeist wissenschaftlich überhaupt nicht haltbar, werden aber in der Politik und in den Medien unwidersprochen propagiert.

Es ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich, dass die Wissenschaft den Kampf gegen den Zeitgeist und seine Anmaßungen aufnimmt. Eher muss man befürchten, dass auch naturwissenschaftlich-technische Disziplinen wie die Biologie sich dem Mainstream anpassen. Viele geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer haben sich bereits den herrschenden Ideologien an den Hals geworfen. Da geht es nicht mehr um die Suche nach der Wahrheit, da werden nur die in der Gesellschaft vorherrschenden Glaubenssätze bestätigt.

Wenn diese Denkweise auch in den „harten“ Fächern um sich greift, sehe ich schwarz für den Wissenschaftsstandort Deutschland und letztlich auch für unseren Wohlstand,

Ihr

Gotthilf Steuerzahler

Über Claus Vogt

Claus Vogt ist Chefredakteur des Börsenbriefs „Krisensicher Investieren“. Zusammen mit Roland Leuschel schrieb er die Bücher „Das Greenspan-Dossier“, „Die Inflationsfalle“, „Bitcoin & Co. - Finte“ oder „Neugestaltung des Geldsystems?“. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel